Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.08.1997, Az.: VI 358/94
Anspruch auf Aufhebung eines Einspruchsbescheides; Änderung der Freistellungsbescheide für Körperschaftsteuer; Anforderungen an das Vorliegen eines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 19.08.1997
- Aktenzeichen
- VI 358/94
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 16214
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1997:0819.VI358.94.0A
Rechtsgrundlagen
- § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG
- § 65 AO 1977
- § 56 Nr. 3 AO 1977
Verfahrensgegenstand
Kioske als Zweckbetriebe, die durch gemeinnützigen Verein zur Betreuung psychisch Kranker geführt werden.
Körperschaftsteuer 1990 und 1991
In dem Rechtsstreit
hat der VI. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung
in der Sitzung vom 19. August 1997,
an der mitgewirkt haben:
Richterin am Finanzgericht ... als Vorsitzende
Richter am Finanzgericht ... Richter am Finanzgericht...
ehrenamtlicher Richter ... Dipl.-Betriebswirt ehrenamtlicher Richter ... Bürokaufmann
für Recht erkannt:
Tenor:
Unter Aufhebung des Einspruchsbescheids vom 31. Mai 1994 und Änderung der Freistellungsbescheide für Körperschaftsteuer 1990 und 1991 vom 16. März 1993 wird der Kläger insgesamt nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG von der Körperschaftsteuer befreit.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der zu erstattenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob zwei von dem Kläger betriebene Kioske als wirtschaftliche Geschäftsbetriebe anzusehen sind.
Der Kläger ist ein durch Gründungsversammlung vom 6. Februar 1989 errichteter Verein, der als gemeinnützigen Zwecken dienend anerkannt ist. Gemäß § 2 der geänderten Satzung vom 6. November 1989 ist der Zweck des Vereins "die Einrichtung und Unterhaltung von Einrichtungen für psychisch Kranke und Behinderte, deren Betreuung sowie das Schaffen tagesstrukturierender Angebote außerhalb bestehender Einrichtungen eben für diese Klientel". Gemäß Satzung vom 23. März 1994 ist ferner die berufliche Integration psychisch Behinderter Menschen in den allgemeinen Arbeitsmarkt Vereinszweck. Die Eingliederung soll durch vorbereitende Maßnahmen in realitätsnahen Umgebungen und mit therapeutischer Betreuung und Beratung stattfinden.
In den Streitjahren 1990 und 1991 unterhielt der Kläger in der Nervenklinik L. sowie in dem benachbarten Alten- und Pflegeheim H. zwei Kioske. In den Kiosken wurden durchschnittlich 8 bis 9 psychisch Kranke mit Teilzeitarbeit zwischen 4 und 70 Stunden im Monat zu einem Stundenlohn von 8 DM netto beschäftigt. Die Beschäftigten der Kioske sind in der Mehrzahl Personen, die im eigenen sozialen Umfeld wohnen, zum Teil aber auch Bewohner eigener - vom Kläger betriebener - oder fremder Wohneinheiten. Die psychisch Kranken werden begleitend durch Sozialarbeiter betreut. Die Arbeitsverhältnisse endeten in verschiedenen Fällen durch Abbruch seitens des Beschäftigten und teilweise im Einvernehmen zwischen Patient und Verein zwecks Durchführung einer Rehabilitationsmaßnahme.
Ein klinisch-medizinische Betreuung erfolgt durch den Kläger nicht. Neben den Betreuten ist stets ein Betreuer im Kiosk anwesend, durch den die Arbeitskoordination und Leitung des Betriebes erfolgt.
Der Verkauf der Waren aus den Kiosken erfolgte an die Patienten der Klinik bzw. Bewohner des Altenheimes sowie deren Besucher. Die Umsätze beider Kioske beliefen sich in den Jahren 1990 bis 1992 zusammen auf 62.234 DM, 134.390 DM und 177.982 DM.
Mit Freistellungsbescheid vom 16. März 1993 nahm der Beklagte die Kioske von der Steuerbefreiung nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 Körperschaftsteuergesetz (KStG) aus. Den Einspruch wies er mit Bescheid vom 31. Mai 1994 als unbegründet zurück, weil die Kioske wirtschaftliche Geschäftsbetriebe des Klägers seien.
Im Klageverfahren verfolgt der Kläger sein Begehren, die Einbeziehung der Kioske in die Steuerbefreiung zu erreichen, fort. Zur Begründung führt er im wesentlichen aus, bei den beiden Kiosken handele es sich nicht um selbständige Geschäftsbetriebe, sondern um unselbständige, dem Kläger integrierte Einrichtungen, durch die die Vereinszwecke erfüllt würden. Sie teilten daher das rechtliche Schicksal des Vereins.
Das Amtsgericht ... habe als Registergericht die Frage der wirtschaftlichen Betätigung geprüft und verneint. Der Kläger erfülle auch die Grundsätze, die das Niedersächsische Finanzgericht (EFG 1984, 45) aufgestellt habe. Er betreibe seine Aufgaben unter dem ausschließlichen Zweck, durch Angebot an Arbeit und sozialer Betreuung psychisch Erkrankten im Stadium ihrer Gesundung außerstationäre Hilfen zuteil werden zu lassen mit dem Ziel der Tagesstrukturierung und einer allmählichen Rückführung in den normalen Arbeitsprozeß. In den beiden Kiosken würden besonders jüngere Personen auf Teilzeitbasis beschäftigt, wo sie unter Aufsicht geschulter Mitarbeiter des Vereins in ihrer besonderen Lebenssituation eine ihren individuellen Fähigkeiten adäquate Beschäftigung fänden, die wiederum die Grundlage für eine weitere Festigung dieser Personen sei.
Ohne die Kioske oder vergleichbare andere Betriebe könne der Vereinszweck nicht erreicht werden, da geeignete Arbeitsplätze für die Klienten zur Verfügung gestellt werden müßten. Diese Arbeitsplätze müßten spezielle Voraussetzungen erfüllen, die allein durch arbeitstherapeutische Maßnahmen nicht zu erreichen seien. Der Kläger habe seit Inbetriebnahme der Kioske und Cafeteria-Betriebe 1990 bereits 39 Menschen lang- oder kurzfristig beschäftigt, 8 Patienten seien seit 4 Jahren tätig. Die Kioske nähmen entgegen der Ansicht des Beklagten auch nicht in größerem Umfang am Wettbewerb teil, da es sich um kleinere Betriebe zur Versorgung der Patienten der Nervenklinik und des Altenheims handele. Ferner komme es für Einrichtungen der Wohlfahrtspflege, die hilfsbedürftigen Personen im Sinne des § 53 Abgabenordnung (AO) dienten, nicht auf die Wettbewerbslage an. Die Voraussetzungen, daß mindestens 2/3 der Leistungen der Kioske Hilfsbedürftigen zugute kämen, sei ebenfalls erfüllt.
Die Änderung des Satzungstextes 1994 stelle lediglich eine Klarstellung, jedoch keine Erweiterung der Satzungszwecke dar.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Einspruchsbescheides vom 31. Mai 1994 die Freistellungsbescheide vom 16. März 1993 für 1990 und 1991 dahingehend zu ändern, daß der Kläger gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG von der Körperschaftsteuer freigestellt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Ansicht, die Kioske seien keine Zweckbetriebe und deshalb von der Steuerbefreiung des § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG ausgeschlossen. Mit den Kiosken übe der Verein eine typische gewerbliche Betätigung aus, die nur unter den Voraussetzungen eines Zweckbetriebes nach § 65 bis 68 AO steuerbefreit sei.
Der Kläger habe nicht dargelegt, daß die satzungsmäßigen Zwecke nur durch den Verkauf von Waren an Patienten, Angestellte und Besucher der Einrichtungen verwirklicht werden könne. Arbeitstherapeutische Maßnahmen seien auch ohne den Betrieb eines Kioskes denkbar. Ferner trete der Kläger mit den Kiosken in Wettbewerb zu anderen potentiellen Anbietern. Der Verkauf der Waren werde ferner nicht zu 2/3 gegenüber dem Personenkreis im Sinne des § 5,3 AO erbracht.
Ferner sei in den Streitjahren die Schaffung von Arbeitsplätzen und von Voraussetzungen für die Wiedereingliederung psychisch Kranker nicht Satzungszweck. Die Satzung sei erst 1994 insoweit ergänzt worden, so daß es bereits an den Voraussetzungen des § 60 AO mangele.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Bei den vom Kläger betriebenen Kiosken handelt es sich um Zweckbetriebe, die gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG in Verbindung mit § 65 AO nicht der Körperschaftsteuerpflicht unterliegen.
Ein Zweckbetrieb ist gemäß § 65 AO gegeben, wenn der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb in seiner Gesamtrichtung dazu dient, die steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke der Körperschaftsteuer zu verwirklichen, die Zwecke nur durch einen solchen Geschäftsbetrieb erreicht werden können und der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb nicht begünstigten Betrieben derselben oder ähnlicher Art nicht in größerem Umfang in Wettbewerb tritt, als es bei Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke unvermeidbar ist.
Die Kioske dienten in ihrer Gesamtrichtung, d.h. mit den sie begründenden Tätigkeiten und nicht nur mit den durch sie erzielten Einnahmen der Verwirklichung des steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecks des Klägers. Satzungsmäßige Aufgabe des Klägers ist die Einrichtung und Unterhaltung von Einrichtungen für psychisch Kranke und Behinderte, deren Betreuung sowie das Schaffen tagesstrukturierender Angebote außerhalb bestehender Einrichtungen. Das Schaffen tagesstrukturierender Angebote sollte dabei insbesondere durch die Eingewöhnung der psychisch Kranken in den üblichen Tagesablauf des durchschnittlichen "Normalbürgers" erfolgen. Durch die Einbindung der Betreuten in feste Arbeitsverhältnisse sollten sie zur Übernahme von Pflichten und deren eigenverantwortlichen Erledigung angeleitet werden. Die Gestaltung der Arbeitsverhältnisse wurde dabei einerseits an der krankheitsbedingten geminderten Leistungsfähigkeit ausgerichtet, in dem etwa auch Beschäftigungsverhältnisse von 4 Stunden pro Monat eingegangen wurden. Die Aufnahme der Arbeit innerhalb eines gewöhnlichen Geschäftsbetriebs mit Kontakten zu außenstehenden Fremdkunden diente andererseits zur Gewöhnung an realitätsgerechte Arbeitsbedingungen, die durch Konflikt- und Streßsituationen gekennzeichnet sein können. Die Kioske dienten folglich dazu, Beschäftigungsmöglichkeiten unter realitätsnahen Bedingungen bei gleichzeitigem Zuschnitt auf die Sondersituation psychisch Kranker zu schaffen und damit in ihrer Gesamtausrichtung der Verwirklichung der steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zwecke des Klägers.
Der Kläger konnte entgegen der Ansicht des Beklagten seinen steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zweck nur durch einen solchen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb erreichen (§ 65 Nr. 2 AO). Es kommt - anders als das Finanzamt meint - nicht darauf an, ob der Zweck auch durch anders geartete wirtschaftliche Geschäftsbetriebe erreicht werden kann. Voraussetzung ist lediglich, daß die Zweckerreichung nur durch einen (beliebigen) wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb verwirklicht werden kann. Im Streitfall versetzt der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb den Kläger erst in die Lage, Beschäftigungsverhältnisse einzugehen und damit realitätsnahe Arbeitsbedingungen zu schaffen. Die Beschäftigung psychisch Kranker in einer geregelten Arbeitssituation ist Grundvoraussetzung dafür, sie an die übliche Lebenssituation der Mehrzahl der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Menschen heranzuführen.
Dem steht nicht entgegen, daß arbeitstherapeutische Maßnahmen auch ohne den Betrieb eines wirtschaftlichen Unternehmens erfolgen können. Denn derartige Maßnahmen hätten weder einen hinreichenden Realitätsbezug zu Tätigkeiten im normalen Arbeitsprozeß, weil durch sie weder durch Fehlverhalten des Probanden verursachte Streßsituationen noch durch Kontakt und mögliche Konfrontationen mit Fremden (hier Kunden) entstehende Konflikte hinreichend simuliert werden können.
Der Betrieb erfüllte auch die Voraussetzungen des § 56 Nr. 3 AO, Er trat zu nichtbegünstigen Betrieben derselben oder ähnlichen Art nur in dem Umfang in Wettbewerb, als bei Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke unvermeidbar war.
Die Frage, ob der - tatsächliche oder potentielle - Wettbewerb bei Erfüllung des steuerbegünstigten Zwecks unvermeidbar ist, muß unter Beachtung der nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) gebotenen staatlichen Wettbewerbsneutralität beantwortet werden. Ein steuerrechtlicher Eingriff in den Wettbewerb ist nach Art. 3 Abs. 1 GG nur erlaubt, wenn ein hinreichender sachlicher Grund für eine steuerrechtliche Bevorzugung bzw. Benachteiligung vorliegt. Es ist somit abzuwägen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit und einem nicht durch steuerrechtliche Begünstigungen beeinträchtigten Wettbewerb und dem Interesse der Allgemeinheit an der Förderung des steuerbegünstigten Zwecks (vgl. BFH vom 27. Oktober 1993 I R 60/91, BStBl II 1994, 573). Erweist sich, daß der steuerbegünstigte Zweck auch ohne die steuerrechtlich begünstigte entgeltliche Tätigkeit zu erreichen ist, dann ist das Interesse an der Wahrung der Wettbewerbsneutralität vorrangig und aus der Sicht der Gemeinnützigkeit der Wettbewerb vermeidbar (vgl. BFH-Urteil vom 26. April 1995 I R 35/92, BStBl II 1995, 767).
Der Wettbewerb mit anderen steuerpflichtigen Kiosken war für den Kläger unvermeidbar, wenn er seinen steuerbegünstigten Zweck erfüllen wollte. Er mußte einen wirtschaftlichen Betrieb unterhalten, um den von ihm betreuten psychisch Kranken einen Gesunden vergleichbares tagesstrukturiertes Angebot, d.h. eine sinnvolle Arbeitstherapie unterbreiten zu können. Ohne den Betrieb der Kioske wäre der Kläger nicht in der Lage gewesen, den Betreuten realitätsgerechte Arbeitsverhältnisse anzubieten. Denn die Vermittlung psychisch Erkrankter in Fremdarbeitsverhältnisse scheitert bereits an dem anfänglichen ungenügenden Leistungsvermögen.
Die Kioske wurden durch den Kläger - mit Ausnahme einer Leitungsperson, die zudem betreuend tätig war - ausschließlich mit Arbeitskräften betrieben, die zum Klientel des Vereins gehörten. Der Warenverkauf an Patienten und Angestellte der angeschlossenen Betreuungs- bzw. Krankeneinrichtungen und an Fremdkunden war damit ausschließlich Ausfluß aus der zweckverwirklichenden Beschäftigung psychisch Kranker. In derartigen Fällen besteht ein hinreichender sachlicher Grund für eine steuerrechtliche Begünstigung gegenüber den Wettbewerbern.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Entscheidungen über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruhen auf § 151 Abs. 1 und 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozeßordnung.
Die Revisionszulassung erfolgt gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache.