Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.08.1997, Az.: I 236/93
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 19.08.1997
- Aktenzeichen
- I 236/93
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 27905
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1997:0819.I236.93.0A
In dem Rechtsstreit
wegen Einheitsbewertung auf den 01. Januar 1989
hat der I. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts im Einverständnis der Parteien ohne mündliche Verhandlung in der Sitzung vom 19. August 1997, an der mitgewirkt haben:
Vorsitzender Richter am Finanzgericht .
Richter am Finanzgericht .
Richter am Finanzgericht .
ehrenamtlicher Richter .
ehrenamtliche Richterin .
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Einheitswertbescheid -; Art- und Wertfortschreibung -; auf den 1. Januar 1989 vom 19. September 1990 und der Einspruchsbescheid vom 20. August 1993 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt er Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Geldbetrages in Höhe der an die Kläger zu erstattenden Kosten abwenden, sofern die Kläger nicht zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die Frage, ob das Finanzamt (FA) auf den streitigen Feststellungszeitpunkt eine Fortschreibung vornehmen durfte.
Die Kläger (Kl.) errichteten im Jahre 1981 auf ihrem Grundstück . in G. ein Wohnhaus, in dem sie -; und zwar ausschließlich sie -; seither mit ihrer Familie wohnen. Das Haus enthält Wohnräume im Erdgeschoß und Obergeschoß. Sowohl im Erd- als auch im Obergeschoß befinden sich jeweils alle Räume, die für die Annahme einer Wohnung erforderlich sind. Im Erdgeschoß ist jedoch die Küche vom Flur aus frei zugänglich und im Obergeschoß war die Küche am Bewertungsstichtag noch nicht eingerichtet; die Kücheneinrichtung lag einbaubereit im Keller. Wegen der baulichen Gestaltung des Hauses im einzelnen wird auf die Bauzeichnungen in den Einheitswertakten des Bekl. Bl. 21 und 22 verwiesen.
Im Jahre 1983 besichtigte das FA das Gebäude und erließ daraufhin einen Einheitwertbescheid auf den 1. Januar 1982, in dem das Grundstück in die Grundstücksart Zweifamilienhaus (ZFH) eingeordnet wurde. Der Einheitswert wurde mit 68. 000 DM festgestellt. Der Bescheid wurde bestandskräftig. Am 9. Mai 1989 wandte sich die Arbeitnehmerveranlagungsstelle des FA schriftlich an die Bewertungsstelle und wies unter Bezugnahme auf die Bewertung als ZFH darauf hin, daß das Haus eigengenutzt und nicht vermietet werde. Der Hinweis endet mit der Aufforderung: "Bitte um Überprüfung, ob die Grundstücksart noch zutreffend ist". Auf das Schreiben Bl. 33 der Bewertungsakte wird Bezug genommen. Diese Aufforderung beantwortete die Bewertungsstelle ebenfalls schriftlich unter dem 13. Juni 1989 dahingehend, daß die Eigennutzung bereits bekannt gewesen sei, der Steuerpflichtige habe darauf seinerzeit selbst hingewiesen, eine Änderung komme nicht in Betracht. Auch auf dieses Schreiben wird verwiesen (Bl. 34 der Bewertungsakten). Dennoch nahm die Bewertungsstelle des FA am 10. August 1990 -; erneut -; eine Besichtigung des streitigen Grundstücks vor. Dabei wurde festgestellt, daß die bauliche Gestaltung des Hauses weiterhin mit der Bauzeichnung in den Akten übereinstimmte. Die bisherige Bewertung als ZFH schätzte man jedoch als falsch ein und entschloß sich zu einer fehlerbeseitigenden Fortschreibung zum Einfamilienhaus (EFH). Mit Art- und Wertfortschreibungsbescheid vom 19. September 1990 nahm das FA eine Fortschreibung zum EFH vor, und zwar auf den 1. Januar 1989. Dadurch erhöhte sich der Einheitswert durch Anwendung eines höheren Vervielfältigers auf 76. 700 DM.
Gegen diese Fortschreibung wenden sich die Kl. mit ihrer Klage. Während sie im Vorverfahren noch die Auffassung vertraten, das Grundstück sei ein ZFH, sprechen sie dem FA im Klageverfahren die Berechtigung ab, die angegriffene Artfeststellung auf diesen Bewertungsstichtag treffen zu dürfen. Nach § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2, 1 Alternative Bewertungsgesetz (BewG) seien fehlerbeseitigende Fortschreibungen nur auf den Beginn des Kalenderjahres zulässig, in dem der Fehler dem FA bekannt geworden sei. Da dem Beklagten (Bekl.) der Fehler erst durch die Ortsbesichtigung vom 10. August 1990 bekannt geworden sei, könne die Fortschreibung frühestens auf den 1. Januar 1990 vorgenommen werden.
Die Kl. beantragen,
den Einheitswertbescheid -; Art- und Wertfortschreibungsbescheid -; auf den 1. Januar 1989 vom 19. September 1990 und den Einspruchsbescheid vom 20. August 1993 aufzuheben.
Der Bekl. beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Bekl. verweist darauf, daß die bisherige Bewertung als ZFH falsch gewesen sei, weil die beiden Wohnungen nicht baulich abgeschlossen gewesen und die Räume im Erd- und Obergeschoß tatsächlich auch nicht als eigenständige Wohnungen genutzt worden seien. Dieser Fehler sei bereits aus den Akten festgestellt und durch die erneute Ortsbesichtigung im Jahre 1990 nur bestätigt worden. Deshalb sei die Artfortschreibung bereits auf den 01.01.1989 zulässig gewesen. Für die sich aus einer anderen Artfeststellung zwangsläufig ergebende Erhöhung des Einheitswertes greife die Regelung in § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 letzter Halbsatz BewG nicht ein; Artfeststellungen seien insoweit neutral.
Wegen des Vortrags der Parteien im übrigen wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze im Klageverfahren sowie im Vorverfahren verwiesen.
Die Parteien haben durch Schriftsatz der Prozeßbevollmächtigten der Kl. vom 1. Oktober 1993 und des Beklagten vom 7. Dezember 1993 auf eine mündliche Verhandlung vor dem Senat verzichtet.
Gründe
I.
Die Klage hat Erfolg.
Der angefochtene Bescheid war aufzuheben, weil darin die Fortschreibung auf den 1. Januar 1989 vorgenommen worden ist.
1. Nach § 22 Abs. 2 BewG wird über die Art. eines Bewertungsgegenstandes eine neue Feststellung getroffen (Artfortschreibung), wenn sie von der zuletzt getroffenen Feststellung abweicht und es für die Besteuerung von Bedeutung ist. Unter diesen Voraussetzungen findet eine Artfortschreibung zunächst dann statt, wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse, die für eine Bewertung maßgebend waren, geändert haben; darüber hinaus aber auch schon dann, wenn sie zur Beseitigung eines Fehlers der letzten Feststellung erforderlich ist (§ 22 Abs. 3 BewG).
Im Streitfall ist eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nicht eingetreten. Gleichwohl ist eine Artfortschreibung erforderlich, weil sich die bisherige Artfeststellung ZFH im Einheitswertbescheid auf den 1. Januar 1982 als falsch erweist. Das Grundstück war -; insoweit teilt der Senat die Einschätzung beider Parteien -; bereits zum 1. Januar 1982 ein EFH, weil es nur eine Wohnung enthielt (§ 75 Abs. 5 BewG). Dabei mag dahinstehen, ob man die herkömmlichen Anforderungen zum Wohnungsbegriff anwendet oder auf die vom Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung vom 5. Oktober 1984 III R 192/83, BFHE 142, 505, BStBl II 1985, 151, [BFH 05.10.1984 - III R 192/83] entwickelten neuen Grundsätze abstellt. Nach den neuen Grundsätzen scheitert die Annahme zweier Wohnungen an deren fehlender baulicher Abgeschlossenheit. Nach den herkömmlichen Anforderungen bilden die Räume im Obergeschoß keine eigenständige Wohnung, weil sie nicht baulich abgeschlossen ist und keine benutzbare Küche enthält.
2. Ist demnach eine Artfortschreibung erforderlich, so ist sie gem. § 22 Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 BewG auf den Beginn des Kalenderjahres vorzunehmen, in dem der Fehler dem FA bekannt geworden ist.
Dabei ist er erkennende Senat zunächst der Ansicht, daß dieser Fehler innerhalb des FA den jeweils für die Fortschreibung zuständigen Beamten, also insbesondere der Bewertungsstelle bekannt sein muß. Für den Streitfall kommt es daher nicht darauf an, ob und wann die Arbeitnehmerveranlagungsstelle von der falschen Bewertung erfuhr.
Welche inhaltlichen Voraussetzungen vorliegen müssen, damit ein Fehler in diesem Sinne als bekanntgeworden angesehen werden kann, ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bisher noch nicht abschließend geklärt. Der Senat vertritt für den Streitfall die Auffassung, daß der Fehler der Bewertungsstelle noch nicht durch die Aufforderung der Arbeitnehmerveranlagungsstelle vom 9. Mai 1989 bekannt geworden ist. Er sieht darin lediglich eine Anregung, die bisherige Bewertung zu prüfen. Da diese Anregung -; wie die Antwort der Bewertungsstelle vom 13. Juni 1989 gezeigt hat -; nicht zur Aufdeckung des Fehlers geführt hat, ist er ihr erst im Zuge der Besichtigung im Jahre 1990 bekannt geworden.
Damit durfte die Artfortschreibung erst auf den 1. Januar 1990 durchgeführt werden.
3. Da die Artfeststellung erst auf den folgenden Feststellungszeitpunkt fortzuschreiben war, konnte auch die Wertfortschreibung auf denselben Stichtag keinen Bestand haben.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die übrigen Nebenentscheidungen ergeben sich aus § 151 Abs. 3 i.V.m. § 155 FGO und §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozeßordnung.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Soweit ersichtlich liegt Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu den Anforderungen eines Bekanntwerdens eines Fehlers i. S.v. § 22 Abs. 4 Nr. 2 BewG noch nicht vor.