Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 06.08.1997, Az.: IX 466/96

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
06.08.1997
Aktenzeichen
IX 466/96
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 25936
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1997:0806.IX466.96.0A

Tenor:

Der Einkommensteuerbescheid 1993 vom … 1996 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom … 1996 wird geändert und die Einkommensteuer 1993 auf 0 DM festgesetzt.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Hinterlegung oder Sicherheitsleistung abwenden.

Tatbestand:

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob bei der Klägerin der Restwert einer Geige als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen ist.

2

Die Klägerin erzielte im Streitjahr 1993 als Orchestermusikerin (1. Geigerin in einem Rundfunkorchester) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. In ihrer Steuererklärung für das Streitjahr machte sie unter den Werbungskosten eine Absetzung für außergewöhnliche Abnutzung (AfaA) in Höhe von 243. 391 DM geltend, weil der von ihr getrenntlebende Ehemann aus ihrem Arbeitszimmer eine Geige entwendet habe.

3

Der Beklagte (das Finanzamt - FA -) versagte den Abzug. Der Einspruch blieb im wesentlichen ohne Erfolg. Das FA berücksichtigte lediglich - wie in den Vorjahren - die normalen Absetzungen bis zum Zeitpunkt des Diebstahls (4. 711 DM). Dagegen richtet sich die Klage.

4

Die Klägerin trägt vor, die Geige, eine "Johannes Baptista Guadagnini Violine 1743", habe sie im November 1988 durch ihren Ehemann in London für 282. 645 DM ersteigern lassen. Das Instrument sei vom FA als Arbeitsmittel anerkannt. Im Streitjahr und zuvor sei es zwischen ihr und dem Ehemann zu einem Zerwürfnis gekommen, das in einem Scheidungsverfahren geendet habe. Zwischen dem und Juni 1993 habe ihr Ehemann mitgeteilt, daß er das Instrument an sich gebracht habe, beabsichtige, es zu veräußern und den Erlös für sich zu behalten. Die Geige habe sich in ihrem Arbeitszimmer befunden. Eine Strafanzeige vom … September 1993 sei ebenso erfolglos gewesen wie ein Herausgabeprozeß (Urteil des OLG …), um das Instrument wiederzuerlangen. Das OLG habe festgestellt, daß sie Alleineigentümerin der Geige gewesen sei. Ihr Ehemann sei nicht auffindbar. Vollstreckungsversuche hätten keinen Erfolg gehabt. Die Versicherung (Instrumentenversicherung durch den Arbeitgeber) habe keine Einstandsverpflichtung, da Schäden, die durch Familienangehörige verursacht worden sind, in den Versicherungsbedingungen ausgeschlossen seien.

5

Die Klägerin beantragt,

den Einkommensteuerbescheid 1993 vom … März 1996 in Gestalt des Einspruchsbescheids vom … Dezember 1996 zu ändern und die Einkommensteuer 1993 auf 0 DM festzusetzen.

6

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Es bleibt bei seiner im Rechtsbehelfsverfahren vertretenen Auffassung, der Verlust der Geige gehöre nicht zu den Werbungskosten, weil sich das schädigende Ereignis (Diebstahl durch den Ehemann) in der steuerrechtlich unbeachtlichen Privatsphäre abgespielt habe. Die Klägerin ist im Streitjahr noch verheiratet gewesen und nach der Splittingtabelle veranlagt worden.

Gründe

8

Die Klage ist begründet.

9

Der angefochtene Steuerbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Das FA hat den Restwert zu Unrecht nicht als Werbungskosten abgezogen.

10

Der durch den Diebstahl bzw. die Unterschlagung eingetretene Schaden führt dem Grunde nach zur Berücksichtigung von Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Nr. 7 i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Der im Zusammenhang mit der Straftat eingetretene Verlust des Instruments stellt eine außergewöhnliche wirtschaftliche Abnutzung i.S.d. § 7 Abs. 1 Satz 5 EStG dar. Er ist - entgegen der Auffassung des FA - als beruflich veranlaßt anzusehen, weil die Klägerin die Geige unstreitig ausschließlich als Arbeitsmittel und somit ausschließlich beruflich genutzt hat.

11

Veränderungen im Vermögensbereich sind - worauf das FA zutreffend hinweist - bei den Überschußeinkunftsarten des § 2 Abs. 3 Nrn. 4 bis 7 EStG zwar grundsätzlich steuerlich unbeachtlich (vgl. Bundesfinanzhof - BFH -, Urteil vom 21. Dezember 1982 VIII R 215/78, BFHE 138, 44, BStBl II 1983, 410 [BFH 21.12.1982 - VIII R 215/78]). Das gilt jedoch nicht für Arbeitsmittel, weil der Gesetzgeber Aufwendungen für ihre Anschaffung nach § 9 Abs. 1 Nr. 6 EStG ausdrücklich als Werbungskosten bestimmt hat. Die Anschaffung von Arbeitsmitteln fällt somit ebenso in die berufliche Sphäre wie deren nachfolgende ausschließliche oder nahezu ausschließliche berufliche Nutzung.

12

Nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. Urteil vom 8. Februar 1974 VI R 326/70, BFHE 111, 341, BStBl II 1974, 341 [BFH 06.03.1974 - I R 203/72] und die dort erwähnte Rechtsprechung) ist auch auf Arbeitsmittel die Vorschrift des § 9 Abs. 1 Nr. 7 EStG anzuwenden, nach der Absetzungen für Abnutzung und für Substanzverringerung als Werbungskosten zu berücksichtigen sind. Für Arbeitsmittel gelte daher ebenfalls § 7 Abs. 1 Satz 5 EStG, der Absetzungen für außergewöhnliche technische oder wirtschaftliche Abnutzung (AfaA) zulasse. Eine außergewöhnliche technische Abnutzung könne daher nur dann privat veranlaßt sein, wenn das die Abschreibung auslösende Schadensereignis ausnahmsweise dem privaten Bereich zuzuordnen sei (BFH-Urteil vom 29. April 1983 VI R 139/80, BStBl II 1983, 586). Der Senat folgt diesen Grundsätzen und geht im Streitfall davon aus, daß das schadenstiftende Ereignis nicht privat veranlaßt ist. Das Instrument der Klägerin wurde ausschließlich für ihre beruflichen Zwecke genutzt. Eine private Mitbenutzung ist nach dem Sachverhalt ausgeschlossen. Es befand sich im Zeitpunkt der Straftat in ihrem Arbeitszimmer, so daß der Vorgang insgesamt als beruflich veranlaßt anzusehen ist.

13

Der Senat folgt nicht der Auffassung des FA, der Diebstahl sei der Privatsphäre der Klägerin zuzuordnen. Mit dieser Argumentation wird übersehen, daß es für die Abgrenzung nicht auf die Motive oder gar die Person des Täters ankommt. Die Abgrenzung kann nicht danach vorgenommen werden, ob das Arbeitsmittel z.B. von einem Berufskollegen entwendet wird, um dem Steuerpflichtigen berufliche Nachteile zuzufügen oder um ihm aus privaten Gründen zu schaden. Für die Abgrenzung der beruflichen zur privaten Veranlassung kommt es allein darauf an, daß es sich bei dem entwendeten Gegenstand um ein Arbeitsmittel handelt. Lediglich dann, wenn das Arbeitsmittel - wie z.B. ein Kraftfahrzeug - sowohl beruflich als auch privat eingesetzt wird, ist danach zu fragen, ob das schadenbringende Ereignis bei einem privaten Einsatz, z.B. einer Einkaufsfahrt, oder auf einer Dienstreise oder der Fahrt von der Wohnung zur Arbeitsstätte stattgefunden hat (vgl. die Urteile des BFH vom 17. Oktober 1973 VI R 395/70, BFHE 111, 59, BStBl II 1974, 185 [BFH 17.10.1973 - VI R 395/70]; vom 23. Juni 1978 VI R 133/76, BFHE 125, 181, BStBl II 1978, 457, [BFH 23.06.1978 - VI R 133/76] sowie vom 19. März 1982 VI R 25/80, BFHE 135, 479, BStBl II 1982, 442 [BFH 19.03.1982 - VI R 25/80]). Da im Streitfall die Geige nicht zu privaten Zwecken genutzt wurde, kommt eine solche Differenzierung nicht in Betracht.

14

Hinsichtlich der Höhe der begehrten AfaA hat das FA keine Bedenken vorgetragen. Aus den Akten sind auch keine solchen ersichtlich. Nach der Abschreibungsübersicht in der Steuererklärung des Streitjahres hatte das Instrument am 31. Dezember 1993 einen "Restbuchwert" von 243. 391 DM. Um diesen Betrag ist das zu versteuernde Einkommen der Klägerin - bisher 81. 415 DM - zu vermindern, so daß sich daraus die beantragte Steuerfestsetzung nach der Splittingtabelle von 0 DM ergibt.

15

Soweit die Klägerin in der Klageschrift die Feststellung des Restbuchwerts zum 31. Dezember 1993 beantragt, geht der Antrag ins Leere, da hierüber das beklagte FA zu befinden hat.

16

Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) zugelassen.

17

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

18

Die Nebenentscheidungen folgen aus § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.