Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.08.1997, Az.: VI 651/93
Verspätete Entrichtung von Säumniszuschlägen zur Lohnsteuer, Lohnkirchensteuer und Vermögensteuervorauszahlung; Zeitpunkt der Überweisung bzw. Gutschrift
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 19.08.1997
- Aktenzeichen
- VI 651/93
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1997, 16187
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1997:0819.VI651.93.0A
Rechtsgrundlagen
- § 240 Abs. 3 AO
- § 240 Abs. 1 AO
- § 224 Abs. 2 Nr. 2 AO
Fundstelle
- NWB DokSt 1998, 339
Verfahrensgegenstand
Säumniszuschlag
In dem Rechtsstreit
hat der VI. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung
in der Sitzung vom 19. August 1997,
an der mitgewirkt haben:
Richterin am Finanzgericht ... als Vorsitzende
Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtlicher Richter ... Dipl.-Betriebswirt
ehrenamtlicher Richter ... Bürokaufmann
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Entstehung von Säumniszuschlägen zur Lohn- und Lohnkirchensteuer April 1993 in Höhe von 27.364 DM und zur Vermögensteuervorauszahlung für das 2. Quartal 1993 in Höhe von 1.854 DM.
Die Klägerin hatte zur Begleichung der o.g. Steuern zwei Überweisungsträger am 14. Mai 1993 vor 10.00 Uhr durch Boten bei der NordLB, bei der ein Konto des Beklagten geführt wird, eingereicht. Beide Überweisungsträger wiesen als Wertstellungstag Montag, den 17. Mai 1993 auf. Die NordLB buchte die Beträge am 18. Mai 1993 auf das Konto des Beklagten mit Wertstellung zum 17. Mai 1993.
Mit Schreiben vom 25. Juni 1993 forderte der Beklagte für diese Steuerschulden Säumniszuschlägen in Höhe von insgesamt 29.218 DM. Da die Klägerin die Entstehung der Säumniszuschläge bestritt, stellte der Beklagte durch Abrechnungsbescheid vom 20. August 1993 fest, daß Säumniszuschläge in der o.g. Höhe entstanden seien. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies der Beklagte durch Einspruchsentscheidung vom 5. Oktober 1993 zurück.
Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Aufhebung des Abrechnungsbescheides. Sie ist der Ansicht, als Tag der Zahlung sei der Wertstellungstag, also der 17. Mai 1993 anzusehen. Ein Gutschreiben der Beträge zugunsten der Finanzbehörde nach § 224 Abs. 2 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) sei nicht mit der buchmäßigen Erfassung durch die Bank gleichzusetzen, die nur einen bankinternen Vorgang darstelle. Ebenfalls weiche die abgabenrechtliche Bedeutung des Begriffs Gutschreiben von der zivilrechtlichen ab.
Für ein Gutschreiben im abgabenrechtlichen Sinne komme es auf die Erlangung der Verfügungsmacht und damit der Dispositionsfreiheit an. Der Beklagte habe bereits am Wertstellungstag und damit innerhalb der Schonfrist des § 240 Abs. 3 AO über die Steuerbeträge verfügen können, was durch die unstreitige Verzinsung des Guthabens bzw. der zinslosen Inanspruchnahme des Guthabens von diesem Tag an zum Ausdruck komme. Komme es nicht auf den Wertstellungstag an, müßten Zahlungen als rechtzeitig angesehen werden, wenn sie zwar fristgerecht gebucht würden, aber eine spätere Wertstellung ihnen zugrunde lägen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Klägerin vom 26. Oktober 1993 (Bl. 1 f Finanzgerichtsakte) und vom 31. Juli 1996 (Bl. 37 f Finanzgerichtsakte) verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
den Abrechnungsbescheid des Beklagten vom 20. August 1993 in der Gestalt des Einspruchsbescheides vom 5. Oktober 1993 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, er habe die Verfügungsmacht über die Zahlungsmittel erst am 18. Mai 1993 erlangt. Zu diesem Zeitpunkt sei ihm die Abhebung oder Überweisung dieser Beträge möglich gewesen. Ferner habe die Klägerin ihre Zahlungsanweisung bis zur Ausführung der Buchung Jederzeit widerrufen können.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Der Abrechnungsbescheid vom 20. August 1993 stellt zu Recht die verwirkten Säumniszuschläge fest. Die Klägerin hat die von ihr zu entrichtende Lohn- und Lohnkirchensteuer sowie Vermögensteuer erst nach Ablauf der Schonfrist im Sinne des § 240 Abs. 3 AO 1977 (in der Fassung vom 1. Januar 1993) entrichtet, so daß gemäß § 240 Abs. 1 AO auf die fällige Steuerschuld ein Säumniszuschlag von 1 v.H. für den angefangenen Monat der Säumnis zu entrichten ist.
Die von der Klägerin geleistete Zahlung gilt gemäß § 224 Abs. 2 Nr. 2 AO am 18. Mai 1993 und damit verspätet als entrichtet. Die Steuerschuld war gemäß §§ 41 a Abs. 1, 2 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG), 20 Abs. 1 Vermögensteuergesetz am 10. Mai 1993 fällig. Die Schonfrist von 5 Tagen begann am 11. Mai 1993 und endete mit Ablauf des 17. Mai 1993, da das eigentliche Fristende, der 15. Mai 1993, auf einen Samstag fiel, §§ 108 Abs. 1 AO in Verbindung mit 187, 188, 193 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).
Die Zahlung der Klägerin erfolgte gemäß § 224 Abs. 2 Nr. 2 AO am 18. Mai 1993. Erst an diesem Tag wurde der Schuldbetrag dem Konto der Finanzbehörde bei der NordLB gutgeschrieben. Dem steht nicht entgegen, daß das Guthaben für den 17. Mai 1993 dem Konto des Beklagten wertgestellt wurde und er hierdurch ggf. einen Zinsvorteil erlangt hat.
Gemäß § 224 Abs. 2 Nr. 2 AO gilt eine wirksam geleistete Zahlung bei Überweisung auf ein Konto der Finanzbehörde an dem Tag, an dem der Betrag der Finanzbehörde gutgeschrieben wird, als entrichtet. Unter Gutschrift im Sinne des § 224 Abs. 2 Nr. 2 AO ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht die Wertstellung, sondern die buchmäßige Erfassung des Zahlungsvorganges auf dem für die Finanzbehörde geführten Konto zu verstehen. Mit anderen Worten, maßgeblicher Tag für den Zeitpunkt der Entrichtung ist der Buchungs- und nicht der Wertstellungstag.
Dem entspricht sowohl der Wortlaut der Norm als auch deren Zweck. Unter "Gutschreiben" wird im allgemeinen die Buchung des Überweisungsbetrages auf dem Konto des Empfängers verstanden. Nach Wahrig (Deutsches Wörterbuch) heißt gutschreiben "das Guthaben aufschreiben oder eintragen, auf die Habenseite setzen, jemanden oder einem Konto einen Betrag gutschreiben." In Gablers Wirtschaftslexikon (12. Aufl.) wird Gutschrift im Sinne des Rechnungswesens als "Buchung einer Leistung zugunsten einer Person oder eines Unternehmens auf der Habenseite des betreffenden Kontos" umschrieben.
In diesem Sinne wird der Begriff "Gutschrift" auch in der Kommentarliteratur verstanden, wenngleich eine ausdrückliche Auseinandersetzung mit dem Problem des Auseinanderfallens von Wertstellungs- und Buchungstag nicht erfolgt. Für die Rechtzeitigkeit der Zahlung wird der Tag der Gutschrift auf dem Konto der Finanzbehörde als maßgeblich angesehen, im Gegensatz zum Tag der Belastung auf dem Konto des Schuldners (vgl. Tipke-Kruse, AO, § 224 Tz. 8; Klein/Orlopp, AO, 5 Aufl. 1995, § 224 Anm. 2; Schwarz/Frotscher, AO, § 224 Rdnr. 2; Koch/Scholz/Helsper, AO, 5. Aufl. 1996, § 224 Rdnr. 8; von Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 224 Rdnr. 15; Beermann/Linssen, AO, § 224 Rdrn. 5).
Zweck dieser Regelung ist die einfache und zweifelsfreie Feststellung der Tilgungswirkung der Steuerschuld durch die Finanzbehörde, da sich mit der rechtzeitigen Tilgung/Nichttilgung weitere Folgen verknüpfen. Dies setzt voraus, daß die Finanzbehörde anhand eigener Unterlagen den Zahlungseingang kontrollieren kann (vgl. Koch/Scholz/Helsper, a.a.O.). Hierfür ist der Ausweis der Buchung im Kontoauszug mit Datum der Ausführung der Überweisung der richtige Anknüpfungspunkt. Wäre der Wertstellungstag für die Rechtzeitigkeit der Zahlung maßgeblich, könnten durch die Anweisung des Schuldners an die ausführende Bank durch rückwirkende Wertstellung auch noch Monate nach Ablauf des Fälligkeitstermins die Folgen einer verspäteten Zahlung beseitigt werden. Die Funktion der Säumniszuschläge als Druckmittel für eine rechtzeitige Zahlung verlören so ihre Wirkung.
Dagegen spricht nicht, daß die Finanzbehörde durch die rückwirkende Wertstellung wirtschaftlich so gestellt würde, als wenn der Steuerpflichtige rechtzeitig gezahlt hätte. Die Regelung der §§ 224 AO und 240 AO bezwecken vorrangig nicht den Ausgleich wirtschaftlicher Vor- und Nachteile, sondern die Festlegung des Zählungszeitpunktes (§ 224 AO) und die Veranlassung zur pünktlichen Zahlung (§ 240 AO. vgl. BFH-Urteil vom 29. August 1991 V R 78/86, BStBl II 1991, 906, 908).
Für diese Auslegung spricht schließlich auch ein Vergleich der weiteren in § 224 Abs. 2 AO genannten Leistungszeitpunkte. Bei Übergabe oder Übersendung von Zahlungsmitteln ist der Tag des Eingangs bei der Finanzbehörde, bei der Einzahlung auf das Konto, der Tag der Gutschrift und bei einer Einzugsermächtigung der Tag der Fälligkeit maßgeblich. In allen Fällen ist der Tag entscheidend, an dem der Finanzbehörde tatsächlich eine unwiderrufliche Verfügung über die Zahlungsmittel ermöglicht wird und der zudem leicht und eindeutig feststellbar ist. Eine unwiderrufliche Verfügung über die Zahlungsmittel ist nach Auffassung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 25. Januar 1988 II ZR 320/87, BGHZ 103, 143) erst mit der Gutschrift der Empfangsbank auf dem Konto des Empfängers möglich. Ein Widerruf des Überweisungsauftrages scheidet aus, wenn die Gutschrift auf dem Empfängerkonto wirksam entstanden ist. Die Gutschrift stellt sich als abstraktes Schuldversprechen oder Schuldanerkenntnis der Bank gegenüber dem Kunden dar. Der Begünstigte erwirbt mit der Gutschrift einen unmittelbaren Anspruch auf Auszahlung des überwiesenen Betrages. Deshalb erhält der Überweisungsempfänger beim manuellen Buchungsverfahren einen solchen Anspruch im Augenblick der Buchung der Gutschrift, weil sich darin der Rechtsbindungswille der Bank manifestiert. Die Gutschrift ist die Rechtshandlung, die das im Girovertrag zwischen dem Gläubiger und seiner Bank aufschiebend bedingt und global abgegebene, abstrakte Schuldversprechen der Bank ohne weitere empfangsbedürftige Willenserklärung dem Inhalt und der Höhe nach konkretisiert. Für die Entstehung der Gutschrift muß der erforderliche Rechtsbindungswille äußerlich erkennbar werden. Dies ist spätestens mit der vorbehaltlosen Absendung der Kontoauszüge an den Überweisungsempfänger bzw. deren Bereitstellung zur Abholung der Fall. Alternativ dazu genügt auch die Eintragung in die Kontokarte des Überweisungsempfängers bei der für den Verkehr mit ihm zuständigen Stelle bzw. die Einordnung eines entsprechenden Belegs in die Unterlagen dieser Stelle. Zusammengefaßt kommt es auf den Zeitpunkt an, in dem nach dem Willen der Bank, der in einem entsprechenden Organisationsakt zum Ausdruck kommt, die Daten der Gutschrift zur vorbehaltlosen Bekanntgabe an den Überweisungsempfänger zur Verfügung gestellt werden. Auf den Zeitpunkt der wirtschaftlichen Belastung, also die Wertstellung kommt es nicht an (ebenso im Ergebnis BFH, Urteil vom 11. Dezember 1990 VIII R 8/87, BStBl II 1992, 232).
Der von der Klägerin eingewandte Fall einer nach dem Buchungstag liegenden Wertstellung, vermag Ihre Auffassung nicht zu stützen, da die Wertstellung für den Eintritt der Erfüllungswirkung, also die Frage einer wirksamen Leistung, zur Buchung hinzutreten muß. Für die Auslegung des Begriffs Gutschrift läßt sich hieraus nichts herleiten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen, § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.