Finanzgericht Niedersachsen
Beschl. v. 06.08.1997, Az.: VII 671/96 V
Voraussetzungen für das Vorliegen von ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts; Definition des Zeitpunkt der Leistung einer Ausgabe; Voraussetzungen für das Vorliegen eines Abflusses bei Zahlung auf ein Treuhandkonto; Voraussetzungen für das Vorliegen einer unbilligen, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotenen Härte
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 06.08.1997
- Aktenzeichen
- VII 671/96 V
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1997, 16001
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1997:0806.VII671.96V.0A
Rechtsgrundlagen
- § 11 Abs. 2 S. 1 EStG
- § 39 Abs. 2 Nr. 1 S. 2 AO
Verfahrensgegenstand
Mittelabfluß bei Zahlung auf Notaranderkonto
Antrag auf Aussetzung der Vollziehung Gewinnfeststellung 1994
In dem Verfahren
hat der VII. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
am 6. August 1997
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag wird auf Kosten des Antragstellers abgelehnt.
Gründe
I.
Streitig ist, ob der Antragsteller im Streitjahr einen Verlust aus gewerblicher Tätigkeit erlitten hat.
Der Antragsteller erzielt als Steuerberater Einkünfte aus selbständiger Arbeit, die von dem Antragsgegner (dem Finanzamt - FA -) gesondert festgestellt werden, weil sich sein Büro nicht an seinem Wohnort O., sondern in B. befindet. In der am 21. November 1995 bei dem FA eingegangenen Erklärung zur gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen 1994 erklärte er neben dem Gewinn aus seiner Steuerberatungspraxis Einkünfte aus gewerblichem Grundstückshandel in Höhe von ... DM. Diesen Betrag hatte er durch Einnahmeüberschußrechnung nach § 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) wie folgt ermittelt:
Mit Schreiben vom 29. März 1996 teilte er auf eine entsprechende Rückfrage des FA ergänzend mit, daß er die beiden Objekte nicht zum Zwecke der Vermögensanlage, sondern mit dem Ziel der alsbaldigen Weiterveräußerung erworben habe. Das Grundstück in B., 11, sei mit einem Gebäude bebaut, in dem sich sieben gewerbliche und teilweise zu Wohnzwecken genutzte Einheiten befänden. Die Einheiten seien nach dem Wohnungseigentumsgesetz aufgeteilt. Daneben gehöre zu dem Objekt ein unbebautes Grundstück, welches mit fünf Eigentumswohnungen bebaut werden solle. Der entsprechende Bauantrag sei bereits gestellt worden.
Das Grundstück in H. umfasse zwei Einheiten, die ausschließlich gewerblich genutzt würden. Da sich aus diesem Objekt im Verhältnis zum Kaufpreis sehr hohe Mieteinnahmen erzielen ließen, sei mit einem schnellen Verkauf zu rechnen. Bereits seit Herbst 1995 seien intensive Verkaufsgespräche geführt worden, mit deren erfolgreichem Abschluß in den nächsten Wochen gerechnet werden könne.
Außerdem habe er ebenfalls im Jahre 1994 in W., ein weiteres Objekt erworben, das aus 16 Eigentumswohnungen bestehe, die nach erfolgter Sanierung im Jahr 1996 zum Verkauf angeboten werden sollten, 1995 habe er in K. bei R. weitere 102 Wohnungen und in K. bei G. weitere 42 Wohnungen erworben, die gleichfalls kurzfristig weiterveräußert werden sollten.
Durch Bescheid vom ... stellte das FA die Einkünfte aus dem gewerblichem Grundstückshandel mit 0,00 DM fest. Es vertrat die Ansicht, daß die Einkünfte durch Bestandsvergleich nach§§ 4 Abs. 1 und 5 EStG zu ermitteln seien, weil der von dem Kläger betriebene Grundstückshandel nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordere, so daß dieser nach § 238 i.V.m. § 262 des Handelsgesetzbuches (HGB) verpflichtet sei, Bücher zu führen.
Mit dem dagegen eingelegten Einspruch machte der Antragsteller geltend, daß er nach handelsrechtlichen Vorschriften nicht verpflichtet gewesen sei, im Streitjahr Bücher zu führen. Da er lediglich zwei Grundstücke erworben, über die Anschaffungskosten hinausgehende Ausgaben nicht geleistet und keine Einnahmen erzielt habe, habe sein Unternehmen nach Art und Umfang keinen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert.
Durch Einspruchsbescheid vom ... wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Es hielt an der Ansicht fest, daß der Antragsteller aufgrund handelsrechtlicher Vorschriften (§§ 2, 262 und 238 HGB) verpflichtet gewesen sei, Bücher zu führen. Die Frage, ob ein in kaufmännischer Weise eingerichteter Geschäftsbetrieb erforderlich sei, sei nicht allein nach den Aktivitäten im Streitjahr zu beurteilen. Vielmehr seien die zeitnah zum Erwerbszeitpunkt geplanten Veräußerungs-, Vermarktungs- und Bebauungsabsichten in die Beurteilung mit einzubeziehen (Hinweis auf das Urteil des Finanzgerichts Münster vom 24. April 1995, 11 K 4912/91 F, EFG 1996, 423). Auch wenn der Antragsteller im Streitjahr noch keine Mieteinnahmen erzielt und keine weiteren Ausgaben geleistet habe, sei in Anbetracht der mit dem Erwerb bereits verbundenen Planung zur Veräußerung, Bebauung und Sanierung der erworbenen Objekte von vornherein ein in kaufmännischer Weise eingerichteter Geschäftsbetrieb erforderlich gewesen, weil Finanzierung, Abwicklung und Kontrolle dieser Vorhaben eine Vielzahl von Geschäftsvorfällen ausgelöst und den Einsatz eines sehr hohen Anlage- und Betriebskapitals erfordert hätten.
Bereits am ... hatte das FA einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung des Gewinnfeststellungsbescheides 1994 abgelehnt.
Mit einem am ... eingegangenen Schriftsatz erhob der Antragsteller gegen den Gewinnfeststellungsbescheid Klage, die unter dem Aktenzeichen ... anhängig ist. Mit einem am ... eingegangenen Schriftsatz stellte er darüber hinaus einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung. Der Antragsteller hält an seiner Auffassung fest, daß sein gewerblicher Grundstückshandel im Streitjahr nach Art und Umfang keinen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert habe. Die Annahme des FA, er habe von Anfang an die Absicht gehabt, in großem Umfang den An- und Verkauf von Wohnungen zu betreiben, sei unrichtig. Erst aufgrund einer Anregung eines ehemaligen Mandanten habe er im Dezember 1994 die Objekte in H. und W. erworben. Beide Objekte hätten einem ehemaligen Mandanten gehört und sich in der Zwangsversteigerung befunden.
Nachdem der Antragsteller durch Verfügung des Berichterstatters vom ... (Bl. 21 Rückseite der Gerichtsakte ...) aufgefordert worden war, mitzuteilen und in geeigneter Form unter Beweis zu stellen, wie und wann die als Betriebsausgaben geltend gemachten Anschaffungskosten der Grundstücke in B. und in H. tatsächlich bezahlt worden seien, legte er mit Schriftsatz vom ... Ablichtungen verschiedener Schreiben der kreditgebenden Banken vor (Bl. 24 bis 30 der Gerichtsakte ...). Aus ihnen ergibt sich, daß zur Finanzierung des Objektes in B. die ... bank AG am 28. Dezember 1994 einen Betrag von ... DM und die ... bank AG am 20. Dezember 1994 einen Betrag von ... DM auf das Notar-Anderkonto Nr. ... des Notars K. W. bei der ... sparkasse ... überwiesen haben und zur Finanzierung des Objekts in H. von der ... bank AG am 20. Dezember 1994 ein Kredit über ... DM in zwei Teilbeträgen von ... DM ... DM ausgezahlt wurde. Auf welches Konto die beiden letztgenannten Zahlungen überwiesen wurden, geht aus den vorgelegten Unterlagen nicht hervor.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
die Vollziehung des Gewinnfeststellungsbescheides 1994 vom ... und des dazu ergangenen Einspruchsbescheides vom ... insoweit auszusetzen, als die Berücksichtigung eines Verlusts aus Gewerbebetrieb in Höhe von ... DM abgelehnt wurde.s
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er vertritt unter Hinweis auf seinen Einspruchsbescheid die Ansicht, daß keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides bestünden.
II.
Der Antrag ist zulässig, aber nicht begründet.
Nach § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 bis 6 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung auf Antrag ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durchüberwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei überschlägiger Prüfung neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH -; vgl. nur Beschluß vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BStBl III 1967, 182; Urteil vom 17. Mai 1978 I R 50/77, BStBl II 1978, 579; Beschluß vom 28. Mai 1986 I B 22/86, BStBl II 1986, 656).
Derartige Zweifel bestehen im Streitfall nicht. Der Senat kann offen lassen, ob der Auffassung des FA zu folgen ist, daß der Antragsteller bereits im Streitjahr kraft Handelsrechts verpflichtet gewesen sei, Bücher zu führen und Abschlüsse zu machen und daher nicht berechtigt gewesen sei, den Gewinn aus Gewerbebetrieb statt durch Bestandsvergleich (§§ 4 Abs. 1 und 5 EStG) durch Einnahme-Überschußrechnung (§ 4 Abs. 3 EStG) zu ermitteln. Denn der Antragsteller hat nicht nachgewiesen oder glaubhaft gemacht, daß die als Betriebsausgaben geltend gemachten Anschaffungskosten der Grundstücke in H. und B. bereits im Streitjahr bei ihm abgeflossen sind und daher - im Rahmen einer Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG - als Betriebsausgaben dieses Jahres zu berücksichtigen wären. Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG sind Ausgaben für das Kalenderjahr abzusetzen, in dem sie geleistet worden sind. Eine Ausgabe ist zu dem Zeitpunkt geleistet, zu dem der Steuerpflichtige die wirtschaftliche Verfügungsmacht darüber verliert (Schmidt/Heinicke, EStG, 16. Aufl. 1997, § 11 Randnr. 12; vgl. ferner BFH, Urteile vom 30. Oktober 1980 IV R 97/78, BStBl II 1981, 305; vom 21. Oktober 1981 I R 230/78, BStBl II 1982, 139; und vom 26. Juli 1983 VIII R 30/82, BStBl II 1983, 755). Dies gilt auch bei der Zahlung durch oder an Dritte (Schmidt/Heinicke, a.a.O., § 11 Randziffer 13). Im Streitfall vermag der Senat aber nicht festzustellen, daß der Antragsteller bereits im Streitjahr die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die zur Bestreitung der Anschaffungskosken der beiden Grundstücke aufgenommenen Kreditmittel verloren hätte. Im Fall der von der ... bank AG gewährten Kredit ergibt sich aus den von dem Antragsteller vorgelegten Unterlagen nur, daß die Auszahlung der Kreditmittel am 20. Dezember 1994 erfolgt ist. An wen die Überweisung erfolgt ist, läßt sich daraus nicht entnehmen. Der Senat kann daher nicht ausschließen, daß die Auszahlung auf ein Konto des Antragstellers erfolgte und dieser die wirtschaftliche Verfügungsmachtüber das Geld im Streitjahr noch nicht verloren hat. Dafür könnte insbesondere der Umstand sprechen, daß der Gesamtbetrag dieser Kredite (... DM) den aufgrund des Zuschlags in der Zwangsversteigerung zu entrichtenden Betrag von ... DM erheblich überstieg und eine unmittelbare Überweisung dieser Beträge an den Gläubiger daher unwahrscheinlich ist. Soweit es sich um die Auszahlung der Kreditmittel zum Erwerb des Objekts in B. handelt, geht aus den vorgelegten Unterlagen zwar hervor, daß die Kreditbeträge auf das Notar-Anderkonto des mit der Durchführung des Kaufvertrages beauftragten Notars W. geflossen sind. Die Zahlung auf ein Treuhandkonto führt aber nur dann zu einem Abfluß im Sinne von § 11 Abs. 2 Satz 1 EStG, wenn das Konto einem anderen als dem Zahlenden als Treugeber im Sinne des § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 der Abgabenordnung zuzurechnen ist (vgl. BFH, Urteil vom 1. Dezember 1987 IX R 104/83, BFH/NV 1989, 99, 100). Im Fall eines zur Abwicklung eines Grundstückskaufvertrages eingerichteten Notar-Anderkontos bestimmt sich die Person des Treugebers nach der zwischen den Vertragsparteien getroffenen Hinterlegungsvereinbarung. Soweit darin keine ausdrückliche Regelung getroffen worden ist, ist - jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Auszahlungsreife - der Käufer als Treugeber anzusehen (BFH, Urteil vom 30. Januar 1986 IV R 125/83, BStBl II 1986, 404, 405). Im Streitfall ergibt sich weder aus den von dem Antragsteller vorgelegten Unterlagen noch aus dem Inhalt der Steuerakten, von welchem Zeitpunkt an der Veräußerer als Treugeber des auf dem Notar-Anderkonto befindlichen Bankguthabens anzusehen war. Hiernach vermag der Senat nicht festzustellen, daß die darauf überwiesenen Mittel bereits im Streitjahr bei dem Antragsteller abgeflossen sind. Da ihn - auch im Verfahren der Aussetzung der Vollziehung - insoweit die Feststellungslast trifft, kann sein Vorbringen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids begründen.
Auch eine Aussetzung der Vollziehung wegen unbilliger Härte kommt nicht in Betracht. Eine unbillige, nicht durch überwiegendeöffentliche Interessen gebotene Härte liegt vor, wenn dem Steuerpflichtigen durch die Vollziehung des angefochtenen Bescheids wirtschaftliche Nachteile drohen, die nicht oder nur schwer wieder gutzumachen sind, oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung seiner wirtschaftlichen Existenz führen würde (BFH, Beschlüsse vom 31. Januar 1967 VI S 9/66, BStBl III 1967, 255; vom 19. April 1968 IV B 3/66, BStBl II 1968, 538). Eine Härte in diesem Sinne hat der Antragsteller nicht dargelegt und ist aus den Steuerakten auch nicht ersichtlich.
Der Antrag war hiernach mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 FGO abzulehnen.