Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 09.05.2008, Az.: 11 A 3024/06
Zum Härtefall wegen höherer Gewalt
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 09.05.2008
- Aktenzeichen
- 11 A 3024/06
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 45455
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2008:0509.11A3024.06.0A
Rechtsgrundlage
- Art 40 Abs 1 VO (EG) 1782/2003
Amtlicher Leitsatz
Pachtet ein Landwirt den wesentlichen Teil seines Betriebes auf Grundlage eines Pachtvertrages, der der Verpächterin ein 3-monatiges Kündigungsrecht bei Verkauf einräumt, stellt der Wegfall der Betriebsgeäude bei Kündigung kein Härtefall dar. Höhere Gewalt oder außergewöhnliche Umstände liegen nur dann vor, wenn der Betroffene keinen Einfluss auf den Eintritt des Ereignisses hat und er deren folgen auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht hätte vermeiden können. Dies ist bei dem Abschluss eines solchen Pachtvertrages nicht zu bejahen. die gilt insbesondere dann, wenn trotz der Kündigungsmöglichkeit keine Vorsorge für den eigenen Erwerb der Immobilie bei Verkaufsabsicht getroffen wurde
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten zur Zuweisung weiterer betriebsindividueller Beträge.
Grundlage des Betriebs des Klägers waren ein angemieteter Kuhstall und eine Scheune. § 2 Abs. 2 des Mietvertrags lautet:
"Für den Fall des Verkaufes des Mietgegenstandes steht der Vermieterin das Recht zu, mit einer Frist von drei Monaten das Mietverhältnis zu kündigen".
Von diesem Recht machte die Vermieterin Gebrauch. Der Kläger gab daraufhin zum 31.12.2001 den Gesamtbestand seiner Rinder auf, weil er über keine alternativen Stallflächen verfügte. Tierprämien erhielt er daher im Jahr 2002 nicht mehr.
Mit Antrag auf Festsetzung von Zahlungsansprüchen sowie Sammelantrag Agrarförderung und Agrarumweltmaßnahme 2005 beantragte der Kläger zugleich mit dem Vordruck "J" die Zuweisung von betriebsindividuellen Beträgen aus der nationalen Reserve aufgrund von Härtefällen gem. Art. 40 Abs. 1 und/oder Abs. 2 VO (EG) Nr. 1782/03. Er berief sich dabei auf ein mit den in der VO genannten Fällen vergleichbares Ereignis. Er habe im Jahr 2002 keine Tierprämien erhalten, weil ihm seine seit dem 01.04.1994 gemietete Betriebsstätte kurzfristig zum 01.10.2001 gekündigt worden sei. Er habe wegen fehlender Kreditgewährung keine Möglichkeit gehabt, von seinem Vorkaufsrecht Gebrauch zu machen.
Mit Bescheid vom 07.04.2006, dessen Zugang nicht bekannt ist, bewilligte die Beklagte dem Kläger betriebsindividuelle Beträge auf Grundlage der Prämien in den Jahren 2000 und 2001, die sie durch 3 dividierte. Eine Zuweisung aus der nationalen Reserve erfolgte nicht. Zur Begründung führte die Beklagte aus, der Kläger habe aufgrund des Mietvertrages mit einer kurzfristigen Kündigung rechnen müssen. Ein unvorhersehbares und unvermeidliches Schadensereignis habe er daher nicht nachgewiesen.
Hiergegen hat der Kläger am 26.05.2006 Klage erhoben. Er ist der Auffassung, die Kündigung des Mietvertrages habe ihn unvorhersehbar getroffen und gezwungen, seine gesamte Mutterkuhhaltung einzustellen. Er habe über mehr als 110 Mutterkuhprämienrechte verfügt, ihm sei im Jahr 2000 eine tierbezogene Agrarförderung in Höhe von 26 100,00 € gezahlt worden. Im Jahr 2001 habe er eine entsprechende Förderung in Höhe von 27 710,00 € erhalten. Wegen der erzwungenen Aufgabe der Mutterkuhhaltung habe er im Jahr 2002 keine Mutterkuhprämie erhalten können.
Die Kündigung des Mietvertrages habe ihn vergleichbar hart und überraschend getroffen wie die in der Verordnung genannten Härtefälle "im klassischen Sinne". Ebenso wie die unfallbedingte Zerstörung eines Stalls sei auch die willkürliche Kündigung eines Vertrages ein außergewöhnlicher Umstand, dem als Härtefall Rechnung getragen werden müsse. Dies habe in der Weise zu geschehen, dass die Prämienzahlungen des Klägers in den Jahren 2000 und 2001 lediglich durch 2 zu dividieren seien.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, ihm weitere betriebsindividuelle Beträge aus der nationalen Reserve nach Abzug von 1 % für die nationale Reserve im Umfang von 8 878,65 € zuzuweisen und den Bescheid der Beklagten vom 07.04.2006 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Ansicht, der Kläger habe aufgrund der Regelung seines Mietvertrages mit einer kurzfristigen Kündigung rechnen müssen. Die beispielsweise Aufzählung in Art. 40 Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 beträfe jedoch nur unvorhersehbare Ereignisse zu denen die hier vorliegende Kündigung nicht gehöre.
Wegen des weiteren Sachverhalts im Einzelnen und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie den Verwaltungsvorgang der Beklagen verwiesen, der beigezogen wurde und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Zuweisung weiterer betriebsindividueller Beträge. Der angefochtene Bescheid erweist sich als rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 VwGO).
Zum Wirtschaftsjahr 2005 wurde das System der landwirtschaftlichen Förderung auf eine Betriebsprämienregelung umgestellt. Voraussetzung für den jährlichen Anspruch auf Betriebsprämien sind auf Antrag einmalig festgesetzte Zahlungsansprüche. Rechtsgrundlagen für ihre Festsetzung sind die Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 des Rates vom 29. September 2003 mit gemeinsamen Regeln für Direktzahlungen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik und mit bestimmten Stützungsregelungen für Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe (Amtsblatt der Europäischen Union - ABl. L 270/1) in der Fassung der VO (EG) Nr. 1276/2007 vom 29. Oktober 2007 (ABl. L 284/11) mit den Durchführungsbestimmungen der Kommission zur Betriebsprämienregelung in der Verordnung (EG) Nr. 795/2004 vom 21. April 2004 (ABl. L 141/1) in der Fassung der VO (EG) Nr. 1522/2007 vom 19. Dezember 2007 (ABl. L 335/27) und zur Einhaltung anderweitiger Verpflichtungen, zur Modulation und zum Integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem in der Verordnung (EG) Nr. 796/2004 vom 21. April 2004 (ABl. L 141/18) in der Fassung der VO (EG) Nr. 972/2007 vom 20. August 2007 (ABl. L 216/3). Auf nationaler Ebene wurden die Richtlinien durch das Gesetz zur Durchführung der einheitlichen Betriebsprämie (Betriebsprämiendurchführungsgesetz - BetrPrämDurchfG) vom 21. Juli 2004 (BGBl. I S. 1763) in der nunmehr geltenden Fassung vom 30. Mai 2006 (BGBl. I S. 1298), die Verordnung zur Durchführung der einheitlichen Betriebsprämie (Betriebsprämiendurchführungsverordnung - BetrPrämDurchfV) vom 3. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3204), zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 4. April 2007 (BGBl. I S. 489), und die Verordnung über die Durchführung von Stützungsregelungen und gemeinsamen Regeln für Direktzahlungen nach der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 im Rahmen des Integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystems - InVeKoSV - vom 3. Dezember 2004 (BGBl I S. 3194), zuletzt geändert durch Art. 2 der Verordnung vom 4. April 2007 (BGBl. I S. 489), umgesetzt und konkretisiert.
Jedem Zahlungsanspruch ist ein konkreter Wert zugeordnet, der die Höhe der jährlich zu beantragende Betriebsprämie für eine entsprechende Hektarzahl beihilfefähiger Flächen bestimmt (Art. 33 Abs. 1 lit. a und Art. 36 Abs. 1 VO (EG) Nr. 1782/2003). Nach § 5 Abs. 1 BetrPrämDurchfG wird der Referenzbetrag aus einem flächenbezogenen Betrag und einem betriebsindividuellen Betrag (BIB) festgesetzt. Der flächenbezogene Referenzbetrag beträgt in Niedersachsen für Acker- und Grünlandflächen - 255,12 bzw. 99,75 € pro Zahlungsanspruch.
Der BIB wird u.a. gem. § 5 Abs. 2 Ziff. 1 lit. a. BetrPrämDurchfG i.V.m. Anhang VI zu VO (EG) Nr. 1782/2003 für Direktzahlungen für Rindfleisch in Form der vom Kläger erhaltenen Sonderprämie für männliche Rinder (aa.), der Mutterkuhprämie (bb.), der Schlachtprämie für Kälber (cc.) und der Extensivierungsprämie (dd.) berechnet. Seine Höhe errechnet sich grundsätzlich aus den Direktzahlungen, die der jeweilige Betrieb in dem Bezugszeitraum (2000 bis 2002) durchschnittlich erhalten hat (Art. 33, 37 Abs. 1, 38 VO (EG) Nr. 1782/2003).
Der Ausfall von Prämienzahlungen im Jahr 2002 kann im Falle des Klägers nicht als Härtefall ausgeglichen werden.
Gem. Art. 40 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 kann ein Betriebsinhaber, dessen Produktion im Bezugszeitraum durch vor oder während dieses Zeitraums eingetretene Fälle höherer Gewalt oder außergewöhnliche Umstände beeinträchtigt wurde, beantragen, dass der Referenzbetrag ohne Berücksichtigung des betroffenen Kalenderjahres berechnet wird. Gem. Art. 40 Abs. 4 Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 werden von der zuständigen Behörde unter anderem der Tod des Betriebsinhabers, seine länger dauernde Berufsunfähigkeit, eine schwere Naturkatastrophe, die unfallbedingte Zerstörung von Stallgebäuden und der Seuchenbefall des Tierbestandes anerkannt. Die Formulierung, dass "unter anderem" die genannten Betriebsbeeinträchtigungen anerkannt werden, macht deutlich, dass es sich um keine abschließende, sondern um eine beispielhafte Aufzählung handelt. Andere Ereignisse, die mit den genannten Beispielen vergleichbar sind, können daher ebenfalls einen Härtefall begründen. Der Entzug von Stall und Scheune im Falle des Klägers wurde jedoch nicht durch Höhere Gewalt oder andere, mit den in der Verordnung ausdrücklich genannten außergewöhnlichen Umständen vergleichbare Ereignisse verursacht.
Der Begriff der "höheren Gewalt" wird im Rahmen der der Verordnung (EG) Nr. 1782/2003 nicht erstmals verwandt. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sind unter höherer Gewalt ungewöhnliche und unvorhersehbare Ereignisse zu verstehen, auf die derjenige, der sich auf höhere Gewalt beruft, keinen Einfluss hat und deren Folgen auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht hätte vermieden werden können ( EuGH, Urt. vom 29.09.1998, - C-263/97 -; Urt. vom 17.10.2002, - C-208/01 -, beide zitiert nach juris). Der Verordnungsgeber hat hier den Begriff der "außergewöhnlichen Umstände" aus der angeführten Definition des EuGH in den Verordnungstext mit aufgenommen, eine inhaltliche Ausweitung des Anwendungsbereichs ergibt sich daher daraus nicht.
Die Kündigung des Stalles scheidet als ungewöhnlicher Umstand hier aus. Zwar hat die Kündigung den Kläger wohl unvorbereitet und überraschend getroffen. Die Kündigung beruht aber auf einem der Vermieterin im Vertrag eingeräumten Kündigungsrecht. Der Wegfall der Betriebsgebäude hätte durch eine andere Vertragsgestaltung bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt vermieden werden können. Da das gesamte Betriebskonzept des Klägers auf dem angemieteten Stall, der Scheune und den dazu gehörenden Lagerflächen beruhte, war es insgesamt dauernd mit einem hohen Risiko behaftet, das den Kläger dazu hätte bestimmen müssen, durch Änderung des Vertrages oder auf andere Weise Vorsorge zu treffen. Der Vortrag des Klägers legt den Eindruck nahe, er habe die Relevanz dieser Kündigungsklausel überhaupt nicht erkannt. Sollte sie ihm gleichwohl bewusst gewesen sein, hat er nicht vorgetragen, wie er sich bemüht hätte, dieses Risiko durch eine veränderte Vertragsgestaltung zu minimieren. Anders als vom Kläger dargetan, hat er nicht nur das Kündigungsrecht akzeptiert und beibehalten, sondern sich auch kein vertragliches Vorkaufsrecht einräumen lassen, auch wenn die Vermieterin hier - bei entsprechender Leistungsfähigkeit des Klägers - die Immobilie wohl an ihn verkauft hätte. Selbst für den Fall, dass die Vermieterin ohne die Kündigungsklausel für den Fall des Verkaufs den Mietvertrag nicht abgeschlossen hätte, wäre der Kläger nicht ohne Abwendungsmöglichkeit gewesen. Angesichts der für seinen Betrieb existentiellen Bedeutung hätte er durch Sicherung von Kreditmöglichkeiten für den Fall der Kündigung eine Handhabe für den eigenen Erwerb der Betriebsstätte entwickeln können und müssen, um das Kriterium der "Unabwendbarkeit bei gebotener Sorgfalt" zu erfüllen.
Da der Kläger unterlegen ist, hat er gem. § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.