Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 08.05.2008, Az.: 12 B 1757/08

Immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Erweiterung einer Schlachtanlage

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
08.05.2008
Aktenzeichen
12 B 1757/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 37097
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGHANNO:2008:0508.12B1757.08.0A

Verfahrensgegenstand

Immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Erweiterung einer Schlachtanlage

Nachbarwiderspruch

Antrag nach §80 Abs. 5 VwGO

In der Verwaltungsrechtssache
...
hat das Verwaltungsgericht Hannover - 12. Kammer -
am 8. Mai 2008
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

1

I.

Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen eine der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung.

2

Er betreibt auf dem Grundstück F.straße 150 in G. eine Tierhaltungsanlage. In mehreren Stallgebäuden werden Junghennen aufgezogen, Sauen mit Ferkeln gehalten und Schweine gemästet. In unmittelbarer Nähe des Betriebs befinden sich einige zum Wohnen genutzte Gebäude. Etwa 150 m östlich des Betriebes liegt ein Wohngebiet. Die Beigeladene betreibt etwa 350 m südlich des Betriebs des Antragstellers und etwa 400 m südwestlich des Wohngebietes eine Schlachtanlage für Lebendgeflügel.

3

Unter dem 20.09.2007 beantragte die Beigeladene eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Erhöhung der Schlachtleistung von 119.000 kg/d auf 270.000 kg/d durch Einführung einer 2. Schicht mit maximal 40 zusätzlichen Mitarbeitern. Im Rahmen des daraufhin durchgeführten förmlichen Genehmigungsverfahrens erhob der Antragsteller folgende Einwendungen gegen das Vorhaben: Das von der Beigeladenen vorgelegte Gutachten des H. Umweltschutz vom 02.08.2007 sei fehlerhaft. Danach hielten die zusätzlichen Geruchsimmissionen den Irrelevanzwert von 2 % der Jahresstunden ein, obwohl die Schlachtkapazitäten mehr als verdoppelt würden. Dies sei unrealistisch. Nach einer von ihm in Auftrag gegebenen gutachterlichen Kurzstellungnahme des Ingenieurs Dr. B. vom 03.01.2008 würden in dem Gutachten des H. Emissionsmassenströme von 2.669 bis 1.280 GE/s nicht berücksichtigt und die durch Begehung ermittelten Daten in zweifelhafter Weise interpretiert. Es ergäben sich Hinweise darauf, dass die Geruchsquellen im Rahmen der Berechnung mit dem Programm AUSTAL2000G zu Unrecht als windinduzierte Quellen berücksichtigt worden seien, obwohl es sich um diffuse Quellen handele. Fragwürdig sei auch, dass die Quellstärke solange variiert worden sei, bis sich das gewünschte Fahnenbild ergeben habe. Er selbst habe im Oktober 2007 einen Architekten mit der Umplanung seiner Stallanlagen beauftragt. Er müsse nun befürchten, dass im Rahmen der Prüfung seines Antrages auf Genehmigung einer Nutzungsänderung eine höhere als vom H. festgestellte Vorbelastung zugrunde gelegt und eine Genehmigung versagt werde, da es in der Umgebung seines Betriebes tatsächlich zu unzumutbaren Geruchsimmissionen komme.

4

Nach Erörterung der Einwendungen erteilte der Antragsgegner mit Bescheid vom 15.02.2008 der Beigeladenen unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die beantragte Genehmigung: Die von dem Antragsteller vorgetragenen Bedenken gegen das Gutachten des H. seien unbegründet. Durch die von der Schlachtanlage ausgehende Zusatzbelastung würden die Möglichkeiten des Antragstellers, seinen Betrieb zu verändern, nicht erschwert. In der Umgebung seines Betriebes würden die Immissionswerte der Geruchsimmissions-Richtlinie - GIRL - durch Emissionen aus der von ihm betriebenen Tierhaltung erheblich überschritten. Eine Veränderung seines Betriebes sei daher nur möglich, wenn er die derzeitigen Werte von 30 % der Jahresstunden halbiere. Bei diesen Werten dürfte die Zusatzbelastung durch die Schlachtanlage, die bei ca. 1 % der Jahresstunden liege, nur eine untergeordnete Rolle spielen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des Bescheides Bezug genommen.

5

Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller unter Vorlage einer weiteren Stellungnahme des Ingenieurs Dr. B. vom 17.03.2008 Widerspruch,über den noch nicht entschieden wurde.

6

Am 18.03.2008 hat er um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung wiederholt und vertieft er sein bisheriges Vorbringen. Außerdem macht er geltend, der Antragsgegner habe die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht ausreichend begründet.

7

Er beantragt,

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen die der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 15.02.2008 wiederherzustellen.

8

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

9

Zur Begründung nimmt er Bezug auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides. Ergänzend trägt er vor: Das der Genehmigung zugrunde liegende Gutachten des H. stelle lediglich eine Prognose dar. Sollte sich nach erfolgter Kapazitätserweiterung bei einerÜberwachungsmessung herausstellen, dass die Prognosewerte relevantüberschritten würden, seien zum Schutz der Wohnbevölkerung und des Antragstellers jederzeit nachträgliche Anordnungen möglich. Nachträgliche Anordnungen gegenüber dem Antragsteller könnten nur aus Gründen erfolgen, deren Ursachen in seinem Betrieb lägen.

10

Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

den Antrag abzulehnen.

11

Die Einwendungen des Antragstellers gegen das Gutachten des H. seien unzutreffend. Darüber hinaus sei nicht erkennbar, warum er nicht den Ausgang des Hauptsacheverfahrens abwarten könne. Demgegenüber sei sie selbst auf die Erweiterung ihrer Schlachtkapazität zwingend angewiesen, um am Markt bestehen zu können.

12

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Bezug genommen; ihr Inhalt war Gegenstand der Beratung.

13

II.

Der nach §80 Abs. 5 VwGO zulässige Antrag ist unbegründet.

14

Die für die Anordnung der sofortigen Vollziehung gegebene Begründung genügt den Anforderungen des §80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Dem Erfordernis einer schriftlichen Begründung wird bereits genügt, wenn überhaupt eine schriftliche, einzelfallbezogene und nicht lediglich formelhafte Begründung vorhanden ist, die die von der Behörde getroffene Interessenabwägung erkennen lässt. Diese Voraussetzungen werden von der hier gegebenen Begründung erfüllt. Der Antragsgegner hat die Anordnung der sofortigen Vollziehung in ausreichenderweise damit begründet, dass den von der Beigeladenen im Einzelnen genannten wirtschaftlichen Interessen an der sofortigen Ausnutzung der ihr erteilten Genehmigung größeres Gewicht einzuräumen ist als den Interessen des Antragstellers, da diese auch im Widerspruchsverfahren und in einem eventuell nachfolgenden Klageverfahren geprüft werden könnten und der Antragsteller durch eine zwischenzeitliche Vollziehung der Genehmigung keinerlei Nachteile erleide.

15

Das Interesse der Beigeladenen an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Verfügung überwiegt auch nach Auffassung des Gerichts das private Interesse des Antragstellers.

16

Im Rahmen der Entscheidung nach §80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. §80 a Abs. 3 Satz 2 VwGO bedarf es einer Abwägung der gegenseitigen Interessen der Beteiligten. Maßgeblich ist, ob das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs oder das Interesse der Beigeladenen an der sofortigen Ausnutzung der Genehmigung überwiegt. Für das Interesse des Antragstellers, einstweilen nicht dem Vollzug der behördlichen Maßnahmen ausgesetzt zu sein, sind die Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs von besonderer Bedeutung. Ein überwiegendes Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ist in der Regel anzunehmen, wenn bereits die im Eilverfahren allein mögliche und gebotene summarischeÜberprüfung ergibt, dass der Verwaltungsakt voraussichtlich Rechte des Antragstellers verletzt. Umgekehrt überwiegt bei voraussichtlicher Rechtmäßigkeit in der Regel das Interesse der Beigeladenen an der sofortigen Ausnutzung der Genehmigung.

17

Nach der in dem vorliegenden Verfahren somit allein möglichen und lediglich gebotenen summarischen Überprüfung lässt sich nicht absehen, ob der Widerspruch des Antragstellers Erfolg haben wird oder nicht. Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass die der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung den Antragsteller in seinen Rechten verletzt. Sollte das Gutachten des H. die von der Erhöhung der Schlachtleistung zu erwartenden Geruchsimmissionen unzutreffend ermittelt haben und sollten diese den Wert von 2 % der Jahresstunden überschreiten, hätte die Genehmigung im Hinblick auf die bereits vorhandene Belastung der nahe gelegenen Wohnbebauung von teilweise über 30 % der Jahresstunden nicht erteilt werden dürfen (vgl. Nr. 3.3 GIRL). Die eventuelle Rechtswidrigkeit der Genehmigung kann jedenfalls dann zulässigerweise auch von dem Antragsteller geltend gemacht werden, wenn er seine Absichten, seinen Betrieb umzustellen oder zu erweitern, zumindest durch einen entsprechenden Bauantrag hinreichend konkretisiert. Im Rahmen eines seinen Betrieb betreffenden Genehmigungsverfahrens wäre die dann erneut zu ermittelnde Vorbelastung, d.h. die von den bereits vorhandenen Anlagen einschließlich des - erweiterten - Betriebs der Beigeladenen ausgehende Geruchsbelastung (vgl. Nr. 4.2 GIRL), höher mit der Folge, dass dem Antragsteller eine Genehmigung nur erteilt werden könnte, wenn die von seinem - geänderten - Betrieb ausgehende Geruchsbelastung (= Zusatzbelastung) entsprechend geringer ausfällt, weil anderenfalls die aus Vorbelastung und Zusatzbelastung zu bildende Gesamtbelastung den zulässigen Immissionswertüberschreitet.

18

Ob die von dem Betrieb der Beigeladenen durch die Erhöhung der Schlachtleistung ausgehende Zusatzbelastung zutreffend ermittelt worden ist, kann jedoch im Hinblick auf die an dem Gutachten des H. geäußerte Kritik ohne Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen und daher in dem vorliegenden Eilverfahren nicht festgestellt werden. Die daher unabhängig von den Erfolgsaussichten im Widerspruchsverfahren durchzuführende Abwägung der Interessen der Beteiligten geht zu Lasten des Antragstellers aus. Das Gericht teilt die Auffassung des Antragsgegners, dass der Antragsteller dadurch, dass die Beigeladene von der ihr erteilten Genehmigung bereits vor Eintritt der Bestandskraft Gebrauch macht, keine Nachteile erleidet. Zwar müsste er aufgrund der sofort vollziehbaren Genehmigung im Rahmen eines seinen Betrieb betreffenden Genehmigungsverfahrens die von dem Betrieb der Beigeladenen tatsächlich ausgehenden - nach seiner Behauptung die Irrelevanzschwelleüberschreitenden - Geruchsbelastungen als Vorbelastung hinnehmen. Der Antragsteller hat jedoch bisher eine Baugenehmigung oder immissionsschutzrechtliche Genehmigung nicht beantragt, so dass die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs ihm keinen ersichtlichen Vorteil bringt. Demgegenüber können auf Seiten der Beigeladenen nicht oder nur schwer wieder gutzumachende Folgen dadurch eintreten, dass sie die durch die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung verlorene Zeit nicht nachholen und damit auch die in dieser Zeit erzielbaren Gewinne nicht realisieren kann.

19

Die Kostenentscheidung beruht auf §154 Abs. 1, §162 Abs. 3 VwGO.

20

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §53 Abs. 3 Nr. 2, §52 Abs. 1 GKG, Nrn. 19.2, 2.2.2 und 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327).

21

...

Lüerßen
Reccius
Lange