Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 03.05.2013, Az.: 17 WF 33/13

Voraussetzungen der Rückforderung seitens der Unterhaltsvorschusskasse nach der Abgabenordnung aufgerechneter bzw. nach dem Sozialgesetzbuch abgezweigter Beträge durch den Unterhaltspflichtigen

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
03.05.2013
Aktenzeichen
17 WF 33/13
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 36028
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2013:0503.17WF33.13.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Lüneburg - 23.01.2013

Fundstellen

  • FPR 2013, 5
  • FamFR 2013, 293
  • FamRZ 2014, 252

Amtlicher Leitsatz

1. Der Unterhaltspflichtige kann im Wege der Eingriffskondiktion von der Unterhaltsvorschusskasse Rückzahlung der Beträge verlangen, die diese im Wege der Aufrechnung nach § 226 AO oder der Abzweigung nach § 48 SGB I erlangt hat, wenn sie den bestehenden Unterhaltsanspruch des Unterhaltsberechtigten gegen den Unterhaltspflichtigen übersteigen.

2. Das Familiengericht darf den Unterhaltspflichtigen nicht auf die Geltendmachung seiner Rechte vor dem Finanz- oder Sozialgericht verweisen.

3. Dem Verweis auf einen Übergang in das streitige Verfahren nach § 255 FamFG dürfte das Titulierungsinteresse des Unterhaltspflichtigen entgegenstehen.

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Lüneburg vom 23. Januar 2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Amtsgericht - Familiengericht - Lüneburg zurückverwiesen.

Gründe

I.

1. Der Antragsteller dieses Verfahrens ist der Vater der am 28. Januar 2001 geborenen M. S.. M. lebt im Haushalt der Mutter, der Antragsteller ist ihr dem Grunde nach barunterhaltspflichtig.

2. Mit Bescheid vom 3. Juni 2010 bewilligte der Landkreis L. der Kindesmutter Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz, und zwar für April 2010 in Höhe von 10 € und von Mai 2010 bis September 2011 in Höhe von monatlich 180 €. Eine entsprechende Anzeige an den Kindesvater erfolgte mit Schreiben vom gleichen Tage.

Bis einschließlich September 2011 erwirkte die Unterhaltsvorschusskasse, dass an sie Leistungen der Arbeitsagentur und des Finanzamtes in Höhe von insgesamt 3.070 €, die an sich dem Antragsteller zustanden, an sie abgezweigt worden sind (Bescheid über Einkommenssteuer für 2008 vom 12. September 2011: 622,23 €; Bescheid über Einkommenssteuer für 2010 vom 12. September 2011: 1.184,84 €, Aufstellung der Agentur für Arbeit: 1.142,41 €))

3. Mit einem am 22. Juni 2012 bei dem Amtsgericht -Familiengericht- Lüneburg eingegangenem Schriftsatz (AG Lüneburg 49 FH 17/11) beantragte die Unterhaltsvorschusskasse zunächst,

gegen den Kindesvater im Wege des vereinfachten Verfahrens über den Unterhalt Minderjähriger (§§ 249 ff FamFG) beginnend ab dem 1. April 2010 den Mindestunterhalt festzusetzen.

Der Antragsteller trat dem zunächst mit dem Antrag entgegen, das streitige Verfahren durchzuführen und berief sich auf Verwirkung hinsichtlich länger als ein Jahr zurückliegender Unterhaltsrückstände sowie auf mangelnde Leistungsfähigkeit. Hierzu überreichte er auch den Einwendungsbogen gegen den Antrag auf Festsetzung von Unterhalt und ließ durch seinen Verfahrensbevollmächtigten ergänzend vortragen. Er erklärte sich bereit, ab September 2011 den Mindestunterhalt zu zahlen.

Die Unterhaltsvorschusskasse beantragte daraufhin,

den Unterhalt festzusetzen, soweit sich der Antragsgegner verpflichtet hat, den Unterhaltsanspruch zu erfüllen.

Das Amtsgericht hat daraufhin in seinem Beschluss vom 23. April 2012 den Unterhalt zur Zahlung an die Unterhaltsvorschusskasse festgesetzt, und zwar nach dem zuletzt gestellten Antrag unter Abzug des vollen Kindergeldes und unter der Bedingung, dass tatsächlich Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz erbracht werden. Zugleich hat es festgestellt, dass rückständiger Unterhalt nicht mehr geltend gemacht werde.

4. Im vorliegenden Verfahren sucht der Antragsteller um Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für ein gegen die Unterhaltsvorschusskasse gerichtetes Verfahren nach, in dem er die Anträge ankündigt,

den Antragsgegner zu verpflichten, ihm 622 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz beginnend ab dem 7. Juli 2012 zu zahlen,

die Zwangsvollstreckung aus dem Unterhaltsfestsetzungsbeschluss des Familiengerichts Lüneburg vom 23. April 2012 -49 FH 17/11- für unzulässig zu erklären.

Mit diesen Anträgen verfolgt er im Ergebnis einen Anspruch auf Rückzahlung der von der Unterhaltsvorschusskasse bis September 2011 abgezweigten Beträge von insgesamt 3.070 €, und zwar von September 2011 bis Mai 2012 im Wege der Verrechnung gegen die titulierte Forderung (9 Monate x 272 € = 2.448 €) und hinsichtlich verbleibender 622 € (3.070 € - 2.448 €) im Wege der Zahlung. Zur Begründung führt es aus, dass er ab Juni 2012 den titulierten Betrag monatlich per Dauerauftrag überweise. Mit Schreiben vom 10. November 2012 habe ihm der Gerichtsvollzieher mitgeteilt, dass die Unterhaltsvorschusskasse Vollstreckungsauftrag erteilt habe. Unterhaltsansprüche aus der Zeit vor September 2011 seien jedoch verwirkt.

5. Das Land Niedersachsen verteidigt sich wie folgt:

Der Zwangsvollstreckungsauftrag sei mit Blick auf das laufende Verfahren zurückgenommen, um von weiteren Maßnahmen bis zum Schluss dieses Verfahrens abzusehen. Weiter sei die Berechnung der Klagesumme nicht nachvollziehbar, da sich der Unterhaltsvorschuss lediglich auf monatlich 180 € belaufen habe. Der Einwand der Verwirkung laufe ins Leere, da die Ansprüche durch die Abzweigungen befriedigt seien. Außerdem habe das Land die Unterhaltsansprüche fortlaufend und mit zeitlicher Nähe verfolgt.

6. Das Amtsgericht hat dem Antragsteller die nachgesuchte Verfahrenskostenhilfe versagt. Eine Vollstreckung für die Zeit ab Juni 2012 stehe nicht im Raum. Bezüglich des titulierten Zeitraums von September 2011 bis Mai 2012 könne ein Erlöschen der Forderung -insbesondere durch Aufrechnung- nicht festgestellt werden. Es sei nämlich davon auszugehen, dass die Abzweigungen rechtmäßig erfolgt seien, wofür kein Titel erforderlich sei.

7. Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner sofortigen Beschwerde.

II.

Diese ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Familiengericht.

1. Im Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass die zuständige Stelle nach § 226 Abs. 1 AO mit dem nach § 7 UVG auf das Land übergegangenen Unterhaltsanspruch gegen den Anspruch des anderen Elternteils aus einem Steuerschuldverhältnis (z.B. mit Einkommensteuererstattungsansprüchen) aufrechnen kann. Sobald feststeht, dass ein Unterhaltsanspruch nach § 7 UVG auf das Land übergegangen ist, hat die Unterhaltsvorschusskasse die Finanzbehörde über diesen aufrechnungsfähigen Unterhaltsanspruch zu unterrichten, damit diese zu gegebener Zeit die Aufrechnung erklären kann (Verfügung der OFD Hannover vom 20. September 1999 zu § 226 AO, Az. S 0456-48-StH 551, S 0456-44-StO 321, veröffentlicht bei juris). Mit den kraft Gesetz übergegangenen Ansprüchen kann gemäß § 226 Abs. 1 AO gegen steuerliche Erstattungsansprüche des Unterhaltsverpflichteten nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts aufgerechnet werden, soweit die allgemeinen Voraussetzungen der Aufrechnung gegeben sind und das Gesetz keine Einschränkungen enthält. Eine Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Forderung ist dort gleichermaßen materiell-rechtlich zulässig und verfahrensrechtlich wirksam, wenn die Forderung unstrittig oder rechtskräftig festgestellt ist. Anders verhält es sich nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, wenn die Gegenforderung nicht rechtskräftig festgestellt ist und bestritten wird. In einem solchen Fall darf dort über das Bestehen der rechtswegfremden Gegenforderung nicht mitentschieden werden. Bei Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Gegenforderung wäre ein Rechtsstreit gemäß § 74 FGO auszusetzen, bis das zuständige Gericht über den Bestand der zur Aufrechnung gestellten rechtswegfremden Gegenforderung entschieden hat. Gleichzeitig wäre dem mit der umstrittenen Gegenforderung aufrechnenden Beteiligten zur Erhebung der Klage auf Feststellung des Bestehens dieser Forderung in dem für diese zuständigen Rechtsweg eine Frist zu setzen. Würde der Aufrechnende die Klage vor dem anderen Gericht nicht innerhalb der ihm gesetzten Frist erheben, könnte in dem in der Finanzgerichtsbarkeit anhängigen Verfahren das Bestehen der Gegenforderung als nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast nicht erwiesen behandelt und ohne Berücksichtigung der Aufrechnung entschieden werden (BFH, Urteil vom 31. Mai 2005 - VII R 56/04-, veröffentlich bei juris und in BFH/NV 2005, 1759-1761 [BFH 31.05.2005 - VII R 56/04], Tz. 13 und 16; Beschluss vom 6. August 1985 -VII B 3/85-, veröffentlicht bei juris und in: NVwZ 1987, 263 [BFH 06.08.1985 - VII B 3/85], [BFH 06.08.1985 - VII B 3/85] DStR 1985, 774; weiter gehend noch Finanzgericht Dessau, Urteil vom 17. Dezember 2009 -5 K 1157/04-, veröffentlicht bei juris, dort Tz. 20: Es könne auch mit Forderungen aufgerechnet werden, die vom Aufrechnungsgegner bestritten und noch nicht rechtskräftig festgestellt sind. Das gleiche gelte für die Aufrechnung mit Forderungen, über deren Bestand rechtswegfremde Gerichte zu entscheiden haben.).

Mithin hätte der Antragsteller im Finanzrechtsweg allenfalls erwirken können, dass das Verfahren dort bis zu einer Entscheidung im Unterhaltsrechtsstreit ausgesetzt wird.

2. Nach § 48 Absatz 1 SGB I können laufende Geldleistungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts zu dienen bestimmt sind, in angemessener Höhe an den Ehegatten oder die Kinder des Leistungsberechtigten ausgezahlt werden, wenn er ihnen gegenüber seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht nachkommt. Kindergeld, Kinderzuschläge und vergleichbare Rentenbestandteile (Geldleistungen für Kinder) können an Kinder, die bei der Festsetzung der Geldleistungen berücksichtigt werden, bis zur Höhe des Betrages, der sich bei entsprechender Anwendung des § 54 Abs. 5 Satz 2 ergibt, ausgezahlt werden. Für das Kindergeld gilt dies auch dann, wenn der Kindergeldberechtigte mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist oder nur Unterhalt in Höhe eines Betrages zu leisten braucht, der geringer ist als das für die Auszahlung in Betracht kommende Kindergeld. Die Auszahlung kann auch an die Person oder Stelle erfolgen, die dem Ehegatten oder den Kindern Unterhalt gewährt - mithin wie hier die Unterhaltsvorschusskasse.

Liegt allerdings - wie hier - zum Zeitpunkt der Abzweigung (noch) kein Unterhaltstitel vor, ist der Unterhaltsanspruch dem Grunde und der Höhe nach im Verwaltungsverfahren materiell-rechtlich zu prüfen (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23. Februar 2012 - L 9 AS 764/11-, FamRZ 2012, 1834, Tz. 21). Eine Abzweigung nach § 48 Abs. 1 SGB I setze die Verletzung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht voraus. Die Abzweigung könne daher nicht weiter gehen als die konkrete Unterhaltsverpflichtung. Eine abweichende Bestimmung der Unterhaltspflicht nach den Leistungen des SGB II sei hingegen nicht vorgesehen und vom Gesetzgeber auch nicht gewollt oder anerkannt worden. Eine Abweichung wäre nur dann in Betracht zu ziehen, wenn die Pauschalierung des Bedarfs nach der Düsseldorfer Tabelle zu keinen sachgerechten Ergebnissen führen würde. Dies sei aber in Bezug auf Leistungsberechtigte nach dem SGB II nicht der Fall. Vielmehr würde eine abweichende und niedrigere Bestimmung der Selbstbehalte zu Lasten der nach dem durch das SGB II gesicherten Leistungsberechtigten im Rahmen der Sicherung des Existenzminimums und des notwendigen Selbstbehaltes erst zu unsachgemäßen Ergebnissen und zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung führen. Ausgerechnet besonders leistungsschwache und schutzbedürftige Personen, die auf Sozialleistungen angewiesen sind, müssten höhere Unterhaltsleistungen erbringen; ihnen verbliebe ein geringerer Selbstbehalt. Dies würde dazu führen, dass Unterhaltsberechtigte von Leistungsberechtigten nach dem SGB II einen höheren Unterhalt erhalten würden als Unterhaltsberechtigte von Nichthilfebedürftigen. Derjenige, der schon weniger hat, müsste in diesem Fall auch noch mehr leisten. Sozialleistungsempfänger würden damit unsachgemäß benachteiligt (Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, aaO., Tz. 17/18).

Festzuhalten ist danach, dass der Antragsteller seine mangelnde Leistungsfähigkeit durch Rechtsmittel (Widerspruch und ggf. Klage) bereits im Verfahren nach § 48 Absatz 1 Satz 4 SGB I hätte geltend machen können.

3. Feststellungen zum Bestehen eines Unterhaltsanspruchs ergeben sich aus dem bereits durchgeführten vereinfachten Verfahren wiederum lediglich für den Zeitraum ab September 2011. Diese Verpflichtung des Antragsgegners ist auch nicht im Streit zwischen den Beteiligten.

4. Über den ursprünglich ebenfalls streitbefangenen Zeitraum von April 2010 bis August 2011 hat das Amtsgericht jedoch nicht mehr entschieden, nachdem der Antragsteller dort seine Verpflichtung zur Zahlung des Mindestunterhalts für die Zeit ab September 2011 anerkannt und das Land Niedersachsen daraufhin beantragt hat, den Unterhalt festzusetzen, soweit sich der Antragsteller zur Erfüllung verpflichtet hat. Eine solche Verfahrensweise entspricht § 254 Satz 2 FamFG. Aus dem entsprechenden Beschluss des Amtsgerichts vom 23. April 2012 ergibt sich wiederum, dass es nicht im Wege der Teilfestsetzung entschieden hat, sondern -wie sich aus der Entscheidungsformel selbst ergibt- umfänglich. Das Amtsgericht stellt nämlich fest, dass rückständiger Unterhalt nicht mehr geltend gemacht werde.

5. Danach ist zunächst zu prüfen, ob gemäß § 254 Absatz 1 Satz 1 FamFG auf Antrag eines Beteiligten noch das streitige Verfahren durchzuführen ist.

Wird der Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens nicht vor Ablauf von sechs Monaten nach Zugang der Mitteilung nach § 254 Satz 1 gestellt, gilt der über den Festsetzungsbeschluss nach § 254 Satz 2 oder die Verpflichtungserklärung des Antragsgegners nach § 252 Absatz 2 Satz 1 und 2 FamFG hinausgehende Festsetzungsantrag als zurückgenommen.

In der Erklärung des Landes Niedersachsen vom 30. November 2011, bei Gericht eingegangen am 2. Dezember 2011, ist ausdrücklich kein Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens gestellt.

Anders verhält es sich jedoch hinsichtlich des Antragsgegners. Diesem gegenüber hat das Amtsgericht am 21. März 2012 eine Mitteilung nach § 254 Satz 1 FamFG -abgesandt am gleichen Tage- verfügt. Bereits mit Schriftsatz vom 9. Mai 2012 -und damit innerhalb der Sechsmonatsfrist des § 254 Absatz 6 FamFG- hat sich der Antragsgegner dagegen gewandt, dass der Unterhalt durch den Beschluss im vereinfachten Verfahren vor September 2011 ausdrücklich nicht geregelt worden sei.

Zwar hat er damit geltend gemacht, über die von ihm nachgesuchte Verfahrenskostenhilfe für einen Widerantrag zu entscheiden, mit dem er im vereinfachten Verfahren den Antrag verfolgte, dem Antragsteller aufzugeben, ihm die bis September 2011 abgezweigten Beträge zur Höhe von insgesamt 3.070 € nebst Zinsen zurückzuzahlen. Dieser Antrag konnte jedoch keinen Erfolg haben, weil es dafür an den besonderen Verfahrensvoraussetzungen fehlte. Der Senat hat hierzu in seinem Beschluss vom 13. Oktober 2011 -17 WF 176/11- ausgeführt:

"In Familienstreitsachen ist ein Widerantrag erst dann zulässig, wenn der Antrag selbst rechtshängig geworden ist (vgl. Zöller/Vollkommer ZPO 28. Auflage § 33 ZPO Rn. 17 m.w.N.). Rechtshängigkeit setzt indessen ein kontradiktorisches Erkenntnisverfahren voraus, woraus folgt, dass ein vor dem Rechtspfleger geführtes vereinfachtes Unterhaltsfestsetzungsverfahren, solange es noch nicht in das streitige Verfahren übergeleitet worden ist, nicht rechtshängig werden kann (BGH Beschluss vom 28. Mai 2008 - XII ZB 34/05 - FamRZ 2008, 1428 [Tz. 17]). Erst mit der Überleitung in das streitige Verfahren tritt gemäß § 255 Abs. 3 FamFG eine (rückwirkende) Rechtshängigkeit der Sache ein."

Das Amtsgericht hätte allerdings prüfen müssen, ob das Begehren des Antragstellers als Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens auszulegen gewesen ist.

Dazu hätte dessen Schriftsatz vom 29. Juli 2011 Anlass gegeben, in dem der Antragsteller unter Berufung auf seine mangelnde Leistungsfähigkeit die Durchführung des streitigen Verfahrens beantragt hat. Dem steht auch nicht entgegen, dass ein Antragsgegner in der Regel einen solchen Antrag nicht stellt, um nicht zur Beschleunigung der Unterhaltsfestsetzung beizutragen (Keidel/Giers, FamFG, 17. Auflage, § 255, Rn. 3, Schmitz in Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in er familienrichterlichen Praxis, 8. Auflage, § 10, Rn. 688). Vorliegend ergibt sich gerade ein mögliches Interesse des Antragsgegners an der Überprüfung seiner Unterhaltsverpflichtung daraus, dass Abzweigungen betreffend den Zeitraum erfolgt sind, für den Feststellungen zu seiner Verpflichtung eben nicht vorliegen.

Bei einer entsprechenden Auslegung des Begehrens des Antragsgegners wiederum hätte das Amtsgericht betreffend den Unterhaltszeitraum von April 2010 bis August 2011 prüfen müssen, in das streitige Verfahren überzugehen (§§ 255 Absatz 2 und 3 FamFG). In diesem Falle hätte es in Erwägung ziehen müssen, dem Antragsgegner -wiederum in Auslegung seines Begehrens- dort Verfahrenskostenhilfe für seine Rechtsverteidigung zu bewilligen.

Gegen eine solche Auslegung spricht allerdings der Umstand, dass der Antragsteller bei Fortsetzung der Angelegenheit im streitigen Verfahren keinen vollstreckbaren Titel über einen etwaigen Rückforderungsanspruch gegenüber der Unterhaltsvorschusskasse erhalten hätte. Auch wäre er im Regelfall nicht mit Kosten belastet, die bei einer teilweisen Antragsrücknahme im vereinfachten Verfahren nämlich im Umfang der Rücknahme dem Land Niedersachsen aufzugeben gewesen wären (Schmitz, aaO., Rn. 687). Insoweit ist der Beschluss des Amtsgerichts im vereinfachten Verfahren fehlerhaft, aber nicht angefochten.

7. Käme das Amtsgericht hiernach zu der Auffassung, ein Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens sei seitens des Antragsgegners nicht gestellt, hätte es dem Antragsteller die nachgesuchte Verfahrenskostenhilfe für die Geltendmachung eines Kondiktionsanspruches nicht mit der Begründung versagen dürfen, es liege kein substantiierter Vortrag des Antragstellers vor, der einen Rückzahlungsanspruch begründen würde, weil die Aufrechnung nach § 226 AO bzw. die Abzweigung nach § 48 Absatz 1 SGB I rechtmäßig erfolgt seien.

Ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung kann sich nämlich auch in Ansehung der erfolgten Aufrechnung bzw. Abzweigung ergeben.

Für den Fall einer Überzahlung des Unterhaltspflichtigen im Verhältnis zur Unterhaltsvorschusskasse ergibt sich dies -wie bereits obergerichtlich entschieden- aus § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Hs. BGB. Der Unterhaltsanspruch geht nämlich nur in der Höhe auf den Träger der Unterhaltsvorschussleistungen über, in der er tatsächlich besteht. Zahlt der Unterhaltspflichtige einen höheren Betrag als er tatsächlich (an Unterhalt) schuldet, so erfolgt diese Zahlung nur auf eine vermeintlich bestehende Schuld und somit ohne Rechtsgrund (KG FamRZ 2002, 1357, Tz. 3 [juris]).

Etwas anderes kann vorliegend auch nicht bei einem Eingriff in die Rechtspositionen des Antragstellers gelten, so dass sich im Umfang einer etwa nicht bestehenden Unterhaltsverpflichtung ein Kondiktionsanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 2. Hs. BGB ergeben kann.

Soweit der Antragsteller sich vorliegend mit entsprechender Argumentation und hinsichtlich eines Teilbetrags gegen die Vollstreckung seitens des Landes Niedersachsen aus dem im vereinfachten Verfahren errichteten Titel gewandt hat, mag die Erfolgsaussicht insoweit dadurch entfallen sein, dass das Land Niedersachsen erklärt hat, bis zum Abschluss dieses Verfahrens aus dem Titel nicht (weiter) zu vollstrecken. Allerdings hätte dem Antragsteller dann Gelegenheit gegeben werden müssen, seinen Antrag insgesamt auf einen Kondiktionsanspruch umzustellen.

8. Auch kann dem Antragsteller nicht mit der Begründung Verfahrenskostenhilfe versagt werden, die Durchführung des streitigen Verfahrens oder aber eines auf Kondiktion gerichteten (gesonderten) Verfahrens sei mutwillig.

Dies ergibt sich zunächst aus dem Umstand, dass der Antragsteller sich nicht abschließend gegen die Aufrechnung nach § 226 AO im Finanzrechtswege hätte zur Wehr setzen können, sondern insoweit gerade auf die Durchführung eines Verfahrens vor dem Familiengericht verwiesen worden wäre. Insoweit verweist der Senat auf seine einleitenden Ausführungen.

Allerdings hätte der Antragsteller seine Rechte gegenüber der Abzweigung nach

§ 48 SGB I im Verwaltungsrechtsweg weiter verfolgen können, wie ebenfalls bereits ausgeführt. Es erscheint jedoch nicht als mutwillig, wenn er sich in Ansehung des Rückforderungsrechtsweges betreffend des durch die Aufrechnung einbehaltenen Betrages auch hinsichtlich des abgezweigten Betrags dazu entschließt, seine Rechte vor dem Familiengericht zu verfolgen. Damit vermeidet der Antragsteller einerseits ein weiteres Verfahren, mithin ein mögliches Auseinanderfallen der Beurteilung seiner Unterhaltsverpflichtung, andererseits erreicht er auch insoweit eine Entscheidung des Familiengerichts, in dessen Sachkompetenz die Feststellung von Unterhaltsansprüchen gerade fällt.

Gegenüber einem Antrag auf Durchführung des streitigen Verfahrens ergibt sich eine Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung im Wege des Kondiktionsanspruchs zuletzt deshalb nicht, weil nur auf diesem Wege einem Titulierungsinteresse des Antragstellers entsprochen werden kann.

III.

Da die Sache dem Senat nur zur Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung, nicht jedoch hinsichtlich der persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe angefallen ist, ist die Entscheidung des Amtsgerichts aus vorstehenden Erwägungen aufzuheben und die Sache dem Amtsgericht zur erneuten Prüfung und Entscheidung zu überantworten.

In diesem Zusammenhang weist der Senat noch auf Folgendes hin:

Vorliegend dürfte jedenfalls nicht -wie vom Antragsteller geltend gemacht- von einer Verwirkung der Unterhaltsansprüche für den Zeitraum von April 2010 bis August 2011 auszugehen sein. Zwar hat das Land Niedersachsen letztere seit Beschränkung im vereinfachten Unterhaltsverfahren auf die Rechtsverfolgung ab September 2011 nicht weiter geltend gemacht, allerdings ist dadurch das Umstandsmoment für eine Verwirkung nicht erfüllt. Für letzteres ist -auch bei Ansprüchen aus übergegangenem Recht und betreffend Unterhaltsrückstände- Voraussetzung, dass der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass dieser sein Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde (vgl. dazu Büte in Büte/Poppen/Menne, Unterhaltsrecht, 2. Auflage, vor § 1360ff BGB, Rn. 28 m.w.N.).

Allerdings hatte die Unterhaltsvorschusskasse vorliegend überhaupt kein Bedürfnis, das vereinfachte Verfahren gegen den Antragsteller betreffend den eingangs genannten Zeitraum fortzusetzen. Aus der Aufrechnung bzw. der Abzweigung waren der Unterhaltsvorschusskasse nämlich bereits Beträge zugeflossen, welche die der Unterhaltsberechtigten von dort zugewendeten Beträge abdeckten.

Dies war für den Antragsteller aus dem geführten Schriftwechsel auch ohne weiteres erkennbar. Er durfte mithin nicht erwarten, dass die Unterhaltsvorschusskasse das Verfahren weiter betreibt, sondern war gehalten, seinerseits die erforderlichen Schritte einzuleiten, um dem ursprünglichen Verfahren Fortgang zu geben bzw. ein Verfahren auf Rückforderung einzuleiten.