Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 30.05.2013, Az.: 16 U 137/11

Rechte eines Grundstückskäufers bei Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten über die Chancen und Risiken des Erwerbs weiterer Flächen

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
30.05.2013
Aktenzeichen
16 U 137/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 56441
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2013:0530.16U137.11.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Lüneburg - 22.08.2011

Amtlicher Leitsatz

1. Zum Schadensersatz wegen der Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten bei einem Grundstückserwerb. Hier: Aufklärungspflichten gegenüber dem Käufer über die tatsächlichen Chancen und Risiken eines im Vertrag bereits angesprochenen (und bezahlten) Zuerwerbs weiterer Flächen zur Fleetverlegung.

2. Der Geschädigte, der an dem Vertrag festhalten will, obwohl dieser infolge der Pflichtverletzung zu für ihn ungünstigen Bedingungen zustande gekommen ist, ist so zu behandeln, als wäre es ihm bei Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, den Kaufvertrag zu einem günstigeren Preis abzuschließen. Schaden ist danach der Betrag, um den der Kläger das Kaufgrundstück - vermindert um den nicht erfolgten Zugewinn der Grundstücksfläche infolge der Verlegung des Fleets - zu teuer erworben hat.

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das am 22. August 2011 verkündete Urteil des Landgerichts Lüneburg wird auf dessen Kosten zurückgewiesen.

Das angefochtene Urteil und dieses Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Berufungswert: 29.000 €.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt Schadensersatz aus einem notariellen Grundstückskauf vom 6. Oktober 2005, mit dem er von dem Beklagten ein Grundstück, gelegen am H. Fleet, und einen Miteigentumsanteil an einer Wegefläche zur Errichtung eines Hauses zum Preis von 198.995 € erwarb.

Entsprechend den Vereinbarungen war beabsichtigt, das nördlich zum Kaufgrundstück angrenzende Fleet durch Zuerwerb von Flächen zu verlegen und hierdurch das Kaufgrundstück um eine Fläche von ca. 146 m2 zu vergrößern. Dazu kam es in der Folgezeit nicht. Der Kläger behauptet, der Beklagte habe über die Umstände und Chancen der Fleetverlegung getäuscht und nicht hinreichend aufgeklärt. Er habe entgegen den Abmachungen im Vertrag sich auch nicht hinreichend bemüht, die Verlegung des Fleets und damit die Vergrößerung des Kaufgrundstückes durchzusetzen. Seinen Schaden beziffert der Kläger auf 29.000 €.

Das Landgericht, auf dessen Urteil gemäß § 540 ZPO wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen wird, hat der Klage stattgegeben. Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der er die Klagabweisung weiterverfolgt. Er verweist auf die in § 3 des Kaufvertrages für die Verlegung des Fleets getroffenen Vereinbarungen und hält die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches nicht für gegeben. Auch eine Verletzung der Hinweispflicht lasse sich nicht begründen. Ebenso liege kein grob fahrlässiges Verhalten vor. Die umfängliche Beweisaufnahme habe das Landgericht nicht verwertet. Fehlerhaft sei auch die Schadenshöhe vom Landgericht auf 29.000 € geschätzt worden. Der Flächenzugewinn sei im Kaufvertrag nur geschätzt mit 146 m2 angegeben worden und könne daher einer Schadensschätzung nicht zugrunde gelegt werden.

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen,

hilfsweise unter Aufhebung des Urteils den Rechtsstreit an das Landgericht zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil als richtig und wiederholt und vertieft sein Vorbringen zur Verletzung einer Aufklärungspflicht durch den Beklagten.

II.

Die Berufung des Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Der Kläger hat einen Anspruch auf Schadensersatz wegen Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflichtverletzung durch den Beklagten. Dies hat das Landgericht auch in Ansehung des Vorbringens der Berufung zutreffend festgestellt.

Dem Kläger kam es bei dem Erwerb des Grundstückes entscheidend auf den Flächenzugewinn durch Verlegung des Fleets und den Ankauf der dazu benötigten weiteren Grundstücke durch den Beklagten an. Dies war auch dem Beklagten bekannt, weil er (zunächst) auch in die Planung des beabsichtigten Hauses involviert war und deshalb auch wusste, dass das Haus ohne den Flächenzugewinn nicht zu realisieren war. Zutreffend hat das Landgericht in diesem Zusammenhang auch verwertet, dass der Beklagte in der Werbung für den Verkauf der Grundstücke auch bereits die größere Grundstücksfläche angepriesen hatte.

Entgegen der Ansicht des Beklagten bestand auch im Hinblick auf die umfangreiche Regelung in § 3 des Kaufvertrages eine vorvertragliche Aufklärungspflicht gegenüber dem Käufer über die tatsächlichen Chancen und Umstände der beabsichtigten Fleetverlegung und die Konditionen des erforderlichen Hinzuerwerbs der benötigten Flächen durch den Beklagten. Denn mit der Regelung in § 3 KV war für den Käufer keineswegs völlig klar, dass die Verlegung des Fleets von einer Vielzahl von Zustimmungen und vor allem auch einer finanziellen Beteiligung zahlreicher Grundstückseigentümer auf der südlichen Seite des H. Fleets abhängig war, mit denen der Beklagte zunächst noch Vereinbarungen zu treffen hatte, um letztlich die Vergrößerung des Kaufgrundstückes zu gewährleisten.

Vor diesem Hintergrund durfte der Kläger nach Treu und Glauben eine hinreichende Aufklärung über diese Konditionen und die tatsächlichen Risiken - vor allem wegen der vom Kläger lediglich internen Berechnung der erforderlichen Kosten erwarten. Diese Aufklärung hat der Beklagte dagegen nicht vorgenommen. Vor allem hat er den Kläger nicht darüber aufgeklärt, dass schon vor Abschluss des hier in Rede stehenden Vertrages zahlreiche Grundstückseigentümer einer finanziellen Beteiligung, die der Beklagte für den Hinzuerwerb erstrebte, eine Absage erteilt hatten. Dies ergibt sich aus der "Terminaufstellung", die der Beklagte als Anlage B 10 zur Akte gereicht hat. Schon deshalb stand die Verlegung des Fleets auf "tönernen Füßen", weil die Regelung dieser Frage allein den Verhandlungen des Beklagten überlassen war und hier vor allem finanzielle Gesichtspunkte, nämlich die Beteiligung der übrigen Grundstückseigentümer zu regeln waren, was bei deren Ablehnung, die dem Beklagten bereits bekannt war, wohl nur durch eigene Geldmittel des Beklagten hätte aufgefangen werden können. Dazu war er aber offenbar nicht bereit.

Bei redlichem Verhalten hätte der Kläger deshalb schon vor dem Vertragsabschluss darüber informiert werden müssen, dass zahlreiche Eigentümer auf südlichen Fleetseite gerade eine finanzielle Beteiligung am Erwerb der Flächen abgelehnt hatten. Damit aber war bereits das Grundkonzept des Beklagten schon vor Erteilung der behördlichen Zustimmung gescheitert, jedenfalls aber kaum zu realisieren. Bei einer Aufklärung über diese Umstände liegt es auf der Hand, dass der Kläger den Vertrag nicht (so) abgeschlossen hätte, denn er war mit dem Vertrag bereits in Vorlage getreten, weil der Kaufpreis für das Grundstück den beabsichtigten Flächenzuerwerb bereits enthielt.

Gleiches gilt für die Konditionen des Flächenerwerbs von den Landwirten auf der nördlichen Seite des H. Fleets.

Auch hier war dem Beklagten bekannt, dass abgesehen von der behördlichen Genehmigung vor allem eine Bereitschaft der Wieseneigentümer auf der nördlichen Seite des Fleets für einen Verkauf von Teilgrundstücken und eine Einigung über den zu zahlenden Kaufpreis erforderlich war, um überhaupt die Maßnahme erfolgreich in Angriff nehmen zu können. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme musste der Beklagte aus den Verhandlungen mit dem Landwirt und Zeugen H. zudem wissen, dass dieser jedenfalls zu einem Preis von 10 €/m2 nicht zu einem Verkauf bereit war. Dies hat der Zeuge H. eindeutig bestätigt. Auch wenn der Zeuge P., der auf Seiten des Beklagten in die Gespräche maßgeblich involviert war, eine derart eindeutige Absage an den Verkauf durch H. in Abrede genommen hat, folgt doch aus dessen Aussage immerhin, dass es jedenfalls keine derartige Zusage oder eindeutige Bereitschaft gegeben hat. Nach Aussage des Zeugen P. waren die Wieseneigentümer am 5. Mai 2005 angeschrieben worden mit dem Angebot, Teilflächen für 10 €/m2 zu erwerben (Bl. 258 und Anlage B 10, Bl. 152). Aus der eigenen "Terminaufstellung des Zeugen ergeben sich zudem keine Anhaltspunkte dafür, dass einer der Wieseneigentümer sich auf die Anfrage hin konkret mit einer Verkaufsbereitschaft und einer eigenen Preisvorstellung geäußert habe. Solches ergibt sich auch nicht aus der Zeugenaussage P. Daraus kann im Ergebnis nur gefolgert werden, dass ein Flächenzuerwerb und dessen Konditionen ebenfalls noch völlig unklar war, vor allem im Hinblick auf den von den Landwirten geforderten Preis und die eigene Preiskalkulation des Beklagten, von der im Wesentlichen abhing, ob überhaupt ein Erwerb der benötigten Flächen erfolgreich würde durchgeführt werden können. Ein bezeichnendes Bild auf die noch völlig im Unklaren hängenden Vertragskonditionen, zu denen der Beklagte bereit war, den Flächenzuerwerb zu bewerkstelligen gibt die weitere Aussage des Zeugen P., der auf Nachfrage bestätigt hat, dass der Beklagte erst nach Abschluss des notariellen Vertrages vom 6. Oktober 2005 durchgerechnet habe, ob sich die ganze Sache wirtschaftlich lohne. Auch dies bestätigt, dass die Käufer der Baugrundstücke nicht in hinreichendem Maße vor Vertragsabschluss aufgeklärt worden sind und stattdessen der Eindruck erweckt worden ist, die Verlegung des Fleets sei eine Formalität. Dabei geht es nicht darum, dass der Beklagte verpflichtet gewesen wäre, die Käufer über seine internen Preiskalkulationen aufzuklären, sondern um die tatsächlichen Grundlagen des geplanten Flächenzuerwerbs und dessen Chancen.

Die Nichtaufklärung des Klägers erfolgte auch vorsätzlich, denn dem Beklagten waren die genannten Umstände bekannt. Er unterließ die gebotene Aufklärung, um den Vertragsabschluss mit dem Kläger zu gewährleisten.

2. Auf den Haftungsausschluss in § 3 des Kaufvertrages, der eine Haftung bei Scheitern der Fleetverlegung auf vorsätzliches oder grob fahrlässiges Handeln beschränkte, kann sich der Beklagte folglich nicht mit Erfolg berufen. Diese Klausel bezieht sich im Übrigen allein auf künftiges Handeln und gerade nicht auf die hier in Rede stehende vorvertragliche Aufklärungspflicht.

3. Dem Kläger ist auch ein kausaler Schaden in der geltend gemachten Höhe entstanden.

Der Kläger ist als Folge der vorvertraglichen Aufklärungspflichtverletzung so zu stellen, wie er bei Offenbarung der für den Kaufentschluss maßgeblichen Umstände stünde (BGH NJW 2001, 2875, juris Rn. 17). Wenn der Geschädigte, wie hier der Kläger, an dem Vertrag festhalten will, obwohl dieser infolge der Pflichtverletzung zu für ihn ungünstigen Bedingungen zustande gekommen ist, so ist er so zu behandeln, als wäre es ihm bei Kenntnis der wahren Sachlage gelungen, den Kaufvertrag zu einem günstigeren Preis abzuschließen. Schaden ist danach der Betrag, um den der Kläger das Kaufgrundstück - vermindert um den nicht erfolgten Zugewinn der Grundstücksfläche infolge der Verlegung des Fleets - zu teuer erworben hat. Dieses Verlangen erfordert nicht den Nachweis, dass sich der Beklagte auf einen Vertragsabschluss zu einem niedrigeren Preis eingelassen hätte. Entscheidend ist allein, wie sich der Getäuschte bei Kenntnis der ihm verheimlichten Umstände verhalten hätte; verbleibende Unklarheiten gehen zu Lasten des aufklärungspflichtigen Verkäufers (BGH aaO.).

Gemessen daran ist der vom Landgericht auf 29.000 € festgestellte Schaden des Klägers auch in Ansehung der Berufung nicht zu beanstanden.

Auszugehen ist dabei von den vertraglichen Vereinbarungen. Danach sollte der Kläger das Grundstück mit einer Fläche von 619 m2, sowie einen Miteigentumsanteil von 77 m2 an der Wegeparzelle erwerben. Zusätzlich sollte mit der Verlegung des Fleets eine weitere Fläche von ca. 146 m2 dem Grundstück zugeschlagen werden. Dies war mit dem Kaufpreis von 198.995 € bereits eingeschlossen. Daraus ergibt sich ein Preis von etwa 247 € pro m2 (bei einer Grundstücksgröße von etwa 803 m2, wobei die Wegeparzelle nur mit 1/2 eingerechnet ist). Bei einer Flächenminderung um ca. 146 m2 ist daher die Wertminderung des erhaltenen Grundstücks mit 29.000 € im Ergebnis nicht zu beanstanden, denn um diesen Wert hat der Kläger das Grundstück zu teuer erworben.

Dabei kommt es entgegen der Ansicht des Beklagten nicht darauf an, ob es sich bei dem Flächenzugewinn durch Verlegung des Fleets nur um Wiesengelände handelt, das ohnehin nicht bebaut werden kann, denn diese Fläche sollte unstreitig der Arrondierung des Kaufgrundstückes dienen. Der Flächenzugewinn wäre damit dem Gesamtgrundstück zugutegekommen und kann daher nicht lediglich mit einem geringeren Preis angesetzt werden. Der Senat hält deshalb einen Durchschnittspreis aus der Gesamtfläche für angemessen. Dabei ist auch von dem im Vertrag angesprochenen Flächenzugewinn von ca. 146 m2 auszugehen, denn jedenfalls von dieser Größenordnung durfte der Kläger nach dem abgeschlossenen Vertrag ausgehen, unabhängig davon, dass diese Flächenangabe mit einem ca. versehen war. Im Übrigen hat der Beklagte in erster Instanz diesen Flächenzugewinn nicht einmal bestritten.

Ebenso unerheblich für die Schadensberechnung ist die Tatsache, dass der Kläger durch späteren Vertrag vom 12. Januar 2006 (Anlage B 8) weitere Flächen vom Beklagten erworben hat, um das Kaufgrundstück bebauen zu können. Denn diesen Flächenerwerb hat der Kläger gesondert bezahlt. Er spielt für die ursprünglichen Wertverhältnisse daher keine Rolle.

4. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97, 711 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.