Verwaltungsgericht Lüneburg
v. 23.02.2004, Az.: 3 B 93/03

Asylverfahren; Ausländer; Befangenheit; Besorgnis; Besorgnis der Befangenheit; Geheimhaltung; Geheimhaltungspflicht; Hinweispflicht; Richter; Verschwiegenheit; Verschwiegenheitspflicht

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
23.02.2004
Aktenzeichen
3 B 93/03
Entscheidungsform
Gerichtsbescheid
Referenz
WKRS 2004, 50960
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Wenn ein Ausländer in einem ausländerrechtlichen Verfahren den Eindruck gewonnen hat, die Vergleichsbereitschaft der Behörde sei verloren gegangen, weil der Richter die Behörde auf Beschlüsse aus dem Asylverfahren des Ausländers hingewiesen hat, rechtfertigt dies die Befangenheit des Richters dann nicht, wenn der Richter keine Veranlassung hatte, gegenüber der Ausländerbehörde die Existenz der dem Ausländer negativen Beschlüsse im Asylverfahren zu verschweigen. Hiervon kann ausgegangen werden, wenn die Schriftsätze des Ausländers auf das Asylverfahren hinweisen und die Ausländerbehörde deshalb von sich aus telefonisch nach dem Stand des Asylverfahrens fragt. Eine irgendwie geartete Pflicht oder Obliegenheit für den Richter, gegenüber der Ausländerbehörde die Existenz der Beschlüsse zu verschweigen und geheimzuhalten, besteht auch dann nicht, wenn zwischen den Beteiligten Vergleichsgespräche geführt werden.

Gründe

1

Die Ablehnung des Richters durch den Antragsteller ist unbegründet. Denn es liegt kein Grund vor, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen (§ 54 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 42 Abs. 2 ZPO). Zur Ablehnung reicht es zwar schon aus, wenn ein Beteiligter eine auf Tatsachen beruhende, subjektiv vernünftige Besorgnis hat, der Richter sei in der Sache nicht unparteiisch und unvoreingenommen. Diese Voraussetzungen sind hier jedoch nicht gegeben.

2

1. Allerdings mag der Ausländer die subjektive Auffassung bekommen haben, der Richter habe die Ausländerbehörde einseitig und zum Nachteil des Ausländers beraten.  Der Umstand, dass der Richter die Behörde auf Entscheidungen hingewiesen hat, die in einem Asylverfahren des Ausländers ergangen sind, hat subjektiv für den Ausländer die Folge gehabt, dass die Behörde - im Gegensatz zu vorher - keine Bereitschaft zu Zugeständnissen mehr gezeigt hat.

3

Diese subjektive Sicht der Dinge hat sich aus folgendem objektiven Geschehensablauf ergeben:

4

Nachdem der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutz am 18. November 2003 bei Gericht eingegangen war, haben am 8. und 9. Dezember Gespräche zwischen dem Bevollmächtigten des Ausländers und dem Rechtsamtsleiter der Ausländerbehörde stattgefunden. Während nach Darstellung des Rechtsamtsleiters dieser geäußert hat, dass geprüft werde, ob dem Begehren abzuhelfen sei, hat  nach Darstellung des Ausländers der Rechtsamtsleiter hingegen konkret „in Aussicht gestellt“, dass dem Antrag abgeholfen werden solle, weil bei vergleichbarer Sachlage das Oberverwaltungsgericht gegen den Antragsgegner entschieden hätte. Entsprechend hat der Ausländer noch im Schriftsatz vom 19. Dezember 2003 darauf hingewiesen, dass sich die Parteien bemühten, die Auseinandersetzung ohne gerichtliche Entscheidung zu beenden.

5

Sowohl der Richter als auch der Rechtsamtsleiter gehen weiter übereinstimmend davon aus, dass es der Richter gewesen ist, der in einem Telefongespräch, das anlässlich einer Verlängerung der Entgegnungsfrist am 4. Dezember 2003 geführt worden ist, auf die dem Ausländer negativen Beschlüsse im Asylverfahren hingewiesen hat. Der Rechtsamtsleiter hat ergänzt, dass ihm die Beschlüsse noch nicht vorgelegen haben, als er mit dem Bevollmächtigten die Gespräche über die Möglichkeit einer Abhilfe geführt hat.

6

2. Auch wenn der Ausländer damit subjektiv die Auffassung gewonnen hat, dass die Vergleichsbereitschaft der Behörde allein deshalb verloren gegangen ist, weil der Richter die Behörde auf die ablehnenden Beschlüsse aus dem Asylverfahren hingewiesen hat, rechtfertigt dies die Befangenheit des Richters nicht.

7

Denn der Richter hatte keine Veranlassung, gegenüber der Ausländerbehörde die Existenz der dem Ausländer negativen Beschlüsse im Asylverfahren zu verschweigen. Der Rechtsamtsleiter hatte beim Richter angerufen und ihn nach dem Stand des Asylverfahrens befragt. Daraufhin hat der Richter die dort ergangenen Beschlüsse erwähnt und aufgrund der entsprechenden Bitte übersandt. Die Offenlegung der Beschlüsse diente damit der Gewährung rechtlichen Gehörs. Auf die entsprechende Bitte des Rechtsamtsleiters die Beschlüsse zu verschweigen, wäre mit den Grundsätzen eines offenen und fairen Verfahrens nicht vereinbar gewesen. Da der Bevollmächtigte den Ausländer auch im Asylverfahren vertreten hat, bestand für den Richter keine Veranlassung, auch ihm die Beschlüsse (noch einmal) zur Kenntnis zu geben. Der Hinweis auf die Beschlüsse diente damit dazu, der Behörde die Kenntnis zu geben, die der Ausländer und sein Bevollmächtigter bereits aufgrund des Asylverfahrens hatten. Die Erwähnung der Beschlüsse gegenüber dem Rechtsamtsleiter und die anschließende Übersendung begegnet umso weniger Bedenken, als der Richter in dem Telefongespräch mit dem Rechtsamtsleiter sogleich darauf hingewiesen hat, dass in dem vorliegenden ausländerrechtlichen Verfahren ein anderer rechtlicher Maßstab anzulegen sei als im Asylfolgeverfahren. Schließlich ist abschließend darauf hinzuweisen, dass es der Antragsteller selbst war, der die Existenz der Beschlüsse aus dem Asylfolgeverfahren in das ausländerrechtliche Verfahren eingeführt hat. Denn mit dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz hatte der Ausländer die ärztliche Bescheinigung vom 17. September 2003 eingereicht, in welchem der Facharzt für Psychiatrie Hase auf die entsprechenden Beschlüsse hinweist. Demzufolge bestand eine irgendwie geartete Pflicht oder Obliegenheit für den Richter, gegenüber dem Antragsgegner die Existenz der Beschlüsse zu verschweigen nicht ansatzweise.

8

Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass zwischen den Beteiligten die Möglichkeit einer Abhilfe erörtert wurde, ist der Hinweis des Richters auf die Entscheidungen im Asylfolgeverfahren nicht fehlerhaft. Auch wenn von gerichtlicher Seite in jedem Stadium des Verfahrens auf eine gütliche Einigung hingewirkt werden soll, war für den Richter bei Führung des Telefongespräches am 4. Dezember 2003 nicht erkennbar, dass die Möglichkeit einer Abhilfe durch die Behörde besteht. Die entsprechenden Gespräche zwischen dem Bevollmächtigten des Ausländers und dem Rechtsamtsleiter haben erst am 8. und 9. Dezember stattgefunden. Im Zeitpunkt des Telefongespräches am 4. Dezember musste der Richter noch von dem Erfordernis einer streitigen Entscheidung ausgehen, so dass im Hinblick auf den gleichen Kenntnisstand und eine „Waffengleichheit“ zwischen den Beteiligten der Hinweis auf die Entscheidungen im Asylfolgeverfahren gerechtfertigt war.

9

Der Verdacht des Bevollmächtigten, der Vermerk vom 4. Dezember 2001?, wonach der Rechtsamtsleiter um Übersendung der Beschlüsse aus dem Asylverfahren gebeten habe, sei nachträglich gefertigt worden, ist durch nichts gerechtfertigt. Der Rechtsamtsleiter hat in seinem Schriftsatz vom 9. Februar 2004 vielmehr bestätigt, er habe um Übersendung der Beschlüsse gebeten.