Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 16.01.2002, Az.: 4 K 570/97

Kein Anspruch auf Gleichbehandlung bei befristeter Fortgeltung verfassungswidriger Steuerfreiheit (hier: Aufwandsentschädigungen aus öffentlichen Kassen im Beitrittsgebiet)

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
16.01.2002
Aktenzeichen
4 K 570/97
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 36229
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2002:0116.4K570.97.0A

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Die durch die Erwerbstätigkeit im Beitrittsgebiet veranlassten Einnahmen sind gem. § 2 Abs.  1 und  2 EStG in die steuerpflichtige Bemessungsgrundlage einzubeziehen. Das gilt auch für Aufwandsentschädigungen aus öffentlichen Kassen.

  2. 2.

    Ein in der Privatwirtschaft beschäftigter Arbeitnehmer hat auch nicht deshalb einen Anspruch auf Gleichbehandlung mit öffentlich Bediensteten, weil diesen aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit für den vor der Entscheidung des BVerfG liegenden Zeitraum die Steuerfreiheit der Aufwandsentschädigungen belassen wurde (Anschluss an BVerfG Beschl. v. 11.11.1998 - 2 BvL 10/95 , BStBl II 1999, 502). Das BVerfG hat für die Veranlagungszeiträume bis 1993 eine Ungleichbehandlung von Bediensteten mit Aufwandsentschädigungen aus öffentlichen Kassen und anderen Bediensteten mit Aufwandsentschädigungen von privaten Arbeitgebern zugelassen.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob Zulagen eines Arbeitgebers des nicht öffentlichen Dienstes für eine Tätigkeit in dem in Art. 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) von der Einkommensteuer auszunehmen sind.

2

Die Kläger werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin ist Bankdirektorin bei der ..., für die die Klägerin in der Zeit vom 01.09.1990 bis 30.04.1994 vorübergehend im Beitrittsgebiet tätig war.

3

Nach erklärungsgemäßer und bestandskräftiger Festsetzung der Einkommensteuer 1992 und 1993 durch Bescheide vom 04.06.1993 und 19.04.1994 hat das beklagte Finanzamt (FA) die Steuerbescheide wiederholt geändert. Bei diesen Änderungen wurden u.a. nachträglich bekanntgewordene Werbungskosten der Klägerin (Verpflegungsmehraufwendungen) aus Anlass ihrer Tätigkeit im Beitrittsgebiet berücksichtigt.

4

Mit dem Einspruch gegen die zuletzt ergangenen Änderungsbescheide vom 04.06.1996 machten die Kläger erstmals geltend, dass in den erklärten Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit der Klägerin auch Zulagen für deren Tätigkeit im Beitrittsgebiet in Höhe von 21. 600 DM (1992) und 23. 360 DM (1993) enthalten seien. Im Hinblick auf den Vorlagebeschluss des BFH vom 21.10.1994 VI R 15/94 (B StBl II 1995, 142) hinsichtlich der Frage, ob § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG insoweit mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, als danach an Beschäftigte im Bundes- und Landesdienst gezahlte Bezüge endgültig steuerfrei bleiben, während Zuwendungen im privaten Dienst, die eine vergleichbare Zweckbestimmung haben, endgültig einkommensteuerpflichtig sind, beantragten sie, die Bescheide für 1992 und 1993 bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) 2 BvL 18/94) gemäß § 165 Abs. 1 AO für vorläufig zu erklären.

5

Das FA verwarf die Einsprüche unter Hinweis auf die Bestandskraft der ursprünglichen Einkommensteuerbescheide als unzulässig.

6

Dagegen richtet sich die Klage.

7

Während des Klageverfahrens hat das BVerfG entschieden, dass § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG in seiner Anwendung auf Zulagen für Besoldungsempfänger des Bundes wegen deren Tätigkeit bei einer Dienststelle im Beitrittsgebiet gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Grundgesetz (GG) verstoße, weil der Aufwandstatbestand in § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG nicht nur erwerbsdienliche, als Werbungskosten oder Betriebsausgaben berücksichtigungsfähige Ausgaben, sondern auch Amts- und Stellenzulagen umfasst (Beschluss vom 11.11.1998 2 BvL 10/95 BStBl II 1999, 502). Daraufhin nahm der BFH seinen Vorlagebeschluss vom 21.10.1994 VI R 15/94 (a.a.O.) durch Beschluss vom 20.04.1999 zurück.

8

Mit Rücksicht hierauf ließen die Kläger ihr ursprüngliches Begehren fallen und begehren nunmehr, die Zulagen an die Klägerin für die Tätigkeit in den neuen Bundesländern von der Besteuerung auszunehmen. Trotz der Unvereinbarkeitserklärung des § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG mit dem GG durch das BVerfG blieben die Aufwandsentschädigungen der Bediensteten aus den öffentlichen Kassen von der Besteuerung ausgenommen. Diese tatsächliche Handhabung verstoße gegen den Gleichheitssatz, weil die in den neuen Bundesländern tätigen sonstigen Arbeitnehmer hinsichtlich der Zulagen mit vergleichbarer Zweckbestimmung von der Steuerfreiheit ausgenommen seien.

9

Die Kläger beantragen sinngemäß,

  1. den Einspruchsbescheid vom 06.10.1997 aufzuheben und das FA zu verpflichten, unter Änderung der Einkommensteuer-Änderungsbescheide vom 04.06.1996 die Einkommensteuer 1992 auf"DM und die Einkommensteuer 93 auf ... DM festzusetzen.

10

Das FA beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

11

Die Bestandskraft der ursprünglichen Steuerbescheide würde in Ermangelung neuer Tatsachen i.S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 EStG eine weitere Änderung der Bescheide zugunsten der Kläger ausschließen.

Gründe

12

Die Klage kann keinen Erfolg haben.

13

1. Die Klage ist zulässig.

14

Die Kläger haben ihr Klageziel geändert, indem sie an Stelle ihres ursprünglichen Verpflichtungsbegehrens, die Einkommensteuer-Änderungsbescheide vom 04.06.1996 unter die Vorläufigkeit des § 165 Abs. 1 AO zu stellen, nunmehr die Verpflichtung des FA zur Änderung der Steuerbescheide begehren. Es handelt sich dabei um eine Klageänderung, weil mit der Verpflichtung zur Änderung der Einkommensteuerbescheide durch Steuerherabsetzung im Vergleich zur Änderung des Einkommensteuerbescheide durch Aufnahme eines Vorläufigkeitsvermerks i.S. des § 165 Abs. 1 AO ein anderer abgabenrechtlicher Anspruch verfolgt wird. Diese Klageänderung ist nach § 67 FGO zulässig. Eine ausdrückliche Einwilligung des FA in die Klageänderung liegt zwar nicht vor. Die Einwilligung des FA ist aber anzunehmen, weil es der Klageänderung nicht widersprochen und sich in der mündlichen Verhandlung auf die Klageänderung eingelassen hat ( § 67 Abs. 2 FGO). Der erkennende Senat hält die Klageänderung auch für sachdienlich. Mit der ursprünglich beanstandeten Rechtsbeeinträchtigung wegen Versagung der Aufnahme des Vorläufigkeitsvermerks in den Steuerbescheiden sollte verfahrensrechtlich die Möglichkeit einer Steuerherabsetzung erhalten werden. Nachdem sich die behauptete Rechtsbeeinträchtigung aufgrund der genannten Entscheidungen des BVerfG und des BFH erledigt hat, bildet die nunmehr begehrte Änderung der Steuerbescheide durch Steuerherabsetzung die konsequente Weiterverfolgung des als möglich ins Auge gefassten Steuerherabsetzungbegehrens. Der sachliche Streitstoff hält sich im Rahmen des ursprünglichen Rechtsstreits, so dass aus prozess-ökonomischer Sicht, die Zulassung der Klageänderung geboten ist.

15

2. Die Klage ist jedoch unbegründet.

16

(1)Die von den Klägern erst nach Bestandskraft der ursprünglichen Einkommensteuerbescheide 1992 und 1993 vom 04.06.1993 und 19.04.1994 gemachte Mitteilung, dass in den Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit Zulagen für ihre Tätigkeit im Beitrittsgebiet enthalten seien, beinhaltet eine neue Tatsache i.S. des § 173 Abs. 1 AO . Sie führt jedoch nicht zu einer (weiteren) Änderung der Einkommensteuerbescheide 1992 und 1993 zugunsten der Kläger.

17

Wie das BVerfG durch seinen Beschluss vom 11.11.1998 2 BvL 10/95 (a.a.O.) entschieden hat, ist die Regelung in § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG über die Steuerfreiheit der Aufwandsentschädigungen an Besoldungsempfänger aus öffentlichen Kassen für die Tätigkeit im Beitrittsgebiet nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, weil der Aufwandstatbestand des § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG nicht nur erwerbsdienliche, als Werbungskosten oder Betriebsausgaben berücksichtigungsfähige Ausgaben, sondern auch Vergütungen umfasst. Danach sind auch diese durch die Erwerbstätigkeit im Beitrittsgebiet veranlassten Einnahmen gemäß § 2 Abs. 1 und 2 EStG in die steuerpflichtige Bemessungsgrundlage einzubeziehen. Abweichungen von diesem Tatbestand bedürfen eines besonderen, sachlich rechtfertigenden Grundes, den das BVerfG bei den in Rede stehenden Aufwandsentschädigungen aus öffentlichen Kassen verneint hat. Weil nach der Entscheidung des BVerfG die in § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG genannten Aufwandsentschädigungen nicht steuerfrei sind, fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage für eine Steuerbefreiung, die die Klägerin unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung mit öffentlich Bediensteten beanspruchen könnte.

18

(2) Die Klägerin hat auch nicht deshalb einen Anspruch auf Gleichbehandlung mit den öffentlich Bediensteten, weil diesen aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit für den vor der Entscheidung des BVerfG liegenden Zeitraums die Steuerfreiheit der Aufwandsentschädigungen belassen wurde.

19

Weil das BVerfG trotz der Unvereinbarkeitserklärung die Steuerfreiheit der in § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG genannten Bezüge hat fortgelten lassen, hat es für die Veranlagungszeiträume bis 1993 eine Ungleichbehandlung von Bediensteten mit Aufwandsentschädigungen aus öffentlichen Kassen und anderen Bediensteten mit Aufwandsentschädigungen von privaten Arbeitgebern zugelassen. Der erkennende Senat ist nach § 31 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz an diese Entscheidung des BVerfG gebunden.

20

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO .