Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 10.11.2010, Az.: L 3 KA 28/07

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
10.11.2010
Aktenzeichen
L 3 KA 28/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 38500
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2010:1110.L3KA28.07.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 28.03.2007 - AZ: S 16 KA 304/03

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 28. März 2007 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 245.407,71 Euro festgesetzt.

Tatbestand

1

Der Kläger wehrt sich gegen Honorarberichtigungen der Quartale I/1998 bis IV/2001 iHv 245.407,71 Euro nach einer Plausibilitätsprüfung der Ziffer 4625 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM).

2

Der Kläger ist als Arzt für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie in E. niedergelassen und nimmt an der vertragsärztlichen Versorgung teil. In den Quartalen I/1998 bis IV/2001 rechnete er die Ziffer 4625 EBM ("ähnliche Untersuchungen unter Angabe der Antikörperspezifität") zwischen 1.859 (IV/1998) und 4.752 (Quartal III/1999) mal ab.

3

Anlässlich der Plausibilitätsprüfung der Honorarabrechnung für das Quartal IV/2001 stellte die Beklagte bei Durchsicht von 10 % der (insgesamt 3.014-mal) abgerechneten Leistungen nach der Ziffer 4625 EBM fest, dass der Ansatz der Nummer in keinem Fall entsprechend der Leistungslegende korrekt gewesen ist. Bei der Honorarfestsetzung für das Quartal IV/2001 nahm sie einen Honorarabzug von 32.736,00 DM (= 16.737,65 Euro) vor. Der Kläger räumte den fehlerhaften Ansatz der Ziffer ein und machte hierfür einen Fehler seiner Abrechnungs-Software verantwortlich. Im Jahr 2002 rechnete er die Ziffer 4625 EBM nur noch in 5 (Quartal IV/2002) bis 12 (Quartal I/2002) Fällen ab.

4

Mit Bescheid vom 8. Oktober 2002 hob die Beklagte die Honorarbescheide für die Quartale I/1998 bis IV/2001 (teilweise) auf und forderte zu Unrecht vergütete Honorare iH von insgesamt 245.407,71 Euro (479.975,77 DM) zurück; hierin waren (ergänzend zu den bereits abgesetzten 32.736,00 DM) 3.574,00 DM (= 1.827,36 Euro) für das Quartal IV/2001 enthalten. Zur Begründung führte sie an, infolge der Fehlerhaftigkeit der Abrechnungen hätten die vom Kläger für jedes Quartal abgegebenen Sammelerklärungen, in denen die ordnungsgemäße Erbringung und Abrechnung der geltend gemachten Leistungen versichert worden seien, ihre Garantiewirkung verloren, so dass das Honorar neu festzusetzen sei; dabei habe der Beklagten ein Schätzungsermessen zugestanden. Bei der Schätzung sei die stichprobenartige Prüfung des Quartals IV/2001 zugrunde gelegt worden, in welchem die fehlerhafte Abrechnung der Ziffer 4625 EBM einen finanziellen Vorteil von 36.310,00 DM (= 18.565,01 Euro) für den Kläger erbracht habe. Den entsprechenden Anteil der Kürzungssumme von dem insgesamt für die fragliche Ziffer in Ansatz gebrachten Betrag - 50,19 % - habe sie sodann auf alle neu zu berechnenden Quartale umgesetzt und entsprechende Kürzungen festgesetzt.

5

Hiergegen legte der Kläger am 21. Oktober 2002 Widerspruch ein, zu dessen Begründung er die Auffassung vertrat, ein Wiederaufgreifen des Verfahrens sei wegen Verjährung ausgeschlossen. Außerdem hob er hervor, Grund für die unzutreffende Abrechnung sei ein defektes Modul in seiner EDV, das er trotz der eingehaltenen notwendigen Sorgfalt nicht habe erkennen können. Hierdurch seien auch zahlreiche in Wirklichkeit erbrachte Leistungspositionen nicht korrekt ausgedruckt worden. Für den gesamten betroffenen Zeitraum müssten nunmehr alle Positionen aus dem Chemie-Serologie-Modul neu berechnet werden, wobei er anhand des nunmehr zur Verfügung stehenden intakten Moduls korrigierte Beträge nennen könne. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass bereits nach der ursprünglichen Honorarabrechnung Leistungen der Ziffer 4625 EBM nicht honoriert worden seien, wofür Ersatzparameter benannt und honoriert werden müssten.

6

Im Verlauf des Widerspruchsverfahrens legte der Kläger in Absprache mit der Bezirksstelle Aurich der Beklagten korrigierte Abrechnungen für die umstrittenen Quartale auf CD-ROM vor. Die Beklagte teilte daraufhin mit, eine Prüfung sei nur möglich, wenn die Quartale separat ausgewiesen würden, was vorliegend nicht der Fall sei, da die vorgelegten Abrechnungen oftmals für mehrere Quartale zusammengefasst worden seien. Auch anhand von daraufhin erneut vorgelegten Datenträgern mit korrigierten Abrechnungen für die Quartale III/1999 und IV/1999 gelang der Bezirksstelle E. der Beklagten die von ihr beabsichtigte Überprüfung des Quartals IV/1999 nicht, weil bei einer Stichprobe weder die Patienten noch die Auftragsnummer eines beauftragenden Labors aufgefunden werden konnten; bei einer gleichwohl gefundenen Patientin waren weder die entsprechenden EBM-Nummern noch die Bewertungen in der Excel-Tabelle enthalten.

7

Mit Widerspruchsbescheid vom 13. November 2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, wobei sie zur Begründung im Wesentlichen die Gründe des angefochtenen Bescheides wiederholte. Die zwischenzeitlich vorgelegten korrigierten Abrechnungen seien aufgrund von technischen und abrechnungstechnischen Unzulänglichkeiten in keiner Weise geeignet, zu einer Neuberechnung der streitgegenständlichen Quartale zu kommen. Den vorgenommenen Berichtigungen stehe der Einwand der Verjährung nicht entgegen, weil der Erstattungsanspruch in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres verjähre, in dem er entstanden sei. Die Verjährungsfrist für das erste umstrittene Quartal I/1998 habe frühestens mit dem 1. Januar 1999 zu laufen begonnen und sei erst am 31. Dezember 2002 abgelaufen.

8

Gegen den mit Schreiben vom 18. November 2003 an den Kläger abgesandten Widerspruchsbescheid hat dieser am 24. November 2003 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover erhoben und zur Begründung ausgeführt, ihm könne im Zusammenhang mit der unrichtigen Abrechnung keine Fahrlässigkeit vorgeworfen werden, weil der Softwarefehler für ihn auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht erkennbar gewesen sei. Die Beklagte sei deshalb verpflichtet gewesen, exakte Neuberechnungen der rechtmäßig zu beanspruchenden Honorarbeträge anzustellen. Hierbei habe sie die von ihm vorgelegten korrigierten Angaben berücksichtigen müssen; insoweit hat der Kläger im Klageverfahren nochmals zwei CD-ROMs vorgelegt, die seiner Ansicht nach die kompletten Korrekturberechnungen enthalten.

9

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 28. März 2007 abgewiesen. Der Kläger habe grob fahrlässig gehandelt, weil er die Sammelerklärungen vor deren Abgabe keiner Überprüfung mehr unterzogen habe; die extremen Falschangaben hätten ihm auch bei einer nur oberflächlichen Prüfung auffallen müssen. Daher sei nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) die Garantiefunktion der Sammelerklärung entfallen. Der Kläger habe seine grundlegende Pflicht, die Leistungen peinlich genau abzurechnen, verletzt. Er könne sich auch nicht auf die Menge der ausgedruckten Blattzahlen berufen, denn die Anforderungen an die Sorgfalt seien höher, je größer der Umfang einer Abrechnung sei. Da der Kläger seine Daten ausgedruckt habe, verkörperten diese die Abrechnung. Indem die Beklagte dem Kläger die Möglichkeit gegeben habe, unter Zuhilfenahme eines neuen Moduls die Neuberechnung der Abrechnungen durchzuführen, habe sie ihren Anspruch auf Neufestsetzung nicht verwirkt. Vielmehr sei die Beklagte ihrer Pflicht nachgekommen, möglichst aussagekräftige und alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigende konkrete Schätzungsunterlagen zu ermitteln (Hinweis auf den Beschluss des Senats vom 17. Februar 2005 - L 3 KA 218/04 ER). Ebenso wenig sei die Höhe des Berichtigungs- und Rückforderungsbetrages zu beanstanden. Die im Widerspruchsverfahren auf CD-ROM vorgelegten Zusammenstellungen erfüllten nicht die Voraussetzungen einer nachvollziehbaren Abrechnung.

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Gegen das Urteil vom 28. März 2007 hat der Kläger am 18. April 2007 Berufung vor dem Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt. Zur Begründung führt er ergänzend an, das SG habe sein Verhalten zu Unrecht als grob fahrlässig gewertet. Der Fehler in dem Software-Modul sei keinesfalls offensichtlich gewesen, zumal in einer Honorar-Sammelabrechnung eines Quartals über eine Million Parameter zu verwalten seien. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Übertragung der Daten richtig auf dem Bildschirm dargestellt gewesen sei. Erst durch den Ausdruck seien die Fehler entstanden. So habe auch die Beklagte den Fehler über Jahre hinweg nicht erkannt und diesen erst im Jahr 2002 nach Einsatz eines besonderen EDV-Programms zur Plausibilitätsprüfung von Honorarabrechnungen bemerkt. Nachdem die Beklagte außerdem das Angebot des Klägers angenommen habe, neue Abrechnungen bzw Korrekturabrechnungen zu erstellen, könne diese sich auf ein grob fahrlässiges Verhalten des Klägers auch nicht berufen; denn in diesem Vorgang liege der Abschluss einer Zwischenvereinbarung mit dem Inhalt, die berichtigten Abrechnungen zu prüfen und dies zur Grundlage der Korrekturbescheide zu machen. Die Beklagte hätte die gesamten Abrechnungsunterlagen nebst Überweisungsscheinen und Sammelerklärungen vorlegen müssen. Vorsorglich fechte er die Sammelerklärungen wegen Irrtums gemäß §§ 119, 120 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) an, da der falsche Ausdruck wie ein Verschreiben oder Vertippen gewertet werden müsse.

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Der Kläger beantragt,

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1. das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 28 März 2007 aufzuheben,

13

2. den Bescheid vom 8. Oktober 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2003 zu ändern,

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3. die Beklagte zu verpflichten, ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

17

Das SG habe zutreffend die Ausführungen in ihrem Widerspruchsbescheid vom 13. November 2003 bestätigt, wonach die fehlerhafte Abrechnung des Klägers grob fahrlässig erfolgt sei. Anhand der jedem Honorarbescheid anliegenden Aufstellung der Häufigkeit der einzelnen Gebührenordnungsnummern sei der Kläger auch in der Lage gewesen, die Falschabrechnung der Ziffer 4625 EBM zu erkennen. Für die vom Kläger behauptete Zwischenvereinbarung sei kein Raum, weil diesem lediglich die Möglichkeit zur Vorlage korrigierter Daten gegeben worden sei, um diese dann bei angenommener Richtigkeit als Grundlage einer Korrekturberechnung im Rahmen des Widerspruchsverfahrens zu berücksichtigen. Die im Klageverfahren vorgelegte CD-ROM führe zu keinem anderen Ergebnis, weil dort eine strikte Trennung nach Quartalen nicht vorgenommen worden sei; außerdem hätten Stichproben ergeben, dass im 4. Quartal 2001 nicht alle zur Abrechnung gebrachten Leistungen in den Dateien aufgeführt seien und im Rahmen der Abrechnung des Quartals I/1999 in sechs Einzelfällen Ungereimtheiten bei der korrigierten Abfassung vorlägen. Bis zum Quartal II/1999 habe der Kläger seine Abrechnungen mit Computeretiketten versehen ohne handschriftliche Eintragungen; danach habe er die Leistungsziffern direkt auf die auf den Abrechnungsscheinen vorhandenen und dafür vorgesehenen Abrechnungsfelder aufgedruckt. Bei einer Anfechtung entfiele die Sammelerklärung als Grundlage der Honorarberechnung erst recht. Dies könne nicht im Sinne des Klägers seien. Die Frist zur Anfechtung einer Willenserklärung sei zudem verstrichen.

18

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Gerichts- (L 3 KA 218/04 ER) und Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Berufung ist zulässig, jedoch unbegründet.

20

Die gegen den Rückforderungsbescheid vom 8. Oktober 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. November 2003 gerichtete Anfechtungs- und Bescheidungsklage ist gemäß § 54 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig.

21

Sie ist jedoch unbegründet. Die mit dem angefochtenen Bescheid vorgenommene Honorarberichtigung und geltend gemachte Rückforderung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

22

Rechtsgrundlage für die dort geregelten Honorarberichtigungen sind § 45 Abs 2 S 1 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) und § 34 Abs 4 S 1 und 2 Ersatzkassenvertrag-Ärzte (EKV-Ä); danach berichtigt die Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) die Honorarforderung des Vertragsarztes bei Fehlern hinsichtlich der sachlich-rechnerischen Richtigkeit. Derartige Fehler liegen vorliegend unstreitig vor, weil die Ziffer 4625 EBM in den Quartalen I/1998 bis IV/2001 in einer erheblichen Zahl von Fällen zu Unrecht in Ansatz gebracht worden ist und die diesbezüglichen Honorarbescheide damit unrichtig sind.

23

Wie der Senat auf der Grundlage der Rechtsprechung des BSG (SozR 3-5550 § 35 Nr 1) bereits mehrfach entschieden (Urteile vom 17. Dezember 2008 - L 3 KA 316/04 - und vom 18. Februar 2004 - L 3 KA 99/02) und schon in seinem den vorliegenden Sachverhalt betreffenden Eilbeschluss vom 17. Februar 2005 (L 3 KA 218/04 ER) dargelegt hat, eröffnen unrichtige Angaben des Vertragsarztes bei der Honorarabrechnung der KÄV nur dann die - hier von der Beklagten wahrgenommene - Möglichkeit, bereits ergangene Honorarbescheide aufzuheben und das rechtmäßig zu beanspruchende Honorar (bzw. die entsprechende Honorarrückforderung) auf der Basis einer Schätzung zu bestimmen, wenn der Arzt die quartalsbezogene Sammelerklärung unterschrieben hat, obwohl die unrichtigen Angaben grob fahrlässig oder sogar vorsätzlich erfolgt sind. In diesem Fall entfällt die Garantiefunktion der Sammelerklärung mit der Folge, dass das Honorarrisiko auf den Vertragsarzt übergeht, der nunmehr die Beweislast für die vollständige und ordnungsgemäße Erbringung aller Leistungen trägt (BSG, aaO.). Eine derartige Situation liegt hier vor: Bei der Abrechnung der Quartale I/1998 bis IV/2001 hat der Kläger im Hinblick auf den überhöhten Ansatz der Ziffer 4625 EBM die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt und damit grob fahrlässig gehandelt (zum Begriff der groben Fahrlässigkeit vgl § 45 Abs 2 S 3 Nr 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SBG X)).

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Dabei ist in tatsächlicher Hinsicht davon auszugehen, dass die abgerechneten Leistungsziffern - anders als im Eilbeschluss vom 17. Februar 2005 (aaO.) zugrunde gelegt (dort war eine Abrechnung auf elektronischen Datenträgern angenommen worden) - zunächst auf Etiketten aufgedruckt worden sind, die auf die Überweisungsscheine der einsendenden Ärzte geklebt wurden; später wurden die Abrechnungsziffern direkt auf die Überweisungsscheine aufgedruckt (vgl Schriftsatz des Klägers vom 5. Mai 2008). Entgegen den Angaben des Klägers wurde dies auch im letzten streitbefangenen Quartal IV/2001 so praktiziert; denn in der Verwaltungsakte sind die Ablichtungen von mehr als 70 in dieser Weise ausgefüllten Überweisungsscheine dieses Quartals ersichtlich. Die Vorbereitung dieser Abrechnung erfolgte dagegen auf elektronischem Wege, indem der Kläger sich einer hierfür programmierten Abrechnungs-Software bediente.

25

Auch für eine solche Abrechnungsweise gilt die Verpflichtung zur peinlich genauen Abrechnung. Diese gehört zu den Grundpflichten des Vertragsarztes, weil die korrekte Abrechnung von der KÄV angesichts der Vielzahl der von ihr in jedem Quartal zu bewältigenden Datenmengen nur in eingeschränktem Umfang überprüft werden kann (BSG SozR 3-2500 § 95 Nr 4). Der damit verbundene Sorgfaltsmaßstab höchstmöglicher Korrektheit muss sich bei der hier gegebenen Abrechnungsweise auf die der KÄV übermittelten Zahlenangaben beziehen - mithin auf die ausgedruckten Etiketten bzw die bedruckten Scheine -, weil nur diese von der KÄV zur Kenntnis genommen werden und der Honorarberechnung zugrunde gelegt werden können. Der Vertragsarzt, der sich zur Erstellung dieser Ausdrucke eines geeigneten Abrechnungsprogramms bedient, darf sich deshalb nicht auf die Richtigkeit der Bildschirmansicht verlassen, sondern muss sich - jedenfalls anhand von Stichproben - vergewissern, dass auch die erstellten Ausdrucke frei von Fehlern sind. Dass Diskrepanzen zwischen Bildschirmansicht und Druckergebnis auftreten können, zeigt gerade der vorliegende Fall eines Software-Fehlers, mag aber auch bei Hardware-Störungen (Drucker, Schnittstellen, Leitungen) möglich sein. Dabei entlastet es den EDV-Anwender auch nicht, wenn er mit Fehlern der hier eingetretenen Art nicht gerechnet hat. Vielmehr ist angesichts der Fehleranfälligkeit der elektronischen Datenverarbeitung gerade in der ersten Zeit der Anwendung eines neuen Programms ein erhöhter Kontrollaufwand erforderlich.

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Der Senat kann vorliegend offen lassen, wie intensiv diese Überprüfung angesichts der Vielfalt denkbarer Fehler sein muss, gerade im Hinblick auf die besonders große Datenmenge bei der Erbringung von Speziallaborleistungen. Denn mit den zutreffenden Ausführungen des SG ist davon auszugehen, dass der Kläger die überhöhte Abrechnungsfrequenz der Ziffer 4625 EBM bereits bei nur oberflächlicher Kontrolle der im jeweiligen Quartal erfassten Daten hätte bemerken müssen. Wie sich aus dem die Plausibilitätsprüfung abschließenden Vermerk der Beklagten vom 17. September 2002 ergibt, wiesen die übermittelten Datenträger eine Abrechnungshäufigkeit der Ziffer 4625 EBM zwischen 25,9 und 72,55 Leistungen je 100 Fälle auf, obwohl die zu erwartende normale Frequenz bei ca 0,09 bis 0,22 Abrechnungen auf 100 Fälle hätte liegen müssen, wie die korrekten Honorarabrechnungen des Jahres 2002 zeigen. Dass der Kläger insoweit die erforderlichen Kontrollmaßnahmen offensichtlich unterlassen hat, ergibt sich jedenfalls für die späteren Quartale auch aus dem zutreffenden Hinweis der Beklagten, dass diesem die (weit überhöhten) Abrechnungszahlen der Ziffer 4625 EBM in der Anlage jedes Honorarbescheides mitgeteilt worden waren, ohne dass er hierauf reagiert hätte.

27

Indem der Kläger jede - auch grobmaschige - Kontrolle der ausgedruckten Abrechnungsziffern unterlassen hat, hat er die in Hinblick auf die Pflicht zur peinlich genauen Abrechnung erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maß verletzt und damit grob fahrlässig gehandelt. Angesichts der gleichwohl unterschriebenen Sammelerklärungen war die Beklagte deshalb berechtigt, die Honorarforderungen in den streitbefangenen Quartalen insgesamt zu korrigieren.

28

Wie bereits im Senatsbeschluss vom 17. Februar 2005 (aaO.) dargelegt, hat die Beklagte sich dieser Möglichkeit auch nicht dadurch begeben, dass sie das Angebot des Klägers auf Vorlage einer Neuberechnung unter Zuhilfenahme eines intakten Moduls akzeptiert hat. Hierin liegt auch kein "Abschluss einer Zwischenvereinbarung" mit dem Inhalt, die erneute Prüfung zur Grundlage der Korrekturbescheide zu machen. Vielmehr ist die Beklagte hiermit nur ihrer ohnehin bestehenden Pflicht nachgekommen, möglichst aussagekräftige und alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigende konkrete Schätzgrundlagen zu ermitteln (vgl hierzu auch Senatsbeschluss vom 22. April 2004, Breithaupt 2004, 583, 592 f).

29

Auch die vom Kläger in der Berufungsschrift vom 16. April 2007 erklärte vorsorgliche "Anfechtung" der Sammelerklärungen wegen Irrtums gemäß §§ 119, 120 BGB führt nicht dazu, dass die Sammelerklärungen rückwirkend keine rechtliche Wirkung entfalten. Zwar können auch im öffentlichen Recht die §§ 119 ff BGB auf Willenserklärungen des Bürgers entsprechend angewandt werden (Ellenberger in Palandt, BGB, 69. Aufl, 2010, § 119 Rn 6), jedoch ist zum Zeitpunkt der Anfechtungserklärung im April 2007 die Anfechtungsfrist des § 121 Abs 1 BGB verstrichen gewesen. Danach muss in Fällen der §§ 119, 120 BGB die Anfechtung ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) erfolgen. Da bereits im Oktober 2002 der Honorarberichtigungsbescheid erlassen wurde und dem Kläger bekannt war, worauf die Beklagte ihren Bescheid stützte, ist die Anfechtungserklärung knapp 4 1/2 Jahre nach Erlass des Honorarberichtigungsbescheides nicht mehr unverzüglich iS des § 121 BGB. Im Übrigen ist - wie die Beklagte zutreffend ausführt - zu bedenken, dass ohne Sammelerklärungen die Garantie der Richtigkeit der Honorarabrechnungen erst recht entfallen würde.

30

Der Kläger kann sich der Honorarberichtigung und -rückforderung gegenüber weiterhin nicht auf "Verjährung" berufen. Nach ständiger BSG-Rechtsprechung (SozR 3-5535 Nr 119 Nr 1; SozR 3-2500 § 82 Nr 3) gilt zwar für die Durchführung nachträglicher Honorarberichtigungen eine Ausschlussfrist von vier Jahren. Deren Lauf beginnt mit dem Erlass des Honorarbescheids (BSG, Urteil vom 28. März 2007 - B 6 KA 26/06 R - juris). Diese Frist ist für die Quartale IV/1998 bis IV/2001 zweifellos bis zum Erlass des Berichtigungsbescheids vom 8. Oktober 2002 nicht abgelaufen gewesen. Darüber hinaus besteht nach der Rspr des BSG (SozR 3-5550 § 35 Nr 1) auch nach Ablauf dieser Ausschlussfrist eine Berichtigungsmöglichkeit unter den Voraussetzungen des § 45 Abs 2 S 3 Nr 2, Abs 4 S 1 SGB X. Danach darf ein rechtswidriger Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme schutzwürdig ist. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig gemacht hat. Grobe Fahrlässigkeit liegt - wie bereits dargelegt - in Hinblick auf die unrichtige Abrechnung der EBM-Ziffer 4625 aber gerade vor.

31

Auch die Höhe des Berichtigungs- und Rückforderungsbetrages ist nicht zu beanstanden. Hierzu hat der Senat bereits in seinem Beschluss vom 17. Februar 2005 (aaO.) ausgeführt, dass keine Anzeichen für grundlegende Unterschiede in der auf die Ziffer 4625 EBM bezogenen Abrechnungsweise des Klägers in den Quartalen I/1998 bis IV/2001 vorliegen. Daher ist es im Rahmen des bestehenden Schätzungsermessens (vgl § 287 Abs 1 Zivilprozessordnung (ZPO)) nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte bei der Bemessung der Kürzungsbeträge von einem beispielhaften Quartal - IV/2001 - ausgegangen ist, in dem 50,19 % der auf die Ziffer 4625 EBM entfallenden abgerechneten Beträge abgesetzt worden sind. Angesichts der Vielzahl der abgerechneten Positionen - im Quartal IV/2001 rechnete der Kläger 5.792 Fälle ab, davon in 3.014 Fällen die Ziffer 4625 EBM - begegnet es auch keinen Bedenken, wenn die Beklagte lediglich 10 % der Abrechnungen der Ziffer 4625 EBM untersucht hat; Hinweise für eine dem eventuell entgegenstehende signifikant unterschiedliche Zusammensetzung der entsprechenden Fälle liegen jedenfalls nicht vor. Wie sich aus dem Protokollauszug vom 17. September 2002 ergibt, der dem Bescheid vom 8. Oktober 2002 beigefügt war, berücksichtigt der ermittelte Korrekturbetrag weiterhin alle festgestellten Formen der Falschabrechnung. Dies sind zum einen unrichtige Mehrfachansätze der Ziffer 4625 EBM und zum anderen die Differenzen, die sich aus dem Vergleich der (höheren) DM-Beträge für die Ziffer 4625 EBM mit den Beträgen für die stattdessen korrekterweise abzurechnenden einzelnen Laborziffern ergeben.

32

Begründete Einwände hiergegen hat der Kläger auch im Hauptsacheverfahren nicht vorgebracht. Weiterhin kann er nicht mit Erfolg Nachforderungen geltend machen, die ihm als Folge der Berichtigung der Ziffer 4625 EBM zustünden, wobei offen bleiben kann, ob die Beklagte sich demgegenüber auf die Ausschlussfrist in § 11 Abs 8 der Anl 1 ihres damaligen Honorarverteilungsmaßstabs berufen kann (zu den Grenzen von Ausschlussfristen bei verspäteter Geltendmachung von Leistungen vgl BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 37). Denn jedenfalls innerhalb ihres Schätzungsermessens hat die Beklagte evtl nachträglich geltend zu machende andere EBM-Ziffern ausreichend berücksichtigt, indem sie von dem Betrag, der nach den Angaben des Klägers im Quartal IV/2001 zu Unrecht für die Ziffer 4625 EBM vergütet worden sind - 41.636,00 DM -, lediglich 36.310,00 DM gekürzt hat.

33

Eine demgegenüber möglichst genaue Berechnung des in Wirklichkeit zu beanspruchenden Honorars zu ermöglichen, ist nicht Angelegenheit der Beklagten, sondern des Klägers. Dies ist Folge des Übergangs des Honorarrisikos, der durch die grob fahrlässigen Falschangaben im Rahmen der Sammelerklärung eingetreten ist; auf diesen Umstand ist der Kläger bereits in dem - ihm gegenüber wegen Falschabrechnungen anderer Art ergangenen - Senatsurteil vom 18. Februar 2004 im Verfahren L 3 KA 99/02 hingewiesen worden. Seiner Obliegenheit, die Erbringung der einzelnen Leistungen korrekt darzulegen und im Zweifelsfall nachzuweisen, ist der Kläger aber nicht nachgekommen, insbesondere nicht durch Vorlage von Neuberechnungen, die er auf der Grundlage eines neuen EDV-Moduls erstellt hat.

34

Die im Widerspruchsverfahren auf CD-ROM vorgelegten Zusammenstellungen erfüllen schon nicht die grundlegendsten Voraussetzungen nachvollziehbarer Abrechnungen, nämlich die vollständige Darlegung der abgerechneten Leistungen je Quartal (zur Quartalsbezogenheit der vertragsärztlichen Abrechnungen vgl BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 42) bzw anhand der einzelnen EBM-Ziffern (vg. Senatsbeschluss vom 27. Oktober 2004 - L 3 KA 209/04 ER - Breithaupt 2005, 191 ff). Dies hat die Beklagte - vom Kläger nicht substantiiert bestritten - in Hinblick auf die im Februar 2003 (fehlende Quartalsbezogenheit) sowie die im Mai 2003 (fehlende EBM-Ziffern) übersandten CD-ROMs dargelegt. Auch die im Klageverfahren vorgelegte CD-ROM beinhaltet keine verwertbaren Angaben. Sie enthält für die Jahre 1998 und 2000 jeweils lediglich zwei Dateien (nicht korrigierte und korrigierte Angaben für das gesamte Jahr), ohne dass dort die notwendige quartalsweise Zuordnung der Leistungen getroffen wird. Für das Jahr 1999 fehlt es ebenfalls an Quartalsangaben, weil die Quartale I und II einerseits sowie III und IV andererseits zusammengefasst sind (einmal nicht korrigiert, einmal korrigiert). Die Angaben für das Jahr 2001 enthalten schließlich zusammenfassende Dateien der Quartale I bis III (nicht korrigiert/korrigiert) und des Quartals IV/2001 (nicht korrigiert/korrigiert). Dabei zeigt sich bei Durchsicht der korrigierten Datei für I bis III/2001, dass allein im Sheet 1 über 40 Untersuchungen angeführt sind, die erst am 1. Oktober 2001, also im 4. Quartal, durchgeführt worden sind. Demnach muss davon ausgegangen werden, dass auch die jetzigen Angaben in der Datei IV/01 nicht vollständig sind.

35

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

36

Die Streitwertbemessung beruht auf § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm 52 Abs 1 und 47 Abs 1 S 1 Gerichtskostengesetz (GKG).