Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.07.1989, Az.: 21 M 77/89

Ausreiseaufforderung mit Abschiebungsandrohung wegen Sozialhilfebedürftigkeit gegenüber einer indischen Mutter und ihrem 3 Jahre alten Kind; Rechtsfolgen der Staatenlosigkeit des Aufenthaltssuchenden; Staatenlosenübereinkommen; Verfügung des nichtehelichen Kindes eines Deutschen über einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung nach dem Reichsangehörigkeitengesetz und Staatenangehörigkeitengesetz (RuStAG)

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
27.07.1989
Aktenzeichen
21 M 77/89
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1989, 12812
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1989:0727.21M77.89.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Oldenburg - 20.01.1989 - AZ: 5 VG D 202/88

Fundstelle

  • ZAR 1990, 43 (amtl. Leitsatz)

Verfahrensgegenstand

Aufenthaltsbeschränkung, Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung - vorläufiger Rechtsschutz -.

Prozessführer

des minderjährigen staatenlosen ...

seine Mutter ...

Prozessgegner

die Stadt ...

In der Verwaltungsrechtssache
hat der 21. Senat des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein
am 27. Juli 1989 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluß des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 5. Kammer Oldenburg - vom 20. Januar 1989 wird zurückgewiesen.

Gründe:

1

I.

Der Antragsteller wurde am 26. Juni 1985 in ... geboren. Seine Mutter ist die indische Staatsangehörige ... Das, deren Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes unter dem Aktenzeichen 21 M 76/89 beim erkennenden Senat anhängig ist. Die Mutter des Antragstellers war bis zum 8. Februar 1985 mit dem deutschen Staatsangehörigen ... verheiratet. Der Antragsteller galt daher zunächst als eheliches Kind. Herr ... hat die Ehelichkeit des Antragstellers erfolgreich angefochten. (Beschluß des Amtsgerichts Oldenburg vom 02.09.1986 - 18 C 932/85 XVI -). Daraufhin hat der deutsche Staatsangehörige ... die Vaterschaft für den Antragsteller anerkannt (Beschluß des Amtsgerichts Oldenburg vom 13.11.1986 - 58 I 212/86 -).

2

Nach vorheriger Anhörung wurde der Aufenthalt des Antragstellers durch Bescheid der Antragsgegnerin vor. 30. Mai. 1988 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung auf den 10. Juni 1988 beschränkt. Gleichzeitig wurde der Antragsteller zur Ausreise bis zum 5. Juli 1988 aufgefordert und es wurde ihm für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise die Abschiebung angedroht. Die Antragsgegnerin führte zur Begründung aus, die Mutter des Antragstellers sei zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet. Da der Antragsteller auf die Pflege und Fürsorge durch seine Mutter angewiesen sei, sei es notwendig, daß er aufenthaltsrechtlich wie seine Mutter behandelt werde. Die Aufenthaltsbeschränkung liege auch im öffentlichen Interesse. Es müsse davon ausgegangen werden, daß der Antragsteller voraussichtlich noch sehr lange auf den Bezug von Sozialhilfe angewiesen sein werde. Weder seine Mutter noch sein Vater seien imstande, ihm den notwendigen Unterhalt zu leisten. Angesichts des Lebensalters von knapp drei Jahren könne nicht davon die Rede sein, daß der Antragsteller in die hiesigen Verhältnisse integriert sei. Zwar würden die Kontakte zum Kindesvater durch die Ausreise sehr stark eingeschränkt, dieser Gesichtspunkt sei jedoch nicht so gewichtig, daß das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung dahinter zurückzutreten habe. Daß der Antragsteller nicht die Staatsangehörigkeit seiner Mutter teile, stehe einer Einreise nach Indien und einem Daueraufenthalt dort nicht entgegen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei im Hinblick auf die Sozialhilfebedürftigkeit und im Interesse einer einheitlichen Aufenthaltsbeendigung von Mutter und Kind geboten.

3

Gegen den am 2. Juni 1988 zugestellten Bescheid legte der Antragsteller am 1. Juli 1988 bei der Antragsgegnerin Widerspruch ein und beantragte unter dem 23. November 1988 beim Verwaltungsgericht die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Zur Begründung machte er geltend, der Bescheid sei ermessensfehlerhaft, da in ihm die besonderen Rechte eines Staatenlosen nicht ausreichend berücksichtigt würden. Wegen Sozialhilfebedürftigkeit dürfe einem Staatenlosen der weitere Aufenthalt nicht versagt werden. Eine Sozialhilfebedürftigkeit im eigentlichen Sinne liege ohnehin nicht vor, da er lediglich Leistungen nach dem Unterhaltsvorschußgesetz für seinen derzeit nicht zahlungsfähigen Vater beziehe. Darüber hinaus habe die Antragsgegnerin verkannt, daß ihn nach drei Jahren rechtmäßigen Aufenthaltes die Möglichkeit des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit zuwachse. Schließlich sei auch nicht berücksichtigt worden, daß er regelmäßig von seinem Vater besucht werde und hier integriert sei.

4

Das Verwaltungsgericht hat durch Beschluß vom 20. Januar 1989 dem Antrag aus folgenden Gründen entsprochen: Nach dem bisherigen Erkenntnisstand sei davon auszugehen, daß der Antragsteller Staatenloser ist. Durch die Entscheidung der Antragsgegnerin werde die Rechtsstellung des Antragstellers als Staatenloser mißachtet. Da sich der Antragsteller erlaubnisfrei und damit rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufhalte, käme eine Aufenthaltsbeendigung mit Blick auf Art. 31 des Staaterlosenübereinkommens nur dann in Betracht, wenn der Antragsteller gegen die Staatssicherheit oder die öffentliche Ordnung verstieße. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift seien offensichtlich nicht erfüllt. Bei dieser Sachlage könne dahinstehen, ob die angefochtene Maßnahme auch deshalb rechtswidrig sei, weil durch die Versagung des weiteren rechtmäßigen Aufenthaltes das Einbürgerungsbegehren des Antragstellers verhindert werde.

5

Gegen diesen Beschluß hat die Antragsgegnerin fristgerecht Beschwerde erhoben. Das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß der Aufenthalt des Antragstellers nicht habe befristet werden dürfen. Dabei könne dahinstehen, ob der Antragsteller die indische Staatsbürgerschaft - nicht etwa dadurch erworben habe, daß er in den Reisepaß seiner Mutter eingetragen worden sei. In jedem Fall stünden die Vorschriften des Staatenlosenübereinkommens der erlassenen Aufenthaltsbeschränkung nicht entgegen. Es sei nicht zu beanstanden, wenn eine Ausländerbehörde die Voraussetzungen zur Ausreise eines Kindes mit seiner Mutter in deren Heimatland schaffe. Der deutsche Vater des Antragstellers lebe weder mit ihm in Haushaltsgemeinschaft noch trage er in irgendeiner Weise zum Unterhalt bei.

6

Die Antragsgegnerin beantragt,

den angefochtenen Beschluß des Verwaltungsgerichts vom 20. Januar 1989 aufzuheben und den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zurückzuweisen.

7

Der Antragsteller beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

8

Er tritt dem Beschwerdevorbringen im einzelnen entgegen.

9

Ein unter dem 3. Juni 1988 gestellter Antrag auf Einbürgerung wurde durch Bescheid der Antragsgegnerin vom 13. Oktober mit der Begründung abgelehnt, der Antragsteller verfüge nicht über einen dreijährigen rechtmäßigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie die Akte 21 M 76/89 Bezug genommen.

11

Die Beschwerde der Antragsgegnerin hat keinen Erfolg.

12

Das Verwaltungsgericht hat dem Antragsteller den begehrten vorläufigen Rechtsschutz zu Recht zuerkannt. Bei der nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen Abwägung der beiderseitigen Interessen kommt dem Interesse des Antragstellers, bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren in der Bundesrepublik Deutschland bleiben zu können, größeres Gewicht zu als dem Interesse der Antragsgegnerin an der sofortigen Vollziehung der von ihr erlassenen Maßnahme, Denn die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides begegnet - wie das Verwaltungsgericht im Ergebnis richtig erkannt hat - erheblichen Zweifeln.

13

Die von der Antragsgegnerin verfügte Aufenthaltsbeschränkung stützt sich auf § 7 Abs. 4 und 5 AuslG. Danach kann der Aufenthalt eines Ausländers, der, wie der Antragsteller, keiner Aufenthaltserlaubnis bedarf (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 AuslG), zeitlich beschränkt werden. Die Entscheidung steht im Ermessen der Ausländerbehörde. Durch die gesetzliche Ermächtigung soll der Ausländerbehörde die Möglichkeit gegeben werden, nachträglich eingetretenen oder bekanntgewordenen Umständen angemessen Rechnung zu tragen. Die zeitliche Beschränkung muß aufenthaltsrechtlich erheblichen Zwecken dienen, wie sie bei der Anwendung des die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis regelnden § 2 Abs. 1 S. 2 AuslG verfolgt werden dürfen. Das Ermessen wird durch die auch für § 2 Abs. 1 S. 2 AuslG geltenden Schranken begrenzt, insbesondere durch die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes sowie durch die Grundrechte (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.03.1982 - 1 C 20.81 - BVerwGE 65, 174, 176[BVerwG 23.03.1982 - 1 C 20/81]; Hailbronner, Ausländerrecht, 2. Auflage, Randnr. 232 ff.).

14

Die von der Antragsgegnerin getroffene Ermessensentscheidung wird diesen Anforderungen nicht gerecht. Dem Senat erscheint es allerdings fraglich, ob die Annahme des Verwaltungsgerichts zutrifft, die Aufenthaltsbeschränkung stehe nicht im Einklang mit den Regelungen des Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen. Dabei geht der Senat mit dem Verwaltungsgericht davon aus, daß der Antragsteller nach dem bisherigen Erkenntnisstand als Staatenloser anzusehen ist. Auch dem im Beschwerdeverfahren eingereichten Schreiben des indischen Generalkonsulats in Hamburg von 10. März 1989 läßt sich lediglich entnehmen, daß das Generalkonsulat die Möglichkeit der Einbürgerung des Antragstellers sieht, nicht aber, daß er die indische Staatsbürgerschaft bereits besitzt (vgl. Bl. 44 f. der Gerichtsakten). Anders als das Verwaltungsgericht vermag der Senat jedoch nicht festzustellen, daß die ausländerbehördliche Entscheidung allein deshalb rechtswidrig ist, weil sie gegen die Vorschrift des Art. 31 des Staatenlosenübereinkommens verstößt. Zwar begründet Art. 31 des Staatenlosenübereinkommens einen erhöhten Ausweisungsschutz; er kann nach Ansicht des Senats freilich nach dahingehend interpretiert werden, daß die Aufenthaltsbeendigung eines staatenlosen Ausländers allein unter den Voraussetzungen dieser Norm erfolgen darf. Die Regelungen des Staatenlosenübereinkommens über den Aufenthalt stehen grundsätzlich unter dem Vorbehalt des innerstaatlichen Rechts (vgl. Art. 26 des Staatenlosenübereinkommens). Von daher ist es nur folgerichtig, daß auch die innerstaatlichen Vorschriften über die Aufenthaltsbeendigung nicht etwa durch Art. 31 des Staatenlosenübereinkommens verdrängt, sondern gleichrangig neben ihm bestehenbleiben. Bei summarischer Prüfung neigt der Senat daher der Auffassung zu, daß Art. 31 des Staatenlosenübereinkommens keineswegs eine abschließende Regelung für alle Fälle der Aufenthaltsbeendigung eines Staatenlosen vorsieht, vielmehr lediglich eine ermessensbindende Spezialregelung für den Fall der Ausweisung enthält (vgl. dazu auch VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 07.12.1987 - 1 S 1321/86, InfAuslR 88, 129, 130; im Ergebnis wie hier wohl auch Kloesel/Christ, Deutsches Ausländerrecht, Stand März 1989, B 1.8, Art. 26 Anm. 3; Huber, Ausländer- und Asylrecht, Randnr. 428).

15

Für den konkreten Fall würde dies bedeuten, daß auch bei einem erlaubnisfreien Aufenthalt eines staatenlosen Kindes eine aufenthaltsbeendende Maßnahme grundsätzlich dann in Betracht kommt, wenn der Aufenthalt seiner Eltern beendet wird. Eine abschließende Entscheidung dieser Frage kann hier jedoch dahinstehen. Denn nach Ansicht des Senats hat die Antragsgegnerin jedenfalls das ihr in § 7 Abs. 4 AuslG eingeräumte Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt.

16

Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit einer Ermessensentscheidung ist, daß die Behörde den Sachverhalt ausreichend ermittelt, alle wesentlichen Gesichtspunkte, die für und wider die zu treffende Maßnahme sprechen, berücksichtigt und diese Gesichtspunkte bei der vorzunehmenden Abwägung wertend gegenüberstellt. Hier hat die Antragsgegnerin bei der Auseinandersetzung mit den gegen die Aufenthaltsbeschränkung sprechenden Belangen des Antragstellers unberücksichtigt gelassen, daß durch die Versagung des weiteren Aufenthaltes ein unmittelbar bevorstehender Einbürgerungsanspruch des Antragstellers verhindert worden ist.

17

Es bedarf keiner Entscheidung, ob ein laufendes Einbürgerungsverfahren grundsätzlich von der Ausländerbehörde in einem aufenthaltsrechtlichen Verfahren zu berücksichtigen ist (vgl. Kanein, AuslR, 4. Aufl., § 2 Randnr. 170; OVG Bremen, Urt. v. 22.04.1975 - I B A 32/74 -, VerwRspr. 27, S. 59 ff.). Der Senat ist der Überzeugung, daß jedenfalls im konkreten Fall das Einbürgerungsbegehren des Antragstellers ermessensbindende Wirkung entfaltet. Anders als im Normalfall, in dem ein Ausländer lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Einbürgerungsantrag hat (vgl. § 8 RuStAG), verfügt das nichteheliche Kind eines deutschen Vaters unter den erleichterten Voraussetzungen des § 10 RuStAG über einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung. Die Vorschrift setzt voraus, daß eine nach deutschen Gesetzen wirksame Feststellung der Vaterschaft erfolgt ist, das Kind seit drei Jahren rechtmäßig seinen dauernden Aufenthalt im Inland hat und der Antrag vor der Vollendung des 23. Lebensjahres gestellt wird. Wie der im Einbürgerungsverfahren unter dem 13. Oktober 1988 erlassene Bescheid bestätigt, fehlt es im Fall des Antragstellers lediglich an dem noch nicht dreijährigen rechtmäßigen Aufenthalt in der Bundesrepublik. Diese Voraussetzung wäre allerdings alsbald nach Erlaß des ausländerbehördlichen Bescheides vom 30. Mai 1988 erfüllt gewesen. Da der Aufenthalt in diesem Bescheid auf den 10. Juni 1988 befristet wurde und der Antragsteller am 26. Juni 1988 drei Jahre alt geworden ist, fehlte zur Erfüllung der Wartezeit lediglich ein Zeitraum von 16 Tagen. Bei dieser Sachlage hätte sich die Antragsgegnerin bei der Ermessensabwägung eingehend damit auseinandersetzen müssen, ob nicht durch eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gerade zu dieser Zeit in unverhältnismäßiger Weise in die Rechtstellung des Antragstellers eingegriffen wird.

18

Der Senat verkennt keineswegs, daß es gerade im Ausländerrecht Fälle gibt, in denen es gerechtfertigt ist, durch ausländerbehördliche Maßnahmen die Entstehung solcher Rechtspositionen zu verhindern, die durch bloßen Zeitablauf eintreten. Daß derartige Überlegungen hier allerdings nicht Platz greifen können, wird an der Entstehungsgeschichte und dem Sinn und Zweck des § 10 RuStAG deutlich. Die gegenwärtige Fassung des § 10 RuStAG ist am 6. Juli 1977 in Kraft getreten. Mit der Neuformulierung des Gesetzes sollte den Anforderungen Rechnung getragen werden, die sich aus dem Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu dem Übereinkommen vom 30. August 1961 zur Vermeidung der Staatenlosigkeit (BGBl. 1977 II, S. 597) und zu dem Übereinkommen vom 13. September 1973 zur Verringerung der Fälle von Staatenlosigkeit ergaben (vgl. das Gesetz zur Verminderung der Staatenlosigkeit vom 29.06.1977, BGBl. 1977 I S. 1101; ferner Makarov/von Mangoldt, Deutsches Staatenangehörigkeitsrecht, Stand November 1987, § 10 Randnr. 2 f.). Wenn aber der Sinn und Zweck des Einbürgerungsprivilegs nach § 10 RuStAG (auch) dahin geht, die völkerrechtlich übernommene Verpflichtung zur Reduzierung der Zahl der Staatenlosen in innerstaatliches Recht umzusetzen, dann darf diese Zielsetzung des Gesetzgebers nicht dadurch unterlaufen werden, daß die Ausländerbehörde den Aufenthalt eines nach § 10 RuStAG Begünstigten kurz vor Ablauf der Wartezeit beendet. Das Gewicht eines kurz vor der Entstehung befindlichen Einbürgerungsanspruchs gebietet es vielmehr, daß die Ausländerbehörde im Regelfall von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen "zur Unzeit" Abstand nimmt. Denn ohne den fortwährenden, rechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet ist eine Einbürgerung ausgeschlossen (vgl. Makarov/von Mangoldt, a.a.O.., § 10 Randnr. 28).

19

Die Antragsgegnerin kann sich auch nicht darauf berufen, ihr sei mangels hinreichender Sachkenntnis oder aus sonstigen Gründen eine frühere Entscheidung über den weiteren Aufenthalt des Antragstellers nicht möglich gewesen. Ausweislich der Verwaltungsvorgänge ist der Antragsgegnerin die Nichtehelichkeit des Antragstellers seit dem 1. Dezember 1986 bekannt. Auch von der Ehescheidung der Mutter des Antragstellers hatte die Antragsgegnerin zu diesem Zeitpunkt Kenntnis. Die von der Antragsgegnerin angestellten Ermittlungen, inwieweit eine familiäre Beziehung zwischen dem Antragsteller und seinem Vater besteht, waren im März 1987 abgeschlossen. Aufgrund des Schreibens des indischen Generalkonsulats vom 6. Oktober 1987 war ihr bekannt, daß einer Einreise des Antragstellers in Indien keine Hindernisse im Wege standen.

20

Spätestens zu diesem Zeitpunkt stand einer Entscheidung nach § 7 Abs. 4 und 5 AuslG nichts mehr im Wege. Es ist kein zureichender Grund erkennbar, der ein Hinauszögern der ausländerbehördlichen Entscheidung bis zum Mai 1988 hätte rechtfertigen können.

21

Da weder der angefochtene Bescheid noch die Verwaltungsvorgänge eine auf § 10 RuStAG bezogene Ermessensabwägung erkennen lassen, ist der Bescheid wegen eines Ermessensdefizits fehlerhaft und daher im Hauptsacheverfahren aller Voraussicht nach aufzuheben (§ 114 VwGO).

22

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Streitwertbeschluss:

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Der Streitwert für die Beschwerdeinstanz wird auf 6.000,00 DM festgesetzt.

Die Streitwertentscheidung beruht auf §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 2 VwGO.

Czajka
Willikonsky
van Nieuwland