Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 13.11.2017, Az.: 6 B 119/17
Einstellung des Asylverfahrens; Ersatzzustellung; Ladung; Nichtbetreiben; Rechtsanwälte in Bürogemeinschaft; Zustellung
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 13.11.2017
- Aktenzeichen
- 6 B 119/17
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2017, 54001
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 178 Abs 1 Nr 2 ZPO
- § 33 Abs 4 AsylVfG
- § 33 Abs 2 Nr 1 AsylVfG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Ist der rechtsanwaltliche Verfahrensbevollmächtigte eines Asylbewerbers in Bürogemeinschaft mit einem weiteren Rechtsanwalt tätig, wirken Ersatzzustellungen an diesen weiteren Rechtsanwalt gemäß § 3 Abs. 2 VwZG i.V.m. § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO unbeschadet des Bestehens etwaiger Empfangsvollmachten/Entgegennahmebefugnisse im Innenverhältnis der Rechtsanwälte für und gegen den Asylbewerber.
Gründe
I.
Der Antragsteller, sudanesischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen die Einstellung seines Asylverfahrens durch die Antragsgegnerin.
Der Antragsteller stellte am 13. Juni 2016 bei der Antragsgegnerin einen Asylantrag. Im Rahmen der Aufnahme seines Antrages wurde er gegen Empfangsbekenntnis schriftlich sowohl auf Deutsch als auch auf Arabisch unter anderem nachdrücklich dazu aufgefordert, den Termin zur persönlichen Anhörung wahrzunehmen. Es könne „nachteilige Folgen haben […] (Einstellung des Verfahrens bzw. Entscheidung ohne persönliche Anhörung)“, wenn er den Termin nicht wahrnehme. Sowohl auf dem deutsch- als auch auf dem arabischsprachigen Dokument findet sich ein Abdruck unter anderem des Gesetzestextes des § 33 Abs. 1, Abs. 3 AsylG, jeweils in deutscher Sprache.
Nach Erlass eines unter anderem die Unzulässigkeit des Asylantrages des Antragstellers feststellenden und die Abschiebung des Antragstellers nach Italien anordnenden Bescheides unter dem 4. Januar 2017 erhob der Antragsteller vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg durch seinen nunmehrigen Prozessbevollmächtigten gegen diesen Bescheid Klage (Az. 8 A 62/17) und führte, nachdem der Bescheid durch Urteil vom 12. April 2017 aufgehoben worden war, Korrespondenz mit der Antragsgegnerin.
Unter dem 25. Juli 2017 versandte die Antragsgegnerin per Postzustellungsurkunde eine Ladung des Antragstellers zur persönlichen Anhörung am 1. September 2017 an den Prozessbevollmächtigten des Antragstellers. Das Schreiben enthielt folgende Belehrung:
„Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass der Asylantrag nach § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG als zurückgenommen gilt, wenn Ihre Mandantschaft zu diesem Termin nicht erscheint. Dies gilt nicht, wenn sie unverzüglich nachweist, dass ihr Nichterscheinen auf Hinderungsgründe zurückzuführen war, auf die sie keinen Einfluss hatte. Im Falle einer Verhinderung durch Krankheit muss Ihre Mandantschaft unverzüglich die Reise- und/oder Verhandlungsunfähigkeit durch ein ärztliches Attest nachweisen, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt nicht. Wenn sie bei der Krankenkasse als arbeitsunfähig gemeldet ist, muss sie dieser die Ladung zum Termin unverzüglich mitteilen.
Wenn dem Bundesamt kein Nachweis über die Hinderungsgründe vorliegt, entscheidet das Bundesamt ohne weitere Anhörung nach Aktenlage, ob Abschiebungsverbote vorliegen.“
Das Schreiben wurde ausweislich der Postzustellungsurkunde am 26. Juli 2017 der in Bürogemeinschaft mit dem Prozessbevollmächtigten tätigen Rechtsanwältin X. persönlich übergeben. Zur Anhörung erschien der Antragsteller nicht.
Mit Bescheid vom 18. September 2017 stellte die Antragsgegnerin fest, dass der Asylantrag des Antragstellers als zurückgenommen gelte und stellte das Asylverfahren ein (Ziffer 1 des Bescheides), traf ferner die Feststellung, dass Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5, Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 2 des Bescheides), forderte den Antragsteller auf, die Bundesrepublik innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides zu verlassen und drohte dem Antragsteller die Abschiebung in den Sudan an (Ziffer 3 des Bescheides) und befristete überdies das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4 des Bescheides). Auf die Gründe des Bescheides wird verwiesen.
Gegen diesen ausweislich eines Vermerks der Antragsgegnerin am 18. September 2017 als Einschreiben zur Post gegebenen Bescheid hat der Antragsteller am 5. Oktober 2017 Klage erhoben (6 A 584/17), über die noch nicht entschieden ist, und um den hier streitgegenständlichen einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Er nimmt auf den Inhalt der Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin Bezug und führt aus, es sei zweifelhaft, ob Frau Rechtsanwältin X. die in Rede stehende Ladung wirksam habe entgegennehmen und quittieren können. Die vom Antragsteller ausgestellte Vollmacht gelte ausschließlich für ihn, den Prozessbevollmächtigten. Auch aus dem von ihm verwendeten Briefkopf ergebe sich, dass er mit Frau Rechtsanwältin X. lediglich in Bürogemeinschaft tätig sei. Eine interne Bevollmächtigung zur Entgegennahme förmlicher Zustellungen liege nicht vor. Weiter sei zweifelhaft, ob der Hinweis der Antragsgegnerin auf § 33 Abs. 2 Nr. 1 AsylG genüge, da diese Vorschrift keine Rücknahmefiktion enthalte. Die Rücknahmefiktion finde sich in § 33 Abs. 1 AsylG.
II.
Der nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO i.V.m. § 75 AsylG zulässige Antrag ist unbegründet. Das öffentliche Interesse an einer Vollziehung des angefochtenen Bescheides überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers.
Das Gericht kann gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO in den Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 3 VwGO die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs oder einer Anfechtungsklage anordnen. Bei dieser vom Gericht zu treffenden Entscheidung sind die einander widerstreitenden beiderseitigen Interessen gegeneinander abzuwägen. Im Rahmen der Abwägung kommt dem voraussichtlichen Ausgang des Hauptsacheverfahrens besondere Bedeutung zu. Je größer die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren, desto geringer sind die an das Aussetzungsinteresse des Antragstellers zu stellenden Anforderungen. Demgemäß kommt dem öffentlichen Interesse ein umso geringeres Gewicht zu, je größer die Wahrscheinlichkeit ist, dass der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig ist, weil ein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung eines voraussichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes nicht besteht (vgl. Kopp/Schenke, VwGO Kommentar, 23. Aufl. 2017, § 80, Rn. 158 ff. m.w.N.).
Bei Zugrundelegung dieses Maßstabes überwiegt das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung, denn die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage wird voraussichtlich ohne Erfolg bleiben. Der angefochtene Bescheid ist nach der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als rechtmäßig anzusehen. Ein Asylantrag gilt als zurückgenommen, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt, wobei das Nichtbetreiben vermutet wird, wenn er einer Aufforderung zur Anhörung gemäß § 25 AsylG nicht nachgekommen ist (§ 33 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 AsylG). Die Vermutung greift jedoch nicht, wenn der Ausländer unverzüglich nachweist, dass das Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte (§ 33 Abs. 2 Satz 2 AsylG). Im vorliegenden Fall erschien der Antragsteller trotz Ladung nicht zur Anhörung und entschuldigte seine Abwesenheit auch nicht, weshalb eine Vermutung für das Nichtbetreiben besteht.
Die Ladung zur Anhörung erfolgte, was Voraussetzung für die Vermutung des Nichtbetreibens ist (vgl. GK-AsylG, Stand Juni 2017, § 33, Rn. 51 f.), auch ordnungsgemäß. Die vorgenommene Ersatzzustellung an eine in den Geschäftsräumen des Adressaten beschäftigte Person gemäß § 3 Abs. 2 VwZG i.V.m. § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO ist nicht zu beanstanden. § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO gestattet, wenn der eigentliche Adressat in seinem Geschäftsraum nicht angetroffen wird, in den Geschäftsräumen eine Zustellung an dort beschäftigte Personen. Beschäftigte in diesem Sinne ist Frau Rechtsanwältin X.. Die Möglichkeit der Ersatzzustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 2 ZPO findet ihre Rechtfertigung in dem mit der Beschäftigung in den Geschäftsräumen für einen objektiven Betrachter bestehenden Vertrauensverhältnis, das die Erwartung mit sich bringt, die Weitergabe der zuzustellenden Sendung werde verlässlich gewährleistet (vgl. Stöber, in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 178, Rn. 18). Das Abstellen auf dieses Vertrauensverhältnis und der sich daraus ergebenden Erwartung einer verlässlichen Weitergabe bedingt, dass eine beschäftigte Person im Sinne der Vorschrift keine dem eigentlichen Adressaten hierarchisch untergeordnete Person – kein „Gehilfe“ – sein muss (a.A. Stöber, in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 178, Rn. 18 allein unter Hinweis auf die aufgrund des Wandels der gesellschaftlichen Anschauungen überholte Entscheidung des OLG München, Urt. v. 05.04.1906, III. ZS, OLGZ 1915, 104). Aus dem gleichen Grunde kommt es auch nicht auf die rechtlichen Beziehungen und internen Regelungen zwischen dem eigentlichen Adressaten und der beschäftigten Person, sondern allein auf die tatsächlichen Verhältnisse, wie sie sich nach außen darstellen, an (vgl. FG Hamburg, Urt. v. 30.01.2004 - III 320/03 -, juris, Rn. 88 f. m.w.N.).
Der Antragsteller wurde im Zuge der förmlichen Antragstellung auch ordnungsgemäß über die Folgen eines unentschuldigten Nichterscheinens zum Termin zur persönlichen Anhörung belehrt. Das nunmehr überarbeitete Belehrungsformular der Antragsgegnerin genügt den Anforderungen des § 33 Abs. 4 AsylG. Zwar stimmt die Belehrung durch die Antragsgegnerin dahingehend, dass ein Nichterscheinen die Einstellung des Asylverfahrens zur Folge haben könne, nicht vollkommen mit der in § 33 Abs. 4 AsylG formulierten Pflicht zur Belehrung über die Rechtsfolgen nach § 33 Abs. 1 und Abs. 3 AsylG überein: § 33 Abs. 1 AsylG regelt nicht, dass Folge eines Nichterscheinens zur persönlichen Anhörung die Einstellung des Verfahrens ist, sondern dass ein Asylantrag als zurückgenommen gilt, wenn der Ausländer das Verfahren nicht betreibt. Diese Ungenauigkeit ist indes unschädlich. Denn Zweck des § 33 Abs. 4 AsylG ist nicht die Darlegung der gesetzlichen Konstruktionsdetails einer auf einer Rücknahmefiktion beruhenden Verfahrenseinstellung; die Norm soll vielmehr sicherstellen, dass durch eine vorherige Warnung vor den Folgen des Nichterscheinens zur persönlichen Anhörung dem Grundsatz des fairen Verfahrens genügt wird. Diese Warnfunktion erfüllt die von der Antragsgegnerin vorgenommene Belehrung, die im Ergebnis zutreffend ist – das unentschuldigte Nichterscheinen zur persönlichen Anhörung führt zur Vermutung des Nichtbetreibens des Verfahrens (§ 33 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2. Hs. AsylG), das Nichtbetreiben des Verfahrens wiederum hat gemäß § 33 Abs. 1 AsylG eine Fiktion der Rücknahme des Asylantrages zur Folge, die ihrerseits eine Einstellung des Asylverfahrens gebietet (§ 33 Abs. 5 Satz 1 AsylG). Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass der Text des § 33 Abs. 1, Abs. 3 AsylG auch in der arabischsprachigen Belehrung in deutscher Sprache abgedruckt ist. Zwar ist eine Belehrung nach § 33 Abs. 4 AsylG über den Wortlaut der Norm hinaus nur dann ordnungsgemäß, wenn sie in einer für den Ausländer verständlichen Sprache erfolgt ist (vgl. Art. 12 Abs. 1 lit. a RL 2013/32/EU); jedenfalls mit Blick auf den hier maßgeblichen § 33 Abs. 1 AsylG ist die Belehrung aber bereits im Fließtext, der dem Abdruck des Gesetzestextes vorausgeht, enthalten. Insoweit bedürfte es des Abdruckes des Gesetzestextes nicht – weder in deutscher noch in arabischer Sprache.
Gegen die Entscheidungen der Antragsgegnerin zu den Ziffern 2-4 des angefochtenen Bescheides bestehen keine rechtlichen Bedenken; solche sind auch nicht vorgetragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG.
Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.