Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 14.11.2017, Az.: 4 A 531/17

Anfechtung; ausländerrechtliche Verpflichtungserklärung; Wirksamkeit; Zuerkennung Flüchtlingseigenschaft

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
14.11.2017
Aktenzeichen
4 A 531/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 53659
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

Der Kläger wehrt sich gegen die Inanspruchnahme aus einer ausländerrechtlichen Verpflichtungserklärung.

Mit schriftlicher Erklärung vom 11.08.2014 verpflichtete sich der Kläger gegenüber der Ausländerbehörde des Landkreises Uelzen, die Kosten für Leistungen zum Lebensunterhalt für die syrischen Staatsangehörigen G. H. (geb. I..1973), J. H. (geb. K..1990), L. H. (geb. M..1992) und N. H. (geb. O..1995) zu übernehmen. Zur Dauer der Verpflichtung heißt es in dem verwendeten Formular, dass sich der Erklärende verpflichtet, „vom Tag der voraussichtlichen Einreise am (im Formular offen gelassen) bis zur Beendigung des Aufenthalts  (…) oder bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck nach § 68 des Aufenthaltsgesetzes die Kosten für den Lebensunterhalt und nach nach §§ 66 und 67 des Aufenthaltsgesetzes die Kosten für die Ausreise (…) zu tragen. Sodann folgt eine genaue Erläuterung, welche Kosten anfallen können bzw. zu erstatten sind.

G., J., L. und N. H. reisten am 19.09.2014 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie erhielten zunächst eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären/politischen Gründen nach § 23 Abs. 2 AufenthG. Mit Bescheid vom 03.12.2014 wurde den Vorgenannten vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Ihnen wurde sodann am 07.12.2014 jeweils eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG erteilt.

Der Beklagte gewährte G. H. Regelleistungen nach dem SGB II, Kosten für Unterkunft und Heizung sowie Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung. Mit Bescheid vom 03.03.2016 forderte der Beklagte von dem Kläger die Erstattung von 11.133,89 € betreffend G. H. für verauslagte Kosten zum Lebensunterhalt im Zeitraum vom 05.01.2015 bis 31.03.2016. Den gegen diesen Bescheid eingelegten Widerspruch des Klägers wies der Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 07.04.2016 zurück.

Der Kläger erhob am 09.05.2016 Klage zum Verwaltungsgericht.

Der Kläger vertritt die Ansicht, die Wirksamkeit der Verpflichtungserklärung sei mit Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft erloschen, weil der ursprüngliche Aufenthaltszweck nunmehr durch einen anderen ersetzt worden sei. Die Ausländerbehörde habe ihm außerdem mündlich mitgeteilt, dass die Verpflichtungserklärung erlösche, sobald den Begünstigten Flüchtlingsstatus zuerkannt würde. Darauf habe er vertraut und die Verpflichtungserklärung abgegeben. Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 23.05.2017 erklärte der Kläger im Rahmen des Klageverfahrens, dass er die Verpflichtungserklärung „wegen Irrtums“ anfechte.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 03.03.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.04.2016 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte tritt der Auffassung des Klägers entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht war nach §101 Abs. 2 VwGO befugt ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, denn die Beteiligten haben hierauf schriftlich verzichtet (vgl. Bl. 28, 21 d.A.).

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der streitbefangene Bescheid des Beklagten, mit welchen der Kläger zur Erstattung von 11.133,89 € herangezogen wird, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).

Der Beklagte kann von dem Kläger die Erstattung der von ihm aus öffentlichen Mitteln für G. H. verauslagten Leistungen auf Grundlage der Verpflichtungserklärung vom 11.08.2014 nach § 68 AufenthG, in der vor dem 06.08.2016 geltenden Fassung, verlangen. Die Verpflichtungserklärung bedarf der Schriftform und ist nach Maßgabe des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes vollstreckbar (§ 68 Abs. 2 S. 1 AufenthG), welches die Befugnis mit einschließt, die Erstattungsforderung per Verwaltungsakt – wie vorliegend geschehen – festzusetzen (BVerwG, Urteil vom 13.02.2014, 1 C 4.13, veröffentlicht in JURIS). Der Erstattungsanspruch steht dabei derjenigen öffentlichen Stelle zu, die die öffentlichen Mittel aufgewendet hat. Nach § 68a AufenthG, in der seit dem 06.08.2016 geltenden Fassung, ist zudem bestimmt, dass für vor dem 06.08.2016 abgegebene Verpflichtungserklärungen der Verpflichtungsgeber nur für einen Zeitraum von 3 Jahren, beginnend ab Einreise des begünstigten Ausländers, zur Erstattung herangezogen werden darf (sog. Haftungs-Höchstdauer für Übergangsfälle).

Die vorstehend genannten Voraussetzungen sind erfüllt.

Es liegt eine formwirksame schriftliche Verpflichtungserklärung vor. Der Beklagte hat die öffentlichen Mittel für G. H. erbracht und ist somit Inhaber des Erstattungsanspruchs. In sachlicher Hinsicht handelt es sich auch um nach dem SGB II erbrachte Sozialleistungen, auf die sich die Verpflichtungserklärung ihrem Inhalt nach erstreckt. Schließlich liegt der Zeitraum der erbrachten Leistungen innerhalb der hier maßgeblichen 3-jährigen Haftungs-Höchstdauer, die erst am 19.09.2017 endete.

Die Verpflichtung ist nicht dadurch erloschen, dass dem begünstigten Ausländer vor dem einschlägigen Leistungszeitraum die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde und am 07.12.2014 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG erteilt worden ist. Der Begünstigte ist mit einem humanitären Visum in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Die nachfolgend erteilte Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2       AufenthG stellt keinen Aufenthaltstitel zu einem anderen Zweck dar (BVerwG, Urteil vom 26.01.2017, 1 C 10/16, veröffentlicht in JURIS; VG Lüneburg, Urteile vom 10.07.2017, 4 A 45/17 und vom 17.10.2017, 4 A 40/17, beide unveröffentlicht).

Die Verpflichtung ist nicht wegen vermeintlicher „Mehrdeutigkeit/Unklarheit“ in Bezug auf den Zeitraum der eingegangenen Verpflichtung unwirksam. Auch ein mangelnder Rechtsbindungswillen des Verpflichtungsgebers ist nicht feststellbar. Die ausländerrechtliche Verpflichtungserklärung stellt einen einseitig verpflichtenden Vertrag zwischen dem Verpflichtungsgeber und der zuständigen Behörde dar; sie ähnelt dem Bürgschaftsvertrag nach § 765 BGB. Wie bei der Bürgschaftsverpflichtung reicht es aus, wenn sich der der Umfang der Schuld, für die sich der verpflichtende erklärt einstehen zu wollen, individuell bestimmbar ist. Die Willenserklärung, die der Verpflichtungsgeber einseitig gegenüber der Behörde abgegeben hat, ist nach den Regeln des Zivilrechts aus Sicht eines objektiven Empfängers auszulegen (§§ 133, 157 BGB). Danach ergibt sich hier unter Heranziehung des Verwaltungsvorgangs und der allgemein bekannten Situation in Syrien, dass der begünstigte G. H. offenkundig aus Furcht vor der in Syrien herrschenden Bürgerkriegssituation und der Furcht vor Verfolgung in die Bundesrepublik einreisen wollte. Dies war auch dem Kläger bekannt, der mit Abgabe der Verpflichtungserklärung seinen eigenen humanitären Beitrag leisten wollte, um dem Begünstigten die Flucht zu ermöglichen. Mit der späteren Flüchtlingsanerkennung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat sich der Aufenthaltszweck - auch aus Sicht des Klägers - nicht geändert, sondern erst Recht bestätigt.

In der schriftlichen Verpflichtungserklärung kommt auch mit keinem Wort zum Ausdruck, dass die Verpflichtung etwa bei Flüchtlingsanerkennung des Begünstigten enden sollte. Soweit der Kläger behauptet hat, die Ausländerbehörde habe ihm dieses angeblich vor Abgabe der Verpflichtungserklärung so mitgeteilt, ist dies unbeachtlich. Aus der Urkunde spricht nämlich der Beweis des ersten Anscheins, dass diese den Willen der Parteien richtig und vollständig wiedergibt. Die unsubstantiierte Pauschalbehauptung des Klägers vermag dies nicht zu erschüttern. Auch aus dem Verwaltungsvorgang ist nicht entnehmen, dass der Beklagte den Kläger (bewusst) insoweit falsch informiert hat. Der Zeitraum der von dem Kläger eingegangenen Verpflichtung war damit – ungeachtet der gesetzlich rückwirkend eingeführten Haftungs-Höchstdauer - objektiv hinreichend bestimmbar. Die demgegenüber abweichende Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Würtemberg (Urteil vom 12.07.2017, 11 S 2338/16, veröffentlicht in JURIS) wird vom Einzelrichter nicht geteilt, denn sie steht nicht mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.) im Einklang. Die in der Entscheidung vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Würtemberg erwogene Heranziehung von Auslegungsgrundsätzen bei der Verwendung von allgemeinen Geschäftsbedingungen geht nach hier vertretener Ansicht an der Sache vorbei, weil die Initiative zur Abgabe einer ausländerrechtlichen Verpflichtungserklärung typischerweise vom Verpflichtungsgeber und nicht der Behörde ausgeht. Zwar mag zur Vereinfachung ein Formular der Behörde Verwendung finden, dieses kann aber aus vorgenanntem Grunde nicht als einseitig vom Verwender gestellt im Sinne der zivilrechtlichen Verbraucherschutzvorschriften werden.

Die Verpflichtung ist nicht durch im Zuge des Prozesses erklärte Anfechtung erloschen.

Eine Anfechtung wegen Inhaltsirrtums nach § 119 BGB analog scheidet aus, weil ein solcher Anfechtungsgrund nicht gegeben ist. Der Kläger hat verbindlich genau das erklärt, was er wollte. Eine inhaltlich versehentlich falsche Erklärung liegt nicht vor.

Eine Anfechtung wegen Täuschung bei Abgabe der Willenserklärung nach § 123 BGB analog kommt nicht in Betracht, weil schon eine der Ausländerbehörde zurechenbare Täuschungshandlung nicht ausreichend dargelegt bzw. aus dem Verwaltungsvorgang heraus erkennbar ist. Auf die obigen Ausführungen zur vermeintlichen Falschinformation wird verwiesen.

Die Heranziehung des Klägers ist auch nicht unverhältnismäßig. Grundsätzlich ist der Staat verpflichtet, Erstattungsansprüche geltend zu machen, es sei denn die Heranziehung wäre im Einzelfall unzumutbar. Aus der Verpflichtungserklärung ergibt sich vorliegend, dass die finanzielle Leistungsfähigkeit nachgewiesen worden ist. Der Kläger selbst hat im Verfahren auch nicht geltend gemacht, dass die aus der Verpflichtungserklärung resultierende monatliche Gesamtbelastung für ihn unter keinen Umständen tragbar ist bzw. seine monatliche Leistungsfähigkeit übersteigt.

Finanzielle Engpässe können letztlich im Einzelfall noch auf Ebene der Vollstreckung berücksichtigt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711  ZPO.

Gründe für die Zulassung der Berufung gemäß § 124 a Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO durch das Verwaltungsgericht liegen nicht vor.