Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 14.11.2017, Az.: 2 A 372/17
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 14.11.2017
- Aktenzeichen
- 2 A 372/17
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2017, 53663
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid der Beklagten, mit dem sein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde.
Der nach eigenen Angaben pakistanische Kläger, vom Volk der Kashmiri und sunnitischer Glaubenszugehörigkeit, reiste 2016 in die Bundesrepublik ein und stellte einen Asylantrag. Bereits zuvor - im Jahr 2014 - hatte er in Griechenland einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Mit Schreiben vom 13. April 2017 teilten die griechischen Behörden der Beklagten mit, dass das Asylverfahren des Klägers im Jahr 2014 in Griechenland negativ bescheiden wurde. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Klägers in Griechenland hatte keinen Erfolg gehabt.
Mit Bescheid vom 3. Juli 2017 wertete die Beklagte das in Deutschland erneut geäußerte Asylbegehren des Klägers als „Zweitantrag“ und lehnte den Antrag des Klägers als unzulässig ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen. Weiter forderte sie den Kläger zur Ausreise innerhalb von einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung auf und drohte ihm die Abschiebung nach Pakistan an. Hinsichtlich der Einzelheiten der Begründung wird auf die Ausführungen im Bescheid Bezug genommen.
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 11. Juli 2017 Klage erhoben. Zur Begründung seiner Klage führt er an, dass die Nichtdurchführung eines Asylverfahrens durch die Beklagte rechtswidrig sei.
Der Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 3. Juli 2017 aufzuheben.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie nimmt auf ihren Bescheid Bezug.
Mit Beschluss vom 31. Juli 2017 hat die Kammer - Einzelrichterin - für das Verfahren im ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe abgelehnt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht kann über die Klage ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Einzelrichterin legt den Antrag des Klägers nach dem Klagebegehren (§ 88 VwGO) dahingehend aus, als er die Aufhebung des gesamten Bescheids vom 3. Juli 2017 begehrt. Obgleich er wörtlich beantragt hatte, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungsverbote vorliegen, so ist aus der Gesamtschau seines Begehrens davon auszugehen, dass er auch die Ziffer 1 des Bescheides - nämlich die Unzulässigkeitsentscheidung - aufgehoben wissen will. Ihm kommt es erkennbar auf die Neubewertung seines - gesamten - Asylbegehrens an. Die Durchführung eines Erstverfahrens ist aber nur dann möglich, wenn Ziffer 1 des Bescheides - über die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO) - beseitigt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 - 1 C 4.16 -, juris).
Die so verstandene Klage des Klägers hat Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 3. Juli 2017 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage des Bescheids vom 3. Juli 2017 sind die §§ 29 Abs. 1 Nr. 5, 71a Abs. 1 AsylG. Nach § 71a Abs. 1 AsylG ist nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Fall eines Asylantrags im Bundesgebiet (Zweitantrag) ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG (Wiederaufgreifen des Verfahrens) vorliegen. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn im Falle eines Zweitantrages nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist.
Die Voraussetzungen für die Einordnung des Asylantrages des Klägers vom 28. Juli 2016 als Zweitantrag im Sinne des § 71a Abs. 1 AsylG liegen nicht vor. § 71a Abs. 1 AsylG verlangt den erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat
i.S.d. § 26a AsylG und Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG. Griechenland ist zwar als Mitgliedstaat der Europäischen Union grundsätzlich als sicherer Drittstaat anzusehen, § 26a Abs. 2 AsylG, Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG, allerdings ist § 71a AsylG dahingehend auszulegen, dass ein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren in einem sicheren Drittstaat nur dann vorliegt, wenn das betreffende Asylverfahren gemäß der Definition des sicheren Drittstaats in Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG in Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten durchgeführt worden ist (vgl. VG München, Urteil vom 26. Oktober 2016 - M 17 K 15.31601 -, juris Rn. 39; VG Aachen, Beschluss vom 4. August 2015 - 8 L 171/15.A -, juris Rn. 9; VG Augsburg, Beschluss vom 8. Dezember 2016 - Au 3 S 16.32229 -, juris Rn. 28; VG Hannover, Beschluss vom 19. Januar 2017 - 11 B 460/17 -, juris Rn. 9; VG Osnabrück, Beschluss vom 1. August 2017 - 5 B 187/17 -, veröffl. n.b.; VG Braunschweig, Urteil vom 23. März 2017 - 5 A 95/17 -, veröfftl. n.b.). Denn das Konzept sicherer Drittstaaten beruht auf dem Gedanken, dass in Deutschland keine Schutzwürdigkeit besitzt, wer in einem sicheren Drittstaat Schutz hätte finden können. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat sich bei der Bestimmung der Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu sicheren Drittstaaten davon leiten lassen, dass in allen Mitgliedstaaten die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention gelten und ferner davon, dass diese Konventionen auf der Grundlage gemeinsamer Grundüberzeugungen im Rahmen der Flüchtlingspolitik prinzipiell auch angewendet werden (BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93 -, juris Rn. 157-160). Die Regelung des Art. 16a Abs. 2 GG über die sicheren Drittstaaten eröffnet vom Wortlaut keine Möglichkeit, diese verfassungsrechtlich verankerte Feststellung bezogen auf den vom Verfassungsgeber generell als sicher eingestuften Mitgliedstaat der Europäischen Union durch individuelles Vorbringen auszuräumen. Bei der Anwendung der Regelungen über die sicheren Drittstaaten gilt nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts allerdings ausnahmsweise dann etwas anderes, wenn besondere Umstände vorliegen, die vom Verfassungs- beziehungsweise Gesetzgeber nicht vorweg im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung berücksichtigt werden konnten, aber gleichwohl der Durchführung eines solchen Konzepts verfassungsrechtliche Grenzen setzen. Nicht umfasst vom Konzept normativer Vergewisserung über einen Schutz für Flüchtlinge durch den sicheren Drittstaat sind danach unter anderem Ausnahmesituationen, in denen der Drittstaat selbst gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK greift und dadurch selbst zum „Verfolgerstaat“ wird (BVerfG a.a.O. Rn. 189). Eine unmenschliche Behandlung, die einen Verstoß gegen Art. 13 EMRK i.V.m. Art. 3 EMRK begründet, kann dabei auch in Mängeln bei der Prüfung des Asylantrags liegen sowie in der Gefahr, dass ein Antragsteller in sein Herkunftsland abgeschoben wird, ohne dass ernsthaft geprüft worden ist, ob sein Asylantrag begründet ist, und ohne dass er einen wirksamen Rechtsbehelf einlegen konnte (EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 - 30696/09 - M.S.S. v. Belgium and Greece Rn. 321; vgl. auch EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/10, C-411/10, C-493/10 -, juris). Voraussetzung der Einordnung eines Staates als sicherer Drittstaat ist unter dem Gesichtspunkt von Verstößen gegen Art. 3 EMRK damit insbesondere, dass in dem betreffenden Mitgliedstaat keine sog. systemischen Mängel des Asylverfahrens gegeben sind, aufgrund derer der Asylbewerber Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 18. Februar 2016 - 1 A 11081/14 -, juris Rn. 23; insgesamt VG Hannover, Beschluss vom 19. Januar 2017 - 11 B 460/17 -; VG Osnabrück. Beschluss vom 1. August 2017 - 5 B 187/17 - veröffl. n.b.). |
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