Landgericht Verden
Beschl. v. 16.09.2009, Az.: 6 T 146/09
Rechtsnatur des Anspruchs auf Feststellung des Rechtsgrundes einer in der Höhe unstreitigen Forderung i.R.e. Insolvenzverfahrens
Bibliographie
- Gericht
- LG Verden
- Datum
- 16.09.2009
- Aktenzeichen
- 6 T 146/09
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 34140
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGVERDN:2009:0916.6T146.09.0A
Rechtsgrundlagen
- § 823 BGB
- § 25 Abs. 1 SGB IV
- § 266a Abs. 1 StGB
Fundstellen
- NZI 2009, 775-776
- NZS 2010, 527-528
In der Beschwerdesache
...
hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Verden
am 16.09.2009
durch
den Richter Graf Grote als Einzelrichter
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde der Klägerin vom 01.09.2009 wird der Beschluss des Amtsgerichts Stolzenau vom 17.08.2009 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten der Beschwerde - an das Amtsgericht Stolzenau zurückverwiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Der Beschwerdewert wird auf bis zu 300 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Die Klägerin erhob Klage gegen den Beklagten, um feststellen zu lassen, dass die im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Beklagten, 15 IN 359/06 Amtsgericht Syke, angemeldeten Forderungen in Höhe von 515,83 EUR durch eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung begründet sind. Aus diesem Rechtsgrund hatte die Klägerin die Forderung auch zur Tabelle angemeldet, der Beklagte hatte jedoch Widerspruch dagegen eingelegt.
Das Amtsgericht wies darauf hin, dass der gewählte Rechtsweg nach seiner Ansicht wohl unzutreffend sei, die Klägerin trat dem entgegen. Das Amtsgericht erklärte den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten mit Beschluss vom 17.08.2009 für unzulässig und verwies den Rechtsstreit an das Sozialgericht Hannover.
Der Beschluss wurde der Klägerin am 20.08.2009 zugestellt. Mit Schreiben vom 01.09.2009 - per Fax vorab am selben Tage bei Gericht eingegangen - legte sie hiergegen sofortige Beschwerde ein.
II.
Die sofortige Beschwerde ist statthaft, § 17 a Abs. 4 S. 3 i.V.m. § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, und auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt, § 569 Abs. 1 S. 1 ZPO.
Sie ist auch begründet und führt zur Zurückweisung an das zuständige Amtsgericht.
Maßgebend für den Rechtsweg ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. BGH NJW 1984,1622 ff. [BGH 16.02.1984 - IX ZR 45/83]; 1978, 2091 ff., jeweils mit weiteren Nachweisen) die Rechtsnatur des erhobenen Anspruchs, wie sie sich aus dem tatsächlichen Vorbringen der klagenden Partei ergibt. Grundlage der Entscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs ist der Sachvortrag des Klägers (vgl. BGHZ 72, 56, 57 m.w.N.), da er über den Streitgegenstand bestimmt. Stellt sich der Klageanspruch nach der vom Kläger gegebenen tatsächlichen Begründung als Folge eines Sachverhalts dar, der nach bürgerlichem Recht zu beurteilen ist, so ist der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet (vgl. BGH a.a.O.).
Der Anspruch auf Feststellung des Rechtsgrundes der in ihrer Höhe unstreitigen Forderung ist nicht etwa, wie das Amtsgericht zu meinen scheint, ein lediglich in das Gewand eines bürgerlich-rechtlichen Schadensersatzanspruches eingekleideter Anspruch auf Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen, er ist vielmehr seiner Natur nach dem bürgerlichen Recht zugeordnet. Es geht nicht um die Höhe der zu zahlenden Beiträge sondern um die Voraussetzungen, nach denen die Forderung in der Insolvenztabelle als aus dem Rechtsgrund der vorsätzlichen unerlaubten Handlung begangen festgestellt werden kann. Hierfür ist es auch entscheidend, welche Voraussetzungen § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV und §§ 823 BGB i.V.m. § 266 a StGB haben und was ihre Rechtsfolgen bzw. ihr Zweck ist. Die Klägerin hat zutreffend darauf hingewiesen, dass diese nicht deckungsgleich sind (vgl. BGH NJW-RR 2003, 966 [BGH 20.03.2003 - III ZR 305/01] - Rn. 10 bei [...].de).
In der Verjährungsvorschrift des § 25 Abs. 1 SGB IV wird zwischen den Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteilen der Sozialversicherungsbeiträge nicht unterschieden. Die Frage, ob fällige Beiträge vorsätzlich oder fahrlässig vorenthalten wurden, hat nur Bedeutung für die Dauer der Verjährung, lässt aber im Übrigen die (alleinige) Verpflichtung des Beitragsschuldners unberührt. Die Regelung erfasst darüber hinaus als Annex etwaige Säumniszuschläge und andere Nebenforderungen, die der dreißigjährigen Verjährungsfrist dann unterliegen, wenn die eigentlichen Beitragsansprüche vorsätzlich vorenthalten wurden (vgl. BSGE 70, 261, 264 [BSG 08.04.1992 - 10 RAr 5/91] = SozR 3-2400 § 25 Nr. 4). Demgegenüber handelt es sich bei § 266a Abs. 1 StGB um eine Strafvorschrift, die als Schutzgesetz im Sinn des § 823 Abs. 2 BGB auch von haftungsrechtlicher Bedeutung ist. Sie erweitert, sofern es sich bei der Beitragsschuldnerin um eine juristische Person handelt, den Kreis der straf- und haftungsrechtlich verantwortlichen Personen, die in Bezug auf die "primäre" Pflicht zur Beitragsentrichtung nicht persönlich angesprochen sind, beschränkt diese Pflichtenstellung jedoch zugleich auf die Arbeitnehmeranteile. Für das Verständnis und die Auslegung der als Unterlassungsdelikt ausgestalteten Strafvorschrift des § 266a Abs. 1 StGB ist wesentlich, dass nicht allein auf die verspätete oder ausgebliebene Zahlung der Arbeitnehmeranteile abzustellen ist, sondern dass als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung hinzutreten muss, dass dem Handlungspflichtigen die Erfüllung seiner gesetzlichen Pflicht möglich und zumutbar ist. Eine unmögliche Leistung darf dem Verpflichteten nicht abverlangt werden. Unmöglichkeit in diesem Sinn liegt insbesondere dann vor, wenn der Handlungspflichtige zahlungsunfähig ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Mai 2002 - 5 StR 16/02 - NJW 2002, 2480, 2481 m.w.N.; BGHZ 134, 304, 307). Dabei ist grundsätzlich eine auf die jeweilige Beitragsfälligkeit bezogene Prüfung anzustellen, wobei für die straf- und haftungsrechtliche Verantwortlichkeit von Bedeutung sein kann, dass der Handlungspflichtige die Zahlungsunfähigkeit zum Fälligkeitszeitpunkt pflichtwidrig herbeigeführt hat, indem er etwa andere Verbindlichkeiten beglichen hat, die nicht den gleichen Rang beanspruchen wie die strafbewehrte Pflicht zur fristgerechten Erfüllung der Arbeitnehmeranteile (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Mai 2002 a.a.O.; BGHZ 134, 304, 308).
Für die Anwendung der Verjährungsregelung des § 25 Abs. 1 SGB IV kommt es hingegen nicht darauf an, dass der Vorsatz hinsichtlich des Vorenthaltens gerade im Zeitpunkt der Fälligkeit des Beitragsanspruchs vorliegt oder ob dem Beitragsschuldner ein pflichtwidriges Verhalten vorzuwerfen ist, das Auswirkungen auf seine Fähigkeit hat, die Beitragsansprüche bei Fälligkeit erfüllen zu können. Das Tatbestandsmerkmal der Fälligkeit ist für die Anwendung der Verjährungsregelung nur insoweit von Bedeutung, als es den Beginn der Verjährungsfrist ("nach Ablauf des Kalenderjahres") festlegt. Im Übrigen hängt die dreißigjährige Verjährungsfrist allein davon ab, dass es sich um "vorsätzlich vorenthaltene Beiträge" handelt. Dementsprechend hat das Bundessozialgericht entschieden, für die Anwendung der langen Verjährungsfrist genüge es, wenn der Vorsatz des Beitragsschuldners spätestens bis zum Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist vorliege (SozR 3-2400 § 25 Nr. 7 S. 33 f).
Vorliegend sind also nach dem Klägervorbringen die von § 25 SGB IV abweichenden Voraussetzungen von §§ 823 BGB i.V.m. § 266a StGB zu prüfen. Hierbei handelt es sich eindeutig um einen Anspruch mit einer Rechtsnatur, welche von der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu prüfen ist.
Dies ergibt auch folgende Kontrollüberlegung:
Sollte das Sozialgericht nicht feststellen können, dass der Beklagte zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Beiträge vorsätzlich handelte, sondern erst innerhalb des normalen Verjährungszeitraumes, sind trotzdem die Voraussetzungen von § 25 SGB IV erfüllt. Weder im Tenor noch in den Gründen würde das Sozialgericht Ausführungen hinsichtlich des Vorsatzes zum Zeitpunkt der Fälligkeit machen. Aufgrund der unterschiedlichen Zielsetzung von § 25 SGB IV und § 823 BGB (s.o.) könnte sich der Beklagte daher zur Frage der Restschuldbefreiung im Insolvenzverfahren weiterhin darauf berufen, dass keine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung zum Zeitpunkt der Zahlungspflicht vorgelegen habe sondern erst (Jahre) später, z.B. nach Erhalt des Insolvenzgutachtens. Die Klägerin könnte dann wohl keine Rechte aus § 302 InsO geltend machen, da § 25 SGB IV kein Schutzgesetz i.S. des § 823 BGB ist, welcher für die Anwendung von § 302 InsO ausschlaggebend ist. Sie wäre dann gezwungen, zusätzlich Feststellungsklage vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu erheben. Der Sozialrechtsweg ist damit im Hinblick auf das Begehren der Klägerin nicht gleich sicher, so dass auch ein Rechtsschutzbedürfnis besteht. Anders wäre es nur, wenn die Höhe der Beiträge oder die Zahlungspflicht allgemein streitig wäre, da der Verwaltungs-/Sozialgerichtsweg dann für die Klägerin einfacher und gleich sicher wäre.
Der Beschluss war daher aufzuheben und die Sache zur Entscheidung an das zuständige Amtsgericht Stolzenau zurückzuweisen.
III.
Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen von § 574 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2, Abs. 3 S. 1 ZPO nicht vorlagen.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 3 ZPO i.V.m. § 47 Abs. 1 GKG. Auszugehen war von der Höhe der Forderung, zu der Feststellungen getroffen werden sollen, wobei aufgrund der Frage der Rechtswegzulässigkeit lediglich ein Bruchteil anzusetzen war.