Landgericht Verden
Urt. v. 26.08.2009, Az.: 8 O 133/09
Bibliographie
- Gericht
- LG Verden
- Datum
- 26.08.2009
- Aktenzeichen
- 8 O 133/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 43395
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGVERDN:2009:0826.8O133.09.0A
In dem Rechtsstreit
...
hat die 8. Zivilkammer des Landgerichts Verden auf die mündliche Verhandlung vom 05.08.2009 durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht Dr. Nott,
den Richter Dr. Voß und
die Richterin am Landgericht Pönisch
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe geleistet hat.
Der Streitwert wird auf 10 000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Zwischen den Parteien besteht ein Haftpflichtversicherungsvertrag, in dem Kinder des Klägers mitversichert sind (Versicherungsschein vom 28.10.2003, Bl. 6 f. d.A.; AHB, Bl. 73 ff. d.A.).
Am 26.08.2007 spielten die Söhne des Klägers K...., geb. am 04.08.1998, und M...., geb. am 17.12.1996, zunächst mit ferngesteuerten Autos vor dem Landhandel H.... in K.... Die Kinder betraten dann die Scheune und schnitten mit Teppichmessern eine Vielzahl von Säcken, etwa 60 bis 70 "Big Bags" und 14 Säcke Saatraps auf.
Der Geschädigte M.... macht Schadenersatzansprüche in Höhe von 15 000,00 € geltend. Die Beklagte hat darauf 5 000,00 € ohne Anerkennung einer rechtlichen Verpflichtung gezahlt (Schreiben vom 03.12.2008, Bl. 8 f. d.A.).
Der Kläger behauptet, seinen Söhnen sei nicht bewusst gewesen, durch das Aufschneiden der Säcke einen Schaden zu verursachen. Die Kinder hätten aus Neugier und Spieltrieb gehandelt. Die Scheune, in der sich die Teppichmesser frei zugänglich befunden hätten, sei nicht abgeschlossen gewesen. Für die Kinder sei es auch normal, dass Getreide offen transportiert und gelagert werde.
Der Kläger hat ursprünglich beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 10 000,00 € zzgl. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.08.2008 sowie vorgerichtliche Mahnkosten in Höhe von 775,64 € zu zahlen. Insoweit hat der Kläger die Klage zurückgenommen und verfolgt nur den ursprünglichen Hilfsantrag,
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger wegen des Schadenereignisses vom 26.08.2007 Haftpflichtversicherungsschutz zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte rügt die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Verden. § 215 VVG n.F. sei nicht anwendbar.
Die Beklagte beruft sich auf einen Haftungsausschluss nach § 4 Nr. II 1 AHB. Die Söhne des Klägers hätten vorsätzlich nicht nur hinsichtlich der haftungsbegründenden Schadenshandlung, sondern auch hinsichtlich der Schadensfolge gehandelt.
Im Übrigen sei die Klage unschlüssig, da unklar bleibe, ob aus dem streitgegenständlichen Schadensfall gegen den Kläger oder die mitversicherten Söhne Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Das Landgericht Verden ist gemäß § 215 VVG n.F. örtlich zuständig. Inhaltlich handelt es sich um einen besonderen Gerichtsstand und damit eine prozessrechtliche Regelung (vgl. dazu OLG Frankfurt vom 21.04.2009, Az. 3 W 20/09), die jedenfalls für 2009 anhängig gewordene Verfahren gilt. Art. 1 Abs. 2 EGGVG betrifft die Abwicklung des Versicherungsfalles.
In der Sache hat die Klage keinen Erfolg. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, Deckungsschutz aus der Haftpflichtversicherung zu gewähren, weil die mitversicherten Kinder des Klägers den Schaden vorsätzlich herbeigeführt haben, so dass der Haftungsausschluss nach §§ 4 Nr. II 1, 7 Nr. 1 AHB eingreift.
Danach sind Versicherungsansprüche aller Personen, die den Schaden vorsätzlich herbeigeführt haben, ausgeschlossen. Vorsatz ist dabei Wissen und Wollen des rechtswidrigen Erfolges, also das Bewusstsein, dass das Verhalten den schädigenden Erfolg haben werde, und der Wille, sich trotzdem so zu verhalten. Es reicht bedingter Vorsatz aus. Der Vorsatz muss sich dabei nicht nur auf das Schadensereignis an sich beziehen, sondern auch die Schadensfolge mit umfassen. Der Handelnde muss die Folgen der Tat aber nicht in allen Einzelheiten, sondern nur im Großen und Ganzen vorhergesehen haben (Beckmann/Matusche-Beckmann, 2. Aufl., Versicherungsrechtshandbuch, § 24 Rdnr. 49).
Die Beweislast trifft insoweit den Versicherer, wobei dem Versicherer ein Indizienbeweise möglich ist (a.a.O. Rdnr. 51).
Anhaltspunkte dafür, dass den Kindern die Zurechnungsfähigkeit im Sinne des § 828 Abs. 3 BGB gefehlt hätte, liegen nicht vor. An der Zurechnungsfähigkeit mangelt es nur, wenn der Minderjährige die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht nicht hatte, auf die Steuerungsfähigkeit kommt es insoweit nicht an (vgl. Palandt-Sprau, BGB, 68. Aufl., § 828 Rdnr. 6). Angesichts des Alters der Kinder von 9 Jahren und 10 Jahren bestehen keine vernünftigen Zweifel daran, dass die Kinder wussten, etwas Verbotenes zu tun, für das sie zur Verantwortung gezogen werden können.
Die Kinder haben den Schaden bewusst und gewollt herbeigeführt. Sie haben mit Messern eine große Anzahl von Säcken aufgeschlitzt. Unverkennbar war alles auf die Verursachung eines erheblichen Schadens angelegt. Allenfalls die Beschädigung von 1 bis 2 Säcken ließe sich noch mit kindlicher Neugier und Spieltrieb erklären, nicht aber das Zerschneiden und Ausschütten von 60 bis 70 sog. "Big Bags" und 14 Säcken Saatraps. Bei der Anzahl der Säcke und den vorgelegten Lichtbildern (Bl. 47 ff. d.A.), auf denen zu erkennen ist, dass großflächig Getreide über den Boden verteilt lag, wird deutlich, dass die Kinder gezielt "Chaos anrichten" wollten und sie sich über die Folgen ihres Tuns klar sein mussten. Einem normal entwickelten 9 oder 10jährigen Kind kann bei dem hier gegebenen Schadensbild nicht entgehen, das seine Handlungen zu einem hohen Schaden führen. Die genaue Schadenhöhe muss den Kindern nicht bewusst gewesen sein.
Soweit sich der Kläger darauf beruft, für die auf dem Land lebenden Kinder sei es normal, dass Getreide auch offen transportiert und gelagert werden könne, war auch für 9 und 10jährige Kinder klar zu erkennen, dass die Verpackung einen Sinn haben muss und das Getreide schützen soll.
Ob die Scheune offen war und die Messer in der Scheune lagen, ist für die Frage des vorsätzlichen Handelns ohne Belang. Auch im Falle eines spontanen Entschlusses ist davon auszugehen, dass das Ausmaß der Schäden bei Beginn der Tatausführung erkannt und in Kauf genommen wurde.
Da keine Anhaltspunkte für eine Aufsichtspflichtverletzung des Klägers und damit eine eigene Haftung vorliegen, war nicht zu prüfen, ob insoweit Deckungsschutz zu gewähren ist.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Der Streitwert war für das gesamte Verfahren auf 10 000,00 € festzusetzen, § 3 ZPO, § 45 Abs. 1 S. 3 GKG. Der Antrag auf Gewährung von Deckungsschutz bemisst sich nach der Höhe der drohenden Inanspruchnahme und ist mit dem ursprünglichen Zahlungsantrag wirtschaftlich identisch.