Landgericht Verden
Urt. v. 18.11.2009, Az.: 7 O 162/09

Bibliographie

Gericht
LG Verden
Datum
18.11.2009
Aktenzeichen
7 O 162/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2009, 43392
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGVERDN:2009:1118.7O162.09.0A

In dem Rechtsstreit

...

hat die 7. Zivilkammer des Landgerichts Verden auf die mündliche Verhandlung vom 20. Oktober 2009 durch

den Vorsitzenden Richter am Landgericht ...,

die Richterin am Landgericht ... und

die Richterin am Landgericht ...

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Die Klage wird abgewiesen.

  2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

  3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

  4. Der Streitwert wird auf 10.084,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Unterlassung jedweder Musik in wahrnehmbarer Lautstärke, die aus dem ... Dom und seinen Nebengebäuden auf ihrem Grundstück zu hören ist.

2

Die Klägerin ist seit 1972 Miteigentümerin zu 1/2 des Grundstücks ..., das untermittelbar an den Chor des Doms grenzt. Wegen der genauen Lage des Grundstücks der Klägerin und des Verdener Doms wird auf die Liegenschaftskarte im Maßstab 1:1000 (Bl. 8 d. A.) Bezug genommen.

3

Im Dom finden Konzerte, Orgelunterricht und Gottesdienste statt, wobei die Klägerin

4

Gottesdienste ausdrücklich aus dem Umfang ihres Begehrens herausnimmt. Seit Fertigstellung der Nebengebäude im Jahre 2003 finden dort Chorproben, Posaunenchorproben und anderen gesellschaftliche Anlässe der Kirche statt. Mit Schreiben vom 27. Mai 2008 hat die Klägerin der Beklagten zu 2) eine Frist bis zum 17. Juni 2008 gesetzt, die Geräusch-Immissionen aus dem Dom und den Nebengebäuden zu unterlassen. Am 3. März 2009 führte Dipl-Physiker ..., ein Glockensachverständiger, im Auftrag der Beklagten zu 2) eine Schallpegelmessung durch. Im Ergebnis überschritten weder die Hillebrand-Orgel noch die romantische Orgel die Richtwerte der TA Lärm (Bl. 95 d. A.).

5

Die Klägerin behauptet, die im Dom und den Nebengebäuden umfangreich gespielte Musik sei auf dem Grundstück der Klägerin deutlich zu hören, und zwar auch in dem zum Garten hin gelegenen Räumen bei geschlossenen Fenstern.

6

Sie ist der Ansicht, es handele sich vor allem bei der Orgelmusik um eine mehr als nur unwesentliche Beeinträchtigung, weil diese Musik aufgrund der Eigenart besonders enervierend sei.

7

Die Klägerin beantragt,

  1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, es bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 250.000,00 € ersatzweise Ordnungshaft zu unterlassen, Musik in einer außerhalb des Doms nebst Nebengebäuden (...) auf dem Grundstück ... wahrnehmbaren Lautstärke zu spielen.

8

Die Beklagten beantragen,

  1. die Klage abzuweisen.

9

Der Beklagte zu 1) ist der Ansicht, er sei nicht passiv legitimiert, weil er nur Eigentümer des Grundstückes und als solcher lediglich für die Bauunterhaltung zuständig sei. Die Beklagten sind der Ansicht, eine mögliche Beeinträchtigung sei als unwesentlich einzustufen, da es sich zumindest um eine ortsübliche Nutzung des Grundstücks handele.

Entscheidungsgründe

10

Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.

11

I.

Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagten auf Unterlassung von Musik und Geräuschen aus dem ... Dom und dessen Nebengebäuden.

  1. 1)

    Es besteht kein Anspruch auf Unterlassung aus den §§ 1004 i.V.m. 906 BGB.

    1. a)

      Zwar ist Orgel- und Kirchenmusik grundsätzlich eine Einwirkung im Sinne von § 906 BGB. Die Beeinträchtigung ist jedoch nicht wesentlich.

      Voraussetzung für einen Unterlassungsanspruch ist, dass von einem immittierenden Grundstück aufgrund nicht hoheitlicher Tätigkeit Immissionen ausgehen, die auf dem betroffenen Grundstück zu Benutzungsbeeinträchtigungen durch dieser Einwirkung führen (Palandt/Bassenge, BGB, 67. Aufl. München 2008, § 906 Rn. 12). Bei wesentlichen Beeinträchtigungen bestehen Abwehransprüche aus den §§ 862, 907, 1004 BGB, sofern diese nicht aus besonderem Grund ausgeschlossen sind, wobei der. Einwirkende die Beweislast für die Unwesentlichkeit trägt (Palandt/Bassenge, a.a.O., § 906 Rn. 15). Als Maßstab der Wesentlichkeit einer Benutzungsbeeinträchtigung ist das Empfinden eines verständigen Durchschnittsbenutzers des betroffenen Grundstücks in seiner durch Natur- und Zweckbestimmung geprägten konkreten Beschaffenheit und nicht das subjektive Empfinden des Gestörten. Dabei ist der Begriff der Wesentlichkeit identisch mit dem Begriff der Erheblichkeit im Sinne der §§ 3 Abs. 1, 22 Abs. 1, Bundesimmissionsschutzgesetz (Palandt/Bassenge, a.a.O., § 906 Rn. 17). Die Einhaltung festgelegter Grenz- und Richtwerte bedeutet dabei ein Indiz für die Unwesentlichkeit der Beeinträchtigung, wenn die Einwirkung nach den Vorschriften des § 906 Abs. 1 S. 2 u. 3 BGB ermittelt und bewertet worden ist (Palandt/Bassenge, a.a.O., § 906 Rn. 19). Unstreitig ergibt sich aus der Schallpegelmessung des Glockensachverständigen ... vom 25. November 2008 (Bl. 95 d. A.), dass das Orgelspiel den Grenzwert von 55 dB(A) der TA Lärm einhält. Der Glockerisachverständige ... führte eine Messung in der Zeit von 10:05 bis 10:20 Uhr an einem Komposthaufen südöstlich des Chores nahe dem Grundstück der Klägerin durch. Zu dieser Zeit am späten Vormittag ist der Lärm von der Straße mit dem Durchgangsverkehr ... zur Brücke nach ... üblicherweise nicht besonders laut. Der Geräuschpegel der Umgebung betrug während der Messung 41 - 45 dB(A). Die Messung erfolgte durch die Bespielung der Hillebrandorgel mit Überregistrierung, Soloregistrierung und Mixturplenum. Dabei kam es zu einem maximalen Wert von 51,7 dB(A). Die romantische Orgel wurde mit Überregistrierung und Tutti bespielt. Es kam zu einem maximalen Wert von 54,8 dB(A). Der Sachverständige stellte fest, dass sich das Mixturplenum und das Tutti aus dem Umgebungsgeräuschpegel zwar deutlich wahrnehmen ließ, es jedoch keinen Anlass anzunehmen gibt, dass das Orgelspiel am Dom die Richtwerte der TA Lärm verletzt hätte.

      Dies ist von der Klägerin nicht in Abrede genommen worden.

    2. b)

      Trotz der Einhaltung der Richtwerte kann die Schwelle der Wesentlichkeit der Benutzungsbeeinträchtigung durch die Geräuschbelästigung im Dom überschritten werden, wenn die Geräusche eine besondere Lästigkeit darstellen. Bei Geräuschen entscheidet nämlich auch die Lästigkeit, für die die Lautstärke nur eine Komponente ist. Die Eigenarten der verschiedenen Lärmeinwirkungen wie hohe Frequenzen, Abend- und Nachtzeit, Dauer, Häufigkeit, An- und Abschwellen sowie plötzliches Auftreten kurzzeitig hoher Schalldrücke in bestimmten Frequenzzusammensetzungen sowie Appell- und Impulscharakter können unterschiedliche Bewertungen messbarer physikalischer Größen gebieten (Palandt/Bassenge, a.a.O., § 906 Rn. 19). Die Grenze der im Einzelfall zumutbaren Lärmbelästigung kann nicht mathematisch exakt, sondern nur aufgrund wertender Betrachtung festgesetzt werden (OLG Frankfurt, Urteil vom 17. Juni 2008, 8 U 89/06, Juris).

      Die Klägerin moniert bei der vom Dom verursachten Lärmbelästigung vor allem die typischen Übungsgeräusche an der Orgel von noch nicht versierten Orgelschülern und -studenten. Diese sind charakterisiert durch das Wiederholen kurzer Sequenzen, häufiges Abbrechen des Spiels und das Spielen von Etüden. Überdies belegen Orgelschüler und -studenten häufig die im Dom vorhandenen Orgeln, weil das Orgelspiel nur an Orgeln geübt werden kann.

      Auch wenn sich solche Übungsgeräusche für den Einzelnen als besonders störend darstellen können, wäre das Empfinden eines verständigen Durchschnittbenutzers aufgrund der besonderen örtlichen Situation des Grundstücks der Klägerin nicht gestört. Diese Übungsgeräusche müssen von einem Durchschnittsbenutzer gerade aufgrund der Lage des Grundstücks toleriert werden. Das Grundstück der Klägerin findet seine hintere Grenze in den Mauern des Chores des Dom. Der Dom, seine musikalischen Aktivitäten und sonstigen kulturellen Veranstaltungen bedeuten für die ... Gegend eine Bereicherung. Der Dom stellt einen der kulturellen Mittelpunkte des gesellschaftlichen und religiösen Lebens in ... dar. Sowohl Konzerte, Orgelkonzerte als auch Konzerte religiöser oder weltlicher Musik sowie Posaunenmusik als auch die notwendig damit einhergehenden Proben können, insbesondere für die Orgelmusik nur in den entsprechenden Aufführungsorten, bzw. bei der Orgelmusik an den Orgeln stattfinden. Sowohl die ... Region als auch die Domgemeinde profitieren überdies von dem Engagement des Domkantors .... Dass dieser mit seiner Professur an der Musikhochschule Bremen Studenten aber auch Schüler und Studenten der Orgel in den Dom zieht, ist dabei nicht vermeidbar.

      Sowohl die Konzerte als auch die Proben müssen überdies im Lichte der Religionsfreiheit des Art. 4 Abs. 1 und 2 des Grundgesetzes gesehen werden. Es handelt sich bei Chor- und Orgelmusik auch um den Ausdruck des religiösen Verständnisses der jeweiligen Komponisten aus den verschiedenen Jahrhunderten. Diese Musik wurde zum Lob Gottes geschrieben und in diesem Sinne auch heute noch aufgeführt.

      Schließlich muss auch berücksichtigt werden, dass die Klägerin wusste, dass sie an den Dom zog und aus diesem Orgelmusik und Probengeräusche dringen können. Der Dom war bereits beim Erwerb des Grundstückes vor 37 Jahren ein Mittelpunkt des religiösen und kulturellen Lebens in Verden.

    3. c)

      Eine besondere Lästigkeit, die die Wesentlichkeit der Beeinträchtigung ausmachen könnte, liegt auch nicht in der zu lauten, bzw. zu hohen Registrierung und der besonderen Art/Traurigkeit der Musik. Eine Orgel ersetzt in der Kirchenmusik häufig ein ganzes Orchester. Die verschiedenen Registrierungen bedeuten dabei die verschiedenen Klangfarben von Instrumenten und simulieren verschiedene Instrumentengruppen. Der Eindruck besonderer Traurigkeit stellt sich für die Klägerin vielleicht allein aufgrund der tiefen Religiosität dieser Musik dar. Die Art der Musik hat sich dabei in den letzten 37 Jahren nicht verändert.

    4. d)

      Die Häufigkeit und Dauer der Musik, die nach dem Eindruck der Klägerin seit dem Jahre 2003 besonders zugenommen hat, passt nicht zu der Argumentation der Klägerin, dass sie besonders das Orgelspiel störe. In den Nebenräumen des Doms, insbesondere im Domgemeindesaal finden die Chor- und Posaunenchorproben, gesellschaftliche Anlässe und im Winter Gottesdienste statt. Eine Orgel ist in den Nebenräumen des Doms nicht vorhanden.

      Im Übrigen kann die Klägerin auch nicht erwarten, dass sich das religiöse und gesellschaftliche Leben nicht weiter entwickelt.

    5. e)

      Selbst wenn die Beeinträchtigung der Nutzung durch Immissionen die Wesentlichkeitsschwelle überschritten hätte, wäre ein Anspruch gemäß § 906 Abs. 2 S. 1 BGB wegen der ortsüblichen Benutzung ausgeschlossen. Die Klägerin trifft eine Duldungspflicht, weil der Dom als kulturelles Zentrum der Regionsausübung und des kulturellen Lebens einen besonderen Stellenwert in ... einnimmt (siehe die Ausführungen oben). Es kann daher auch dahinstehen, ob der Beklagte zu 1) als Eigentümer und bauunterhaltungszuständige Störer im Sinne von § 906 BGB anzusehen ist.

  2. 2)

    Die Klägerin hat gegen die Beklagten auch keine nachbarrechtlichen Ausgleichsansprüche außerhalb von § 906 Abs. 2 S. 2 BGB.

  3. 3)

    Der Klägerin steht schließlich auch kein abwehrbarer Anspruch aus den §§ 862, 709 ff, 1004 BGB zu, so dass auch ein bürgerrechtlicher Aufopferungsanspruch nicht in Betracht kommt.

12

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in § 709 S. 1 und 2 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO, wobei der Argumentation der Klägerin im Hinblick auf den von ihr angenommenen Wertverlust von mindestens 10 % für ihren ideellen mithälftigen Miteigentumsanteil in Höhe von 7.584,00 € gefolgt wird. Für ihre behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen werden 2.500,00 € angenommen.