Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.04.2005, Az.: 16 K 20028/00
Freiberuflichkeit oder Gewerblichkeit der Tätigkeit als Umweltberater bzw. Abfallwirtschaftsberater; Voraussetzungen des Ausübens einer wissenschaftlichen Tätigkeit; Voraussetzungen der Ingenieurseigenschaft; Voraussetzungen der Ähnlichkeit eines Berufs mit einem Katalogberuf
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 08.04.2005
- Aktenzeichen
- 16 K 20028/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 14880
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2005:0408.16K20028.00.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 09.02.2006 - AZ: IV B 27/05
Rechtsgrundlagen
- § 15 Abs. 2 EStG
- § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG
Fundstellen
- DStR 2005, VI Heft 29 (Kurzinformation)
- DStRE 2005, 941-942 (Volltext mit amtl. LS)
- EFG 2005, 1288-1289 (Volltext mit amtl. LS)
- NWB direkt 2005, 5
Verfahrensgegenstand
Gewerbesteuermessbetrag 1994
Redaktioneller Leitsatz
Die Tätigkeit als Abfall- bzw. Umweltberater ist als gewerbliche Berufstätigkeit anzusehen und nicht als Ausübung eines freien oder eines diesem ähnlichen Berufs.
Tatbestand
Streitig ist die Frage, ob die Tätigkeit des Klägers als Umwelt- bzw. Abfallwirtschaftsberater freiberuflich oder gewerblich ist.
Der Kläger studierte Geologie/Paläontologie an der Universität B. ... In den Jahren nach Abschluss seines Studiums war er zunächst im Bereich der Erdölexploration und in einem Projekt betreffend die Desertifikation in Mali tätig.
In den Jahren 1988/89 belegte er beim ... einen Fortbildungslehrgang zum Abfallwirtschaftsberater. Danach war er erst leitender Angestellter in einem Ingenieurbüro in M, dann als Fachgruppenleiter Abfallwirtschaft Europa der W GmbH beschäftigt.
Im Jahre 1993 machte sich der Kläger selbstständig und gründete das Büro für Umweltplanung in P. Im Streitjahr 1994 war er exklusiv mit der abfallwirtschaftlichen Betreuung eines Großprojekts in B befasst. Zum Inhalt dieser Tätigkeit wird auf einen vom Kläger verfassten Aufsatz (Bl. 33 ff Gewerbesteuerakte) verwiesen.
Den typischen Ablauf der Beratertätigkeit hat der Kläger wie folgt beschrieben: Vor dem Erwerb eines Standortes durch ein Unternehmen prüft der Kläger das Gelände mittels historischer Recherche und Begehung, um den Auftraggeber hinsichtlich möglicher Gebäude-, Boden- und Grundwasserschäden zu beraten. Für Bodenuntersuchungen werden dem Auftraggeber geeignete Unternehmen empfohlen und von diesen Angebote eingeholt und anschließend ausgewertet. Der Kläger erstellt einen Sanierungsplan, kalkuliert die belasteten Stoffe mengenmäßig und zeigt die kostengünstigsten Entsorgungs- und Verwertungswege auf. Dabei zeigt er dem Auftraggeber die Spielräume auf, die diesem hinsichtlich der Sanierung und Entsorgung der Schadstoffe verbleiben. Die Rückbau- und Sanierungsarbeiten werden anschließend vom Klägerüberwacht und dabei Erfolgskontrollen durchgeführt.
Die Beratungen rechnet der Kläger nach der HOAI ab.
Der Gewinn des Klägers aus seiner Tätigkeit als Abfallberater betrug im Streitjahr 1.994.154.702,00 DM. Der Beklagte stellte sich auf den Standpunkt, dass die Tätigkeit als Abfallberater gewerblich sei und erließ mit Datum vom 25. September 1996 einen Gewerbesteuermessbescheid für 1994, in dem er einen Gewerbesteuermessbetrag von 2.935,00 DM festsetzte. Der dagegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg.
Im Klageverfahren weist der Kläger darauf hin, dass zur Geologie neben der allgemeinen Geologie auch die angewandte Geologie gehöre. Diese sei ingenieuertechnisch ausgerichtet, zur ihr gehörten als Teilgebiete die Hydrogeologie, Morphologie, Pedologie, Sedimentologie, Stratigraphie, Strukturgeologie, Geographie sowie anorganische und organische Chemie, die wiederum Voraussetzung für den überwiegenden Tätigkeitsbereich des Umweltberaters im Bereich der Altlastenberatung darstellten wie etwa die Gebäude-, Boden- und Grundwassersanierung bzw. - sicherung, -beratung und -bewertung. Die Weiterbildung zum Abfallwirtschaftsberater stelle eine konsequente Fortführung der Berufsausbildung als Geologe dar, um auf diese Weise die Beratungsbasis für technische Problemstellungen in der Bauindustrie bei Deponiebau und -planung, Gebäuderückbau einschließlich Sanierungs- Entsorgungs- und Verwertungsmanagement zu verbreitern.
Bei der Altlastenerkundung liege der Wissensschwerpunkt auf dem Gebiet der Geologie, im Sanierungsfall auf dem Gebiet der Abfallwirtschaft. Intensive Marktkenntnisse seien bei der Gebäude- und Grundstücksbewertung notwendig, da die Entsorgungs- und Verwertungskosten maßgeblichen Anteil an den Gesamtkosten eines Projekts hätten.
Der Kläger sei bei seiner Tätigkeit leitend und eigenverantwortlich tätig geworden.
Der Kläger macht darauf aufmerksam, dass das inzwischen für ihn zuständige Finanzamt B sowie die IHK B ihn als Freiberufler ansehen.
Der Kläger beantragt,
den Gewerbesteuermessbescheid 1994 vom 25. September 1996 und die Einspruchsentscheidung vom 17. Januar 2000 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, dass der Kläger Einkünfte aus Gewerbebetrieb erziele.
Die Tätigkeit des Abfallwirtschafts- bzw. Umweltberaters gehöre nicht zu den in § 18 EStG genannten Katalogberufen. Es handele sich aber auch um keine einem Katalogberuf ähnliche Tätigkeit. Erforderlich sei die Vergleichbarkeit der Tätigkeit in Theorie und Praxis mit einem Katalogberuf. Die Tätigkeit müsse sowohl hinsichtlich der Tiefe als auch der Breite das Wissen des Kernbereichs des Fachstudiums der dort genannten Katalogberufe voraussetzen. Danach sei die Tätigkeit des Klägers weder ingenieur- noch architektenähnlich, weil er trotz gewisser Berührungspunkte nicht in den Kernbereichen der Katalogberufe tätig werde.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Der Beklagte hat zu Recht einen Gewerbesteuermessbescheid für den Erhebungszeitraum 1994 erlassen.
Gem. § 2 Abs. 1 GewStG unterliegt jeder stehende Gewerbebetrieb der Gewerbesteuer, soweit er im Inland betrieben wird. Unter Gewerbebetrieb ist ein gewerbliches Unternehmen im Sinne des Einkommensteuergesetzes zu verstehen.
Der Kläger übte im Streitjahr 1994 eine gewerbliche Berufstätigkeit in diesem Sinne aus. Gem. § 15 Abs. 2 EStG ist Gewerbebetrieb jede selbstständige, nachhaltige Betätigung, die mit der Absicht, Gewinn zu erzielen, unternommen wird und sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt, wenn die Betätigung weder als Ausübung von Land- und Forstwirtschaft noch als Ausübung eines freien Berufs noch als eine andere selbstständige Arbeit anzusehen ist.
Unzweifelhaft und unbestritten liegen die positiven Tatbestandsmerkmale der Gewerbebetriebsdefinition des § 15 Abs. 2 EStG vor. Die Erhebung von Gewerbesteuer ist im Streitfall aber auch nicht etwa deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger einen freien Beruf ausübt.
Zu der freiberuflichen Tätigkeit gehören nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG die selbstständig ausgeübte wissenschaftliche, künstlerische, schriftstellerische, unterrichtende oder erzieherische Tätigkeit, die selbstständige Berufstätigkeit der Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, Rechtsanwälte, Notare, Patentanwälte, Vermessungsingenieure, Ingenieure, Architekten, Handelschemiker, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, beratende Volks- und Betriebswirte, vereidigte Buchprüfer, Steuerbevollmächtigte, Heilpraktiker, Dentisten, Krankengymnasten, Journalisten, Bildberichterstatter, Dolmetscher, Übersetzer, Lotsen und ähnlicher Berufe.
Die Tätigkeit des Kläger als Abfall- bzw. Umweltberater unterfällt zumindest im Streitjahr 1994 weder einem der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG aufgeführten Katalogberufe, noch stellt sie eine einem Katalogberuf ähnliche Tätigkeit dar.
Der Kläger übte mit seiner Tätigkeit keine wissenschaftliche Tätigkeit aus. Eine wissenschaftliche Tätigkeit setzt voraus, dass grundsätzliche Fragen oder konkrete Vorgänge methodisch nach streng objektiven und sachlichen Gesichtspunkten in ihren Ursachen erforscht, begründet und in einen Verständniszusammenhang gebracht werden. Die bloße Anwendung wissenschaftlicher Grundsätze und Methoden auf konkrete Verhältnisse ist hingegen keine wissenschaftliche Tätigkeit i.S.d. § 18 EStG (BFH Urteil vom 30. März 1994 I R 54/93, BStBl. II 1994, 864). Danach kann die Berufstätigkeit des Klägers nicht als wissenschaftliche beurteilt werden. Der Schwerpunkt der Arbeit des Klägers liegt nicht in der methodischen Ursachenforschung und -erkenntnis, sondern in der Entwicklung von Lösungen für konkrete Problemstellungen. Dies ist aber keine wissenschaftliche Tätigkeit.
Der Kläger übte ebenfalls nicht den Katalogberuf des Ingenieurs aus. Als Ingenieur im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG gilt nur, wer nach den Ingenieurgesetzen der Bundesländer befugt ist, die Berufsbezeichnung "Ingenieur" zu führen (BFH Urteil vom 18. Juni 1980 I R 109/77, BStBl. II 1981, 118; vom 1. Oktober 1986 I R 121/83, BStBl. II 1987, 116). Das ist regelmäßig nur derjenige, der ein ingenieurwissenschaftliches Studium an einer wissenschaftlichen Hochschule, einer Fachhochschule, einer Ingenieurschule oder einen Betriebsführerlehrgang an einer Bergschule abgeschlossen hat (BFH Urteil vom 11. Juli 1991 IV R 73/90, BStBl. II 1991, 878). Der Kläger hat jedoch keinen entsprechenden Studiengang absolviert.
Der Kläger übt als Abfallberater auch keine ingenieurähnliche Tätigkeit aus. Ein Beruf ist einem der Katalogberufe des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG ähnlich, wenn er in wesentlichen Punkten mit ihm verglichen werden kann. Dazu gehört die Vergleichbarkeit in der Ausbildung und in der tatsächlichen beruflichen Tätigkeit (BFH Urteil vom 11. Juli 1991 IV R 73/90, BStBl. II 1991, 878). Die praktische Berufstätigkeit muss in ihrem Gesamtbild mit dem typischen Bild des Katalogberufs mit allen seinen Merkmalen vergleichbar sein (Kirchhof/Söhn, Kommentar zum EStG, § 18 B 152). Der ähnliche Beruf muss in seiner fachlichen Breite mit dem Katalogberuf vergleichbar sein (BFH Urteil vom 14. März 1991, IV R 135/90, BStBl. II 1991, 769; Urteil vom 19. September 2002 IV R 74/00, BStBl. II 2003, 27).
Die Ähnlichkeit muss sich auf einen konkreten Katalogberuf beziehen. Die Ähnlichkeit mit einer Gruppe von Katalogberufen genügt hingegen nicht. Das ergibt sich daraus, dass § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG von einem "ähnlichen Beruf", nicht aber von einer "ähnlichen Tätigkeit" spricht (BFH Urteil vom 16. Oktober 1997 IV R 19/97, BStBl. II 1998, 139). Für die Annahme einer ingenieurähnlichen Tätigkeit genügt es ebenfalls nicht, dass der Steuerpflichtige eine Tätigkeit ausübt, die auch von Ingenieuren ausgeübt wird (BFH Urteil vom 11. Juli 1991 IV R 72/90, BStBl. II 1991, 878).
Nach diesen Grundsätzen stellt die Tätigkeit als Abfall- bzw. Umweltberater keine dem Ingenieur ähnliche Tätigkeit dar. Charakteristisch für den Beruf des Klägers ist, dass es sich um eine Querschnittstätigkeit handelt. Der Kläger war der zentrale Ansprechpartner in allen abfallwirtschaftlichen und umweltrechtlichen Belangen bei dem Umbau und der Sanierung des Großprojekts B; er bündelte in seiner Person alle rechtlichen, ökonomischen, ingenieurwissenschaftlichen und die Schadstoffanalyse, d.h. die Chemie betreffenden Fragestellungen, so dass Abstimmungsdifferenzen vermieden werden konnten, die hätten auftreten können, wenn für jeden Teilaspekt eine andere Person zuständig gewesen wäre, die aber über keine Fachkenntnisse in den angrenzenden Fachgebieten verfügt. Bei einer derartigen Aufgabenstellung stellt die Ingenieurstätigkeit, die sich allein mit der rein technische Seite der Schadstoffentsorgung beschäftigt, einen zwar wichtigen Aspekt, aber nur einen Teilausschnitt seines Tätigkeitsspektrums dar; umgekehrt deckt der Kläger nur einen Teilbereich der Tätigkeit eines Ingenieurs ab, weil bei der Abfallentsorgung gänzlich das Element der Konstruktion fehlt, das für das Berufsbild des Ingenieurs prägend ist. Es ist zwar unbestritten, dass die Berufstätigkeit des Klägers zwar eine ähnlich anspruchsvolle Tätigkeit darstellt wie die eines Ingenieurs. Dies reicht aber für sich nicht aus, um eine Berufsähnlichkeit im Sinne des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG zu begründen.
Es kann dahin stehen, inwieweit einige der in der vorgelegten Referenzliste aufgeführten Aufträge und Projekte (z.B. Polizeischulungen, Schulung Asbestentsorgung, Entwurf Abfallsatzung für die Stadt C) als unterrichtende bzw. wissenschaftliche Tätigkeit angesehen werden könnten und sich als freiberuflich von der gewerblichen Tätigkeit des Klägers abgrenzen lassen. Diese Frage ist für das anhängige Klageverfahren unerheblich, weil der Kläger im Erhebungszeitraum 1994 ausschließlich mit der Abwicklung des Projektes B beschäftigt war.
Der Höhe nach sind die Einkünfte des Klägers unstreitig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Das Gericht lässt die Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu im Hinblick auf die Frage, ob Querschnittstätigkeiten einem Katalogberuf ähnlich sein können.