Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 27.04.2005, Az.: 16 K 575/02

Notwendigkeit der Berücksichtigung von Unterentnahmen aus der Zeit vor 1999 für Veranlagungszeiträume ab 2001; Verfassungsrechtliche zulässige Rückwirkung einer Normenänderung der Anwendungsnorm des § 52 Abs. 11 Einkommensteuergesetz (EStG) durch das Steueränderungsgesetz 2001 (StÄndG 2001) beinhaltet keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung; Begriff "Überentnahme" im Sinne des Einkommensteuergesetzes (EStG)

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
27.04.2005
Aktenzeichen
16 K 575/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 32592
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2005:0427.16K575.02.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 23.03.2011 - AZ: X R 33/05

Fundstellen

  • DStRE 2006, 775-776 (Volltext mit amtl. LS)
  • NWB direkt 2006, 4

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    § 4 Abs. 4a EStG ist für das Jahr 1999 anwendbar.

  2. 2.

    Die Änderung der Anwendungsnorm des § 52 Abs. 11 EStG durch das StÄndG 2001 beinhaltet keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung.

Tatbestand

1

Die Kläger sind Eheleute. Sie werden zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Der Kläger betreibt seit 1993 eine Apotheke. Er wählte ein Wirtschaftsjahr, welches jährlich am 30. Juni endet. Bis zum 30. Juni 1998 betrugen die Gewinne und Einlagenübersteigenden Entnahmen aus dem Betrieb der Apotheke 72.709,- DM. Im Wirtschaftsjahr 1998/1999 betrugen die Überentnahmen des Klägers 863.193,- DM. Der in der Gewinnermittlung gebuchte Zinsaufwand dieses Wirtschaftsjahres betrug 51.609,95 DM.

2

Nach einer auch das Streitjahr betreffenden Außenprüfung nahm der Beklagte an, dass wegen getätigterÜberentnahmen der Gewinn aus der Apotheke außerbilanziell um 47.609 DM erhöht werden müsse. Unter Berücksichtigung einer entsprechend geänderten Gewerbesteuerrückstellung und derübrigen Prüfungsfeststellungen setzte der Beklagte die Einkommensteuer für die Kläger durch geänderten Steuerbescheid vom 7. November 2002 fest. Entsprechend dem Ergebnis der Außenprüfung erging am 11. November 2002 ein Bescheidüber den Gewerbesteuermessbetrag, den der Kläger aus der Apotheke erzielte. Die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage begründen die Kläger im wesentlichen wie folgt:

3

Die vom Finanzamt vorgenommene außerbilanzielle Zurechnung beruhe auf der Vorschrift des § 4 Abs. 4 a EStG, durch den der Schuldzinsenabzug erheblich eingeschränkt worden sei. Es werde gerügt, dass unterschiedslos Über- und Unterentnahmen vorangegangener Wirtschaftsjahre unberücksichtigt bleiben würden. Dies führe zu unzulässigen Ungleichheiten, je nach dem, ob dieÜberentnahmen beispielsweise im Wirtschaftsjahr 1997/1998 oder im Wirtschaftsjahr 1998/1999 vorgenommen würden. Unzulässig sei auch die gesetzliche Unterscheidung zwischen der weiterhin abzugsfähigen Finanzierung von Anschaffungs- oder Herstellungskosten von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens und denen des Umlaufvermögens. Im Übrigen habe der Außenprüferübersehen, dass ein Teil des Zinsaufwandes in Höhe von 4.612,- DM wirtschaftlich mit der Umschuldung eines Darlehens im Zusammenhang stehe, das für den Umbau der Apotheke aufgenommen worden sei. Bezüglich des letztgenannten Punktes hat der Beklagte durchÄnderungsbescheide vom 7. Juli 2003 der Klage entsprochen.

4

Die Kläger beantragen sinngemäß,

die noch bestehende außerbilanzielle Gewinnzurechnung in Höhe von 42.997 DM außer Ansatz zu lassen und die Einkommensteuer, sowie den Gewerbesteuermessbetrag für 1999 entsprechend herabzusetzen.

5

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

6

Der Beklagte hält dem Grunde nach die vom ihm angewandte Vorschrift des § 4 Abs. 4 a EStG für rechtmäßig.

7

Die Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet. Sie haben darüber hinaus übereinstimmend erklärt, mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter einverstanden zu sein.

8

Dem Gericht haben die für die Kläger beim Beklagten geführten Steuerakten vorgelegen.

Entscheidungsgründe

9

Die Klage ist unbegründet.

10

Nach § 4 Abs. 4 a EStG, der erstmals für ein Wirtschaftsjahr anzuwenden ist, das nach den 31. Dezember 1998 endet und der deshalb im Streitfall Anwendung findet, sind Schuldzinsen nach Maßgabe der Sätze 2 - 5 nicht abziehbar, wennÜberentnahmen getätigt worden sind. Eine Überentnahme ist der Betrag, um den die Entnahmen die Summe des Gewinns und der Einlagen des Wirtschaftsjahres übersteigen. Die nichtabziehbaren Schuldzinsen werden typisiert mit 6 v.H. der Überentnahme des Wirtschaftsjahres zuzüglich der Überentnahmen vorangegangener Wirtschaftsjahre und abzüglich der Beträge, um die in den vorangegangenen Wirtschaftsjahren der Gewinn und die Einlagen die Entnahmen überstiegen haben, ermittelt. Der sich dabei ergebende Betrag, höchstens jedoch der um 4.000 DM verminderte Betrag der im Wirtschaftsjahr angefallenen Schuldzinsen, ist dem Gewinn hinzuzurechnen. Der Abzug von Schuldzinsen für Darlehen zur Finanzierung von Anschaffungs- oder Herstellungskosten von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens bleibt unberührt. Nach§ 52 Abs. 11 Satz 2 EStG bleiben Über- und Unterentnahmen vorangegangener Wirtschaftsjahre unberücksichtigt.

11

An das o.a. Gesetzesprogramm hat der Beklagte sich durch die im Klageverfahren erteilten Änderungsbescheide gehalten. Denn der Beklagte hat die Überentnahmen, die der Kläger im Wirtschaftsjahr 1998/1999 getätigt hat und die 863.193,- DM betragen, mit 6 v.H. berechnet. Der sich danach ergebende Betrag von 51.791 DMübersteigt die in diesem Wirtschaftsjahr tatsächlich angefallenen Schuldzinsen. Mithin sind die um 4.000 DM verminderten tatsächlichen Schuldzinsen, folglich ein Betrag von 47.609 DM anzusetzen. Hiervon sind die Schuldzinsen abzusetzen, die zur Finanzierung von Anschaffungs- oder Herstellungskosten von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens verwendet worden sind, mithin im Streitfall 4.612 DM.

12

Das Gericht hat keine Bedenken an der formellen und materiellen Verfassungsmäßigkeit der Rechtsnorm des § 4 Abs. 4 a EStG. Insbesondere stellt diese Norm kein Gesetz dar, das dem Steuerbürger rückwirkend mit einer Steuer belasten würde. Auch die Änderung der Anwendungsnorm des § 52 Abs. 11 EStG durch das Steueränderungsgesetz 2001 stellt keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung dar. Soweit hiernach erstmals im Gesetz vorgeschrieben wird, dass Über- und Unterentnahmen vorangegangener Wirtschaftsjahre unberücksichtigt bleiben, liegt lediglich eine gesetzliche Normierung dessen vor, was zuvor durch Verwaltungsvorschrift zu Gunsten aller Steuerbürger festgelegt war. Soweit der Gesetzgeber den Schuldzinsenabzug für Darlehen zur Finanzierung von Anschaffungs- oder Herstellungskosten von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens durch die gesetzliche Regelung unberührt lässt, liegt dies in seinem Gestaltungsspielraum.

13

Nach allem erweist sich die Steuerfestsetzung des Beklagten, wie sie durch die während des Verfahrens geänderten Bescheide erfolgt ist, als zutreffend. Deshalb war die Klage abzuweisen.

14

Die Kostenentscheidung beruht auf § 137 Finanzgerichtsordnung - FGO -. Sie berücksichtigt, dass klägerseits der Umstand der teilweisen Abziehbarkeit der Schuldzinsen bereits im Einspruchsverfahren hätte geltend gemacht werden sollen und können.

15

Das Gericht hat die Revision nicht zugelassen. Insbesondere liegt kein Grund zur Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung vor. Es sind keine vernünftigen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der anzuwendenden Steuerrechtsnormen erkennbar.