Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 17.04.2005, Az.: 16 K 20150/03

Progressionsvorbehalt bei im Insolvenzgeld enthaltenen Sonntagszuschlägen, Feiertagszuschlägen und Nachzuschlägen; Besonderer Steuersatz bei Bezug von Insolvenzgeld; Kürzung der Lohnersatzleistungen um den Arbeitnehmer-Pauschbetrag; Ausgrenzung der Zuschläge aus dem beim Progressionsvorbehalt anzusetzenden Insolvenzgeld durch eine am Normzweck orientierte einschränkende Gesetzesauslegung oder analoge Anwendung des § 3b Einkommensteuergesetz (EStG) im Rahmen des § 32b Abs. 1 Nr. 1 EStG

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
17.04.2005
Aktenzeichen
16 K 20150/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2005, 14873
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2005:0417.16K20150.03.0A

Redaktioneller Leitsatz

Das in die Berechnung des Progressionsvorbehalts einzubeziehende Insolvenzgeld kann nicht um die Sonn-, Feiertag- und Nachtarbeitszuschläge gekürzt werden. Es ist mit der Wahl der Hinzurechnungsmethode durch den Gesetzgeber nicht zu vereinbaren, wenn es für diesen Sonderfall doch auf die fiktive Steuerpflicht ankommen sollte.

Tatbestand

1

Streitig ist die Frage, ob im Insolvenzgeld enthaltene Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschläge dem Progressionsvorbehalt unterliegen.

2

Der Kläger ist Glasfacharbeiter. Sein Arbeitgeber fiel im Streitjahr 2001 in Insolvenz; für den Zeitraum Mai bis Juli 2001 bezog der Kläger Insolvenzgeld in Höhe von 13.135,00 DM.

3

Der Beklagte veranlagte den Kläger mit Einkommensteuerbescheid 2001 vom 13. Mai 2002 zur Einkommensteuer. Dabei berücksichtigte er das Insolvenzgeld in voller Höhe im Rahmen des Progressionsvorbehalts.

4

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger Einspruch ein und trug vor, dass er festgestellt habe, dass im Insolvenzgeld steuerfreie Zuschläge im Sinne des § 3 b EStG in Höhe von 3.422,26 DM enthalten seien. Der Kläger hat seinem Einspruch eine entsprechende Bescheinigung des Arbeitgebers beigefügt.

5

Der Beklagte stellte sich in seiner Einspruchsentscheidung auf den Standpunkt, dass nach dem Gesetzeswortlaut des § 32 b Abs. 1 Nr. 1 a EStG steuerfreie Lohnersatzleistungen insgesamt dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen seien. Imübrigen sei nach § 32 b Abs. 3 EStG der Sozialleistungsträger für die Bescheinigung des Insolvenzgeldes zuständig. Die vom Arbeitgeber erstellte Bescheinigung könne schon deshalb nicht berücksichtigt werden.

6

Im Klageverfahren hat der Kläger eine Bestätigung des Arbeitsamtes H. über die im Insolvenzgeld enthaltenen Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschläge eingereicht. Er meint, dass dem Grunde nach gem. § 3 b EStG steuerfreie Zuschläge nicht in den Progressionsvorbehalt einzubeziehen seien. Aus dieser Regelung ergebe sich, dass entsprechende Zahlungen nicht mit Steuern belastet werden dürften. Es dürfe nicht zu einer Ungleichbehandlung und Schlechterstellung kommen, wenn durch Insolvenzen die Entlohnung geleisteter Arbeit über das Arbeitsamt erfolge.

7

Einzubeziehen in den Progressionsvorbehalt sei der maßgebende Bruttoarbeitslohn. Steuerlich maßgebender Bruttoarbeitslohn sei im Streitfall aber das um die steuerfreien Zuschläge gekürzte Insolvenzgeld.

8

Der Kläger beantragt,

unter Änderung des Einkommensteuerbescheides 2001 vom 13. Mai 2002 und des Einspruchsbescheides vom 19. Februar 2003 lediglich Lohnersatzleistungen in Höhe von 9.712,74 DM in den Progressionsvorbehalt einzubeziehen und die Einkommensteuer 2001 um 125,- Euro herabzusetzen.

9

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

10

Der Beklagte weist darauf hin, dass das Insolvenzgeld nach § 185 SGB III in Höhe des um die gesetzlichen Abzüge geminderten Arbeitsentgelts gezahlt werde. Arbeitsentgelt seien alle Geld- oder Naturalleistungen, die der Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis als Gegenwert für die von ihm geleistete Arbeit zu beanspruchen habe. Dementsprechend gehörten im Streitfall auch die gezahlten Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschläge zum Insolvenzgeld.

11

Das Insolvenzgeld sei eine Lohnersatzleistung. Nach der Gesetzesbegründung zum 2. Haushaltsstrukturgesetz vom 22.12.1981 (BStBl. I 1982, 235) bestehe zwischen der Steuerfreiheit von Lohnersatzleistungen und ihrem Ansatz im Rahmen des Progressionsvorbehalt gem. § 32 b Abs. 1 Nr. 1 a EStG ein unmittelbarer Regelungszusammenhang, woraus zwingend folge, dass das Insolvenzgeld insgesamt dem Progressionsvorbehalt unterliege. Für einen abweichenden Ansatz fehle es an einer Rechtsgrundlage.

12

Es sei nicht zutreffend, dass es durch die Einbeziehung der Zuschläge in die Berechnung des Steuersatzes zu einer Ungleichbehandlung und Schlechterstellung des Steuerpflichtigen komme, weil das Insolvenzgeld insgesamt steuerfrei bleibe.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist unbegründet.

14

Das in die Berechnung des Progressionsvorbehalts einzubeziehende Insolvenzgeld kann nicht um die Sonn-, Feiertag- und Nachtarbeitszuschläge gekürzt werden.

15

Hat ein zeitweise oder während des gesamten Veranlagungszeitraums unbeschränkt Steuerpflichtiger Insolvenzgeld bezogen, so ist gem. § 32 b Abs. 1 Nr. 1 a) EStG auf das nach § 32 a Abs. 1 EStG zu versteuernde Einkommen ein besonderer Steuersatz anzuwenden. Der besondere Steuersatz ist nach § 32 b Abs. 2 Nr. 1 EStG der Steuersatz, der sich ergibt, wenn bei der Berechnung der Einkommensteuer das nach § 32 a Abs. 1 zu versteuernde Einkommen vermehrt oder vermindert wird um die Summe der Leistungen nach § 32 Abs. 1 Nr. 1 EStG nach Abzug des Arbeitnehmer-Pauschbetrages, soweit dieser nicht bei der Ermittlung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit abziehbar ist. Dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nach kann die Summe der Lohnersatzleistungen allein um den Arbeitnehmer-Pauschbetrag gekürzt werden, sofern jener nicht - wie im Streitfall - bereits bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit Berücksichtigung gefunden hat; in diesem Falle ist die Summe der Lohnersatzleistungen ungekürzt in Ansatz zu bringen. Weitere Minderungen der anzusetzenden Lohnersatzleistungen - etwa um nach anderen Vorschriften als § 3 Nr. 2 EStG fiktiv steuerfreie Einkommensbestandteile - sieht das Gesetz nicht vor.

16

Zumindest seit der Änderung der Gesetzesfassung des§ 32 b EStG durch das Jahressteuergesetz 1996 vom 11. Oktober 1995 (BGBl. II 1995, 1250) mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 1996 ist es auch nicht möglich, durch eine am Normzweck orientierte einschränkende Gesetzesauslegung oder analoge Anwendung des § 3 b EStG im Rahmen des § 32 b Abs. 1 Nr. 1 EStG Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschläge aus dem beim Progressionsvorbehalt anzusetzen Insolvenzgeld auszugrenzen. Beides setzte voraus, dass das Gesetz planwidrig unvollständig ist und der Gesetzgeber eine entsprechende Regelung "vergessen" hat. Dies ist jedoch nicht der Fall, wie sich aus der Rechtsentwicklung erkennen lässt. Bis einschließlich 1995 setzte die Anwendung des Progressionsvorbehalts eine kompliziert zu handhabende Schattenveranlagung voraus; der besondere Steuersatz war so zu ermitteln, als ob die Steuerfreiheit für die Lohn- bzw. die Einkommensteuerersatzleistungen nicht bestünde. Mit dem Wechsel zur seit 1996 geltenden Hinzurechnungsmethode hat sich der Gesetzgeber zum Zwecke der Gesetzesvereinfachung bewusst dafür entschieden, nicht mehr darauf abzustellen, wie die Einnahmen hypothetisch zu versteuern wären, wenn der Tatbestand des § 3 Nr. 2 EStG nicht existierte. Mit diesem Methodenwechsel stünde es nicht im Einklang, wenn es für den Sonderfall der Zahlung von Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschlägen doch auf die fiktive Steuerpflicht ankommen sollte.

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Zudem kann gem. § 32 b Abs. 2 Nr. 1 EStG von den Lohnersatzleistungen allenfalls der Arbeitnehmer-Pauschbetrag in Abzug gebracht werden, nicht aber diesen übersteigende Werbungskosten, Betriebsausgaben oder sonstige Abzüge (Schmidt, Kommentar zum EStG, § 32 b Rn. 46; Littmann, Kommentar zum EStG § 32 b Rn. 88). An den im Rahmen der Besteuerung der Einkünfte aus nichtselbständigen Arbeit abziehbaren, nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut für den Progressionsvorbehalt aber nicht maßgeblichen höheren Werbungskosten zeigt sich ganz deutlich, dass es dem Plan des Gesetzgebers entspricht, für die Berechnung des Progressionsvorbehalts eine grob vereinfachende Regelung ohne Berücksichtigung aller hypothetisch steuermindernder Positionen zu treffen. Damit liegt aber hinsichtlich des Ansatzes der im Insolvenzgeld enthaltenen Zuschläge im Sinne des § 3 b EStG keine Gesetzeslücke vor, die eine Analogie rechtfertigen könnte.

18

Der Kläger verkennt im übrigen die Wirkungsweise des Progressionsvorbehalts, wenn er meint, dass durch die Einbeziehung des vollen Insolvenzgeldes eine Besteuerung der Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschläge bewirkt werde und es damit zu einer Schlechterstellung von Arbeitnehmern in der Insolvenz komme. Der Progressionsvorbehalt soll verhindern, dass der Arbeitnehmer über den Vorteil der Steuerfreiheit bestimmter Leistungen hinaus in den Genuss eines weiteren Vorteils in Gestalt einer Progressionsminderung seiner sonstigen Einkünfte kommt. Der Progressionsvorbehalt ist damit Ausdruck der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, weil er einen nach Leistungsfähigkeitsgesichtspunkten nicht gerechtfertigten Doppelvorteil verhindert. Auch die während der Insolvenz gezahlten Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeitszuschläge haben die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Klägers erhöht; es ist deshalb sachlich nicht gerechtfertigt, durch Herausnahme dieser Beträge aus dem Insolvenzgeld eine Progressionsminderung der Einkünfte zu bewirken, die der Kläger vor Insolvenzeröffnung erzielt hat.

19

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs.1 FGO.

20

Die Zulassung der Revision ergibt sich aus § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.