Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 22.06.2005, Az.: 11 B 2465/05

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
22.06.2005
Aktenzeichen
11 B 2465/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 43269
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2005:0622.11B2465.05.0A

Amtlicher Leitsatz

Es erscheint ernstlich zweifelhaft, ob die Fiktion der Asylantragstellung nach § 14 a Abs. 2 AsylVfG auch für Kinder gilt, welche bereits vor Inkrafttreten der Vorschrift am 1. Januar 2005 geboren worden sind.

Gründe

1

Das nach § 80 Abs. 5 VwGO, § 36 Abs. 3 und 4 AsylVfG zu beurteilende Begehren ist begründet.

2

Das Bundesamt hat ein Begehren des Antragstellers auf Anerkennung als Asylberechtigter bzw. auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 AufenthG nach den hierfür bestehenden gesetzlichen Vorgaben (§ 30 AsylVfG) und den von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Juli 1983 - 1 BvR 1470/82 - BVerfGE 65, 7695 ff.) zu Unrecht als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Es kann nicht mit der notwendigen Eindeutigkeit festgestellt werden, dass der Antragsteller überhaupt den nach § 1 Abs. 1 AsylVfG erforderlichen Asylantrag gestellt hat.

3

Insbesondere erscheint ernstlich zweifelhaft, ob ein Asylantrag des am 28. Dezember 2004 geborenen Antragstellers nach § 14 a Abs. 2 AsylVfG mit Eingang der Geburtsanzeige des Landkreises Aurich vom 3. Mai 2005 fiktiv als gestellt gilt. Es sprechen nämlich gewichtige Gesichtspunkte dafür, dass die erwähnte Vorschrift lediglich für nach dem 1. Januar 2005 geborene bzw. eingereiste Kinder gilt.

4

Die Vorschrift ist als Teil des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950) mit Wirkung vom 1. Januar 2005 in Kraft getreten. § 14 a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG ist durchgehend im Präsens gefasst ("reist ein", "wird geboren", "besitzt", "aufhält") und knüpft unter anderem an einen erst seit dem 1. Januar 2005 bestehenden Aufenthaltstitel (Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG) an. Die Vorschrift begründet mit dem 1. Januar 2005 eine "unverzügliche" Anzeigepflicht, die insbesondere bei bereits länger vor diesem Zeitpunkt eingereisten oder geborenen Kindern nicht mehr erfüllt werden kann. § 14 a Abs. 1 AsylVfG, welcher an die Asylantragstellung der Eltern auch einen fiktiven Antrag der Kinder knüpft, kann wohl ebenfalls nur für ab dem 1. Januar 2005 geäußerte Asylbegehren gelten. Ferner ist § 14 a AsylVfG als Ausnahmeregelung tendenziell eher eng auszulegen. Soweit die Antragsgegnerin darauf verweist, dass § 14 a Abs. 2 Satz 3 AsylVfG die fiktive Antragstellung erst an den Zugang der Anzeige des Bundesamtes knüpft, kann dies eine andere Beurteilung wahrscheinlich nicht rechtfertigen. Auch die Geburt bzw. die Einreise des Kindes sind nach der Vorschrift hierfür notwendige Tatbestandsmerkmale.

5

Dieser sich aus Wortlaut und Systematik der Vorschrift ergebene Befund könnte wahrscheinlich nur durch eine eindeutige entgegenstehende gesetzgeberische Äußerung überwunden werden, die jedoch insbesondere in der Gesetzesbegründung oder in Form einer unmissverständlichen Übergangsvorschrift fehlt. Der von der Antragsgegnerin im Schriftsatz vom 21. Juni 2005 zutreffend dargestellte Sinn und Zweck der § 14 a AsylVfG, die Verhinderung einer verfahrensverzögernden sukzessiven Asylantragstellung der Familienmitglieder, kann auch in erheblichem und in Zukunft verstärkten Maße bei Anwendung auf seit dem 1. Januar 2005 eingetretene Sachverhalte erreicht werden und zwingt nicht zu einer weitergehenden Interpretation. Die von der Antragsgegnerin herangezogenen Grundsätze des intertemporalen Verfahrensrechts dürften keine Anwendung finden, weil diese nur für bereits begonnene Verfahren gelten (vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl. 2003, Rn. 4 zu § 96 m.w.N.), während die Regelung des § 14 a AsylVfG sich gerade mit der Frage beschäftigt, ob ein Verwaltungsverfahren überhaupt in Gang gesetzt wird.

6

Diese Auffassung entspricht auch Entscheidungen der Einzelrichter der 5. und 12. Kammer des Verwaltungsgerichts Oldenburg (Beschluss vom 5. Juni 2005 - 5 B 2212/05 -; Beschluss vom 15. Juni 2005 - 12 B 2211/05 -) und mehrerer anderer darin aufgeführter niedersächsischer Verwaltungsgerichte.