Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 07.10.2005, Az.: 6 B 601/05
Abschiebung; Asylantrag; Ausländerbehörde; Behandelbarkeit; Behandlungsmöglichkeit; Eltern; ernstliche Zweifel; Kosovo; Krankheit; Krankheitsbild; Montenegro; offensichtliche Unbegründetheit; Serbien; Überzeugungsgewissheit
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 07.10.2005
- Aktenzeichen
- 6 B 601/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 51046
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 30 Abs 3 Nr 7 AsylVfG 1992
- § 14a AsylVfG 1992
- § 60 Abs 7 S 1 AufenthG 2004
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Es ist ernstlich zweifelhaft, ob eine Entscheidung nach § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylVfG (als offensichtlich unbegründet) ergehen kann, wenn der Antrag nicht von den Eltern des Kindes, sondern nach § 14a AsylVfG von der Ausländerbehörde gestellt worden ist.
2. Eine gleichwohl ergangene Entscheidung als offensichtlich unbegründet begegnet ernsten Bedenken auch dann, wenn ein Anspruch nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG geltend gemacht wird,der im Verfahren nach § 30 Abs. 3 AsylVfG nicht mit der gebotenen Überzeugungsgewissheit beurteilt werden kann; die Verhältnismäßigkeit und die Achtung der Menschenwürde gebieten in solchen Fällen eine teleologische Reduktion (zumindest) der Vorschrift des § 30 Abs. 3 Nr. 7 AufenthG, die planwidrig nicht die Fälle komplexer Krankheitsbilder reflektiert, deren Behandelbarkeit im Zielland der angedrohten Abschiebung (hier Serbien und Montenegro, Kosovo) zweifelhaft ist.
Gründe
Der gemäß § 36 Abs. 3 AsylVfG i. V. m. § 59 Abs. 3 S. 2 AufenthG zulässige Antrag ist begründet.
Ernsthafte Bedenken gegen die Richtigkeit der getroffenen Entscheidung zur Abschiebungsandrohung bestehen schon deshalb, weil die Antragsgegnerin die Voraussetzungen des § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylVfG angenommen hat, das Verfahren aber nicht durch einen Antrag der Eltern des Kindes, sondern durch die Ausländerbehörde nach § 14 a Abs. 2 AsylVfG eingeleitet worden ist. § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylVfG schreibt zwar vor, einen unbegründeten Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn er für einen nach diesem Gesetz handlungsunfähigen Ausländer gestellt wird, nachdem zuvor Asylanträge der Eltern unanfechtbar abgelehnt worden sind. Diese Rechtsfolgenanordnung beruht -wie ersichtlich auch allen anderen Tatbeständen des § 30 Abs. 3 AsylVfG -jedoch auf einer gesetzlichen Missbilligung des Verhaltens der Asylbewerber bzw. ihrer gesetzlichen Vertreter. In den Fällen der Antragsfiktion nach § 14 a Abs. 2 AsylVfG ist dafür indessen prinzipiell kein Raum. Dies muss auch dann gelten, wenn die ursprünglich rechtswidrige Antragsfiktion, die für ein vor dem 01.01.2005 in Deutschland geborenes Kind nicht durch § 14 a AsylVfG gedeckt ist (VG Göttingen, Beschl. vom 17.03.2005 -3 B 272/05 -; VG Oldenburg, Beschl. vom 22.06.2005 -11 B 2465/05 -; VG Braunschweig, Beschl. vom 08.07.2005 -6 A 151/05 und VG Hannover, Beschluss vom 16.09.2005 -6 B 5284/05), von den anwaltlich vertretenen Eltern durch Einlassungen zu Sache genehmigt und damit geheilt worden ist -das von § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylVfG vorausgesetzte Unwerturteil ist in solchen Fällen nicht gerechtfertigt.
Das bedarf hier jedoch keiner weiteren Vertiefung. Die Antragsgegnerin hätte mit Blick auf die erheblichen gesundheitlichen Probleme der Antragstellerin davon Abstand nehmen müssen, eine Entscheidung nach § 30 Abs. 3 Nr. 7 AsylVfG (als offensichtlich unbegründet) zu treffen. Seit der Streichung des § 41 AsylVfG und der damit einhergehenden Relevanz des § 60 Abs. 7 Satz 1AufenthG auch für die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung spricht Überwiegendes dafür, den Anwendungsbereich der §§ 30 ff AsylVfG, die diese normativen Zusammenhänge erkennbar planwidrig nicht reflektieren, aus Gründen von Art 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG teleologisch zu reduzieren.
Die im Klageverfahren aufgeworfene Frage, ob die im Jahre 2000 geborene Antragstellerin -eine serbisch-montenegrinische Staatsangehörige, deren Eltern aus Serbien stammen -wegen ihrer körperlichen und geistigen Behinderungen und vielfachen Behandlungsbedürftigkeit einen Anspruch nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG auf die Feststellung eines Abschiebungsverbotes hat, das wiederum für die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung beachtlich ist, ist jedenfalls in diesem Verfahren nicht mit der von der Antragsgegnerin angenommenen Gewissheit zu beantworten. Mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und insbesondere auch aus Gründen der Achtung der Menschenwürde ist es vielmehr angezeigt, die erforderliche Überprüfung einem Hauptsacheverfahren vorzubehalten.
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens ergibt sich aus der Anwendung der §§ 154 Abs. 1 VwGO und 83b AsylVfG.