Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 08.07.2005, Az.: 6 A 151/05
Asyl; Asylantrag; Asylantragsteller; Asylbewerber; Ausländer; Einreise; Fiktion; Flüchtling; Kind; politische Verfolgung; Zeitpunkt
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 08.07.2005
- Aktenzeichen
- 6 A 151/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 51011
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 14a Abs 2 AsylVfG 1992
- § 14a Abs 1 AsylVfG 1992
- § 60 AufenthG 2004
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
§ 14a Abs. 2 AsylVfG ist nicht auf Kinder anwendbar, die ab dem 1. Januar 2005 in das Bundesgebiet eingereist oder hier geboren sind. Die Antragsfiktion nach § 14a Abs. 1 AsylVfG wird nur durch Asylanträge ausgelöst, die ab dem 1. Januar 2005 gestellt werden.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich dagegen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge für sie nach § 14a Abs. 2 AsylVfG einen Asylantrag angenommen (fingiert) und daraufhin einen ablehnenden Asylbescheid mit Abschiebungsandrohung erlassen hat.
Die Klägerin ist Staatsangehörige von Serbien und Montenegro und am ... 2004 in der Bundesrepublik Deutschland geboren. Ihre Eltern stellten am 4. Juni 2004 Asylanträge.
Mit Schreiben vom 5. Januar 2005 meldete die Ausländerbehörde die Klägerin dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nach § 14a AsylVfG. Das Bundesamt leitete daraufhin ein Asylverfahren ein und teilte dies den Eltern der Klägerin mit. Mit Bescheid vom 2. März 2005 lehnte das Bundesamt den angenommenen Asylantrag ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorliegen sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht gegeben sind und forderte die Klägerin unter Fristsetzung und Abschiebungsandrohung zur Ausreise auf.
Hiergegen hat die Klägerin am 14. März 2005 Klage erhoben.
Sie beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 14. März 2005 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Der angegriffene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Der Bescheid ist formell rechtswidrig, weil es an einem rechtswirksamen Asylantrag fehlt. Die Klägerin hat selbst keinen Asylantrag (§ 13 Abs. 1 AsylVfG) gestellt. Die Voraussetzungen, unter denen ein Asylantrag nach der mit Wirkung vom 1. Januar 2005 durch das Zuwanderungsgesetz eingefügten Regelung in § 14a Abs. 2 AsylVfG als gestellt angesehen (fingiert) werden darf, sind nicht erfüllt. Eine Bescheidung von Amts wegen lässt das AsylVfG nicht zu.
§ 14a Abs. 2 AsylVfG ist nur anwendbar auf Kinder, die ab dem 1. Januar 2005 in das Bundesgebiet einreisen oder hier geboren werden (VG Göttingen, Beschl. vom 17.03.2005 - 3 B 272/05 -, AuAS 2005, 117; VG Braunschweig, Urt. vom 02.05.2005 - 5 A 259/05 -; Beschl. vom 03.05.2005 - 6 B 190/05 -; VG Oldenburg, Beschl. vom 22.06.2005 - 11 B 2465/05 -; a. A. Bell/Richert, EE-Brief 5/05, 2). Für die zuvor im Bundesgebiet geborene Klägerin gilt die Regelung daher nicht.
Dafür spricht schon der Wortlaut der Regelung in § 14a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG, in der der Gesetzgeber durchgehend Präsens-Formulierungen verwendet hat. Damit weicht die Vorschrift vom Sprachgebrauch derjenigen Regelungen des Zuwanderungsgesetzes und des AsylVfG ab, die auch an vor dem In-Kraft-Treten der Gesetze entstandene Sachverhalte anknüpfen sollen. Darüber hinaus knüpft die Vorschrift an die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG an, also einen Aufenthaltstitel, den es erst seit dem 1. Januar 2005 gibt. Hinzu kommt, dass die Regelungen in § 14a AsylVfG einschränkungslos am 1. Januar 2005 in Kraft getreten sind (Art. 15 Abs. 3 des Zuwanderungsgesetzes), ohne dass der Gesetzgeber in der Übergangsvorschrift des § 87b AsylVfG die Anwendung des § 14a AsylVfG auf Altfälle vorgesehen hat (zu weiteren Argumenten s. VG Göttingen, aaO.).
Die Beklagte kann demgegenüber nicht erfolgreich geltend machen, § 14a Abs. 2 AsylVfG regele nur die Anzeigepflicht, die ab dem 1. Januar 2005 gelten solle; daher sei unerheblich, wann das Kind eingereist oder geboren sei. Es trifft zwar zu, dass die Antragsfiktion erst in dem Zeitpunkt entsteht, in dem die Anzeige der Vertreter des Kindes oder der Ausländerbehörde (§ 14a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG) dem Bundesamt zugeht (§ 14 Abs. 2 Satz 3 AsylVfG). Ob überhaupt eine Anzeigepflicht besteht, hängt jedoch nach § 14a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG von den Umständen der Einreise bzw. der Geburt des Kindes ab. Die Frage nach dem zeitlichen Anwendungsbereich der Vorschrift kann daher schon aus systematischen Gründen nicht durch eine isolierte Betrachtung des § 14a Abs. 2 Satz 3 AsylVfG beantwortet werden.
Auch der in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gekommene Gesetzeszweck spricht nicht zwingend gegen die hier befürwortete Auslegung. Ziel des § 14a AsylVfG ist es, sukzessive Antragstellungen und damit überlange Aufenthaltszeiten in Deutschland zu verhindern (vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs, Bundestags-Drucksache 15/420, S. 108). Da es an ausreichenden Hinweisen im Gesetzestext auf eine rückwirkende Geltung der Vorschrift fehlt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass nach der Zielsetzung des Gesetzgebers nunmehr auch für alle Altfälle unter erheblicher Inanspruchnahme personeller Kapazitäten der zuständigen Behörden Asylverfahren einzuleiten sind. Das Ziel, verfahrensverzögernde Antragstellungen zu verhindern, kann in erheblichem Umfang auch bei einer Beschränkung des Anwendungsbereichs auf die seit Beginn des Jahres 2005 geborenen oder eingereisten Kinder erreicht werden.
Die Grundsätze des sog. intertemporalen Verfahrensrechts, wonach sich verfahrensrechtliche Änderungen auch auf laufende Rechtsstreitigkeiten auswirken können, stehen dem nicht entgegen. Diese Grundsätze gelten nur für bereits begonnene Verfahren (vgl. § 96 VwVfG; VG Oldenburg, aaO.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl. § 96 Rn. 4); § 14a AsylVfG dagegen regelt, ob ein Verfahren überhaupt in Gang gesetzt wird.
Das Bundesamt kann sich stattdessen auch nicht auf die Regelung in § 14a Abs. 1 AsylVfG berufen, nach der mit der Asylantragstellung eines Elternteils der Asylantrag für das Kind unter bestimmten Voraussetzungen als gestellt anzusehen ist. Auch insoweit ergeben sich unter Berücksichtigung des Wortlauts der Vorschrift, der Regelungen über das In-Kraft-Treten des Zuwanderungsgesetzes und der Übergangsvorschriften keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsfiktion rückwirkend gelten und damit auch an die vor dem In-Kraft-Treten des Zuwanderungsgesetzes gestellten Asylanträge anknüpfen soll.
Weil es an einem rechtswirksam gestellten Asylantrag fehlt, sind auch die Feststellung des Bundesamtes zu Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG und die Abschiebungsandrohung rechtswidrig. Auch diese Verfügungen setzen einen Asylantrag voraus (vgl. § 24 Abs. 2, § 34 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus der Anwendung des § 154 Abs. 1 VwGO und des § 83 b AsylVfG.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 VwGO, 711 und 708 Nr. 11 ZPO.