Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 18.01.2006, Az.: 2 A 506/05
Anzeige; Anzeigepflicht; Asyl; Asylantrag; Asylbewerber; Ausländer; Familieneinheit; Geltungsbereich; intertemporales Verwaltungsrecht; Kind; Personenkreis
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 18.01.2006
- Aktenzeichen
- 2 A 506/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 53366
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 14a Abs 2 AsylVfG 1992
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
§ 14 a Abs. 2 AsylVfG ist auf vor dem 01.01.2005 geborene bzw. nach Deutschland eingereiste Kinder von Antragstellern nicht anwendbar.
Tatbestand:
Die Klägerin wurde am ... in Deutschland geboren. Sie ist irakische Staatsangehörige; ihre Eltern werden nach rechtskräftiger Ablehnung ihrer Asylanträge in Deutschland geduldet. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge erachtete nach der Geburtsanzeige durch die Ausländerbehörde am 18.03.2003 einen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte sowie auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes aufgrund der Antragsfiktion nach § 14a Abs. 2 AsylVfG für die Klägerin als gestellt. Es lehnte mit Bescheid vom 24.10.2005 diesen Antrag als offensichtlich unbegründet ab und forderte die Klägerin unter Abschiebungsandrohung in den Irak zur Ausreise aus Deutschland binnen Wochenfrist auf.
Am 07.11.2005 hat die Klägerin Klage erhoben, zu deren Begründung sie im Wesentlichen vorträgt, dass § 14a AsylVfG aus Rechtsgründen nicht anwendbar sei.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 24.10.2005 aufzuheben.
Die Beklagte verteidigt den angefochtenen Bescheid und beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat im Verfahren 2 B 507/05 die aufschiebende Wirkung dieser Klage angeordnet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
Die Klage, über die der Einzelrichter im Einverständnis der Beteiligten gem. § 101 Abs.2 VWGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig und begründet.
Die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides setzt denknotwendigerweise voraus, dass überhaupt ein Asylverfahren (Verwaltungsverfahren) in gesetzmäßiger Weise stattgefunden hat. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Denn mangels Antragstellung nach §§ 13,14 AsylVfG durch ein Elternteil der noch nicht asylrechtsmündigen Klägerin wurde bislang für die Klägerin noch kein wirksamer Asylantrag, der Voraussetzung für die Durchführung eines Asylverfahrens ist, gestellt.
Soweit sich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge darauf beruft, dass auf der Grundlage des am 01.01.2005 in Kraft getretenen § 14a Abs. 2 AsylVfG ein Asylverfahren eingeleitet wurde, vermag die Kammer dem nicht zu folgen.
Nach dieser Vorschrift gilt Folgendes: Reist ein lediges, unter 16 Jahre altes Kind des Ausländers nach dessen Asylantragstellung in das Bundesgebiet ein oder wird es hier geboren, so ist dies nach der genannten Vorschrift dem Bundesamt u.a. dann unverzüglich anzuzeigen, wenn sich ein Elternteil nach Abschluss seines Asylverfahrens ohne Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufhält. Die Anzeigepflicht obliegt neben dem Vertreter des Kindes auch der Ausländerbehörde. Mit dem Zugang der Anzeige bei dem Bundesamt gilt ein Asylantrag für das Kind als gestellt (§ 14a Abs. 2 Satz 3 AsylVfG).
§ 14a Abs. 2 AsylVfG ist im Falle der Klägerin nicht anwendbar ist. Zwar liegen teilweise die materiellen (Tatbestands-)Voraussetzungen der Norm vor. So haben ihre Eltern hier bereits in der Vergangenheit ein Asylverfahren betrieben und verfügen gegenwärtig nicht über einen Aufenthaltstitel. Doch zählt die Klägerin nicht zu dem vom Geltungsbereich der Norm erfassten Personenkreis. Sie ist nämlich weder nach dem 01.01.2005 in das Bundesgebiet eingereist noch wurde sie nach diesem Zeitpunkt in dem Bundesgebiet geboren. Entgegen der Ansicht des Bundesamtes im angefochtenen Bescheid streitet bereits der Wortlaut des § 14a Abs. 2 AsylVfG für die Annahme, dass diese Vorschrift nicht auf die vor dem 01.01.2005 im Bundesgebiet geborenen minderjährigen ledigen Kinder von ehemaligen Asylbewerbern anzuwenden ist (vgl.: VG Göttingen, Beschl. v. 17.03.2005 - 3 B 272/05 -; VG Oldenburg, Beschl. v. 22.06.2005 - 11 B 2465/05 -; VG Lüneburg, Beschl. v. 01.08.2005 - 4 B 31/05 -; sämtlich veröffentlicht in der Online - Rechtsprechungsdatenbank des Nds. Oberverwaltungsgerichts; www.dbovg.niedersachsen.de/index.asp ).
So begründet § 14a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG (erst) seit dem 01.01.2005 eine Anzeigepflicht, wenn ein unter 16 Jahres altes Kind im Bundesgebiet geboren „wird“ und stellt - wie das Bundesamt wohl meint - nicht darauf ab, dass es hier geboren „worden ist“. Es existiert auch keine Übergangsregelung, die entgegen dem Wortlaut klarstellte, dass § 14a Abs. 2 AsylVfG auch auf vor dem 01.01.2005 im Bundesgebiet geborene Kinder anzuwenden ist.
Letztlich stehen auch die Grundsätze des sog. intertemporalen Verfahrensrechts, wonach sich verfahrensrechtliche Änderungen auch auf laufende Rechtsstreitigkeiten auswirken können, der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen. Denn diese Grundsätze gelten nur für bereits begonnene Verwaltungsverfahren (vgl. § 96 VwVfG; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 8. Aufl. § 96 Rn. 4); § 14a AsylVfG dagegen regelt, dass bzw. ob ein Verfahren überhaupt in Gang gesetzt wird.
Ist somit kein wirksames Asylverfahren für die Klägerin eingeleitet worden, erweist sich damit der angefochtene Bescheid in Gänze als rechtswidrig.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.