Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.02.2000, Az.: 6 K 354/99 Ki
Abschluss der Berufsausbildung
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 29.02.2000
- Aktenzeichen
- 6 K 354/99 Ki
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 21914
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2000:0229.6K354.99KI.0A
Rechtsgrundlage
- § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2a EStG
Fundstellen
- DStRE 2000, 1029-1030
- JuS 2000, XXXV Heft 11 (Kurzinformation)
Tenor:
Der Bescheid des Beklagten vom 26. Januar 1999 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 23. März 1999 werden insoweit aufgehoben, als die Kindergeldfestsetzung für T... bereits für die Zeit vom 1. Januar 1998 bis 31. Oktober 1998 aufgehoben worden ist.
Der Beklagte trägt die Kosten.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der der Klägerin zu erstattenden Kosten abwenden, wenn diese nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Streitig ist, bis zu welchem Zeitpunkt der Sohn der Klägerin für einen Beruf ausgebildet worden und welcher Zeitraum demzufolge der Ermittlung der eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes zugrunde zu legen ist.
Die Klägerin erhielt seit Januar 1996 für ihren am 17. November 1975 geborenen Sohn T... Kindergeld, weil sich dieser als Student der Informatik an der Universität ... noch in Berufsausbildung befand. Am 18. Dezember 1998 schloss er dieses Studium mit der erfolgreichen Ablegung der Diplomprüfung ab. Bereits zum 1. November 1998 hatte der Sohn der Klägerin mit dem Kuratorium O... . einen Arbeitsvertrag über eine Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Geschäftsprozessmodellierung abgeschlossen. Auf den Inhalt dieses Arbeitsvertrages (Bl. 16 bis 19 der Gerichtsakte) wird Bezug genommen. Nach einer Bescheinigung des Arbeitgebers vom 1. Februar 2000 (Bl. 21 der Gerichtsakte) handelt es bei der von dem Sohn der Klägerin ausgeübten Tätigkeit um eine solche, die regelmäßig nur von Diplominhabern ausgeübt wird. Die vorzeitige Einstellung sei wegen des engen Zeitrahmens im Projekt "A..." erfolgt.
Aus dieser Tätigkeit floss ihm in den Monaten November und Dezember 1998 Bruttoarbeitslohn in Höhe von 11.340,62 DM zu. Zwischen dem 1. Januar 1998 und dem 30. Juni 1998 hatte er aus einem anderen Beschäftigungsverhältnis bereits Bruttoarbeitslohn in Höhe von 3.198,72 DM bezogen. Außerdem erhielt er in der Zeit zwischen dem 1. Januar 1998 und dem 31. Oktober 1998 Halbwaisenrente in Höhe von insgesamt 2.100,92 DM.
Auf dieser Grundlage ermittelte der Beklagte (das Arbeitsamt - AA -) für das Jahr 1998 eigene Einkünfte und Bezüge des Kindes in Höhe von 14.279,00 DM. Wegen der Berechnung im einzelnen wird auf Bl. 118/118 R der Kindergeldakte Bezug genommen.
Da dieser Betrag die für das Jahr 1998 maßgebliche Grenze von 12.360,00 DM überstieg, hob das AA die Kindergeldfestsetzung mit Wirkung vom Januar 1998 auf und forderte das für die Monate Januar bis Oktober gezahlte Kindergeld in Höhe von 2.200,00 DM durch Bescheid vom 26. Januar 1999 zurück.
Mit dem hiergegen eingelegten Einspruch machte die Klägerin geltend, dass sich ihr Sohn bereits seit dem 1. November 1998 nicht mehr in Berufsausbildung befunden habe. Er sei von diesem Zeitpunkt an einer Vollzeitbeschäftigung beim Kuratorium O... . nachgegangen. Dass die formale Beendigung des Hochschulstudiums erst mit der letzten Diplomprüfung am 18. Dezember 1998 erfolgt, sei unerheblich.
Da das Kind hiernach nur bis zum 31. Oktober 1998 gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a des Einkommensteuergesetzes (EStG) berücksichtigungsfähig gewesen sei, komme es unter Berücksichtigung der Zwölftelungsregelung des § 32 Abs. 4 Satz 6 EStG nur auf die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes in den ersten 10 Monaten an. Die in dieser Zeit bezogenen Einkünfte und Bezüge hätten aber 10/12 des Jahresbetrages von 12.360,00 DM (10.300,00 DM) nicht überstiegen.
Durch Einspruchsentscheidung vom 23. März 1999 wies das AA den Einspruch als unbegründet zurück. Es vertrat die Ansicht, dass es für die Frage, bis zu welchem Zeitpunkt sich der Sohn der Klägerin in Berufsausbildung befunden habe und daher nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a EStG als Kind berücksichtigungsfähig gewesen sei, auf den formalen Abschluss des Hochschulstudiums am 18. Dezember 1998 ankomme.
Hiergegen richtet sich die Klage, mit der die Klägerin ihr Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren wiederholt.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Bescheid des AA vom 26. Januar 1999 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 23. März 1999 aufzuheben, soweit die Kindergeldfestsetzung für die Zeit vom 1. Januar 1998 bis 31. Oktober 1998 aufgehoben worden ist.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an der seiner Einspruchsentscheidung zugrundeliegenden Auffassung fest.
Gründe
Die Klage ist begründet. Das AA hat die Kindergeldfestsetzung für den Sohn T... der Klägerin zu Unrecht rückwirkend ab 1. Januar 1998 aufgehoben und die für die Zeit bis zum 31. Oktober 1998 bereits gewährten Leistungen zurückgefordert.
Der Klägerin steht für T... bis zum 31. Oktober 1998 Kindergeld zu, da das Kind in dieser Zeit das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hatte und für einen Beruf ausgebildet wurde (§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a des Einkommensteuergesetzes - EStG -). Der Anspruch entfällt auch nicht mit Rücksicht auf die Höhe der eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes. Zwar wird nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG ein Kind nur berücksichtigt, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 12.360,00 DM im Kalenderjahr hat (§ 32 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 2 EStG). Demgegenüber belief sich der Gesamtbetrag der Einkünfte und Bezüge des Kindes nach der Berechnung des AA im Jahr 1998 auf insgesamt 14.279,00 DM. Entgegen der Auffassung des AA kommt es im Streitfall aber nicht auf die Einkommensverhältnisse des Kindes während des gesamten Jahres 1998, sondern nur auf die während der ersten 10 Monate an. Nach § 32 Abs. 4 Satz 5 (i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 2 EStG) ermäßigt sich der Betrag der kindergeldunschädlichen Einkünfte und Bezüge des Kindes für jeden Kalendermonat, in dem die Voraussetzungen für eine Berücksichtigung nach Satz 1 Nr. 1 oder 2 nicht vorliegen, um ein Zwölftel. Zugleich bleiben Einkünfte und Bezüge des Kindes, die auf diese Kalendermonate entfallen, außer Ansatz (§ 32 Abs. 4 Satz 6 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 2 EStG). Im Streitfall erfüllte der Sohn T... der Klägerin die Voraussetzungen für eine Berücksichtigung als Kind nur bis zum Ablauf des 31. Oktober 1998. Nur bis zu diesem Zeitpunkt wurde er im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a EStG für einen Beruf ausgebildet.
Als Berufsausbildung im Sinne dieser Vorschrift ist die Ausbildung für einen künftigen Beruf anzusehen, welche die dafür notwendigen fachlichen Fertigkeiten und Kenntnisse in einem geordneten Ausbildungsgang vermitteln soll (R 180 Abs. 1 Satz 1 und 2 der Einkommensteuerrichtlinien - EStR - 1998). Die Berufsausbildung ist abgeschlossen, wenn das Kind einen Ausbildungsstand erreicht hat, der es zur Berufsausübung befähigt (R 180 Abs. 2 Satz 1 EStR 1998). Dies ist bei Ausbildungsgängen für akademische Berufe zwar regelmäßig erst dann der Fall, wenn die in der Ausbildungsordnung vorgeschriebene Abschlussprüfung abgelegt worden ist (R 180 Abs. 2 Satz 2 erster Satzteil EStR 1998). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz muss aber dann gelten, wenn - wie im Streitfall - das Kind bereits vor dem formalen Erwerb des Hochschuldiploms eine Erwerbstätigkeit aufnimmt, die seine ganze Arbeitskraft in Anspruch nimmt und Kenntnisse und Fertigkeiten voraussetzt, die denen entsprechen, die durch das Diplom des betreffenden Studienganges nachgewiesen werden sollen. Wenn das Kind auf diese Weise die durch die vorangegangene Ausbildung erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten im Rahmen eines existenzsichernden Beschäftigungsverhältnisses verwertet, wird es nicht mehr auf einen künftigen Beruf vorbereitet, sondern übt den angestrebten Beruf bereits aus. Es wäre deshalb unangemessen, dem Kindergeldberechtigten - unter der Voraussetzung, dass die nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu berücksichtigenden Einkünfte und Bezüge für das gesamte Kalenderjahr die schädliche Grenze nicht übersteigen - den Kindergeldanspruch allein wegen des noch ausstehenden formalen Ausbildungsabschlusses über die Aufnahme dieser Tätigkeit hinaus zu belassen.
Da die eigenen Einkünfte und Bezüge des Sohnes T... der Klägerin in den ersten zehn Monaten des Jahres 1998 auch unter Einbeziehung der gesamten Halbwaisenrente sowie der in dieser Zeit bezogenen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit nicht mehr als 10.300,00 DM (und damit nicht mehr als zehn Zwölftel des Jahresbetrages von 12.360,00 DM) betragen haben, stand der Klägerin noch bis zum 31. Oktober 1998 Kindergeld zu.
Der angefochtene Bescheid war daher insoweit aufzuheben, als er die Kindergeldfestsetzung für die Zeit vom 1. Januar 1998 bis zum 31. Oktober 1998 aufhob (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 135 Abs. 1 FGO und §§ 708 Abs. 10 und 711 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 151 Abs. 1 und 3 FGO.