Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.02.2000, Az.: 7 K 525/97

Verfassungswidrigkeit des Einkommenssteuergesetz (EStG) des Jahres 1996

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
08.02.2000
Aktenzeichen
7 K 525/97
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 21871
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2000:0208.7K525.97.0A

Fundstelle

  • EFG 2001, 374 (Volltext mit red. LS)

Tatbestand

1

Die Kl sind Eheleute. Sie werden zur Einkommensteuer zusammenveranlagt.

2

Nachdem im Vorverfahren und mit der Klage zunächst klägerseits geltend gemacht wurde, dass Aufwendungen, die durch eine außerhalb des Familienwohnsitzes unterhaltene Wohnung steuermindernd Berücksichtigung finden müssen, machen die Kl nunmehr geltend, dass die für das Jahr 1996 festgesetzte Einkommensteuer deswegen ersatzlos aufzuheben sei, weil die maßgebenden Vorschriften des Einkommensteuergesetzes, auf denen die Festsetzung ihrer Einkommensteuerschuld beruhe, verfassungswidrig sei. Als Begründung führen die Kl die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im sogenannten Zinsurteil (Urteil des II. Senats vom 27. Juni 1991 2 BvR 1493/89 ,BStBl II 1991, 654) an. Danach verlange der Gleichheitssatz für das Steuerrecht, dass die Steuerpflichtigen durch ein Steuergesetz rechtlich und tatsächlich gleich belastet würden. Es müsse die Gleichheit der Steuerbelastung auch hinsichtlich des tatsächlichen Erfolges prinzipiell gewährleistet sein. Hänge die Steuerfestsetzung von der Erklärung des Steuerschuldners ab, so seien erhöhte Anforderungen an die Steuerehrlichkeit des Steuerpflichtigen zu stellen. Der Steuergesetzgeber müsse deshalb die Steuerehrlichkeit durch hinreichende, die Belastungsgleichheit gewährleistende Kontrollmöglichkeiten abstützen. Wirke sich eine Erhebungsregelung gegenüber einem Besteuerungstatbestand in der Weise strukturell gegenläufig aus, dass der Besteuerungsanspruch weitgehend nicht durchgesetzt werden könne, und sei dies im Ergebnis dem Gesetzgeber zuzurechnen, so führe die dadurch bewirkte Gleichheitswidrigkeit zur Verfassungswidrigkeit auch der materiellen Steuernormen. Angesichts jährlicher Steuerausfälle in dreistelliger Milliardenhöhe, der steigenden Ergebnisse von Außenprüfungen, der unterschiedlichen Prüfungsabstände bei Betrieben gleicher Größenklassen als auch unterschiedlicher Größenklassen und der unterschiedlichen Prüfungsintensität von Einkommen aus nichtselbständiger Tätigkeit im Gegensatz zu den übrigen Einkommensarten trete offen zutage, dass die Gleichheit der Belastung prinzipiell nicht gewährleistet sei.

3

Zur Dokumentation der Steuerausfälle, der Ergebnisse von Außenprüfungen, der ungleichen Belastung zwischen Betrieben verschiedener Größenklassen haben die Kl Dokumentationsmaterial zur Gerichtsakte gereicht. Hierauf wird Bezug genommen.

4

Schließlich führen die Kl an, dass auch durch die Grundsätze zur Neuordnung der Finanzämter und zur Neuordnung des Besteuerungsverfahrens GNOFÄ -, die ab 1. Januar 1997 gelten, keine Verbesserungen hinsichtlich der Fallbearbeitung in den Finanzämtern eingetreten sei. Dies alles sei dem Gesetzgeber zuzurechnen, weil angesichts der seit Jahrzehnten ersichtlichen Ungleichheit beim Belastungserfolg, insbesondere durch die steuergesetzlichen Neuregelungen und Ergänzungen, wie sie das Jahressteuergesetz 1996 mit sich bringe, ersichtlich sei, dass das verfassungsrechtlich vorgegebene Ziel der Gleichbehandlung im Belastungserfolg prinzipiell nicht zu erreichen sei.

5

Die Kl beantragen,

den Einkommensteuerbescheid 1996 vom 14. Mai 1997 und die Einspruchsentscheidung vom 25. August 1997 aufzuheben.

6

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Der Beklagte teilt die klägerseits geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken nicht.

8

Dem Gericht haben die für die Kl beim Beklagten geführten Steuerakten vorgelegen.

Gründe

9

Die Klage ist unbegründet.

10

Die dem angefochtenen Steuerbescheid zugrunde liegende Steuer entspricht dem für das Streitjahr geltenden Einkommensteuerrecht.

11

Das erkennende Gericht teilt nicht die Auffassung der Kl, wonach die Einkommensteuer 1996 wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz verfassungswidrig sei. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass es Vollzugsmängel bei der Durchsetzung des Einkommensteuerrechts gibt. Insoweit verschließt sich das Gericht nicht der Tatsache, dass die Volkswirtschaft durchaus einen erheblichen Bereich der sogenannten Schattenwirtschaft, der Schwarzarbeit, aufweist. Derartige Schattenwirtschaft beruht jedoch nicht darauf, dass nicht genügende Steuererhebungsvorschriften vorhanden wären oder aber der Rechtsstaat von sich aus auf die Bekämpfung der Schattenwirtschaft verzichten würde.

12

Für das Gericht ist aus der Steigerung von Mehrergebnissen bei Außenprüfungen ebenfalls nicht zwingend ableitbar, dass dies als Indikator für strukturelle Erhebungsdefizite anzusehen wäre. Gleiches gilt für den sogenannten Betriebsprüfungsturnus, also den Zeitraum, der sich statistisch gesehen zwischen zwei Betriebsprüfungen ergibt. Insoweit ist zu bedenken, dass sich für den einzelnen Betrieb durchaus eine nahezu ständige Überprüfung durch die Finanzverwaltung ergeben kann. Im übrigen ist die Außenprüfung eines von mehreren Instrumenten, die zu einer gleichmäßigen Erhebung der Steuer führt. In welcher Intensität die Prüfung stattfindet hängt dabei vom Personaleinsatz der Finanzbehörden ab. Eine unmittelbare strukturelle Steuerung durch den Gesetzgeber findet dabei nicht statt.

13

Soweit klägerseits zusätzlich gerügt wird, dass durch die Grundsätze zur Neuordnung der Finanzämter und zur Neuordnung des Besteuerungsverfahrens eine zu geringe Quote an intensiver Überprüfung von Steuerfällen durch die Finanzverwaltung festgeschrieben sei, sieht das Gericht hierin ebenfalls keine Regelung, die auf eine Belastungsungleichheit im Ertragsteuerrecht abzielt. Sie bewirkt diese Ungleichheit auch nicht notwendig. Denn die Frage, welche Steuerfälle intensiv durch die Steuerverwaltung geprüft werden, wird durch die Grundsätze zur Neuordnung der Finanzämter und zur Neuordnung des Besteuerungsverfahrens derart allgemein beantwortet, dass hieraus für den einzelnen Steuerbürger nicht ableitbar ist, er könne durch bewusste Manipulation seiner Steuererklärung einer intensiven Überprüfung der Erklärung entgehen.

14

Das Gericht ist der Auffassung, dass der Gesetzgeber der Steuerverwaltung ausreichende Kontrollmechanismen zur Überprüfung der Einkommensteuererklärungen an die Hand gegeben hat. Insoweit unterscheidet sich die Situation von derjenigen, die Grundlage des angesprochenen Urteils des Bundesverfassungsgerichts war. Denn bei der Erhebung der Einkommensteuer auf Kapitalerträge war jedenfalls in den Jahren vor 1990 die Steuerverwaltung praktisch allein auf die Angaben der Steuerbürger angewiesen. Eine derartige Situation ist für 1996 nicht ersichtlich.

15

Nach allem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung abzuweisen.