Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 23.02.2000, Az.: 3 K 91/94

Widerlegung der Zugangsvermutung; Bestreiten des Zugangs eines Bescheids durch Erbe des Bekanntgabeadressaten

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
23.02.2000
Aktenzeichen
3 K 91/94
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 21903
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2000:0223.3K91.94.0A

Fundstellen

  • DStRE 2000, 1108-1109 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZKF 2001, 82

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Schenkungsteuerbescheid vom 30. August 1982 dem Vater der Kl. wirksam bekanntgegeben wurde.

2

Die Tante der Kl. (Im Folgenden: Schenkerin) übertrug im Wege der vorweggenommenen Erbfolge mit notariellem Vertrag vom 21. November 1980 (299/1980 der Urkundenrolle des Notars Dr. C. ...) ihrem Bruder, dem Vater der Kl., ihre Hof- und Gebäudefläche W. 4 in R. Der Vater der Kl. räumte der Schenkerin ein lebenslängliches Wohnrecht an dem Erdgeschoss des übertragenen Gebäudes ein.

3

Mit Bescheid vom 30. August 1982 setzte das beklagte Finanzamt (FA) die Schenkungsteuer für diese Grundstücksübertragung auf 1.562,00 DM fest und stundete die Steuer zinslos nach § 25 Abs. 1 Erbschaftsteuergesetz 1974 (ErbStG) bis zum Erlöschen des lebenslänglichen Wohnrechts der Schenkerin. Das FA gab diesen Bescheid am 30. August 1982 (Montag) zur Post und vermerkte die Aufgabe zur Post auf der Aktenausfertigung des Bescheids.

4

Im November 1983 verstarb der Vater der Kl. Alleinerbin war seine Ehefrau, die Mutter der Kl. Im April 1986 verstarb die Mutter der Kl. und wurde von der Kl. allein beerbt. Im November 1991 verstarb schließlich die Schenkerin.

5

Im Oktober 1992 forderte das FA die Kl. als Erbin ihrer Eltern auf, die gestundete Schenkungsteuer von 1.562,00 DM zu zahlen, da das lebenslängliche Wohnrecht zu Gunsten der Schenkerin durch ihren Tod weggefallen sei und damit kein Stundungsgrund mehr bestehe.

6

Die Kl. beantragte daraufhin beim FA, den Schenkungsteuerbescheid zu ändern, da sie selbst gegenüber der Schenkerin 1983 bis 1984 Pflegeleistungen erbracht habe, die noch steuermindernd zu berücksichtigen seien.

7

Mit Bescheid vom 18. Juni 1993 wies das FA denÄnderungsantrag zurück, da die Schenkungsteuer bereits bestandskräftig gegenüber dem Vater der Kl. festgesetzt worden sei. Hiergegen legte die Kl. Einspruch ein. Ihr Vater sei ein Beamter alter preußischer Prägung gewesen, der alle steuerrechtlichen Angelegenheiten mit ihr besprochen habe. Sie habe jedoch von der Existenz des Bescheides nichts gewusst. Auch im Nachlass ihrer Eltern habe sie keinen Schenkungsteuerbescheid gefunden. Daraus ließe sich nur schließen, dass ihr Vater keinen Bescheid erhalten habe. Das FA sei jedoch für die Bekanntgabe des Bescheides beweispflichtig.

8

Mit Einspruchsbescheid vom 28. Januar 1994 wies das FA den Einspruch der Kl. als unbegründet zurück. Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage.

9

Die Kl. hält an ihrem Vorbringen fest und behauptet ergänzend, dass auch ihr Vater gegenüber der Schenkerin Pflegeleistungen erbracht habe und im Übrigen erhebliche Beträge für den Ausbau und die Instandhaltung des übertragenen Grundbesitzes aufgewendet habe. Im Ergebnis liege daher überhaupt keine Schenkung vor.

10

Die Kl. beantragt,

den Schenkungsteuerbescheid vom 30. August 1982 sowie den Ablehnungsbescheid vom 18. Juni 1993 und den Einspruchsbescheid vom 28. Januar 1994 aufzuheben.

11

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise, im Falle des Unterliegens die Revision zuzulassen.

12

Das FA tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und meint, dass die Schenkungsteuer bereits bestandskräftig festgesetzt worden sei.

Gründe

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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

14

1.

Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 40 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässig, unabhängig davon, ob das FA dem Vater der Kl. gegenüber den Schenkungsteuerbescheid vom 30. August 1982 tatsächlich i.S.d.§ 124 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) wirksam bekanntgegeben hat. Zwar kann mit einer Anfechtungsklage gemäß § 40 Abs. 1 FGO regelmäßig nur die Aufhebung oder dieÄnderung eines wirksam bekanntgegebenen Verwaltungsaktes begehrt werden. Die Aufhebung eines nichtigen Steuerbescheids oder eines rechtlich nicht existent gewordenen Bescheids (sog. Nichtakt) ist jedoch dann ausnahmsweise nach § 40 Abs. 1 FGO möglich, wenn von dieser unwirksamen Steuerfestsetzung die Rechtsscheinwirkung eines wirksamen Verwaltungsaktes ausgeht (BFH-Urteil vom 17. Juli 1986, V R 96/85, BStBl. II 1986, 834; Urteil des FG des Saarlandes vom 28. April 1994 2 K 3/92, EFG 1995, 157; Gräber/von Groll, FGO, 4. Aufl. 1997,§ 40 Rz. 13 und § 41 Rz. 22, 24 m.w.N.). Hat das FA im vorliegenden Fall, wie die Kl. behauptet, den Schenkungsteuerbescheid ihrem Vater nicht bekanntgegeben, so handelt es sich um einen Nichtakt, der grundsätzlich nicht mit der Anfechtungsklage nach § 40 Abs. 1 FGO angefochten werden kann. Im Streitfall ist gleichwohl die Anfechtung des Schenkungsteuerbescheids zulässig, da von diesem Bescheid zumindest der Rechtsschein einer wirksamen Steuerfestsetzung ausgeht. Der Schenkungsteuerbescheid ist als schriftlich abgefasster Verwaltungsakt existent. Das FA beruft sich ausdrücklich auf die Wirksamkeit dieses Bescheids, indem es von der Kl. als Rechtsnachfolgerin ihrer Eltern die Zahlung der festgesetzten Schenkungsteuer verlangt.

15

2.

Das FA hat den Schenkungsteuerbescheid vom 30. August 1982 dem Vater der Kl. gegenüber durch Zusendung eines einfachen Briefes am 2. September 1982 wirksam i.S.d. § 124 Abs. 1 AO bekanntgegeben. Zwar kann das FA nicht nachweisen, dass der Schenkungsteuerbescheid dem Vater der Kl. tatsächlich am 2. September 1982 zugegangen ist. Nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gilt jedoch ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekanntgegeben. Im Streitfall hat das FA den an den Vater der Kl. adressierten Schenkungsteuerbescheid am 30. August 1982 zur Post aufgegeben. Dies ergibt sich aus dem Absendevermerk auf der Aktenausfertigung des Bescheids.

16

Die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gilt allerdings nach der Regelung in § 122 Abs. 2 AO nicht, wenn der Bescheid nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Im Zweifel hat die Behörde dann den Zugang des Verwaltungsaktes und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen, § 122 Abs. 2 Nr. 2 HS. 2 AO.

17

Im Streitfall hat die Kl. die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 2 AO jedoch nicht erfolgreich widerlegt, indem sie gegenüber dem FA bestritten hat, dass ihrem Vater der Schenkungsteuerbescheid tatsächlich zugegangen sei. Zwar greift nach der ständigen Rechtsprechung des BFH die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO nicht, wenn der Bekanntgabeadressat eines Verwaltungsakts nicht nur den fristgerechten Zugang des Schriftstücks, sondern den Zugang überhaupt bestreitet (BFH-Urteil vom 23. September 1966, III 226/63, BStBl. II 1967, 99; BFH-Urteil vom 5. Dezember 1974, V R 111/74, BStBl. II 1975, 286; vgl. auch Tipke/Kruse, AO, 88. Lfg. 1999, § 122 Rz. 58 m.w.N.). Die Kl. kann sich jedoch auf diese Rechtsprechung nicht berufen, da sie nicht der Bekanntgabeadressat des Schenkungsteuerbescheids ist. Bestreitet der Bekanntgabeadressat den Zugang des Bescheids, so trägt er damit konkludent vor, dass ihm nach seiner eigenen Wahrnehmung kein Bescheid zugegangen sei. Der Adressat kann in diesen Fällen in der Regel nicht substantiiert vortragen, dass und warum ihn das Schriftstück nicht erreicht hat (Tipke/Kruse, AO, § 122 RZ. 58). Für ihn besteht auch keine Verpflichtung, den Nichtzugang über das bloße Bestreiten hinaus näher darzulegen (Tipke/Kruse, AO,§ 122 RZ. 58). Bestreitet jedoch der Erbe des Bekanntgabeadressaten den Zugang eines Steuerbescheids, so kann er damit realistischerweise nicht konkludent vortragen, dass dem Adressaten der Steuerbescheid nicht zugegangen sei. Denn er kann hierzu mangels einer eigenen Wahrnehmung überhaupt keine substantiierte Aussage machen.

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Der Erbe kann den Zugang des Steuerbescheids beim Adressaten lediglich mit Nichtwissen bestreiten. Das Bestreiten mit Nichtwissen widerlegt jedoch nicht die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO. Sinn und Zweck der Regelung in § 122 Abs. 2 AO ist es nicht, dass schon ein einfaches Bestreiten genügt, die gesetzliche Vermutung über den Zeitpunkt des Zugangs zu entkräften (BFH-Urteil vom 23. September 1966, III 226/63, BStBl. II 1967, 99). Es müssen vielmehr Zweifel am Zugang des Bescheids berechtigt sein, sei es nach den Umständen des Falles, sei es nach dem schlüssigen oder jedenfalls vernünftigen Vorbringen des Steuerpflichtigen (BFH-Urteil vom 23. September 1966, III 226/63, BStBl. II 1967, 99). Derartige berechtigte Zweifel ergeben sich jedoch nicht, wie bereits ausgeführt, aus dem bloßen Bestreiten der Kl. als Nichtadressat und auch nicht in Hausgemeinschaft mit dem Adressaten lebender Person.

19

Zweifel am Zugang des Steuerbescheids ergeben sich, entgegen der Ansicht der Kl., auch nicht daraus, dass der Vater der Kl. nicht mit ihrüber den Schenkungsteuerbescheid gesprochen hat und dass die Kl. im Nachlass ihrer Eltern auch keinen Bescheid gefunden hat. Diese Gesichtspunkte betreffen nicht unmittelbar den Zugang des Bescheids. Es handelt sich lediglich um Hilfsüberlegungen der Kl., die jedoch nicht ohne weiteres den Schluss rechtfertigen, dass der Bescheid dem Vater der Kl. nicht zugegangen ist. Es sind zahlreiche Gründe denkbar, warum der Vater der Kl. nicht mit der Kl.über den Bescheid gesprochen hat. Auch die Tatsache, dass die Kl. im Nachlass ihrer Eltern keinen Bescheid gefunden hat, kann andere Ursachen haben, zumal zwischen dem Zeitpunkt, in dem das FA den Bescheid zur Post gegeben hat, und dem Zeitpunkt, in dem die Kl. ihre Eltern beerbt hat, mehr als drei Jahre liegen.

20

Die Kosten des Rechtsstreits waren der Kl. als unterlegene Partei nach § 135 Abs. 1 FGO aufzuerlegen.