Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.02.2000, Az.: 1 K 310/99 Ki
Ende der Berufsausbildung (eines Wirtschaftswissenschaftlers); Voraussetzungen der Berufsausbildung
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 08.02.2000
- Aktenzeichen
- 1 K 310/99 Ki
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 21870
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2000:0208.1K310.99KI.0A
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Frage, ob der Kindergeldanspruch des Klägers für seine Tochter wegenÜberschreitens des sog. Grenzbetrages in § 32 Abs. IV S. 2 EStG untergegangen ist.
Die Tochter Claudia des Klägers hat im Streitjahr 1998 das 26. Lebensjahr vollendet. Claudia hat im Jahre 1991 ihr Abitur abgelegt und anschließend eine zweijährige Lehre als Industriekauffrau erfolgreich beendet. Anschließend nahm sie das Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Bremen auf. Dort war sie auch noch im Wintersemester 1998/1999 als ordentliche Studentin eingeschrieben. Tatsächlich hat Claudia in diesem Semester am Lehrbetrieb der Universität nicht mehr teilgenommen. Sie hat bereits im Sommer 1998 ihre Diplomarbeit als letzten Teil ihres Examens verfaßt und im August 1998 abgegeben. Nach Abgabe der Diplomarbeit hat sie ab 1. September 1998 eine Ganztagsbeschäftigung aufgenommen. Der Diplomprüfungsausschuß der Universität hat am 16. Dezember 1998 das Ergebnis der Diplomprüfung (mit der Note sehr gut) festgestellt und ihr den akademischen Grad Diplom-Ökonomin verliehen. Ausgehändigt wurde die Diplomurkunde im April 1999.
Der Kläger hat für seine Tochter im Jahre 1998 zunächst Kindergeld in Höhe von monatlich 220,00 DM erhalten. Nachdem Claudia im August 1998 ihre bevorstehende Arbeitsaufnahme angezeigt hatte (Bl. 102 der Kindergeldakten des Beklagten) , hob der Beklagte mit Bescheid vom 2. September 1998 die Festsetzung des Kindergeldes mit Ablauf des Monats August 1998 auf mit der Begründung, dass das Studium nunmehr beendet sei und das Kind eine Erwerbstätigkeit aufgenommen habe. Der Bescheid wurde bestandskräftig. Mit weiterem Bescheid vom 29. April 1999 hob der Beklagte die Kindergeldfestsetzung rückwirkend ab Januar 1998 auf und forderte den Kläger zur Rückzahlung des für Januar bis August 1998 ausbezahlten Kindergeldes in Höhe von 1.760,00 DM auf. Zur Begründung verwies der Beklagte darauf, dass die Einkünfte der Tochter den Grenzbetrag von 12.360,00 DM überschritten hätten, wobei er den Verdienst des ganzen Jahres erfaßte, also auch den, den Claudia in der Zeit ab September 1998 erzielt hatte.
Gegen die Aufhebung und Rückforderung hat der Kläger nach erfolglosem Vorverfahren Klage erhoben, mit der er zunächst die Auffassung vertritt, dass die Berufsausbildung seiner Tochter bereits im August 1998 mit Abgabe der Diplomarbeit beendet worden sei. Dementspechend sei der Grenzbetrag nur zeitanteilig zu berücksichtigen. Auf ihn seien nur die Einkünfte und Bezüge anzurechnen, die Claudia bis August 1998 erzielt habe. Doch selbst wenn man auf die Einnahmen des ganzen Jahres abstellen wollte, sei der Grenzbetrag falsch berechnet worden. Es seien erheblich höhere Werbungskosten angefallen, als der Beklagte bisher berücksichtigt habe. So habe Claudia in der Zeit von Januar bis August 1998 neben dem Studium eine Nebentätigkeit als geringfügig Beschäftigte ausgeübt. Die Fahrten von der Wohnung zur Arbeitsstätte seien als Werbungskosten mit den üblichen Pauschsätzen anzusetzen. Außerdem seien Werbungskosten für die Fahrten von der Wohnung zur Universität und zu Lerngruppentreffen zu berücksichtigen. Schließlich sei auch das Universitätsgeld vom Grenzbetrag abzuziehen. Auf die Werbungskostenberechnung des Klägers vom 5. Februar 1999 Bl. 122 der Kindergeldakten des Beklagten wird verwiesen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid über die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung vom 29. April 1999 und die Einspruchsentscheidung vom 15. Juni 1999 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an seiner Auffassung fest, dass die Berufsausbildung der Tochter erst mit Ablegung des Examens beendet sei, und zwar mit Unterrichtung vom Prüfungsergebnis. Im Streitfall sei dies der Dezember 1998 gewesen. Folglich habe die Berufsausbildung das ganze Jahr 1998 angedauert mit der weiteren Folge, dass die gesamten Jahreseinkünfte und Bezüge der Tochter auf den Grenzbetrag anzurechnen seien. Bei der Grenzbetragsberechnung seien die Fahrtkosten der Tochter vom Wohnort zur Universität nicht als Werbungskosten zu erfassen. Diese Kosten stünden im keinem Zusammenhang mit einer Erwerbstätigkeit. Gleiches gelte auch bei den Fahrten zu den Lerngruppentreffen. Bei den weiteren Fahrtkosten während des Studiums zur Arbeitsstätte der Nebentätigkeit könne nur ein Pauschbetrag von 360,00 DM anerkannt werden. Die Nebentätigkeit sei vom Arbeitgeber pauschal versteuert worden. Deshalb sei der Lohn den Bezügen und nicht den Einkünften der Tochter zuzuordnen. Das Universitätsgeld könne ebenfalls nicht berücksichtigt werden, weil der Kläger dafür bereits einen Ausbildungsfreibetrag erhalten habe.
Wegen des Vortrags der Parteien im übrigen wird auf den Inhalt ihrer Schriftsätze im Klage und im Vorverfahren Bezug genommen.
Parallel zum Klageverfahren hat der Kläger die Aussetzung der Vollziehung der angefochtenen Bescheide beantragt. Auf den Beschluss des Senats vom 17. November 1999 1 V 311/99 wird verwiesen.
Gründe
I.
Die Klage hat Erfolg.
Der angefochtene Bescheid hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Der Kläger hat für seine Tochter in der Zeit von Januar bis August 1998 einen Kindergeldanspruch.
1.
Nach den §§ 62 Abs. 1, 63 Abs. 1 und 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 a EStG in der Fassung des Streitjahres wird für ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, Kindergeld bewilligt, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird und daraus Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 12.360,00 DM im Kalenderjahr hat. Dieser Grenzbetrag von 12.360,00 DM mindert sich nach S. 6 der Norm für jeden Monat um 1/12, in dem die Voraussetzungen für den Bezug von Kindergeld nach den Nummern 1 oder 2 der Norm nicht vorliegen. Im Falle der Kürzung bleiben Einkünfte und Bezüge, die auf die Kürzungsmonate entfallen, außer Ansatz (§ 32 Abs. 4 S. 7 EStG).
2.
Im Streitfall erfüllt die Tochter Claudia des Klägers die Anspruchsvoraussetzungen des § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 a EStG nur in der Zeit von Januar 1998 bis August 1998. Nur in dieser Zeit befand sie sich in einer Berufsausbildung als Diplom-Ökonomin. Der Besuch einer Hochschule ist Teil einer Berufsausbildung (BFH-Urteil vom 9. Juni 1999 VI R 34/98, BStBl. II 1999, 705). In der Zeit von September 1998 bis Dezember 1998 lag dagegen keine Berufsausbildung mehr vor. Die Ausbildung war mit Abgabe der Diplomarbeit im August 1998 beendet.
Das Tatbestandsmerkmal der Berufsausbildung in § 32 Abs. IV S. 1 Nr. 2 a EStG wird im Gesetz nicht näher umschrieben. Der BFH hat dazu in seinem zuvor genannten Urteil vom 9. Juni 1999 erkannt, daß das Merkmal wegen der Verweisung in§ 63 EStG auf § 32 EStG im Rahmen der Kindergeldberechtigung und der Kinderfreibetragsregelung nur einheitlich ausgelegt werden kann. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH zur Kinderfreibetragsregelung in § 32 Abs. 4 EStG ist unter einer Berufsausbildung die Ausbildung zu einem künftigen Beruf zu verstehen, in Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernstlich darauf vorbereitet (BFH-Urteil vom 23. April 1997, VI R 135/95, BFH/NV 1997, 655). Dabei umfaßt die Vorbereitung alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlagen für die Ausübung des angestrebten Berufes geeignet sind, die mithin Ausbildungscharakter haben (BFH-Urteil vom 9. Juni 1999 VI R 50/98, BStBl. II 1999, 706, 708).
Im Streitfall hatte die Tätigkeit, die die Tochter in der Zeit von September bis Dezember 1998 ausübte, keinen Ausbildungscharakter. Mit Abgabe ihrer Diplomarbeit im August hatte sie alles getan, was sie tun konnte, um ihr Berufsziel zu erreichen. Möglichkeiten, das Examen in irgendeiner Weise zu beeinflussen, hatte sie nicht mehr. Ihre Arbeit hatte keinen Zusammenhang mit ihrem späteren Beruf. Eine irgendwie geartete Ausbildung fand nicht mehr statt. Die Arbeitsaufnahme diente nur dazu, die Zeit bis zur Auswertung der Diplomarbeit zu überbrücken und Einkünfte zu erzielen. Die Tochter selbst hat - wie sie mit Schreiben vom 26. August 1998 an den Beklagten (Bl. 102 der Kindergeldakten des Beklagten) zum Ausdruck gebracht hat - die Beschäftigung auch nicht als Ausbildung verstanden.
Da die Tochter nach Abgabe ihrer Diplomarbeit keinen weiteren Ausbildungsabschnitt erwartete, läßt sich die Arbeitsaufnahme vom September 1998 auch nicht als Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten im Sinne des § 32 Abs. IV S. 1 Nr. 2 b EStG einordnen.
Der erkennende Senat ist deshalb der Auffassung, daß - jedenfalls in dem hier zu entscheidenden Fall, in dem das Examen erfolgreich absolviert wird - die Berufsausbildung eines Wirtschaftswissenschaftlers mit Abgabe der schriftlichen Diplomarbeit als letztem Teilakt des Examens beendet ist. Der anderslautenden Auffassung eines Teils der Rechtsprechung (FG Düsseldorf, Urteil vom 7. Mai 1999 18 K 6966/98 Kg; FG Baden-Württemberg, Urteile vom 10. Dezember 1997 12 K 179/97, EFG 1998, 746 und 17. September 1997 7 K 137/96, EFG 1998, 102) und der Verwaltung ( DA-FamEStG 63.3.2.6 Abs. 10, BStBl. I 1998, 386 ff. 415) folgt der Senat nicht.
3.
Ist demnach die Berufsausbildung der Tochter bereits Ende August 1998 beendet, mindert sich der Grenzbetrag von 12.360,00 DM um 4/12 auf 8.240,00 DM. Im Einklang damit haben nach § 32 Abs. 4 S. 7 EStG die Einkünfte und Bezüge außer Ansatz bleiben, die auf die Kürzungsmonate entfallen. Die Einkünfte und Bezüge, die die Tochter bis einschließlich August 1998 erzielt hat, erreichen den Grenzbetrag nicht:
1. | BaföG für Jan. - März, lt. Bescheid mtl. 342,00 DM, lt. Erklärung vom 5. Februar 1989 (Bl. 103 Kindergeldakte - KiGA) | 1.368,00 DM |
---|---|---|
2. | Aushilfsarbeitslohn Fa. v. Wieding für Jan. (Bl. 100 KiGA) | 385,00 DM |
3. | Aushilfsarbeitslohn Fa. v. Wieding für Feb. - Juli (Bl. 104 KiGA) | 2.095,00 DM |
4. | Aushilfsarbeitslohn Fa. v. Wieding für Aug. 98 (Bl. 108 KiGA) | 445,00 DM |
5. | zusammen | 4.293,00 DM |
Da bereits die Einnahmen unter dem Grenzbetrag liegen, kommt es auf die zwischen den Parteien streitige Höhe der Werbungskosten nicht mehr an.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung - FGO.
Die übrigen Nebenentscheidungen ergeben sich aus§ 151 Abs. 3 i. V. m. § 155 FGO und§§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.