Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 26.11.2019, Az.: L 15 P 47/17
Wohngruppenzuschlag nach dem SGB XI; Begriff der gemeinsamen Wohnung; Gemeinsames Zusammenleben der Bewohnerinnen und Bewohner; Vorhandensein eines eigenen Bades pro Bewohnerin und Bewohner
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 26.11.2019
- Aktenzeichen
- L 15 P 47/17
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2019, 63850
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Aurich - 15.08.2017 - AZ: S 12 P 16/16
- nachfolgend
- BSG - 10.09.2020 - AZ: B 3 P 1/20 R
Rechtsgrundlage
- § 38a SGB XI
Fundstelle
- NZS 2020, 394
Redaktioneller Leitsatz
Einer gemeinschaftliche Wohnform ist förderungswürdig, wenn die (äußere) Beschaffenheit der gemeinsamen Wohnung das gemeinsame Zusammenleben der Bewohnerinnen und Bewohner nicht nur ermöglicht, sondern auch erfordert; allein das Vorhandensein eines eigenen Bades pro Bewohnerin und Bewohner steht der Anforderung einer gemeinsamen Wohnung im Sinne des § 38a SGB XI nicht entgegen.
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten einen Wohngruppenzuschlag nach § 38a Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI).
Der Kläger wurde am K. geboren und bezog seit dem 1. Januar 2015 Leistungen der Beklagten. Er war zunächst in einer Einrichtung der Behindertenhilfe untergebracht. Seit 1. Februar 2016 bezog er Leistungen wegen eingeschränkter Alltagskompetenz. Bei ihm sind ein GdB von 100 sowie die Merkzeichen G und H anerkannt. Vom 1. Oktober 2015 bis 30. September 2018 bewohnte er ein Apartment in der Wohnanlage "L." (im Folgenden: Seniorenzentrum) in M ...
Die Anlage besteht aus elf Apartments, die sich auf insgesamt zwei Etagen erstrecken. Jedes Apartment hat eine Größe von ca. 46 qm und besteht aus einem Wohnraum, einem Schlafraum, einem Badezimmer und einer Küchenzeile mit Ceranfeld, Backofen und Spüle im Wohnzimmer. Jedes Apartment besitzt eine eigene Klingel und einen eigenen Briefkasten; die im Erdgeschoss befindlichen Apartments sind zur Außenseite des Hauses mit einer Türklinke versehen. Im Erdgeschoss der Wohnanlage befindet sich ein großzügiger Gemeinschaftsraum mit einem Esstisch für alle Bewohner des Wohnkomplexes sowie mit einer großen vollausgestatteten Gemeinschaftsküche. In diesem Raum gibt es außerdem eine Sitz- und eine Leseecke. Außerdem gehört zu diesem Gemeinschaftsbereich ein weiteres Badezimmer. Der Betreiber der Einrichtung und der Betreuer des Klägers haben am 25. August 2015 zwei verschiedene Verträge abgeschlossen, ein Vertrag hat nur die Anmietung des Apartments ab 1. Oktober 2015 zum Inhalt, der andere auch die Gewährung von Betreuungsleistungen. Die Verträge weisen eine Miete für den Wohnbereich i. H. v. 285 EUR, eine Betriebskostenvorauszahlung von 78 EUR und eine Nutzungsentgeltvorauszahlung für die Gemeinschaftseinrichtungen von 127 EUR aus. Das Seniorenzentrum stellt außerdem ein "Grundservice-Paket" mit allgemeinen Betreuungsleistungen und sozialen, verwaltenden und organisatorischen Leistungen für 348,30 EUR monatlich zur Verfügung. Aus einer am 8. August 2016 unterzeichneten Erklärung der Bewohnerinnen und Bewohner geht hervor, dass diese die Betreuungsleistungen von Frau N., M., für ein weiteres Jahr in Anspruch nehmen wollen.
Der Betreuer des Klägers beantragte am 19. Oktober 2015 bei der Beklagten die Gewährung eines Wohngruppenzuschlages. Mit Bescheid vom 2. Februar 2016 lehnte die Beklagte dies ab, weil der Kläger in einer eigenen kleinen Wohnung mit separatem Sanitärbereich sowie zwei Zimmern wohne. Die Voraussetzung des § 38a SGB XI, dass es sich um eine Wohngruppe in einer gemeinsamen Wohnung handeln müsse, sei nicht erfüllt. Am 15. Februar 2016 erhob der Kläger Widerspruch und führte zur Begründung an, schon aus hygienischen Gründen müsse jeder Bewohner über eine eigene Nasszelle sowie eine eigene Küchenzeile verfügen, um eine etwaige Keimübertragung zu vermeiden. Außerdem benötigten Pflegebedürftige im Badezimmer sehr viel Zeit, sodass anderen Mitbewohnern nicht zuzumuten sei, darauf zu warten. Der Gesetzgeber fordere lediglich ein Gemeinschaftsbad, eine Gemeinschaftsküche und ein Gemeinschaftswohnzimmer, all dies sei im Seniorenzentrum jedoch vorhanden und schließe nicht aus, dass jedem Bewohner zusätzlich noch eine Nasszelle und eine Küchenzeile zur Verfügung stehe. Das Herzstück der Wohngruppe bildeten dagegen die Gemeinschaftsräume: die Wohnküche und das geräumige Wohnzimmer seien die Orte der Begegnung der Bewohner. Die Wirtschaftsräume und die Gemeinschaftsbäder stünden allen offen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28. April 2016 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Aus dem von ihm eingereichten Mietvertrag folge, dass er ein eigenständiges Apartment mit eigenem Bad und eigener Küche bewohne und er lediglich gewisse Gemeinschaftsräume mitbenutzen dürfe. Es handele sich deshalb nicht um eine Wohngemeinschaft i. S. v. § 38a Abs. 1 Nr. 1 SGB XI.
Der Kläger hat am 24. Mai 2016 Klage zum Sozialgericht (SG) Aurich erhoben. Die Beklagte verkenne, dass die hier vollständig ausgestatteten Sanitärbereiche in den einzelnen Apartments lediglich eine Indizwirkung haben könnten. Für Wohngemeinschaften i. S. v. § 38a SGB XI werde darüber hinaus allgemein die Einrichtung von zwei bis drei Bädern und Toiletten im Gemeinschaftsbereich empfohlen. Die Möglichkeit, über eine eigene Nasszelle zu verfügen, verhindere insbesondere die Verbreitung ansteckender Erkrankungen. Die Herausforderung bei der baulichen Konzeption des Seniorenzentrums habe darin bestanden, eine Balance zwischen Funktionalität und der gewünschten gemeinschaftlichen Lebensform zu finden. Die vorgeschriebenen Voraussetzungen seien eingehalten worden: Die Privaträume böten Platz für Bett, Schrank, Sitzgelegenheit und Bewegungsfreiheit sowie für den Einsatz von Hilfsmitteln. Die Zimmer würden von den Bewohnern mit eigenem Mobiliar bestückt und persönlich gestaltet. Die Gemeinschaftsräume bildeten das Herzstück der Wohngemeinschaft und würden von der Bewohnergemeinschaft gemeinsam eingerichtet. Die komplett ausgerüstete Wohnküche mit Wohnzimmer sei ein Ort der Begegnung. Die Wirtschaftsräume mit Haushaltsgegenständen, Putzmitteln und anderen Gerätschaften sowie Abstellräume seien für alle zugänglich. Auch seien vollständig ausgestattete Gemeinschaftsbäder vorhanden. Das Vorhandensein eigener Klingeln bzw. Briefkästen spreche nicht gegen eine Wohngemeinschaft. Der Landkreis M. habe das Seniorenzentrum eindeutig als ambulant betreute Wohngemeinschaft klassifiziert (Schreiben des Landkreises M. vom 14. Juli 2016). Das SG Münster habe mit Urteil vom 14. März 2014 - S 6 P 135/13 - eine vergleichbare Einrichtung als Wohngemeinschaft i. S. v. § 38a SGB XI anerkannt. Einer engen Definition des Begriffs der "gemeinsamen Wohnung" sei nicht zu folgen, sondern vielmehr der in der Literatur vertretenen weiteren Definition (so Griep Sozialrecht aktuell 2013, S. 186 f), die eine gemeinsame Wohnung bejahe, wenn es sich um zusammenhängende Räume handele, die einen nach außen hin begrenzten Wohnraum bildeten. Hierbei komme es auf die Abgeschlossenheit der Wohneinheit an, welche regelmäßig über einen eigenen verschließbaren Zugang erreichbar sei. Diese Voraussetzung sei vorliegend gegeben, denn die Wohngruppe sei nur durch eine gemeinsame Eingangstür zugänglich. Die Tatsache, dass jeder Bewohner eine eigene Klingel und einen eigenen Briefkasten besitze, solle erkennbar im Wesentlichen nur das Gefühl für die Möglichkeit der Privatheit des Wohnens stärken. Entscheidend sei vielmehr, dass nach dem Konzept des Seniorenzentrums im täglichen Leben das gemeinsame Wohnen einen großen Raum einnehme. Die in den einzelnen Zimmern vorhandenen Kochgelegenheiten stellten keine vollwertigen Küchen dar. Vielmehr stehe - nicht nur räumlich - die Gemeinschaftsküche im Mittelpunkt, die mit Sitzgelegenheiten den Bewohnern und ihren Betreuern ausreichend Platz biete. Daneben gebe es über diesen gemeinsamen Wohnraum hinaus noch weitere gemeinschaftlich genutzte Flächen wie etwa Hauswirtschaftsraum oder Abstellräume. Das SG Münster sei in seiner zuvor genannten Entscheidung zu Recht dieser Auffassung gefolgt und stütze sich außerdem auf die Gesetzesbegründung. Danach sollten neue Wohn- und Betreuungsformen durch die Einführung des Wohngruppenzuschlages gestärkt werden. Hintergrund sei insbesondere die Überlegung, dass durch neue Wohn- und Betreuungsformen die stationäre Pflege vermieden werde. Auch habe der Gesetzgeber ausgeführt, die Neugründung von ambulanten Wohngemeinschaften von Pflegebedürftigen nach § 38a SGB XI sei als sinnvolle Zwischenform zwischen der Pflege in der häuslichen Umgebung einerseits und der vollstationären Pflege andererseits gewollt. Diesem Gesetzeszweck würde jedoch eine Auslegung, die eine Förderung nur bei einem Wohnen in einer herkömmlich geschnittenen Wohnung mit einer Küche und einem einzigen Sanitärbereich vorsehe, zuwiderlaufen. Vielmehr erscheine die von dem Kläger bewohnte Einrichtung als eine förderungswürdige "sinnvolle Zwischenform". Schließlich sei auch die Tatbestandsvoraussetzung des gemeinschaftlichen Wohnens zum Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung erfüllt. So habe die Bundesregierung in einer Stellungnahme ausgeführt, dass "anbieterorientierte Wohngruppen" nicht ausgeschlossen seien. Nach den von dem Kläger unterzeichneten Verträgen sei eine strikte Trennung des Mietvertrages und des Betreuungsvertrages sowie des Vertrages über die ambulante pflegerische Versorgung erfolgt. Insbesondere handele es sich bei dem Vermieter und dem Betreuer bzw. Pflegeanbieter um verschiedene (juristische) Personen. Die Bewohner der Wohngruppe wählten in einer Mitgliederversammlung einmal pro Jahr einen Betreuer, mit dem dann individuelle Verträge abgeschlossen würden.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass das prägende Merkmal des Wohnens im Seniorenzentrum das Bewohnen eines voll ausgestatteten abgeschlossenen eigenen Apartments sei. Deshalb könne nicht von einer gemeinsamen Wohnung gesprochen werden. Auch sei der Mietvertrag mit dem Betreuungsvertrag gekoppelt. Sofern der Kläger den Betreuungsvertrag kündige, werde vom Betreiber ein weiterer Betreuer vorgeschlagen, mit dem ein neuer Betreuungsvertrag geschlossen werden müsse. Ferner sei sicherzustellen, dass auch der neue Betreuungsvertrag gleichzeitig mit dem Mietvertrag ende (§ 3 Nr. 5 des Abschnittes III Betreuungsleistungen).
Mit Urteil vom 15. August 2017 hat das SG die Klage abgewiesen. Das Seniorenzentrum entspreche nicht den Anforderungen einer gemeinsamen Wohnung im Sinne des § 38a SGB XI. Die von den Bewohnern jeweils allein bewohnten Apartments seien vollständig nutzbare eigenständige Wohnungen. Eine gemeinsame Wohnung liege nicht schon dann vor, wenn neben dem eigenen kompletten Wohnbereich ein weiterer Gemeinschaftsbereich zur Verfügung stehe, der von den Bewohnern genutzt werden könne. Denn der gemeinschaftliche Bereich stelle somit nur ein zusätzliches Angebot an die Bewohner dar, dessen Nutzung sie annehmen oder ablehnen könnten. Der eigentliche Wohnbereich des Klägers sei sein Apartment. Auch fehle es daran, dass vorliegend nicht eine sogenannte Präsenzkraft von den Mitgliedern der Wohngruppe bestimmt werde. Der gesetzlichen Regelung entspreche es gerade nicht, wenn jeder einzelne Bewohner einen Dienstleister beauftrage. Vielmehr müsse die Beauftragung durch die Gemeinschaft aufgrund einer gemeinsamen Auswahl einer bestimmten Präsenzkraft (aus mehreren Alternativen) und nicht durch jeden Pflegebedürftigen allein erfolgen. Auch umfasse die gemeinschaftliche Beauftragung die gemeinsame Festlegung des konkreten Aufgabenkreises. Dieser sei jedoch im vorliegenden Fall bereits seitens des Vermieters vorgegeben. Die Gewährung von Betreuungsleistungen durch die Präsenzkraft sei aufgrund des integralen Bestandteiles des Gesamtvertrages verpflichtend und nicht wählbar. Außerdem bestehe kein vertragliches Verhältnis zwischen der Wohngemeinschaft einerseits und der Betreuungskraft andererseits. Die Betreuungskraft sei vielmehr vertraglich und damit auch hinsichtlich ihrer Verpflichtungen nur dem Vermieter gegenüber gebunden. Zu den einzelnen konkreten Betreuungsleistungen liege danach weder im Innenverhältnis der Bewohnerinnen und Bewohner noch im Außenverhältnis zu der Präsenzkraft eine Vereinbarung vor.
Gegen das ihm am 30. August 2017 zugestellte Urteil hat der Kläger am 7. September 2017 Berufung eingelegt. Das SG sei zu Unrecht einer zu engen Definition des Wohnungsbegriffes in § 38a SGB XI gefolgt. In keiner der vom SG zitierten Entscheidungen werde zudem gefordert, dass die Wohngemeinschaft ihre pflegerische Versorgung nur durch einen gemeinsamen Akt im Außenverhältnis regeln könne. Folglich reiche die Auswahl einer entsprechenden Person im Innenverhältnis aus. Entscheidend sei im vorliegenden Fall, dass alle Bewohnerinnen und Bewohner ihren Pflegedienst frei wählen könnten und sich hinsichtlich der Präsenzkraft auf eine Person einigen müssten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Aurich vom 15. August 2017 sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. Februar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. April 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger seit dem 1. Oktober 2015 bis zum 30. September 2018 einen Wohngruppenzuschlag in gesetzlicher Höhe zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das Urteil des SG für zutreffend.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes sowie der von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der Verhandlung und Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet.
Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen, denn der Bescheid der Beklagten vom 2. Februar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. April 2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung eines Wohngruppenzuschlags. Rechtsgrundlage dafür ist § 38a SGB XI, der zunächst in der Fassung des Ersten Pflegestärkungsgesetzes (PSG I) vom 23. Dezember 2014 (BGBl. I 2014, 2222), gültig ab 1. Januar 2015, anzuwenden ist, da der Kläger diese Leistung am 19. Oktober 2015 bei der Beklagten beantragte. § 38a Abs. 1 SGB XI in dieser Fassung lautete:
"(1) Pflegebedürftige haben Anspruch auf einen pauschalen Zuschlag in Höhe von 205 Euro monatlich, wenn
1. sie mit mindestens zwei und höchstens elf weiteren Personen in einer ambulant betreuten Wohngruppe in einer gemeinsamen Wohnung zum Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung leben und davon mindestens zwei weitere Personen pflegebedürftig im Sinne der §§ 14, 15 sind,
2. sie Leistungen nach den §§ 36, 37, 38, § 45b oder § 123 beziehen,
3. eine Person von den Mitgliedern der Wohngruppe gemeinschaftlich beauftragt ist, unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung allgemeine organisatorische, verwaltende, betreuende oder das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten zu verrichten oder hauswirtschaftliche Unterstützung zu leisten, und
4. keine Versorgungsform einschließlich teilstationärer Pflege vorliegt, in der ein Anbieter der Wohngruppe oder ein Dritter den Pflegebedürftigen Leistungen anbietet oder gewährleistet, die dem im jeweiligen Rahmenvertrag nach § 75 Absatz 1 für vollstationäre Pflege vereinbarten Leistungsumfang weitgehend entsprechen; der Anbieter einer ambulant betreuten Wohngruppe hat die Pflegebedürftigen vor deren Einzug in die Wohngruppe in geeigneter Weise darauf hinzuweisen, dass dieser Leistungsumfang von ihm oder einem Dritten nicht erbracht wird, sondern die Versorgung in der Wohngruppe auch durch die aktive Einbindung ihrer eigenen Ressourcen und ihres sozialen Umfelds sichergestellt werden kann. ( ) "
Der Kläger erfüllte die Voraussetzungen dieser Anspruchsgrundlage sowie der weiteren, zum 1. Januar 2017 im Rahmen des Zweiten Pflegestärkungsgesetzes in Kraft getretenen und bis 31. Dezember 2018 gültigen Fassung (BGBl I, 2424) schon deshalb nicht, weil er nicht mit den weiteren Bewohnerinnen und Bewohners des Seniorenzentrums in einer "gemeinsamen Wohnung" im Sinne des § 38a Abs. 1 S. 1 SGB XI lebte, der Senat legt dabei seiner Beurteilung den Miet- und Betreuungsvertrag vom 25. August 2015 zugrunde.
Die Frage, welche Anforderungen an eine "gemeinsame Wohnung" im Sinne des § 38a Abs. 1 S. 1 SGB XI zu stellen sind, wird in Rechtsprechung und Literatur bisher nicht einheitlich beantwortet (vgl. hierzu z.B. Wiegand in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, 2. Aufl. 2017, § 38a Rn. 24, Wahl in: Udsching/ Schütze, SGB XI, 5. Auflage 2018, § 38a Rn. 6; BSG, Urteil vom 18. Februar 2016 - B 3 P 5/14 R - juris Rn. 20, Bay. LSG, Urteil vom 27. Juni 2019 - L 4 P 63/18 -, BT- Drs. 18/2909, S.42 einerseits und SG Münster, Urteil vom 4. März 2014 - S 6 P 135/13 -, LSG NRW, Urteil vom 20. September 2018 - L 5 P 97/17 sowie LSG Berlin- Brandenburg, Urteil vom 11. Oktober 2018 - L 30 P 71/16 - andererseits). Die erstgenannte, - enge - Auffassung bezieht sich auf das Gemeinsame Rundschreiben des GKV-Spitzenverbandes zu den leistungsrechtlichen Vorschriften des SGB XI vom 18. Dezember 2015 (Seite 151), wonach eine gemeinsame Wohnung dann gegeben ist, wenn der Sanitärbereich, die Küche und - sofern vorhanden - der Aufenthaltsraum einer abgeschlossenen Wohneinheit von allen Bewohnern jederzeit allein oder gemeinsam genutzt werden kann. Ferner ist danach erforderlich, dass die Wohnung von einem abschließbaren Zugang im Freien, von einem Treppenhaus oder einem Vorraum zugänglich ist. Dementsprechend wird von dieser Auffassung die Ansicht vertreten, dass ein komplett ausgestatteter eigener Sanitärbereich jeder Bewohnerin und jedes Bewohners schon gegen das Vorliegen einer gemeinsamen Wohnung spricht.
Die weitergehende Auffassung in der Rechtsprechung (SG Münster, a.a.O) hält eine gemeinsame Wohnung auch für gegeben bei individuell genutzten, ca. 35 qm großen Wohnungen mit eigenem Sanitärbereich und eigener Pantryküche sowie Briefkasten und Klingel, wenn ein zusätzlicher gemeinsamer Hauswirtschaftsraum und Abstellräume sowie eine rollstuhlgerechte WC - Einheit vorhanden sind (ähnlich auch LSG NRW, Urteil vom 20.September 2018 - L 5 P 97/17 - für Zimmer mit eigenem Sanitärbereich und Küchenzeile sowie LSG Berlin- Brandenburg, Urteil vom 11.Oktober 2018 - L 30 P 71/16 - für Zimmer mit Dusche und Toilette und gemeinschaftlich nutzbarer Wohnküche.) Diese Auffassung wird auch in der Literatur mit der Begründung geteilt (so Udsching, juris PR- SozR 6/2019 Anmerkung 4), dass es einer gemeinsamen Wohnung im Sinne des § 38a SGB XI nicht entgegenstehe, wenn die Ausstattung des dem Einzelnen zustehenden Apartments geeignet ist, die elementaren Bedürfnisse im Tagesablauf auch ohne Nutzung von Gemeinschaftseinrichtungen zu befriedigen. Maßgebend soll danach vielmehr die Existenz der Gemeinschaftseinrichtungen sein, die von allen Bewohnern genutzt werden können und insbesondere der fehlende Zugang und Ausgang in den Außenbereich.
Der Senat orientiert sich bei der Beantwortung der Frage, welche Voraussetzungen an eine "gemeinsame Wohnung" zu stellen sind, an dem maßgeblichen Sinn und Zweck, den der Gesetzgeber mit der Einführung des § 38a SGB XI verbunden hat: Danach liegt § 38a SGB XI einerseits die versorgungsethische Erwägung (s. Wahl in: Udsching/Schütze, SGB XI, 5. Auflage 2018, § 38a Rn.4) zugrunde, dass gemeinschaftliche Wohnformen außerhalb der stationären Pflegeeinrichtungen den Bedürfnisse vieler Pflegebedürftiger entsprechen. Ambulant betreute Wohngruppen ermöglichen es vielen Menschen, die ihren Lebensalltag nicht mehr allein bewältigen können, eine gemeinschaftliche Pflege in der Nähe ihres angestammten Wohnumfeldes zu erhalten, was Brüche im sozialen Gefüge der Betroffenen verhindert (BT- Drs. 18/2090, S. 41). Der zu beobachtenden Singularisierung in einer alternden Gesellschaft soll eine neuartige, geförderte Versorgungsform entgegengesetzt und gefördert werden, die dem besonderen Aufwand für die Organisation von Wohngruppen Rechnung trägt (BSG a.a.O). Der finanzielle Anreiz zu einer Inanspruchnahme ambulanter Pflegeleistungen in der Wohngruppe soll zudem der Inanspruchnahme der (in der Regel) kostenintensiveren stationären Versorgung entgegenwirken. Mit der konkreten Ausgestaltung des § 38a SGB XI verfolgt der Gesetzgeber darüber hinaus das Ziel, Wohnformen, die lediglich bei formaler Betrachtung der ambulanten Versorgung zuzuordnen wären, faktisch aber einer stationären Vollversorgung entsprechen, von einer entsprechenden Förderung auszuschließen (BT- Drs. 18/2909, S.41, BT- Drs. 18/5926, S. 125).
Zu einer gemeinschaftlichen Wohnform, die nach dem Willen des Gesetzgebers förderungswürdig ist, gehört zur Überzeugung des Senats daher eine (äußere) Beschaffenheit der gemeinsamen Wohnung, die das gemeinsame Zusammenleben der Bewohnerinnen und Bewohner nicht nur ermöglicht, sondern auch erfordert. Der Senat teilt zwar insbesondere aus hygienischen Erwägungen nicht die Auffassung, dass schon das Vorhandensein eines eigenen Bades pro Bewohnerin und Bewohner der Anforderung einer gemeinsamen Wohnung im Sinne des § 38a SGB XI nicht genügt. Wenn jedoch die gesamte Wohnanlage so gestaltet ist, dass jede Bewohnerin und jeder Bewohner sich in einem eigenen, mit Bad und Küche ausgestatteten Apartment praktisch selbstständig und autark versorgen kann, ohne in irgendeiner Art und Weise auf gemeinsam genutzte Wohnräume oder eine gemeinschaftliche Organisation des Zusammenwohnens angewiesen zu sein, liegt keine "gemeinsame Wohnung" mehr vor. So liegt es hier: Der Kläger und die anderen Bewohner verfügten nicht nur über ein eigenes Zimmer, sondern vielmehr über zwei Zimmer, eine kleine, voll ausgestattete Küche und ein eigenes Bad. Diese Wohnsituation stützt das Bild eines selbstverantworteten und eigenorganisierten Lebens eines jeden Bewohners in seinem Apartment, der nicht auf die Gemeinschaft mit den anderen angewiesen ist. Der Kläger lebte daher nicht in einer gemeinsamen Wohnung mit den anderen Bewohnern des Seniorenzentrums "O.".
Ob darüber hinaus die Bewohnerinnen und Bewohner vorliegend eine Person gemeinschaftlich beauftragt hatten, unabhängig von ihrer individuellen pflegerischen Versorgung allgemeine organisatorische, verwaltende, betreuende oder das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten zu verrichten oder hauswirtschaftliche Unterstützung zu leisten (§ 38a Abs. 1 Nr. 3 SGB XI), kann daher hier offenbleiben. In der Rechtsprechung wird auch die Frage, welche Voraussetzungen an die Bestellung einer Präsenzkraft geknüpft werden, nicht einheitlich beantwortet. Das BSG hat dazu ausgeführt, dass dafür eine gemeinsame Entscheidung der Bewohner über die Person der Präsenzkraft und die Festlegung ihres konkreten Aufgabenkreises erforderlich sei, die damit den Zweck der gemeinschaftlich organisierten pflegerischen Versorgung nach außen hin objektiviere (BSG a.a.O.,juris Rn. 21 und 23). Die zu erledigenden Aufgaben der Präsenzkraft müssten sich deutlich von der benötigten individuellen pflegerischen Versorgung unterscheiden (BSG a.a.O, Rn. 29). Das LSG NRW (Urteil vom 20. September 2018 - L 5 P 97/17 -, juris Rn. 72 ff., anhängig beim BSG zu B 3 P 2/19 R -) hat es ausreichen lassen, dass alle Bewohner gleichlautende Einzelverträge mit dem Träger - einer gGmbH - abschließen, der wiederum eine Präsenzkraft auswählt. Die gemeinschaftliche Beauftragung ergebe sich danach daraus, dass alle Mieter denselben Willen hätten, den Träger der Wohngruppe zur Stellung einer Präsenzkraft zu verpflichten. In seiner Entscheidung vom 6. Juni 2019 - L 5 P 63/18 - hat das LSG NRW allerdings ausgeführt, dass die Beauftragung auf einem gemeinsamen Willensbildungsprozess der Bewohnerinnen und Bewohner beruhen müsse (juris Rn. 88, 90). Das bayrische LSG hält eine gemeinschaftliche Beauftragung für ausgeschlossen, wenn durch die einzelnen Bewohnerinnen und Bewohner jeweils einzelvertraglich eine Person beauftragt werde (Urteil vom 27. Juni 2019 - L 4 P 63/18 -, juris Rn. 33). Anders als das LSG NRW in der Entscheidung zur Präsenzkraft als juristischer Person hält es das LSG Rheinland- Pfalz für erforderlich, dass die gemeinschaftlich beauftragte Präsenzkraft eine (einzige) namentlich benannte natürliche Person sein müsse (Urteil vom 17. Juli 2019 - L 5 P 38/18 - anhängig beim BSG zu - L 3 P 3/19 R -). Das LSG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 11. Oktober 2018 - L 30 P 71/16 -, juris Rn. 45) verlangt, dass alle Bewohner bzw. ihre rechtlichen Betreuer gemeinschaftlich eine Präsenzkraft im Sinne einer sogenannten Arbeitgebergemeinschaft beauftragen. Erforderlich sei - so das LSG weiter - ein gemeinschaftlicher, den individuellen Bedürfnissen der Mitglieder entsprechender Willensbildungsprozess der Gruppe mit dem Ergebnis der Bestimmung einer Präsenzkraft und deren Aufgabenkreis, nachgewiesen z.B. durch das Protokoll einer Wohngruppenversammlung. Eine Beantwortung dieser Frage(n) kann der Senat dahinstehen lassen, weil es darauf für die Entscheidung dieses Einzelfalles nicht (mehr) ankommt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Senat hat die Revision zum Bundessozialgericht gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, weil die Rechtssache angesichts der unterschiedlichen Rechtsprechung zum Begriff der gemeinsamen Wohnung grundsätzliche Bedeutung hat.