Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 19.11.2019, Az.: L 8 AY 26/19 B ER

Vorläufige Leistungen nach dem AsylbLG; Rechtmäßigkeit einer Anspruchseinschränkung wegen der Zuerkennung internationalen Schutzes durch Drittstaat; Systemische Mängel der Aufnahmebedingungen in Griechenland; Unmenschliche oder entwürdigende Behandlung

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
19.11.2019
Aktenzeichen
L 8 AY 26/19 B ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2019, 44544
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
SG Stade - 14.05.2019 - AZ: S 19 AY 7/19 ER

Fundstelle

  • ZfSH/SGB 2020, 111-114

Redaktioneller Leitsatz

Aufgrund der systemischen Mängel der Aufnahmebedingungen in Griechenland kann insbesondere sog. vulnerablen Personen im Falle ihrer Rückkehr eine unmenschliche oder entwürdigende Behandlung drohen.

Tenor:

Der Beschluss des Sozialgerichts Stade vom 14. Mai 2019 wird geändert. Die aufschiebende Wirkung der von den Antragstellern beim Sozialgericht Stade anhängigen Klage (- S 19 AY 24/19 -) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 1.4.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.5.2019 wird angeordnet. Die Anordnung erfolgt betreffend die Klage der Antragstellerin zu 3 mit der Maßgabe, dass ihr aufgrund des Bescheides des Antragsgegners vom 1.3.2019 anstelle des Regelbedarfs nach § 2 AsylbLG i.V.m. § 27a SGB XII Leistungen zur Deckung des notwendigen und des notwendigen persönlichen Bedarfs nach § 3 AsylbLG (zzgl. Leistungen für Unterkunft und Heizung) in monatlicher Höhe von 225,00 EUR zu gewähren sind. Die Beschwerde des Antragsgegners wird zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller für beide Rechtszüge zu erstatten.

Gründe

I.

Im Streit ist die vorläufige Gewährung höherer Leistungen nach dem AsylbLG für die Zeit ab Mai 2019, insbesondere die Rechtmäßigkeit einer Anspruchseinschränkung wegen der Zuerkennung internationalen Schutzes durch Griechenland (§ 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG).

Die 1991 geborene Antragstellerin zu 1 ist die alleinerziehende Mutter der 2011 und 2018 geborenen Antragstellerinnen zu 2 und 3. Sie sind syrische Staatsangehörige. Die unmittelbar nach der Einreise nach Deutschland von den Antragstellerinnen zu 1 und 2 gestellten Asylanträge - die Antragstellerin zu 3 ist in Deutschland geboren - wurden durch Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) vom 19.3.2018 als unzulässig abgelehnt, weil ihnen im August 2017 bereits durch Griechenland internationaler Schutz gewährt worden war (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG). Zugleich wurde ihnen eine Ausreisefrist von 30 Tagen nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens gesetzt und eine Abschiebung nach Griechenland angedroht. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG wurden insoweit nicht festgestellt, weil im Falle einer Abschiebung nach Griechenland eine Menschenrechtsverletzung (Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK) wegen der Lebensverhältnisse im Aufnahmestaat nicht zu befürchten sei. Auch der Asylantrag der Antragstellerin zu 3 hatte - mit entsprechender Begründung - keinen Erfolg (Bescheid des BAMF vom 29.3.2019). Die Entscheidungen des BAMF sind Gegenstand von beim Verwaltungsgericht (VG) Stade anhängigen Klageverfahren (- 2 A 996/18 - und - 2 A 530/19 -). Die von den Antragstellerinnen gestellten Eilanträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klagen hatten keinen Erfolg (Beschlüsse des VG vom 8.3.2019 - 2 B 291/19 - und vom 24.4.2019 - 2 B 531/19 -). Das VG führte u.a. zur Begründung aus, die Anträge seien mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig, weil die Antragstellerinnen während der Klageverfahren wegen der vom BAMF gesetzten Ausreisefrist erst nach einem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens nicht abgeschoben werden dürften.

Seit Zuweisung und Umzug in das Kreisgebiet des Antragsgegners Anfang 2018 bzw. Geburt im Juli 2018 beziehen die Antragstellerinnen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts Leistungen nach dem AsylbLG, u.a. bewilligt für die Zeit "ab dem 01.03.2019" nach § 2 Abs. 1 AsylbLG in monatlicher Höhe von 1.663,64 EUR (Bescheid des Antragsgegners vom 1.3.2019). Auf die Ablehnung der Asylanträge (Bescheid des BAMF vom 19.3.2019) gewährte der Antragsgegner den Antragstellerinnen durch Bescheid vom 1.4.2019 "für den Monat 5/2019" nach § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG eingeschränkte Leistungen und führte in der Begründung u.a. aus, es werde regelmäßig geprüft, ob die Antragstellerinnen auch weiterhin einen Anspruch auf die "ab dem 01.05.2019" gewährten Leistungen hätten. Der gegen diese Entscheidung erhobene Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 22.5.2019 in der Sache zurückgewiesen. Diese Entscheidung ist Gegenstand einer beim Sozialgericht (SG) Stade seit dem 17.6.2019 anhängigen Klage (- S 19 AY 24/19 -).

Auf den von den Antragstellerinnen bereits am 25.4.2019 gestellten Eilantrag hat das SG den Antragsgegner durch Beschluss vom 14.5.2019 im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellerinnen zu 1 und 2 vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG i.V.m. SGB XII und der Antragstellerin zu 3 Leistungen nach § 3 AsylbLG in Höhe von 225,00 EUR monatlich für die Zeit vom 1.5.2019 bis zum 30.4.2020 zu gewähren, längstens jedoch bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung in der Hauptsache. Zur Begründung hat das SG u.a. ausgeführt, die Antragstellerinnen hätten als vollziehbar Ausreisepflichtige (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG) einen Anordnungsanspruch auf höhere Leistungen glaubhaft gemacht, weil das VG die Abschiebungsandrohung betreffend Griechenland aller Voraussicht nach wegen der dort herrschenden Lebensbedingungen aufheben werde. Anders als bei den Antragstellerinnen zu 1 und 2 habe die Antragstellerin zu 3 nur einen Anspruch auf Grundleistungen nach § 3 AsylbLG glaubhaft gemacht, weil sie sich aufgrund ihres Lebensalters noch nicht 15 Monate in Deutschland aufhalte (vgl. § 2 Abs. 1 AsylbLG in der bis zum 20.8.2019 geltenden Fassung vom 10.12.2014, BGBl. I 2187, geändert durch Gesetz vom 31.7.2016, BGBl. I 1939, im Folgenden a.F.). Allerdings seien diese Leistungen nach § 3 Abs. 4 AsylbLG (in der bis zum 30.8.2019 geltenden Fassung vom 10.12.2014, BGBl. I 2187, im Folgenden a.F.) fortzuschreiben.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners vom 24.5.2019. Er macht geltend, der Tatbestand der Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG sei bereits nach Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch Griechenland durch die Einreise nach Deutschland verwirklicht. Zudem seien die Grundleistungen nach § 3 AsylbLG ohne Neufestsetzung der Leistungen ab 2017 und ohne Bekanntgabe des BMAS nicht nach § 3 Abs. 4 AsylbLG a.F. fortzuschreiben.

Die Antragstellerinnen halten die Entscheidung des SG in der Sache für zutreffend, machen nach einem gerichtlichen Hinweis aber in verfahrensrechtlicher Hinsicht geltend, der Eilantrag sei als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der beim SG anhängigen Klage (- S 19 AY 24/19 -) gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 1.4.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.5.2019 nach § 86b Abs. 1 SGG statthaft.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Leistungs- und Ausländerakten des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht (§ 173 SGG) eingelegte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere statthafte (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG i.V.m. §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) Beschwerde ist unbegründet. Das SG hat den Antragstellerinnen in der Sache zu Recht Eilrechtsschutz zugesprochen, allerdings bedarf die Entscheidung insoweit der Korrektur, dass einstweiliger Rechtsschutz im Bereich der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs zu gewähren ist.

Entgegen dem angefochtenen Beschluss ist allein ein Antrag nach Maßgabe des § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG statthaft, nach dem das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen kann. Der Bescheid des Antragsgegners vom 1.4.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.5.2019 über die wohl unbefristete Gewährung von nach § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG eingeschränkten Leistungen "ab dem 01.05.2019" (so die Begründung) ist eine (Teil-) Aufhebung des ebenfalls unbefristeten Bewilligungsbescheides vom 1.3.2019, durch den den Antragstellerinnen Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG "ab dem 01.03.2019" in monatlicher Höhe von 1.663,64 EUR bewilligt worden sind. Im Hauptsacheverfahren (- S 19 AY 24/19 -) ist damit statthaft eine isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG), der - ebenso wie dem Widerspruch vom 16.4.2019 gegen den Ausgangsbescheid vom 1.4.2019 - gemäß § 11 Abs. 4 Nr. 2 AsylbLG keine aufschiebende Wirkung zukommt. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG ist kein Raum.

Der Senat ist nicht gehindert, den erstinstanzlichen Beschluss nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen (§ 86b Abs. 1 SGG) zu ändern, auch wenn in erster Linie der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG begehrt worden ist. Darin liegt kein Verstoß gegen § 123 SGG bzw. den Grundsatz, dass das Gericht bei seiner Entscheidung nach der Dispositionsmaxime nicht über das hinausgehen und nichts anderes zusprechen darf, als was ihm vom Kläger bzw. Antragsteller zur Entscheidung - nach Auslegung - angetragen worden ist (ne ultra petita; vgl. hierzu etwa Giesbert in jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 123 Rn. 23 m.w.N.). Die Antragsschrift vom 25.4.2019 ist nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz, der auch im Asylbewerberleistungsrecht gilt (vgl. etwa BSG, Urteil vom 30.10.2013 - B 7 AY 7/12 R - juris Rn. 12 m.w.N.; zuletzt BSG, Urteil vom 25.10.2018 - B 7 AY 1/18 R - juris Rn. 9), auch im Sinne eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs auszulegen. Die Antragstellerinnen haben neben dem Erlass einer einstweiligen Anordnung auch insoweit Eilrechtsschutz begehrt; dies ergibt sich nicht nur aus dem Sachzusammenhang, sondern auch aus der Betreffzeile des Antrags.

Allerdings ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG betreffend den Leistungsanspruch der Antragstellerin zu 3 dem Umfang nach auf die einstweilige Anordnung des SG beschränkt, nach der ihr lediglich Leistungen nach § 3 AsylbLG in monatlicher Höhe von 225,00 EUR (ohne Leistungen für Unterkunft und Heizung) zu gewähren sind. Eine weitergehende Verpflichtung durch eine vorbehaltslose Anordnung, die eine Gewährung der mit Bescheid vom 1.3.2019 bewilligten Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG zur Folge hätte, würde im Rechtsmittelverfahren gegen das Verbot der "reformatio in peius" verstoßen, nach dem die angefochtene Entscheidung nicht zum Nachteil des Rechtsmittelführers - hier des Antragsgegners - geändert werden, wenn nicht auch der Gegner Rechtsmittel oder ein Anschlussrechtsmittel eingelegt hat (vgl. dazu etwa Adolf in jurisPK-SGG, 1. Aufl. 2017, § 157 Rn. 15 m.w.N.).

Die Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG erfolgt auf der Grundlage einer Interessenabwägung. Abzuwägen ist das private Interesse der Antragstellerinnen an der aufschiebenden Wirkung der Klage mit dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung des Bescheides des Antragsgegners vom 1.4.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.5.2019. Im Rahmen der Interessenabwägung ist insbesondere die nach summarischer Prüfung der Rechtslage zu bewertende Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Je größer die Erfolgsaussichten sind, umso geringer sind die Anforderungen an das Aussetzungsinteresse des Antragstellers; umgekehrt sind die Anforderungen an die Erfolgsaussichten umso geringer, je schwerer die Verwaltungsmaßnahme wirkt (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 86b Rn. 12 ff.).

Nach diesen Maßgaben ist die aufschiebende Wirkung der beim SG anhängigen Klage (- S 19 AY 24/19 -) anzuordnen, weil der angefochtene Bescheid nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage offensichtlich rechtswidrig ist. Als (Teil-) Aufhebung des Bescheides vom 1.3.2019 für die Zukunft (ab Mai 2019) erfüllt er nicht die Voraussetzungen nach § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG i.V.m. §§ 44 ff. SGB X, wobei dahingestellt bleiben kann, ob die Vorgaben für eine Rücknahmeentscheidung nach § 45 SGB X oder für eine Aufhebung aufgrund einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse nach § 48 SGB X erfüllt sein müssen.

Sollte der Bescheid vom 1.3.2019 bereits zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig gewesen sein, wäre Rechtsgrundlage des Bescheides vom 1.4.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.5.2019 § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG i.V.m. § 45 Abs. 1 SGB X, nach dem ein rechtswidriger Verwaltungsakt unter bestimmten Voraussetzungen ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden "darf". Die Aufhebung erfordert in diesen Fällen die Ausübung von Ermessen (sog. Rücknahmeermessen, vgl. etwa BSG, Urteil vom 23.3.2010 - B 8 SO 12/08 R - juris Rn. 10 m.w.N.). Eine solche Ermessensausübung ist weder dem Ausgangs- noch dem Widerspruchsbescheid zu entnehmen; der Antragsgegner hat vielmehr ausgeführt, dass § 1a Abs. 2 bis 4 AsylbLG keine Ermessensermächtigung enthalte (vgl. Begründung des Widerspruchsbescheides vom 22.5.2019, S. 3).

Die Voraussetzungen für eine Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse nach § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X liegen ebenfalls nicht vor. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine den Erlass eines Bescheides über eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG für die Zeit ab Mai 2019 rechtfertigende wesentliche Änderung liegt hier nicht vor. Die Antragstellerinnen hatten bereits zum Zeitpunkt des Erlasses des Bewilligungsbescheides vom 1.3.2019 über eine Aufenthaltsgestattung zur Durchführung der Asyl- bzw. Klageverfahren verfügt; die Gewährung internationalen Schutzes durch Griechenland war schon im August 2017 erfolgt. Die Ablehnung der Asylanträge der Antragstellerinnen zu 1 und 2 durch Bescheid des BAMF vom 29.3.2019 als unzulässig, ist zur Erfüllung der Tatbestandsmerkmale des § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG irrelevant, ebenso dass der Antragsgegner womöglich erst nach Erlass des Bescheides vom 1.3.2019 Kenntnis von der Gewährung internationalen Schutzes durch Griechenland erlangt hat; maßgeblich ist insoweit nur der Zeitpunkt einer wesentlichen Änderung der Sach- und Rechtslage.

Aber auch ungeachtet der allgemeinen Voraussetzungen für eine Aufhebungsentscheidung (§ 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG i.V.m. §§ 44 ff. SGB X) dürfte die Interessenabwägung für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 1.4.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.5.2019 sprechen.

Die Frage der Rechtmäßigkeit einer Anspruchseinschränkung bemisst sich hier sowohl vor als auch nach Inkrafttreten des sog. Geordnete-Rückkehr-Gesetz am 21.8.2019 (BGBl. I 2019, 1294) nach § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG, nach dem - im Falle der Antragstellerinnen - Satz 1 der Vorschrift entsprechend gilt für Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 AsylbLG, denen bereits von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder von einem am Verteilmechanismus teilnehmenden Drittstaat im Sinne von Satz 1 u.a. internationaler Schutz (Nr. 1) gewährt worden ist, wenn der internationale Schutz fortbesteht. Zusätzlich erfordert § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, dass dem Betroffenen die Rückkehr in das schutzgewährende Land aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen möglich und zumutbar ist (in diese Richtung auch Bayerisches LSG, Beschluss vom 8.7.2019 - L 18 AY 21/19 B ER - juris Rn. 34; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 11.6.2019 - L 8 AY 5/19 B ER - juris Rn. 33; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 14.5.2019 - L 7 AY 1161/19 ER-B - juris Rn. 16 ff; a.A. Oppermann in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 1a AsylbLG, 2. Überarbeitung, Rn. 97, 97.1). Hierfür sprechen insbesondere systematische und teleologische Erwägungen mit Blick auf die seit dem 21.8.2019 geltende Neuregelung des § 1 Abs. 4 Satz 5 AsylbLG (BGBl. I 2019, 1294), nach der im Einzelfall, insbesondere bei Reiseunfähigkeit, Überbrückungsleistungen auch über einen Zeitraum von zwei Wochen hinaus gewährt werden können. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zu einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK durch den rückführenden Staat, wenn den Behörden bekannt ist oder bekannt sein muss, dass ein Flüchtling im Aufnahmestaat völlig auf sich allein gestellt ist und er über einen langen Zeitraum gezwungen sein wird, auf der Straße zu leben, ohne Zugang zu sanitären Einrichtungen oder Nahrungsmitteln (vgl. dazu EGMR, Urteil vom 21.1.2011 - 30696/09 - M.S.S. gegen Belgien und Griechenland, juris Rn. 263 f. und 365 ff. sowie BVerfG, Beschluss vom 31.7.2018 - 2 BvR 714/18 - juris Rn. 18 ff. (Griechenland)), dürfte hier Überwiegendes für eine Rechtswidrigkeit der Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG sprechen. Aufgrund der systemischen Mängel der Aufnahmebedingungen in Griechenland kann insbesondere sog. vulnerablen Personen, wie hier der alleinerziehenden Antragstellerin zu 1 und ihren acht- und einjährigen Kindern, den Antragstellerinnen zu 2 und 3, im Falle ihrer Rückkehr eine unmenschliche oder entwürdigende Behandlung (Art. 4 GRC/Art. 3 EMRK) drohen (vgl. aus jüngster Zeit etwa VG Magdeburg, Urteil vom 10.10.2019 - 6 A 390/19 - juris Rn. 16 ff.; VG Saarland, Urteil vom 20.9.2019 - 3 K 1222/18 - und - 3 K 2100/18 - juris Rn. 22 und 23; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 16.09.2019 - 5a K 2772/19.A - juris Rn. 33 ff.; VG Würzburg, Urteil vom 19.7.2019 - W 2 K 18.30717 - juris Rn. 16 ff.; OVG Bremen, Beschluss vom 29.8.2019 - 1 LA 150/19 - juris). Der Antragsgegner kann sich insoweit nicht mit Erfolg auf eine Tatbestandswirkung der Bescheide des BAMF vom 19.3.2018 und 29.3.2019 berufen, weil diese Entscheidungen wegen des anhängigen Klageverfahrens nicht bestandskräftig sind (zur Tatbestandswirkung asyl- und aufenthaltsrechtlicher Entscheidungen vgl. jüngst BSG, Urteil vom 27.2.2019 - B 7 AY 1/17 R - juris Rn. 26).

Zudem ist nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen nicht zweifelsfrei geklärt, ob der den Antragstellerinnen durch Griechenland gewährte internationale Schutz auch derzeit fortbesteht (vgl. § 1a Abs. 4 Satz 2 AsylbLG a.E.). Nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast geht dies zu Lasten des Antragsgegners.

Welche rechtlichen Folgen es hat, dass der Antragsgegner die Leistungseinschränkung nach § 1a Abs. 3 AsylbLG entgegen der Vorgabe aus § 14 Abs. 1 AsylbLG nicht befristet hat, muss hier nicht abschließend beantwortet werden (ebenfalls offen gelassen im Senatsbeschluss vom 3.7.2019 - L 8 AY 9/19 - und vom 9.7.2019 - L 8 AY 7/19 B ER -). In Rechtsprechung und Literatur wird insoweit vertreten, dass eine unbefristete Leistungseinschränkung wegen eines Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz per se rechtswidrig ist (Bayer. LSG, Beschluss vom 19.3.2018 - L 18 AY 7/18 B ER - juris Rn. 24; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 21.6.2018 - L 9 AY 1/18 B ER - juris Rn. 47; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.6.2018 - L 7 AY 1511/18 ER-B - juris Rn. 10; SG Magdeburg, Beschluss vom 30.9.2018 - S 25 AY 21/18 ER - juris Rn. 23; Oppermann in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 14 Rn. 9 ff.; Cantzler, AsylbLG, 1. Aufl. 2019, § 14 Rn. 10).

Nur klarstellend weist der Senat darauf hin, dass sich der Leistungsanspruch der Antragstellerin zu 3 im Falle der Rechtswidrigkeit einer Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG ab 1.5.2019 entgegen der angefochtenen Entscheidung des SG nach § 2 Abs. 1 AsylbLG bemisst, weil sie sich als minderjähriges Kind im Haushalt ihrer Leistungen nach § 2 Abs. 1 AsylbLG beziehenden Mutter, der Antragstellerin zu 1, für einen Bezug von Analog-Leistungen nicht 15 bzw. 18 Monate (seit 21.8.2019, BGBl. I 2019, 1294) ohne wesentliche Unterbrechung in Deutschland aufhalten muss; dies ergibt sich aus der Sonderregel des § 2 Abs. 3 AsylbLG (vgl. Oppermann in jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 2 AsylbLG, 1. Überarbeitung, Rn. 167 m.w.N.).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.