Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 28.05.2002, Az.: 4 A 246/01

Behinderung; faires Verfahren; Fortsetzungsfeststellungsklage; Klassenarbeit; Leistungsermittlung; Nachteilsausgleich; Prüfungsbedingungen; Prüfungsverfahren; Schule; Versetzung

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
28.05.2002
Aktenzeichen
4 A 246/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 41874
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Entscheidung der Klassenkonferenz des Beklagten, sie im Schuljahr 1999/2000 nicht zu versetzen.

2

Die Klägerin ist am.... geboren. Sie leidet unter einer spastischen Diplegie. ... Die Krankheit wirkt sich bei der Klägerin hauptsächlich auf die Funktion ihrer Beine, Hände und Augen aus. ...

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Die Klägerin wurde im Jahr 1989 zunächst für ein Jahr vom Schulbesuch zurückgestellt und durch eine Hauslehrerin unterrichtet. Ab 1. Juli 1991 ging sie zunächst in eine bei der Grundschule E. eingerichtete Klasse für körperbehinderte Kinder. Ab der 3. Klasse wurde sie in der F. beschult. Nach dem Besuch der Orientierungsstufe war sie ab August 1996 Schülerin des Beklagten und besuchte dort im Schuljahr 1999/2000 die 10. Klasse. Seit der Orientierungsstufe erhält die Klägerin Eingliederungshilfe von dem Landkreis G. für eine Begleitperson zur Unterstützung auf dem Weg zur Schule und während des Schulbesuches.

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Zum Ausgleich ihrer Behinderungen erhielt die Klägerin von dem Beklagten bei der Anfertigung der schriftlichen Leistungskontrollen Erleichterungen. Bis zum Ende des ersten Halbjahres des Schuljahres 1999/2000 gestalteten sich diese folgendermaßen: Die Klägerin saß mit der Begleitperson ohne Aufsicht in einem gesonderten Raum und hatte zur Anfertigung der Arbeiten in der Regel zwei Schulstunden Zeit. Die Begleitperson las ihr die Aufgabenstellung vor und schrieb nach dem Diktat der Klägerin. Am Schluss des ersten Halbjahres des Schuljahres 1999/2000 war die Versetzung der Klägerin gefährdet.

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Nachdem der Beklagte im Dezember 1999 den Mobilen Dienst für Körperbehinderte und Sehbehinderte bei der Bezirksregierung G. (Mobiler Dienst) hinzugezogen hatte, fand am 19. Januar 2000 eine Dienstbesprechung der die Klägerin unterrichtenden Lehrer unter Beteiligung des damaligen Schulleiters des Beklagten, H., zur Leistungsbewertung der Klägerin statt. Dabei wurde beschlossen, ihr Nachteilsausgleich ab dem zweiten Halbjahr des Schuljahres 1999/2000 in anderer Form zu gewähren. In dem über die Besprechung gefertigten Protokoll heißt es:

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"-A. wird ab dem 2. Halbjahr 99/00 die Klassenarbeiten zusammen mit den übrigen Schülern unter Aufsicht der jeweiligen Lehrkraft im Klassenraum schreiben.

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- Der Umfang der Klassenarbeiten wird für A. auf rund die Hälfte der Aufgabenstellung reduziert, um die Nachteile, die durch die Behinderung gegeben sind, auszugleichen.

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- Die Aufgaben müssen so gestaltet sein, dass eine Vergleichbarkeit mit den Leistungen der übrigen Schüler gegeben ist.

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- Die Klasse 10 L wechselt zum Schulhalbjahr in den Klassenraum 105/106.

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- Herr H. weist die KollegInnen darauf hin, realistische Noten zu erteilen, um die Vergleichbarkeit der erbrachten Leistungen sicherzustellen.

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- In einem Gespräch sollen den Eltern die Ergebnisse der Dienstbesprechung mitgeteilt werden. Dieses Gespräch wird am 16. Februar 2000 stattfinden. Ziel ist es, mit den Eltern gemeinsam zu überlegen, durch welche Hilfsmittel A. der Schulbesuch und ihre Mitarbeit im Unterricht erleichtert werden kann."

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Am 16. Februar 2000 fand das Gespräch zwischen den Eltern der Klägerin und dem Schulleiter des Beklagten sowie dem ehemaligen Klassenlehrer der Klägerin statt.

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Mit Schreiben vom 11. April 2000 wandte sich der Vater der Klägerin an ihren Klassenlehrer und bat um Aufklärung, warum die bewährte Durchführung des bisherigen Nachteilsausgleiches bei der Anfertigung der Klassenarbeiten aufgegeben worden sei. Die äußeren Umstände hierbei seien ohne Information und ohne Begründung geändert worden. Zunächst müsse die Klägerin im Klassenverband schreiben. Damit seien er und seine Frau versuchsweise einverstanden gewesen. Nun seien sie aber von einer neuen Situation überrascht worden, von der am 16. Februar 2000 nicht gesprochen worden sei. Die Klägerin dürfe - soweit ihm bekannt sei in Englisch und Latein - nicht mehr auf die Schreibhilfe ihrer Begleitperson zurückgreifen. Dies sei zuvor nicht abgesprochen gewesen. Die Klägerin sei damit zu Beginn der Klassenarbeiten konfrontiert worden. Die Schreibhilfe sei jedoch notwendig. Wegen der spastisch bedingten Einschränkung der Funktion der Augen und Hände sei eine Auseinandersetzung mit dem Klassenarbeitsstoff kaum möglich. Anhand der letzten Latein- Deutsch- und Englischarbeiten habe sich gezeigt, dass es sich nachteilig auswirke, wenn die Klägerin gezwungen sei, selbst zu schreiben. Bei der Lateinarbeit sei symptomatisch für ihre augenmotorische Einschränkung, dass die Klägerin ein ganzes Satzfragment von 11 Worten unbemerkt ausgelassen habe. In der letzten Deutscharbeit sei der Klägerin erlaubt worden, Schreibhilfe in Anspruch zu nehmen. Da ihr Diktat die übrigen Schüler gestört habe, obwohl sie es so leise wie möglich gesprochen habe, sei sie gebeten worden, noch leiser zu diktieren. Dies habe wieder zu zahllosen Nachfragen der Begleitperson geführt. Unter diesen Bedingungen könne niemand einen klaren Gedanken fassen.

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Auch in der Folgezeit verlangten die Eltern der Klägerin, ihr Nachteilsausgleich bei den schriftlichen Leistungen wieder in der alten Form zu gewähren und wandten sich hierzu u.a. an die Bezirksregierung G.. Sie machten u.a. geltend, die Grundkrankheit der Klägerin hänge in ihrer Ausgeprägtheit direkt von äußeren Umständen, so auch von Stress - bzw. Prüfungsgegebenheiten ab. Die veränderten Bedingungen provozierten einen Leistungseinbruch. Nach der mündlichen Abschlussprüfung im Fach Religion am 28. Juni 2000 nahm die Klägerin am Unterricht nicht mehr teil. Nach Angaben ihres Vaters sei es unzumutbar, dass sie sich weiter den aus der Veränderung der Arbeitsgrundlage resultierenden Belastungen aussetze. Seit dem Schuljahr 2000/2001 besucht sie das Gymnasium I. in J..

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Für das Schuljahr 1999/2000 erhielt die Klägerin in den Fächern Deutsch, Latein, Geschichte, Physik und Chemie die Gesamtnote "mangelhaft". Daraufhin beschloss die Klassenkonferenz des Beklagten am 5. Juli 2000, die Klägerin nicht zu versetzen. Dies teilte der Beklagte den Eltern der Klägerin mit Bescheid vom 6. Juli 2000 mit.

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Hiergegen erhob die Klägerin am 12. Juli 2000 Widerspruch, den sie im Wesentlichen folgendermaßen begründete:

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Der ihr in der Vergangenheit gewährte Nachteilsausgleich sei ohne Ankündigung zu ihren Lasten zurückgenommen worden. Sie habe die Klassenarbeiten im Klassenverband schreiben müssen. Eine längere Bearbeitungszeit sei ihr nicht mehr zugestanden worden. Dies habe dadurch kompensiert werden sollen, dass ihre Arbeiten hätten gekürzt werden sollen. Es sei aber nicht einheitlich verfahren worden. Die Lehrer hätten von Fall zu Fall bestimmt, ob sie gekürzte Aufgaben herausgeben. Sie, die Klägerin, habe mehrfach ungekürzte Arbeiten vorgelegt bekommen. Sie sei dann jeweils nicht fertig geworden. Die Begleitperson habe ihr die Aufgaben nicht mehr vorlesen dürfen. Trotz ihrer schweren Augenerkrankung habe sie die Texte selbst lesen müssen, was zu entsprechenden Zeitverlusten geführt habe. Trotz ihrer spastischen Erkrankung sei sie auch gezwungen gewesen, die Lösungen selbst niederzuschreiben. Dies gelte insbesondere für die Fächer Englisch, Latein und Chemie. Durch den Wegfall der früheren Vergünstigungen sei sie so verunsichert gewesen, dass es zu einem Leistungseinbruch gekommen sei. Die Veränderungen seien überraschend erfolgt. In dem Gespräch am 16. Februar 2002 sei lediglich darüber gesprochen worden, dass sie die Arbeiten künftig im Klassenverband schreiben müsse. Hingegen seien ihre Eltern nicht darüber informiert worden, dass auch die übrigen Nachteilsausgleiche wegfallen sollten.

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Am 8. August 2000 suchte die Klägerin bei dem erkennenden Gericht um vorläufigen Rechtsschutz nach (1 B 49/00). Dabei machte sie geltend, der unzureichende Nachteilsausgleich stelle einen Verstoß gegen das Verbot der Benachteiligung Behinderter in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG dar. Gleichzeitig sei gegen den prüfungsrechtlichen Grundsatz der Chancengleichheit verstoßen worden. Hiernach bestehe die Verpflichtung, Beeinträchtigungen der mechanischen Darstellungsfähigkeit durch besondere Prüfungsbedingungen auszugleichen, auch wenn es sich um Dauerleiden handele. Es sei nicht ersichtlich, dass es hinsichtlich des erforderlichen organisatorischen oder personellen Aufwandes Schwierigkeiten gegeben habe. Hätte man ihr den erforderlichen Nachteilsausgleich gewährt, so hätte sie eine Versetzung erreichen können. Der Beklagte legte mit Schriftsatz vom 21. August 2000 schriftliche Stellungnahmen der die Klägerin unterrichtenden Lehrkräfte in den Fächern Deutsch, Latein, Geschichte, Physik und Chemie vor. Den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nahm die Klägerin zurück.

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Am 30. August 2000 beschloss die Klassenkonferenz des Beklagten, dem Widerspruch der Klägerin nicht abzuhelfen. Mit Bescheid vom 1. November 2000 wies die Bezirksregierung G. den Widerspruch der Klägerin zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus: Die Klägerin habe erhebliche Wissenslücken, die eine erfolgreiche Teilnahme am Unterricht der 11. Klasse nicht erwarten ließen. Ihre Versetzung sei bereits am Ende des ersten Schuljahres gefährdet gewesen. Man könne nicht davon sprechen, dass es wegen einer nicht angemessenen, überraschenden Änderung der äußeren Bedingungen zu einem Leistungsabfall gekommen sei. Die Klägerin habe ausreichenden Nachteilsausgleich erhalten. Die Änderung sei auch nicht überraschend erfolgt. Die Eltern der Klägerin seien in einem etwa 90minütigen Gespräch über das Ergebnis der Dienstbesprechung von 19. Januar 2000 informiert worden. Ziel sei es gewesen, gemeinsam zu überlegen, durch welche Hilfsmittel der Klägerin der Schulbesuch und ihre Mitarbeit im Unterricht erleichtert werden könne, z.B. durch Einsatz eines Computers.

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Am 21. November 2000 hat die Klägerin Klage erhoben. Bei seiner Entscheidung habe der Beklagte die verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht beachtet, die sich auch in der Verordnung zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs niederschlügen. Das hierin vorgesehene Verfahren sei nicht beachtet worden. Bereits deswegen sei die Entscheidung verfahrensfehlerhaft. Dies habe sich auf ihre, der Klägerin, Leistungen nachweislich ausgewirkt, wie ein Vergleich der Noten vor sowie nach Änderung des Nachteilsausgleiches zeige. Durch die Veränderung des Nachteilsausgleiches sei sie auch in erhebliche Aufregung geraten und ständig zusammengebrochen. Mittlerweile habe man festgestellt, dass sie weiter an fokalen cerebralen Krampfanfällen leide, die in Stresssituationen und bei ausgeprägter sensorischer Stimulation auftreten könnten. Aus diesem Krankheitsbild folge, dass der veränderte Nachteilsausgleich von Einfluss auf die mangelhaften Leistungen gewesen sein müsse. Im Übrigen habe sich der Beklagte durch die jahrelange Praxis des Nachteilsausgleiches selbst gebunden, so dass er hiervon nicht ohne weiteres habe abrücken können. Die Klägerin verweist weiter auf das Gleichstellungsgesetz vom 27. April 2002 (BGBl. I S. 1467) und auf ihr Vorbringen im Rahmen des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes.

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Die Klägerin beantragt,

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den Beschluss der Klassenkonferenz des Beklagten vom 5. Juli 2000 und den Bescheid des Beklagten vom 6. Juli 2000 sowie den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung G. vom 1. November 2000 aufzuheben und festzustellen, dass die angefochtenen Bescheide rechtswidrig sind.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er verweist zunächst auf die Ausführungen des Widerspruchsbescheides. Weiter trägt er im Wesentlichen vor: Die Bewertung der Klägerin sei auch verfahrensrechtlich rechtsfehlerfrei erfolgt. Wegen ihrer körperlichen Beeinträchtigung seien während der Schulzeit von den Schulen unterstützende Maßnahmen im Rahmen des sonderpädagogischen Förderbedarfs ergriffen worden, um die zielgleiche integrative Beschulung zu sichern, auf die die Klägerin nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG und § 4 NSchG Anspruch habe. Es habe sich um einen Nachteilsausgleich bei Prüfungen und Leistungsermittlung gehandelt, der den Vorgaben des Erlasses des MK vom 21. Oktober 1997 über schriftliche Arbeiten in den allgemeinbildenden Schulen entspreche. Es bestehe kein Anspruch auf Nachteilsausgleich in einer bestimmten Form. Auch die im zweiten Halbjahr getroffenen Maßnahmen hätten einen angemessenen Ausgleich ermöglicht. Die in der Klassendienstbesprechung beschlossene Veränderung des Nachteilsausgleiches sei von den Lehrkräften eigenständig umgesetzt worden. Die geringfügig unterschiedliche Handhabung durch die einzelnen Lehrkräfte halte einer rechtlichen Kontrolle stand, weil sie im Rahmen der eigenverantwortlichen Gestaltung des Unterrichts verblieben sei, die stets Abweichungen von grundsätzlichen Maßnahmen gestatteten. Die psychische Situation, die sich für die Klägerin durch die neue Prüfungssituation ergeben habe, sei dem Beklagten nicht anzulasten. Gerade um diesen Druck zu vermindern, sei das ausführliche Gespräch am 16. Februar 2000 erfolgt. Auf der Klassendienstbesprechung vom 19. Januar 2000 sei u.a. beschlossen worden, dass die Klägerin im Gegensatz zu den übrigen Schülern und Schülerinnen deutlich verkürzte Texte bzw. weniger Aufgabenstellung erhalten werde und dass sie nicht mehr ihrer Betreuerin diktieren könne. Die Maßnahmen seien mit dem Behindertenbeauftragten der Bezirksregierung G. besprochen und entwickelt worden. Die Eltern der Klägerin seien nach Angaben des ehemaligen Schulleiters des Beklagten hierüber in dem Gespräch am 16. Februar 2000 ausführlich informiert worden. Eine vor dem 16. Februar 2000 geschriebene Mathematikklausur sei nicht gewertet worden. Für die Änderung der Maßnahmen zum Nachteilsausgleich sei kein Verfahren zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs erforderlich gewesen. Die Verfahrensvorschriften der hierzu ergangenen Verordnung seien nicht anwendbar.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die im Gerichtsverfahren gewechselten Schriftsätze und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der Bezirksregierung G. Bezug genommen. Dem Gericht hat weiter die die Klägerin betreffende Akte des Gesundheitsamtes der Stadt G. vorgelegen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung sind die Eltern der Klägerin und der ehemalige Schulleiter des Beklagten informatorisch gehört worden. Wegen ihres Vorbringens wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zum überwiegenden Teil erfolgreich. Sie ist allerdings unzulässig, soweit die Klägerin die Aufhebung des Beschlusses der Klassenkonferenz vom 5. Juli 2000 sowie des Bescheides des Beklagten vom 6. Juli 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung G. vom 1. November 2000 begehrt. Nachdem die Klägerin mittlerweile in die 11. Klasse versetzt worden ist, ist die in den Bescheiden getroffene Regelung erledigt. Ein Rechtsschutzbedürfnis für ihre Aufhebung besteht nicht mehr.

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Die Klage ist aber als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig und begründet, soweit die Klägerin die Feststellung begehrt, dass die Entscheidung der Klassenkonferenz des Beklagten, die Klägerin nicht zu versetzen, rechtswidrig gewesen ist.

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Die Versetzungsentscheidung ergeht auf der Grundlage eines pädagogischen Fachurteils der Klassenkonferenz, ob eine erfolgreiche Mitarbeit des Schülers oder der Schülerin in dem nächsthöheren Schuljahrgang erwartet werden kann (§ 59 Abs. 4 Satz 1 NSchG). Sie ist gerichtlich lediglich dahingehend überprüfbar, ob die Klassenkonferenz Verfahrensfehler begangen oder anzuwendendes Recht verkannt hat, allgemeingültige Bewertungsmaßstäbe verletzt hat, sich von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen, oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist. Der rechtliche Rahmen ergibt sich dabei u.a. aus der Verordnung über Versetzungen, Aufrücken, Übergänge und Überweisungen an allgemeinbildenden Schulen (Versetzungsverordnung - VersVO -) vom 19. Juni 1995 (Nds.GVBl. S. 184) in der Fassung vom 1. Juli 1999 (Nds.GVBl. S. 139). Nach § 16 VersVO ist in die gymnasiale Oberstufe versetzt, wer den erweiterten Sekundarabschluss I nach den Vorschriften der Verordnung über die Abschlüsse im Sekundarbereich (vom 7.4.1994, Nds.GVBl. S. 197) -AVO-S I - erworben hat. Diesen Abschluss erlangt, wer die Mindestanforderungen in allen Pflicht - und Wahlpflichtfächern erfüllt hat, d.h. darin ausreichende Leistungen erbracht hat (§§ 9, 23 Abs. 1 AVO-S I). Unschädlich ist dabei, wenn diese Anforderungen in nur einem Fach um nur eine Notenstufe unterschritten werden (§ 23 Abs. 3 AVO-S I). Werden die Mindestanforderungen in zwei Fächern um eine Notenstufe unterschritten, kann der Abschluss erworben werden, wenn die Mindestanforderungen in zwei Ausgleichsfächern um eine Notenstufe überschritten werden (§ 23 Abs. 4 AVO-S I). Werden die Mindestanforderungen in einem Fach um zwei Notenstufen unterschritten, kann der Abschluss erworben werden, wenn die Mindestanforderungen in einem Ausgleichsfach um zwei Notenstufen oder in zwei Ausgleichsfächern um eine Notenstufe überschritten werden (§ 23 Abs. 5 AVO-S I). Die Anforderungen an Ausgleichsfächer sind in § 24 AVO-S I geregelt. Der Versetzungsentscheidung ist das am Ende des Schuljahres erteilte Zeugnis zu Grunde zu legen. Die Noten in Fächern, die nur in einem Schulhalbjahr unterrichtet wurden, sind wie die Noten der ganzjährig unterrichteten Fächer zu berücksichtigen (§ 3 Abs. 1 VersVO).

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Die genannten Vorschriften hat die Klassenkonferenz zutreffend angewandt. Sie hat ihre Entscheidung jedoch zu Unrecht darauf gestützt, dass die Klägerin in den Fächern Deutsch, Latein, Geschichte, Physik und Chemie jeweils die Note "mangelhaft" erhalten hat, denn diese Leistungsbewertungen sind nicht rechtsfehlerfrei zustande gekommen. Auch die der Klägerin in den genannten Fächern erteilten Zensuren sind durch das Gericht nur eingeschränkt überprüfbar, weil es sich hierbei um pädagogische Entscheidungen der einzelnen Lehrkräfte handelt. Soweit es - wie hier - nicht um die Frage der Richtigkeit fachlicher Aussagen oder fachspezifischer Wertungen geht, sind schulische Bewertungen durch das Gericht nur daraufhin zu überprüfen, ob Verfahrensfehler begangen oder anzuwendendes Recht verkannt wurde, ob die Lehrkraft von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemein gültige Bewertungsmaßstäbe verletzt hat oder sich von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen (vgl. hierzu Niehues, Schul- und Prüfungsrecht Band 1 3. Auflage 2000, Rn. 606 ff).

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Hier war das Verfahren fehlerhaft, durch das die Leistungen der Klägerin in den mit mangelhaft bewerteten Fächern ermittelt wurden. Wie bei Prüfungsverfahren so ist auch im Verfahren zur Ermittlung schulischer Leistungen den aus dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG ) folgenden Grundsätzen der Chancengleichheit und der fairen Behandlung des Prüflings Rechnung zu tragen. Im Falle behinderter Schüler und Schülerinnen ist zusätzlich das in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG geregelte Verbot der Benachteiligung Behinderter zu beachten. Eine Benachteiligung liegt dabei nicht nur bei Regelungen und Maßnahmen vor, die die Situation des Behinderten wegen seiner Behinderung verschlechtern. Vielmehr kann eine Benachteiligung auch bei einem Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten durch die öffentliche Gewalt gegeben sein, wenn dieser Ausschluss nicht durch eine auf die Behinderung bezogene Förderungsmaßnahme hinlänglich kompensiert wird. Bei der Auslegung und Anwendung des Schulrechts folgen für die Schule bzw. die Schulbehörde aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG Bindungen, die zusätzlich zu dem Recht des Schülers auf eine seine Anlagen und Befähigungen möglichst weitgehend berücksichtigende Ausbildung (Art. 2 Abs. 1 GG) zu beachten sind (z. Vorst.: BVerfG, Beschl. v. 8. Oktober 1998 - 1 BvR 9/97 - BVerfGE 96, 288 [BVerfG 08.10.1997 - 1 BvR 9/97]).

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Die in Art. 3 Abs. 1 i.V. mit Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG niedergelegten Grundsätze hat der Beklagte bei der Gestaltung des Verfahrens zur schriftlichen Überprüfung der Leistungen der Klägerin nicht hinreichend berücksichtigt. Dabei kann offen bleiben, ob die Art des Nachteilsausgleiches, den die Klägerin in den einzelnen Fächern bei der Anfertigung der schriftlichen Leistungskontrollen erhalten hat, inhaltlich den Anforderungen genügt, die aus dem Grundsatz der Chancengleichheit i.V. mit dem Verbot der Benachteiligung Behinderter folgen. Allerdings hat die Kammer Bedenken, ob in Fächern, in denen - wie in Latein - die Anfertigung längerer Texte oder - wie in Chemie - von Formeln bzw. Zeichnungen erforderlich war, die motorische Behinderung der Klägerin ohne Gestellung einer Schreibhilfe allein durch die Verkürzung der Aufgaben hinreichend ausgeglichen werden konnte. Auch könnte bezweifelt werden, dass bei der Anfertigung der Deutscharbeit ausreichender Nachteilsausgleich gewährt wurde, berücksichtigt man die Bedingungen, unter denen die Klägerin nach der nachvollziehbaren Schilderung ihres Vaters in dem Schreiben vom 11. April 2000 mit ihrer Begleitperson kommunizieren musste. Letztlich kann dies aber ebenso dahin stehen, wie die Frage, ob sich dies alles auf die Entscheidung der Klassenkonferenz auswirken konnte.

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Ein faires, gleichmäßige Chancen bietendes Verfahren ist nur dann gegeben, wenn sein Ablauf für alle Prüflinge gleichermaßen transparent und vorhersehbar ist und wenn sie die Möglichkeit haben, sich auf veränderte Umstände, soweit diese wesentlich sind, rechtzeitig einzustellen. Wird das Verfahren zur Ermittlung schriftlicher Leistungen für einzelne Schüler oder Schülerinnen zum Ausgleich ihrer Behinderungen besonders gestaltet, so ist es erforderlich, sie, bzw. ihre Eltern rechtzeitig und umfassend über die Art des geplanten Nachteilsausgleiches zu informieren. Daran fehlte es hier. Zwar fand am 16. Februar 2000 ein Gespräch zwischen den Eltern der Klägerin, ihrem ehemaligen Klassenlehrer und dem ehemaligen Schulleiter des Beklagten statt, in dem die Eltern unstreitig davon in Kenntnis gesetzt wurden, dass die in der Vergangenheit praktizierte Form des Nachteilsausgleiches verändert werden solle. Ob bei dieser Gelegenheit auch darüber gesprochen wurde, dass die Klägerin künftig die Arbeiten selbst werde anfertigen müssen, d.h. auf die Schreib - und Lesehilfe ihrer Begleiterin werde verzichten müssen, konnte dabei auch nach der Anhörung der Eltern der Klägerin und des ehemaligen Schulleiters des Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht geklärt werden. Der ehemalige Schulleiter des Beklagten hat angegeben, dies sei der Fall gewesen, die Eltern der Klägerin haben dies bestritten. Die Aussagen schienen dem Gericht dabei gleichermaßen glaubhaft. Eine weitere Aufklärung, etwa durch die Anhörung des ehemaligen Klassenlehrers der Klägerin ist jedoch entbehrlich. Es ist unstreitig, dass der Nachteilsausgleich in den einzelnen Fächern in unterschiedlicher Form gewährt wurde. Die Lehrkräfte der Klägerin haben die Entscheidung, die in der Klassendienstbesprechung vom 19. Januar 2000 getroffen worden war, nicht einheitlich umgesetzt. So wurde gerade im Hinblick auf die Frage, ob die Klägerin Schreibhilfe durch ihre Begleiterin erhalten darf, unterschiedlich verfahren. Zum Teil - in Physik, Chemie und Latein - musste sie die Arbeiten selbst anfertigen, in Deutsch und Geschichte konnte sie ihrer Begleitperson diktieren. Ebenso wurden nicht immer gekürzte Aufgabenstellungen ausgegeben. Nach der Angabe der Mutter der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung war gerade die Deutscharbeit nicht gekürzt; die Klägerin sei mit der Bearbeitung auch nicht fertig geworden. Dabei ist davon auszugehen, dass nicht nur in einer Übergangsphase in der Zeit zwischen der Klassendienstbesprechung am 19. Januar 2000 und dem Gespräch mit den Eltern der Klägerin am 16. Februar 2000 uneinheitlich verfahren wurde, wie es der ehemalige Schulleiter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung angenommen hat. Die Mutter der Klägerin hat im Termin zur mündlichen Verhandlung eine Deutscharbeit vorgelegt, die von der Klägerin am 7. Juni 2000 angefertigt wurde. Bei dieser Arbeit durfte die Klägerin - anders als in der Klassendienstbesprechung beschlossen - den Text ihrer Begleitung diktieren.

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Wegen der nicht unerheblich unterschiedlichen Verfahrensweise in den einzelnen Fächern wäre es geboten gewesen, dass die Klägerin in jedem Fach jeweils vor den schriftlichen Arbeiten darüber informiert wird, auf welche Weise ihren Behinderungen Rechnung getragen werden soll. Nach der glaubhaften Angabe der Mutter der Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung ist dies jedoch nicht erfolgt. Die Klägerin habe vor keiner Arbeit gewusst, ob sie selbst werde schreiben müssen. Insbesondere vor der Geschichtsarbeit sei sie deswegen sehr verunsichert gewesen. Die Klägerin hatte mithin nicht die Möglichkeit, sich rechtzeitig auf das in den einzelnen Fächern praktizierte Verfahren zur Ermittlung der schriftlichen Leistungen einzustellen. Dadurch war sie gleichzeitig gegenüber den nichtbehinderten Schülern und Schülerinnen benachteiligt, die im Gegensatz zu ihr vorhersehbare Prüfungsbedingungen vorgefunden haben.

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Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass sich der dargelegte Verfahrensfehler bei der Ermittlung der schriftlichen Leistungen der Klägerin auf die Gesamtbewertung in den Fächern Deutsch, Latein, Physik, Geschichte und Chemie und damit auch auf die Versetzungsentscheidung der Klassenkonferenz ausgewirkt hat, weil die schriftlichen Leistungen neben den mündlichen Leistungen in die Gesamtnote eingehen.