Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 29.05.2002, Az.: 5 A 58/01
Abrechnungsbetrug; Apotheker; Approbation ; Ruhensanordnung; Unwürdigkeit; Unzuverlässigkeit; Wohlverhalten
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 29.05.2002
- Aktenzeichen
- 5 A 58/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 41871
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- OVG - 29.08.2002 - AZ: 8 LA 92/02
Rechtsgrundlagen
- § 8 Abs 1 Nr 1 AAppO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Pflicht zur ordnungsgemäßen Abrechnung der von Patienten eingereichten Rezepte gegenüber den Krankenkassen gehört zu den wesentlichen Berufspflichten des Apothekers. Wird gegen den Apotheker Anklage erhoben wegen des Verdachts des gemeinschaftlichen Abrechnungsbetrugs in insgesamt 112 Fällen und einer Schädigung der Krankenkassen i.H.v. etwa 3,2 Mio. DM, rechtfertigt das die Anordnung des Ruhens der Approbation.
Tatbestand:
Die Klägerin ist eine seit 1982 approbierte Apothekerin. Von 1989 bis zum 30. Juni 2000 war sie Inhaberin der "Apotheke D. in Lüneburg. Im Mai 1999 erstattete die Landesdirektion der AOK Niedersachsen gegen sie Strafanzeige wegen Falschabrechnung von sog. parenteralen Ernährungslösungen in zahlreichen Einzelfällen. Bei den Nährstofflösungen handelte es sich um von ihr hergestellte Mischinfusionen auf der Grundlage ärztlicher Rezepte zur Ernährung schwerstkranker, zumeist in häuslicher Pflege befindlicher Patienten. Gegen sie und den Inhaber eines Pflegedienstes wurden in der Folgezeit umfangreiche staatsanwaltliche Ermittlungen geführt. Das Amtsgericht Lüneburg ordnete außerdem mit Beschluss vom 16. Februar 2000 die vorläufige Verwaltung des Vermögens der Klägerin und mit weiterem Beschluss vom 1. März 2000 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens an. Mit Bescheid vom 26. April 2000 widerrief die Beklagte gegenüber der Klägerin die Apothekenbetriebserlaubnis. Die Klägerin legte dagegen Widerspruch ein, der sich durch den anschließenden Verkauf der Apotheke zum 1. Juli 2000 erledigte. Die Staatsanwaltschaft Lüneburg erhob am 14. Februar 2001 gegen die Klägerin und den mitangeschuldigten E. F. Anklage wegen gemeinschaftlichen Betrugs in 112 Fällen. Die Klägerin wurde angeklagt, als Inhaberin und Verantwortliche ihrer Apotheke im Zusammenwirken mit dem mitangeschuldigten F. 112 Rezepte über parenterale Ernährungslösungen, die F. von Ärzten beschafft habe, gegenüber verschiedenen Krankenkassen in vollem Umfang abgerechnet zu haben, obwohl sie gewusst hätten, dass die Rezepte zum Abrechnungszeitraum nicht oder noch nicht vollständig beliefert worden seien, weil die Patienten sich im Krankenhaus befunden hätten bzw. schon verstorben gewesen seien. Den Krankenkassen sei dadurch ein Schaden von 3.244.565,59 DM entstanden.
Mit Bescheid vom 10. April 2001 ordnete die Beklagte gegenüber der Klägerin das Ruhen ihrer Approbation an. Zur Begründung wurde auf die Erhebung der Anklage beim Landgericht Lüneburg hingewiesen. Aufgrund des gesamten Ermittlungsergebnisses, der Beweislage und der eigenen Einlassungen der Klägerin bestehe der hinreichende Verdacht eines Abrechnungsbetruges. Eine Verurteilung der Klägerin durch das Strafgericht sei wahrscheinlich. Aus den genannten strafbaren Handlungen ergebe sich regelmäßig die Unwürdigkeit und Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Apothekerberufs. Aufgrund der Schwere der Tat und im Hinblick darauf, dass die Klägerin nicht nur einer einzigen, sondern insgesamt 112 strafbaren Handlungen hinreichend verdächtigt sei, bestünden erhebliche Zweifel daran, dass die Klägerin die ausreichende Gewähr für eine ordnungsgemäße Erfüllung ihrer apothekerlichen Pflichten biete. Soweit die Klägerin seit dem 22. Juni 1999 ein "Wohlverhalten" gezeigt und seitdem keinerlei Verfehlungen begangen habe, sei zu berücksichtigen, dass dieser Zeitraum sich mit dem Beginn des gegen sie eingeleiteten Ermittlungsverfahrens decke. Das Verhalten sei mit dem Druck des Ermittlungsverfahrens zu erklären. Die Prognoseentscheidung für das zukünftige Verhalten der Klägerin falle negativ aus, auch wenn gegen sie noch kein Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet worden sei. Ordnungswidrigkeits- und Strafverfahren seien unterschiedlicher Natur und ließen keine wechselseitigen Rückschlüsse zu. In erster Linie sei das Strafverfahren zu führen. Die Ruhensanordnung stelle auch keine Vorverurteilung der Klägerin dar. Sie sei von einem Widerruf der Approbation zu unterscheiden. Weitergehendere Ermittlungsmaßnahmen seien im Verwaltungsverfahren parallel zum Strafverfahren nicht durchzuführen. Die Klägerin sei nach dem Ermittlungsergebnis nicht nur als unzuverlässig, sondern auch als unwürdig im Sinne des Berufsrechts anzusehen, weil durch die Begehung von Abrechnungsbetrügen zu Lasten der Krankenkassen die Wertschätzung des Apothekerstandes in der Gesellschaft gemindert und das von den Krankenkassen in den Apotheker gesetzte Vertrauen erschüttert werde. Die Ruhensanordnung liege im öffentlichen Interesse, das Interesse der Klägerin an einer Fortsetzung der Berufsausübung müsse demgegenüber zurückstehen.
Die Klägerin legte gegen den Bescheid Widerspruch ein und machte geltend, dass die Ruhensanordnung verfahrensfehlerhaft sei. Die Beklagte habe den Sachverhalt nicht hinreichend ermittelt. Sie habe den Nachweis nicht erbracht, dass sie, die Klägerin, für die Ausübung des Apothekerberufs unzuverlässig oder unwürdig sei. Eine negative Prognose in Bezug auf ihre künftige Berufsausübung sei im jetzigen Zeitpunkt nicht zu rechtfertigen. Sie habe sich über einen Zeitraum von 2 Jahren ordnungsgemäß verhalten. Die angefochtene Maßnahme sei unverhältnismäßig.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juni 2001 unter Ergänzung und Vertiefung der Begründung des Ausgangsbescheides zurück.
Die Klägerin hat am 23. Juli 2001 Klage erhoben. Sie vertieft ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren. Die pauschale Bezugnahme auf die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Lüneburg sei unzureichend. Aus der Anklageschrift ergebe sich nicht der zwingend zu verwirklichende subjektive Tatbestand, ein strafbares Verhalten ihrerseits sei auch nicht gegeben. Ihr Verhalten sei strafrechtlich zumindest nicht als schwerwiegend einzustufen. Die Beklagte habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass sie sich zwischenzeitlich beanstandungsfrei verhalten habe. Die angefochtene Ruhensanordnung sei ermessensfehlerhaft ergangen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 10. April 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2001 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hält den angefochtenen Bescheid rechtmäßig.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 10. April 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Juni 2001 ist rechtmäßig (§ 113 Abs. 1 VwGO).
Nach § 8 Abs. 1 der Bundesapothekerordnung - BApoO - kann das Ruhen der Approbation des Apothekers angeordnet werden, wenn gegen den Apotheker wegen des Verdachts einer Straftat, aus der sich seine Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Apothekerberufs ergeben kann, ein Strafverfahren eingeleitet ist. Nach § 8 Abs. 3 BApoO darf der Apotheker, dessen Approbation ruht, den Apothekerberuf nicht ausüben. Unzuverlässig zur Ausübung des Apothekerberufes ist, wer nicht die Gewähr für die ordnungsgemäße Berufsausübung bietet. Unwürdigkeit liegt vor, wenn der Apotheker durch sein gezeigtes Verhalten nicht mehr das zur Ausübung seines Berufs erforderliche Ansehen und Vertrauen besitzt (vgl. zu den entspr. Begriffen in der Bundesärzteordnung BVerwG, Beschluss v. 9.1.1991, NJW 1991, 1557; Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 8 Rdnrn. 6 ff).
Die angefochtene Ruhensanordnung ist nach diesen Maßstäben nicht zu beanstanden, wobei es für die Frage ihrer Rechtmäßigkeit auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerspruch der Klägerin ankommt. Gegen die Klägerin ist ein Strafverfahren eingeleitet worden wegen des Verdachts des gemeinschaftlichen Abrechnungsbetrugs in insgesamt 112 Fällen. Aus den ihr zur Last gelegten Straftaten kann sich sowohl ihre Unwürdigkeit als auch ihre Unzuverlässigkeit für die Ausübung des Apothekerberufs ergeben. Die Pflicht zur ordnungsgemäßen Abrechnung der von den Patienten eingereichten Rezepte gegenüber den Krankenkassen gehört zu den wesentlichen Berufspflichten des Apothekers. In die Erfüllung dieser Pflicht wird von Seiten der Patienten und der Krankenkassen großes Vertrauen gesetzt. Aus den in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Lüneburg vom 14. Februar 2001 niedergelegten Ermittlungsergebnissen ergibt sich der hinreichende Verdacht, dass die Klägerin über einen längeren Zeitraum, d.h. von 1997 bis Anfang 1999, diese Pflichten nachhaltig verletzt hat, wodurch verschiedenen Krankenkassen ein Schaden von insgesamt über 3,2 Mio. DM entstanden sein soll. Aufgrund der umfangreichen Anklageschrift, in der auch die eigenen Einlassungen der Klägerin zu den Tatvorwürfen berücksichtigt worden sind, bestanden und bestehen erhebliche Zweifel an der Zuverlässigkeit der Klägerin. Des Weiteren führt die Begehung von Abrechnungsbetrügen in dem der Klägerin zur Last gelegten Umfang zu einem Verlust der Glaubwürdigkeit der Apothekerin und des in sie gesetzten Vertrauens. Die Staatsanwaltschaft Lüneburg hat die Klägerin wegen des Verdachts einer Straftat angeklagt, aus der sich deshalb auch ihre Unwürdigkeit ergeben kann. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden der Beklagten Bezug genommen, denen sich die Kammer anschließt (§ 117 Abs. 5 VwGO).
Das Klagevorbringen rechtfertigt keine andere Entscheidung. Der Tatbestand des § 8 Abs. 1 Nr. 1 ApoO setzt voraus, dass ein Strafverfahren eingeleitet ist. Das Verfahren gegen die Klägerin ist nicht erst mit Erhebung der Anklage, sondern bereits im Anschluss an die Strafanzeige der AOK Niedersachsen vom 25. Mai 1999 eingeleitet worden. Daraus, dass die Beklagte die Ruhensanordnung erst nach der Anklageerhebung verfügt hat, kann die Klägerin aber nichts mit Erfolg für sich herleiten. Denn erst aus der Anklageschrift ist das Ergebnis der staatsanwaltlichen Ermittlungen deutlich hervorgetreten und der für die Anklageerhebung erforderliche hinreichende Tatverdacht dargetan. Durch das Zuwarten während des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens hat die Beklagte ihre Anordnungsbefugnis nach § 8 Abs.1 Nr. 1 ApoO nicht verwirkt, es diente im Gegenteil dem Schutz der Klägerin vor voreiligen Maßnahmen.
Dass die Beklagte den Abschlussbericht der Polizeiinspektion Lüneburg in dem Ermittlungsverfahren und die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft vom 14. Februar 2001 ihrer Entscheidung zugrunde gelegt und keine weitergehenden eigenständigen Ermittlungsmaßnahmen über eine Straffälligkeit der Klägerin durchgeführt hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Angesichts der umfangreichen Anklageschrift und des Ermittlungsergebnisses, das in der Anklageschrift ausführlich geschildert worden ist, bestand für die Beklagte nach § 24 VwVfG kein Anlass zu einer weiteren Sachverhaltsaufklärung. Sie war auch nicht verpflichtet, die Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit der Klägerin zur Ausübung des Apothekerberufs in dem vorliegenden Verfahren abschließend zu beurteilen und nachzuweisen. Die Ruhensanordnung nach § 8 Abs.1 Nr. 1 ApoO stellt im Verhältnis zum Widerruf der Approbation nach § 7 Abs.2 ApoO das mildere Mittel dar. Sie setzt einen Nachweis der Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit nicht voraus, sondern verlangt die Einleitung eines Strafverfahrens wegen des Verdachts einer Straftat, aus der sich die Unwürdigkeit oder Unzuverlässigkeit ergeben kann.
Dass die Klägerin - soweit ersichtlich - sich bei der Aufklärung des Sachverhalts im Strafverfahren kooperativ gezeigt und seit Einleitung der Ermittlungen ein "Wohlverhalten" gezeigt hat, d.h. in Bezug auf ihre Berufsausübung nicht weiter negativ aufgefallen ist, steht der Ruhensanordnung nicht entgegen. Zum einen ist der von der Klägerin genannte Zeitraum von 2 Jahren ordnungsgemäßer Berufsausübung nicht nachvollziehbar. Eingerechnet ist darin beispielsweise der Zeitraum vom 16. Februar 2000 bis 30. Juni 2000, in dem die Klägerin zwar noch als Inhaberin der Apotheke aufgetreten sein mag, allerdings durch die im Insolvenzeröffnungsverfahren getroffenen Maßnahmen die Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis nicht mehr inne hatte. Im Übrigen hat die Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass eine zeitweilige Unauffälligkeit unter dem Druck der gegen sie geführten Ermittlungen keine Rückschlüsse auf eine nachhaltige Verhaltensänderung zulässt. Sollte sich der hinreichende Tatverdacht des Abrechnungsbetruges in den genannten 112 Fällen bestätigen und die Klägerin verurteilt werden, würde das zu einem gravierenden Vertrauensverlust in Bezug auf ihre Berufsausübung führen und derartige Zweifel an ihrer persönlichen und beruflichen Integrität aufwerfen, dass sie auch unter Berücksichtigung zeitweiligen "Wohlverhaltens" als unwürdig für die Ausübung des Apothekerberufs gelten würde.
Die Ermessensausübung der Beklagten ist nicht zu beanstanden. Sie hat zu Recht darauf hingewiesen, dass das private Interesse der Klägerin an einer Fortsetzung der Berufsausübung gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Ruhensanordnung zurück stehen muss. Angesichts der Schwere der Verfehlungen, deretwegen die Staatsanwaltschaft Lüneburg gegen die Klägerin Anklage erhoben hat, stellt die Ruhensanordnung einen verhältnismäßigen Eingriff in das Grundrecht auf Berufsfreiheit dar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Berufung nach § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO liegen nicht vor.