Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 31.05.2002, Az.: 2 A 209/01
Wiedereinsetzung; Sorgfaltspflicht; Absendung (Nachweis)
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 31.05.2002
- Aktenzeichen
- 2 A 209/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 35998
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGLUENE:2002:0531.2A209.01.0A
Rechtsgrundlagen
- 9 LwGVG
- 32 VwVfG
Amtlicher Leitsatz
Keine generelle Verpflichtung, fristwahrende Schriften mittels eingeschriebenen Briefes aufzugeben (gegen Nds. OVG, 15. 10. 1990, NJW 1991, 1196 [BGH 13.12.1990 - IX ZR 118/90]). Entscheidend ist Glaubhaftmachung, dass Schreiben den Verwantwortungsbereich ordnungsgemäß verlassen hat.
Tenor:
Der Bescheid des Beklagten vom 17. März 2000 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Lüneburg vom 24. August 2000 werden aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, an den Kläger antragsgemäß eine Gasölbeihilfe für das Jahr 1999 in Höhe von 1.603,74 € (= 3.136,65 DM) zu zahlen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Zahlung einer Gasölverbilligung.
Der Kläger ist Landwirt und verfügt über einen Schlepper und einen Mähdrescher. Für diese beiden landwirtschaftlich genutzten Maschinen hat er ausweislich einer vorgelegten Bescheinigung der Esso-Niederlassung in Wittingen im Jahre 1999 insgesamt 7.778 Liter Dieselkraftstoff für einen Gesamtbetrag von 4.532,97 € (= 8.865,71 DM) bezogen.
Mit Formularantrag vom 7. Februar 2000 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Gewährung einer Gasölverbilligung. Die Bescheinigung der Esso-Vertretung fügte er diesem Antrag bei. Auf dem Formular ist vermerkt, dass der Antrag für das Jahr 1999 spätestens bis zum 15. Februar 2000 (Ausschlussfrist) bei dem Beklagten einzureichen ist. Diesen Antrag gab der Kläger als einfaches Schreiben zur Post. Ausweislich des Eingangsstempels des Beklagten ist das Antragsschreiben des Klägers am 17. März 2000 dort eingegangen.
Mit hier angefochtenem Bescheid vom 17. März 2000 lehnte der Beklagte den Antrag auf Gewährung einer Gasölverbilligung für das Kalenderjahr 1999 ab. Zur Begründung verwies er darauf, dass der Antrag erst am 17. März 2000 und somit nicht fristgerecht bei ihm eingegangen sei. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Zur Begründung verwies er darauf, dass er den Antrag am 8. Februar 2000 auf dem Postwege an den Beklagten versandt habe. Als Zeugin hierfür könne er seine Verlobte benennen. Zudem dürfte sich die Richtigkeit seiner Angaben aus dem Poststempel ergeben, der sich auf dem Briefumschlag befinde.
Mit Bescheid vom 24. August 2000 wies die Bezirksregierung Lüneburg diesen Widerspruch zurück. Die Ausschlussfrist für die Antragstellung sei um mehr als einen Monat überschritten. Wiedereinsetzung könne nicht gewährt werden, da der Kläger die gebotene und zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen habe. Er hätte seinen Antrag als Einschreiben verschicken müssen. In Anbetracht der relativ kurzen Zeit bis zu einer eventuellen Verfristung habe er sich nicht darauf verlassen dürfen, dass der Brief innerhalb der normalen Brieflaufzeit in den Machtbereich des Beklagten gelange. Da der Antrag nur als Standardbrief bei der Post aufgegeben worden sei, habe er auch die rechtzeitige Aufgabe bei der Post nicht nachweisen können. Dieses sei nur mit Hilfe eines entsprechenden Einlieferungsscheines möglich, nicht durch die Vorlage einer eidesstattlichen Erklärung. Mithin sei die Fristversäumnis verschuldet.
In der nunmehr gegen beide Bescheide erhobenen Klage vertieft der Kläger sein bisheriges Vorbringen. Eine Sorgfaltspflichtverletzung liege bereits deshalb nicht vor, da er davon habe ausgehen können, dass der Zeitraum von einer Woche zwischen Einwurf des Antrags und Fristablauf ohne Zweifel ausreichen würde, einen Brief innerhalb des Landkreises zu befördern.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 17. März 2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Lüneburg vom 24. August 2000 zu verpflichten, ihm eine antragsgemäße Gasölverbilligung für das Jahr 1999 in Höhe von 1.603,74 € (= 3.136,65 DM) zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist zur Begründung auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden. Auf eine entsprechende gerichtliche Anfrage teilte er weiterhin mit, dass sich der Briefumschlag des Klägers nicht in den Verwaltungsvorgängen befinde, da seine Poststelle Briefumschläge grundsätzlich vernichte. Sie würden lediglich dann aufbewahrt, wenn es sich um Einschreiben handele oder der Absender aus dem Schreiben nicht hervorgehe. Wiedereinsetzungsgründe seien bei Antragseingang nicht zu prüfen gewesen, da solche nicht geltend gemacht worden seien. Ferner sei es nicht erforderlich, eine Anhörung vor Erteilung eines ablehnenden Bescheides durchzuführen, wenn ein Antrag gestellt worden sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die vorgelegten Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Gewährung von Gasölbeihilfe für das Kalenderjahr 1999 in antragsgemäßer Höhe von 1.603,74 EUR (= 3.136,65 DM).
Nach § 1 des Landwirtschafts-Gasölverwendungsgesetzes - LwGVG - vom 22. Dezember 1967 (BGBl, S. 1339) in der jeweils gültigen Fassung erhalten Landwirte für bestimmte landwirtschaftliche Fahrzeuge auf Antrag eine Verbilligung für versteuertes Gasöl. Gemäß § 9 Abs. 1 Sätze 1 und 2 des Gesetzes in der Fassung des Art. 1 des Subventionsabbaugesetzes - SubvAbG - vom 26. Juni 1981 (BGBl, S. 537) ist der Antrag auf Gewährung der Verbilligung für ein Kalenderjahr (Abrechnungszeitraum) bis zum 15. Februar des folgendes Jahres bei der zuständigen Behörde zu stellen. Bei unverschuldeter Versäumnis der Frist ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Unter den Beteiligten ist unstreitig, dass der Antrag des Klägers vom 7. Februar 2000 den formalen Voraussetzungen für eine Gasölbewilligung genügt und dass ihm auf Grund der eingereichten Unterlagen grundsätzlich ein Anspruch in Höhe von 1.603,74 € (= 3.136,65 DM) zusteht. Weiterhin ist unstreitig, dass der Antrag des Klägers mit einem Eingangsstempel des Beklagten vom 17. März 2000 versehen ist und damit die Antragsfrist des 15. Februar 2000 überschreitet. Allerdings hat der Beklagte zu Unrecht den Antrag des Klägers wegen Verfristung abgelehnt. Denn ihm ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
§ 9 Abs. 1 Satz 2 LwGVG nimmt hinsichtlich der Wiedereinsetzung inhaltlich Bezug auf § 32 Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG -, allerdings ohne ausdrücklich einen Antrag zu fordern. Ein Verschulden ist danach dann anzunehmen, wenn der Betroffene diejenige Sorgfalt außer Acht gelassen hat, die für einen gewissenhaften, seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrenden Verfahrensbeteiligten geboten ist und die ihm nach den gesamten Umständen zuzumuten ist (Kopp/Ramsauer, VwVfG, Komm. 7. Aufl. 2000, § 32 Rdn. 20). Bezogen auf Postlaufzeiten ist insoweit anerkannt, dass ein Verschulden nicht vorliegt, wenn der Absender ein Schriftstück ordnungsgemäß zu einem Zeitpunkt abgesandt hat, in dem bei der üblichen normalen Beförderungsdauer mit dem rechtzeitigen Eingang gerechnet werden konnte. Dieses gilt insbesondere dann, wenn der Betroffene sich bei einem einfachen, d.h. nicht eingeschriebenen, richtig und ordnungsgemäß adressierten Brief auf die bei der Post angeschlagenen Brieflaufzeiten oder eine entsprechende Auskunft verlassen hat. Lediglich kurz vor Ablauf einer gesetzlichen Frist trifft den Absender eine erhöhte Sorgfaltspflicht. Eine allgemeine Verpflichtung Anträge an Behörden regelmäßig per Einschreiben zu stellen, gibt es nicht (Kopp/Schenke, VwGO, Komm. 12. Aufl. 2000, § 60 Rdn. 17).
Mit der Aufgabe des Briefes zur Post hat der Kläger alles ihm Mögliche getan. Auf die Dauer der Beförderung und einen etwaigen Verlust des Briefes - sei es im Postlaufgang oder sei es beim Beklagten - hat er keinen Einfluss mehr. Die Postlaufzeit war mit einer Woche (Dienstag 8. Februar bis Dienstag 15. Februar) auch ausreichend bemessen. Liegt mithin im rechtzeitigen Absenden des Briefes mit einfacher Post kein Verschulden, so muss der Kläger darlegen und glaubhaft machen, dass er tatsächlich den Brief am angegebenen Tag zur Post gebracht hat. Er muss Tatsachen vortragen, aus denen sich ergibt, dass der Brief seinen Verantwortungsbereich ordnungsgemäß verlassen hat. Hierfür ist eine schlüssige und glaubhafte Schilderung des Geschehensablaufes bekräftigt durch eine eidesstattliche Versicherung bzw. eine informatorische Anhörung vor der Kammer ausreichend (§§ 32 Abs. 2 Satz 2 VwVfG, 294 ZPO). Ein postalischer Beleg durch einen Einlieferungsschein ist weder gesetzlich vorgeschrieben noch gehört er zur beachtenden Sorgfaltspflicht (FG Bremen, Urt. v. 28. Juni 1991 - 2 55/91 K -, zitiert nach juris).
Diese Voraussetzungen hat der Kläger durch die Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung seiner Verlobten und seine informatorische Anhörung vor der Kammer erfüllt. Anträge auf förmliche Parteivernehmung bzw. Vereidigung sind von den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung nicht gestellt worden. Die Aussagen des Klägers in der mündlichen Verhandlung waren auch ausreichend, um die Kammer davon zu überzeugen, dass er mit dem Brief, der den Antrag enthielt, am 7. Februar 2000 nach Uelzen gefahren ist, dass er ihn dort entgegen seiner ursprünglichen Absicht nicht in einen Briefkasten geworfen hat, sondern dieses erst am folgenden Tag in Lüder getan hat. Auf die protokollierte Aussage im einzelnen wird Bezug genommen. Es besteht kein Anlass, daran zu zweifeln, dass sich der Vorgang so wie vom Kläger in der mündlichen Verhandlung geschildert tatsächlich auch abgespielt hat. Auch von der Vertreterin des Beklagten sind in der mündlichen Verhandlung keinerlei Zweifel am Wahrheitsgehalt dieser Aussage formuliert worden.
Die Kammer folgt mit dem Finanzgericht Bremen (a.a.O.) nicht der vereinzelt gebliebenen Auffassung des Nds. Oberverwaltungsgerichts in seinem Beschluss vom 15. Oktober 1990 (- 10 M 24/90 -, NJW 1991, 1196 [BGH 13.12.1990 - IX ZR 118/90]), wonach im Interesse der Rechtssicherheit zu verlangen sei, dass Beschwerdeschriften (und wohl auch andere fristwahrende Schreiben) mittels eingeschriebenen Briefes aufgegeben werden müssten. Sie teilt vielmehr die Auffassung des Finanzgerichts Bremen, dass - soweit gesetzlich nichts anderes vorgeschrieben ist - eine glaubhaft gemachte Aufgabe eines einfachen Briefes ausreichend ist, um die Sorgfaltspflicht bei der Absendung zu wahren und damit eine Wiedereinsetzung zu rechtfertigen.
Nur abschließend weist die Kammer darauf hin, dass die generelle sofortige Vernichtung von Briefumschlägen bei einfacher Post, wie vom Beklagten dargelegt, ein Organisationsverschulden darstellen kann, weil dadurch der Nachweis der Postlaufzeit auch in Sonderfällen der vorliegenden Art (Brief vom 8. 2. geht erst am 17. 3. ein) unmöglich gemacht wird. Des weiteren ist die Ablehnung eines Antrags noch am Tag des Eingangs wegen Fristversäumnis ohne Anhörung des Betroffenen nicht mit § 28 VwVfG vereinbar. Nach Absatz 1 dieser Bestimmung ist bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Nach dem klaren Wortlauf der Bestimmung muss die Behörde Gelegenheit zur Stellungnahme geben (Kopp/Ramsauer, § 28 Rdn. 14). Gründe im Sinne des Absatz 2, von der Anhörung ausnahmsweise abzusehen, sind vorliegend offensichtlich nicht gegeben. Eine ordnungsgemäße Anhörung verbunden mit der von Amts wegen zu beachtenden Möglichkeit der Wiedereinsetzung (§ 9 Abs. 1 Satz 2 LwGVG) hätte dieses gerichtliche Verfahren voraussichtlich überflüssig gemacht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO. Die Berufung war nach § 124a Abs. 1 iVm 124 Abs. 2 Nr.4 VwGO zuzulassen.