Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 29.05.2002, Az.: 1 A 430/99
beamtenrechtliche Fürsorgepflicht; Billigkeitsregelung; Ermessensentscheidung; Ersatzbeschaffung; Fahrlässigkeit; Fürsorgepflicht; grobe Fahrlässigkeit; Sachschaden; Sachschadensersatz; Schadensersatz; Wertgegenstand
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 29.05.2002
- Aktenzeichen
- 1 A 430/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 43709
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 96 BG ND
- § 252 BGB
- § 253 BGB
Tatbestand:
Der Kläger, der Studienrat ist und im Dienst des Landes Niedersachsen steht, begehrt von der Beklagten Ersatz für mehrere ihm während einer Studienfahrt abhanden gekommener Sachen.
Er führte in der Zeit vom 4. Juli bis 9. Juli 1999 als Leiter des Leistungskurses Politik an seiner Schule mit einer Gruppe von 14 Schülerinnen /Schüler im Alter von 18 bis 19 Jahren eine Segeltour in Holland auf dem Ijsselmeer als Studienfahrt durch. Die Fahrt nach Holland erfolgte mit dem Zug. Die Hinfahrt begann am 4. Juli 1999 um 23.57 Uhr ab dem Bahnhof Hamburg/Harburg. Nachdem die Reisegruppe auf dem Bahnhof in Osnabrück von ca. 3.00 Uhr bis 5.00 Uhr einen 2-stündigen Aufenthalt hatte, kam sie um 7.00 Uhr am Amsterdamer Hauptbahnhof, der Endstation des Zuges, an. Da die Reisegruppe bei ihrer Ankunft in Amsterdam nach Angabe des Klägers noch verschlafen und auf ein Aussteigen nicht vorbereitet war, weckte der Kläger die teilweise noch schlafenden Schüler und Schülerinnen und „organisierte“ den Ausstiegsvorgang. Dabei vergaß der Kläger seine Weste, die er in seinem Abteil an einem Haken gehängt hatte, in dem er zusammen mit 5 Schülern gesessen hatte. Den Verlust der Weste bemerkte er erst, nachdem der Zug den Bahnhof bereits verlassen hatte. Die Weste mit Inhalt wurde nicht mehr gefunden. In der Weste befanden sich folgende Gegenstände: Eine Lesebrille mit Etui, ein Handy Alcatel mit Lederetui und D1-Karte, ein schwarzes Lederportemonnaie, ca. 300,- DM Bargeld, ein Personalausweis, ein Führerschein sowie 15 Rückfahrkarten Bad Bentheim-Hoorn.
Mit Formularantrag vom 21. Juli 1999 beantragte der Kläger eine Erstattung für die verlorengegangenen Gegenstände bzw. der Kosten für die ersatzweise besorgten neuen 15 Rückfahrkarten und der Kosten für die Wiederbeschaffung der Ausweise und Karten sowie der Kosten für das Sperrenlassen der Handykarte.
Mit Bescheid vom 20. Oktober 1999 erkannte die Beklagte einen erstattungsfähigen Schaden in Höhe von insgesamt 2142,58 DM an, den sie dem Kläger jedoch nur zu 50%, das sind 1.071,29 DM, ersetzte, da sie von einem grob fahrlässigen Verhalten des Klägers beim Vergessen der Weste ausging. Den Ersatz der Kosten für die Wiederbeschaffung des Führerscheins lehnte die Beklagte ab, da er für die Studienfahrt nicht erforderlich gewesen sei und daher nicht hätte mitgenommen werden müssen. Die Erstattung der Gebühren für die Sperrung des Handys sei nicht möglich, weil die Sperrung nicht mehr in unmittelbaren Zusammenhang mit der Behebung des Sachschadens stehe.
Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember 1999 zurück. Darin legte sie im Wesentlichen dar, dass angesichts des Umstandes, dass sich in der Weste Gegenstände im Wert von über 2.000,- DM befunden hätten, der Kläger besonders aufmerksam hätte sein müssen und sein Gesamtverhalten, das zum Verlust der Weste geführt habe, als grob fahrlässig zu bewerten sei. Im Übrigen wiederholte sie die Ausführungen des angefochtenen Bescheides.
Am 30. Dezember 1999 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor: Ihm sei angesichts der besonderen Umstände bei der Hinfahrt mit dem Zug und dem nur kurzen Aufenthalt des Zuges im Bahnhof Amsterdam (ca. 3 Minuten) hinsichtlich des Vergessens der Weste mit Inhalt nicht der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit zu machen. Ihm seien daher 100% des entstandenen Schadens zu ersetzen. Die Sperrung der Handykarte stehe noch im unmittelbaren Zusammenhang mit deren Verlust. Die Mitnahme des Führerscheins für die Studienfahrt sei dienstlich geboten gewesen, so dass die Wiederbeschaffungsgebühren in Höhe von 86,50 DM bei der Schadenssumme zu berücksichtigen gewesen sein.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 20. Oktober 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Dezember 1999 aufzuheben, soweit eine Sachschadenserstattung von mehr als 1.071,29 DM abgelehnt worden ist und die Beklagte zu verpflichten, ihm als Sachschadensersatz weitere 1.157,79 DM zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber im Wesentlichen nicht begründet.
Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 20. Oktober 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Dezember 1999 ist nur insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, als ihm ein weiterer Schadensbetrag in Höhe von 43,25 DM (entspricht 22,11 EUR), das sind 50 % der Wiederbeschaffungskosten für den verlorengegangenen Führerschein, nicht gewährt worden ist, insoweit ist der Bescheid aufzuheben. Im Übrigen ist der angefochtene Bescheid rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, so dass er keine weiteren Ansprüche geltend machen kann.
Rechtsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Ersatzanspruch ist allein § 96 NBG. Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 NBG kann dem Beamten Ersatz geleistet werden, wenn bei Ausübung des Dienstes, ohne dass ein Dienstunfall eingetreten ist, Kleidungsstücke oder sonstige Gegenstände, die üblicherweise bei Wahrnehmung des Dienstes mitgeführt werden, beschädigt oder zerstört worden oder abhanden gekommen sind. Der Schadensersatz wird nicht gewährt, wenn der Beamte den Schaden vorsätzlich herbeigeführt hat; er kann von der obersten Dienstbehörde oder der von ihr bestimmten Behörde ganz oder teilweise versagt werden, wenn ein grob fahrlässiges Verhalten des Beamten zur Entstehung des Schadens beigetragen hat (§ 96 Abs. 2 NBG).
Bei der Vorschrift handelt es sich um eine Billigkeitsregelung, die in ihrem Grundgedanken der Fürsorgepflicht des Dienstherrn entspringt, und die dem Beamten lediglich einen Schadensersatzanspruch in Höhe einer angemessenen Entschädigung für erlittene Sachschäden vermittelt. Daher ist bei Schäden an besonders wertvollen Gegenständen nur der Wert vergleichbarer Gegenstände mittlerer Art und Güte zu ersetzen. Ferner muss sich der Beamte den Minderwert eines Gegensandes infolge Abnutzung und Verwendung als schadensmindernden Abzugsbetrag anrechnen lassen. Ersetzt wird lediglich der so ermittelte Wert des betroffenen Gegenstandes. Ersatz des entgangenen Gewinns (§ 252 BGB) oder gar eines immateriellen Schadens (§ 253 BGB) kann der Beamte nicht verlangen. Folgeschäden sind vom Tatbestand des § 96 Abs. 1 NBG ebenfalls nicht erfasst (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 7.3.1991 - 5 L 21/89 -, NJW 1991, 3050).
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 96 Abs. 1 Satz 1 NBG sind - wie unter den Beteiligen nicht umstritten ist - hinsichtlich der anerkannten Sachschäden erfüllt. Soweit die Beteiligten im Vorverfahren noch um die Erstattung der Gebühr zur Kartensperrung für das Handy gestritten haben, ist diese Erstattung im Klageverfahren nicht mehr Streitgegenstand. Die Deutsche Telekom hat in diesem Zusammenhang lediglich Kosten für einen „Kartentausch“ in Höhe von 40,25 DM berechnet, die von der Beklagten insgesamt anerkannt worden sind. Eine gesonderte Gebühr für die Kartensperrung ist nicht ausgewiesen und daher vom Kläger im Klageverfahren auch nicht mehr geltend gemacht worden. Die Kosten für den Ersatz des verlorengegangenen Führerscheins in Höhe von insgesamt 86,50 DM sind entgegen der Ansicht der Beklagten als Schaden zu berücksichtigen. Die Betrachtungsweise der Beklagten, dass ein enger Zusammenhang zwischen der Mitnahme des Führerscheins und der Studienfahrt vorliegen müsse, entspricht nicht der Regelung des § 96 Abs. 1 Satz 1 NBG. Danach ist es ausreichend, dass der Gegenstand üblicherweise bei Wahrnehmung des Dienstes mitgeführt wird. Heutzutage ist üblich, neben dem Personalausweis auch den - soweit vorhanden - Führerschein bei sich zu führen, insbesondere dann, wenn - wie auch hier - es nicht völlig auszuschließen ist, dass ein „Fahranlass“ entstehen könnte.
Nicht zu beanstanden ist die Bewertung der Beklagten, dass der Verlust der Weste mit den weiteren Gegenständen auf ein grob fahrlässiges Verhalten des Klägers zurückzuführen ist. Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wenn er nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss oder wer die einfachsten, ganz naheliegenden Überlegungen nicht anstellt (vgl. BVerwG, Urteil vom 3.2.1972 - VI C 22.68 -, Buchholz 232, § 78 BBG Nr. 18). Im vorliegenden Fall hätte dem Kläger bereits bei der Vorbereitung der Hinfahrt nach Holland klar werden müssen, dass die Schüler angesichts der späten Abfahrtszeit, des 2-stündigen „Umsteigeaufenthalts“ um 3.00 Uhr in Osnabrück und der voraussichtlichen Ankunft gegen 7.00 Uhr in Amsterdam noch sehr müde seien wenn nicht sogar schlafen würden. Er hätte daher bereits Vorsorge treffen müssen, dass er die Schüler rechtzeitig ohne Hektik weckt und zum Aussteigen vorbereitet. Bei Beachtung dieser naheliegenden Überlegungen wäre es nicht zu der von ihm beschriebenen besonderen Belastungssituation bei Ankunft in Amsterdam gekommen. Darüber hinaus hätte dem Kläger klar sein müssen, dass er seine Weste, in der sich Wertgegenstände in Höhe von mehr als 2.000,- DM befanden, nicht unbeaufsichtigt lassen durfte und bei Verlassen des Abteils die dort befindlichen Schüler darauf hinweisen musste, auf diese aufzupassen oder diese mitzunehmen oder selbst die Weste anzuziehen. Diese besonders naheliegende Pflicht auf die Weste besonders aufzupassen, insbesondere sie beim Aussteigen mitzunehmen, hat der Kläger hier im besonderen Maße verletzt. Die von ihm beschriebene Sorge um das rechtzeitige Aussteigen der Schüler vermag nicht dazuführen, diese Pflichtverletzung als geringer gewichtig einzustufen, zumal hierbei zu berücksichtigen ist, dass es sich um Schüler im Alter zwischen 18 und 19 Jahre gehandelt hat, denen im höheren Maße eine Eigenverantwortung als bei sonstigen Klassen- oder Studienfahrten zugemutet werden kann. Hinzu kommt, dass hier eine weitere Aufsichtsperson als Begleitperson benannt worden ist, die ebenfalls den Aussteigevorgang betreuen konnte. Schließlich belegten die 14 Schüler mit Begleitpersonen nur 3 Abteile.
Ist das Vergessen der Weste mit dem wertvollen Inhalt mithin als grob fahrlässiges Verhalten des Klägers zu bewerten, ist die daran anknüpfende Ermessensentscheidung der Beklagten, dem Kläger den Schaden nur in Höhe von 50 % zu ersetzen, nicht ermessensfehlerhaft. Die Beklagte hat hierbei sowohl die Höhe des monatlichen Gehaltes des Klägers berücksichtigt als auch den Umstand, dass er über seine eigentliche Dienstpflicht hinaus diese Studienfahrt freiwillig im Interesse der Schüler durchgeführt hat. Angesichts des grob fahrlässigen Verhaltens ist daher ein Ersatz des Schadens in Höhe von lediglich 50 % nicht unbillig.
Da die Beklagte jedoch noch die Ersatzbeschaffung des Führerscheins in Höhe von insgesamt 86,50 DM zu berücksichtigen hat, war sie an ihrer eigenen Entscheidung, 50 % des Schadens zu ersetzen, festzuhalten und insoweit zu verpflichten, die Hälfte dieses Betrages ebenfalls noch zu ersetzen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO. Gründe, die Berufung gem. § 124 a i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO zulassen, liegen nicht vor.