Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 23.03.2006, Az.: L 8 AS 350/05
Anspruch auf Zahlung eines monatlichen Mehrbedarfs wegen Behinderung zusätzlich zu den gewährten Regelleistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende; Ausschluss der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende bei der Förderungsfähigkeit der Ausbildung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG); Gewährung eines Mehrbedarfs durch erweiterende Auslegung der Anspruchsnorm; Gebotenheit der Auslegung auf Grund der Unvereinbarkeit der Norm mit dem Grundgesetz; Differenzierung bei der Anspruchsberechtigung als Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 23.03.2006
- Aktenzeichen
- L 8 AS 350/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2006, 17046
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2006:0323.L8AS350.05.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 13.09.2005 - AZ: S 48 AS 76/05
Rechtsgrundlagen
- § 21 Abs. 4 SGB II
- § 24 Abs. 4 SGB II
- § 33 SGB IX
- § 2 Abs. 1 Nr. 1 BAföG
Redaktioneller Leitsatz
Im Wege der erweiternden Auslegung des § 21 Abs. 4 S. 1 SGB II haben auch diejenigen erwerbsfähigen behinderten Hilfebedürftigen einen Anspruch auf den Mehrbedarf, die zwar nicht die Voraussetzungen eines der dort genannten Tatbestandsmerkmale ausfüllen, für die aber Leistungen nach § 54 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB XII erbracht werden.
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 13. September 2005 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat auch die zweitinstanzlich angefallenen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Zahlung eines monatlichen Mehrbedarfs wegen Behinderung zusätzlich zu den ihm gewährten Regelleistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Dabei ist im Wesentlichen streitig, ob es sich bei der vom ihm besuchten Maßnahme um eine solche handelt, für die er Leistungen nach einer der in § 21 Abs. 4 Satz 1 SGB II in Bezug genommenen Vorschriften erhält.
Der im April 1978 geborene ledige Kläger hat nach Abschluss der Hauptschule mehrere Berufsausbildungen abgebrochen. Der Arzt für Psychiatrie F. hat im Oktober 2003 psychische und Verhaltensstörungen mit Krankheitswert diagnostiziert. Seit dem 1. August 2003 besucht der Kläger den Realschulkurs der G. -Therapieschule in H ... Der Besuch der Maßnahme wurde und wird vom Sozialhilfeträger durch Gewährung von Eingliederungshilfe nach § 40 Abs. 1 Nr. 4 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) bzw. ab dem 1. Januar 2005 § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) gefördert. Bei G. handelt es sich um eine gemeinnützige Gesellschaft für Sozialtherapie und Pädagogik mbH. G. betreibt u.a. eine Schule, die Menschen mit Drogenproblemen und Substituierten von 14 bis 40 Jahren einen betreuten Rahmen bietet, um Schulabschlüsse der Sekundarstufe I zu erwerben. Die Schule bietet eine feste Tagesstruktur, es werden vielfältige sozialtherapeutische Betreuungsmaßnahmen und Freizeitmöglichkeiten angeboten. Ziel ist die soziale und berufliche Reintegration von Drogenabhängigen.
Bis zum 31. Dezember 2004 erhielt der Kläger außerdem laufende Leistungen nach dem BSHG unter Berücksichtigung eines Mehrbedarf nach § 23 Abs. 3 BSHG für die Kosten des Schulbesuchs in Höhe von 102,66 EUR monatlich. Auf seinen Antrag vom 27. August 2004 bewilligte die Region H. (insoweit Funktionsvorgängerin der Beklagten) dem Kläger für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. April 2005 mit Bescheid vom 30. November 2004 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von insgesamt 388,55 EUR (345,00 EUR Regelleistungen und 213,55 Leistungen für Unterkunft und Heizung abzgl 170,00 EUR Unterhaltsleistungen). Der Widerspruch des Klägers, mit dem dieser die Weiterbewilligung des Mehrbedarfs begehrte, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 9. Februar 2005). Die Voraussetzungen für die Gewährung eines Mehrbedarfs (nunmehr in § 21 Abs. 4 SGB II normiert) seien nicht erfüllt, weil der Kläger keine arbeits- und ausbildungsorientierten Hilfen erhalte. Der Kläger nehme vielmehr an einer ausschließlich schulisch organisierten Maßnahme teil, bei der es sich nicht um eine Maßnahme im Sinne von § 21 Abs. 4 SGB II handele.
Hiergegen hat der unter Betreuung stehende Kläger durch seine Betreuerin am 4. März 2005 Klage beim Sozialgericht (SG) Hannover erhoben. Er hat geltend gemacht, dass Inhalt der von ihm besuchten Maßnahmen bei G. neben der Vorbereitung zum Schulabschluss eine soziale und berufliche Integrationsmaßnahme sei, für deren Teilnahme ihm Leistungen nach § 21 Abs. 4 SGB II zuständen. Er hat eine Bescheinigung von G. mit einer Konzeptionsbeschreibung der Schule beigefügt.
Mit Urteil vom 13. September 2005 hat das SG den angefochtenen Bescheid geändert, die Beklagte verurteilt, dem Kläger den Mehrbedarf nach § 21 Abs. 4 SGB II zu gewähren, und die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Zur Begründung der Entscheidung hat das SG auf eine Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen vom 11. Juli 2005 ( L 7 B 53/05 AS ) Bezug genommen und ausgeführt, dass der erwerbsfähige behinderte Kläger einen Leistungsanspruch nach § 21 Abs. 4 SGB II habe. Zwar seien die Voraussetzungen ausgehend vom Wortlaut nicht erfüllt, die Vorschrift sei jedoch gesetzeserweiternd dahingehend auszulegen, dass erwerbsfähigen behinderten Hilfebedürftigen ebenso wie nicht Erwerbsfähigen oder Sozialgeldempfängern in vergleichbarer Situation ein Anspruch auf den Mehrbedarf zusteht.
Gegen das am 10. Oktober 2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 14. Oktober 2005 Berufung eingelegt. Das Urteil sei rechtswidrig. Nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut bestehe für den Kläger kein Anspruch auf Mehrbedarf. Schüler, Auszubildende und Studenten erhielten in der Regel überhaupt keine Leistungen nach dem SGB II. Nur bei tatsächlichem Bezug von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben könne ein Mehrbedarf nach § 21 gewährt werden, schulische Maßnahmen seien bewusst nicht von § 21 SGB II umfasst. Es spreche wesentlich mehr dafür als dagegen, dass der Gesetzgeber diese Regelung auch so treffen wollte und lediglich für Bezieher von Sozialgeld eine Ausnahme zulassen wollte.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 13. September 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hat sich im Berufungsverfahren nicht weiter zur Sache geäußert.
Außer den Gerichtsakten lag ein Verwaltungsvorgang der Beklagten, den Kläger betreffend, vor. Er war Gegenstand des Verfahrens. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und der Beiakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat entscheidet mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG ).
Die vom SG zugelassene form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Sie ist nicht begründet. Das SG hat zu Recht entschieden, dass dem Kläger ein Mehrbedarf nach § 21 Abs. 4 SGB II zusteht. Der angefochtene Bescheid ist demzufolge zur Recht geändert worden.
Der Kläger, dessen Erwerbsfähigkeit und Hilfebedürftigkeit auch von der Beklagten nicht in Frage gestellt wird, erhält zu Recht Leistungen nach dem SGB II in Höhe des Regelsatzes (§ 20 Abs. 2 SGB II) und seiner tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II). Dem Anspruch steht auch nicht § 7 Abs. 5 SGB II entgegen. Nach dieser Vorschrift haben u.a. Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Der Besuch des Realschulkurses der G. -Therapieschule ist keine dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung im Sinne des BAföG. Zwar ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Nr. 1 BAföG, dass für den Besuch von weiterführenden allgemein bildenden Schulen Ausbildungsförderung geleistet wird. Nach § 2 Abs. 1 a BAföG wird für den Besuch derartiger allgemein bildender Schulen in Fällen, in denen der Auszubildende nicht bei seinen Eltern wohnt, jedoch nur Ausbildungsförderung geleistet, wenn die weiteren in § 2 Abs. 1a Nr. 1 - 3 BAföG genannten tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind (vgl hierzu ausführlich Beschluss des 9. Senats des LSG Niedersachsen-Bremen vom 14. Februar 2006 - L 9 AS 19/06 ER ). Dies ist in der Person des Klägers nicht der Fall. Dieser ist weder verheiratet, noch wäre eine Realschule von der Wohnung seiner Eltern nicht erreichbar, noch lebt er mit einem Kind zusammen. Bei dieser Sachlage kann offen bleiben, ob es sich bei dem Besuch des Realschulkurses der G. -Therapieschule überhaupt um eine schulische Ausbildung im Sinne des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II handelt.
Der Kläger hat auch Anspruch auf den hier streitigen Mehrbedarf nach § 24 Abs. 4 SGB II. Danach erhalten erwerbsfähige behinderte Hilfebedürftige, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 SGB IX sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Hilfe zur Ausbildung für eine sonstige angemessene Tätigkeit erbracht werden, einen Mehrbedarf von 35 v.H. der nach § 20 SGB II maßgebenden Regelleistung. Die Grundvoraussetzung ist erfüllt, bei dem erwerbsfähigen und hilfebedürftigen Kläger handelt es sich um einen behinderten Menschen im Sinne von § 2 Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX). Hieran hat der Senat nach dem Gutachten des Arztes für Psychiatrie F., der den Kläger im Oktober 2003 untersucht und psychische und Verhaltensstörungen mit Krankheitswert diagnostiziert hat, keine Zweifel. Auch die Beklagte hat dies nicht in Frage gestellt.
Der Beklagten ist zuzugestehen, dass der Kläger nach dem Wortlaut des § 21 Abs. 4 Satz 1 SGB II die weiteren Voraussetzungen für den streitigen Mehrbedarf nicht erfüllt. Dem Kläger werden weder Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 33 SGB IX erbracht (1) noch erhält er sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben (2) oder für eine sonstige angemessene Tätigkeit (3). Dieses Ergebnis wäre jedoch mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren (4), weshalb durch eine insbesondere im Hinblick auf Sinn und Zweck und das Zustandekommen des Gesetzes nahe liegende erweiternde Auslegung des § 21 Abs. 4 Satz 1 SGB II (5) eine andere verfassungsgemäße Entscheidung zu treffen ist. Die Erwägungen des 7. Senats im Beschluss vom 11. Juli 2005 - L 7 B 53/05 AS - werden vom erkennenden Senat geteilt.
(1)
Bei den Leistungen nach § 33 SGB IX handelt es sich um Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, die nach dem 6. Kapitel des Sozialgesetzbuchs - Sozialhilfe - (SGB XII) behinderte Menschen als Eingliederungshilfe erhalten. Dies ergibt sich auch aus § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII ("Leistungen der Eingliederungshilfe sind neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 45 des Neunten Buches insbesondere ..."). Derartige Leistungen erhält der Kläger, der Leistungen nach § 54 Abs. 1 Satz 1 SGB XII bezieht, nicht.
(2)
Der Begriff der "sonstigen Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben" wird an anderer Stelle des SGB nicht mehr genannt. Der hier streitige Schulbesuch dürfte aber schwerlich unter diese Formulierung zu fassen sein. Zwar erscheint er durchaus geeignet, die Chancen des Klägers zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben nach Erlangung des Realschulabschlusses zu verbessern. Die hier erfolgte Förderung des Schulbesuchs ist jedoch ausdrücklich in § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII normiert, so dass eine direkte Anwendung dieser Anspruchsvoraussetzung nicht möglich ist.
(3)
Bei der weiter in § 21 Abs. 4 Satz 1 SGB II genannten Hilfe zur Ausbildung für eine sonstige angemessene Tätigkeit handelt es sich nach dem ausdrücklichen Wortlaut um eine solche nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB XII. Auch derartige Leistungen werden dem Kläger nicht erbracht.
(4)
Erwerbsfähige behinderte Hilfebedürftige, denen wie dem Kläger Leistungen nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII erbracht werden, weil sie Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung benötigen, hätten demnach ab dem 1. Januar 2005 keinen Anspruch auf Mehrbedarf nach § 21 Abs. 4 Nr. 1 SGB II. Dieses Ergebnis verstößt gegen das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes. Gemäß § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 SGB II erhalten behinderte Menschen, die als Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft Sozialgeld nach dem SGB II beziehen, einen Mehrbedarfsanspruch nach § 21 Abs. 4 Nr. 1 SGB II, wenn für sie Eingliederungshilfe nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder 2 SGB XII geleistet wird. Gleiches gilt für Leistungsberechtigte nach dem SGB XII, die gemäß § 30 Abs. 4 Satz 1 SGB XII neben dem notwendigen Lebensunterhalt nach § 27 SGB XII auch einen Anspruch auf Mehrbedarf haben ("Für behinderte Menschen, die das 15. Lebensjahr vollendet haben und denen Eingliederungshilfe nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 geleistet wird, wird ein Mehrbedarf von 35 vom Hundert des maßgebenden Regelsatzes anerkannt"). Über 15 Jahre alte behinderte Hilfebedürftige, die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung benötigen, erhalten damit immer dann, wenn sie nicht erwerbsfähig sind, einen Mehrbedarf, entweder als Teil einer Bedarfsgemeinschaft nach § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 SGB II oder als eigenständigen Anspruch § 30 Abs. 4 Satz 1. Ein Anspruch bestünde nur dann nicht, wenn sie erwerbsfähig sind.
Eine derartige Differenzierung verstößt gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs. 1 GG. Dieser ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 55, 72, 88 = NJW 1981, 271; BVerfGE 92, 53, 69) [BVerfG 11.01.1995 - 1 BvR 892/88]. Hier bestehen keine Unterschiede von solcher Art und von solchem Gewicht, dass sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen können. Wenn der Gesetzgeber grundsätzlich bei Teilnahme an einer Schulausbildung einen Mehrbedarf annimmt, besteht dieser unabhängig von dem Kriterium der Erwerbsfähigkeit, die der Gesetzgeber für den Bereich des SGB II und des SGB XII dahingehend definiert hat, dass eine Erwerbstätigkeit unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich möglich sein muss (§ 8 Abs. 1 SGB II).
Der Gleichheitsverstoß kann hier durch eine verfassungskonforme Auslegung vermieden werden kann (vgl hierzu BVerfGE 90, 46 = NZA 1994, 661, 663). Die Regelungskompetenz des Gesetzgebers wird dabei nicht überschritten, weil dieser zur Überzeugung des Senats die vorliegende Differenzierung nicht beabsichtigt hat und es sich insoweit um eine vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte Regelungslücke bzw. ein redaktionelles Versehen handelt.
(5)
Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass die Regelung des Mehrbedarfs für erwerbsfähige behinderte Hilfebedürftige der Mehrbedarfsregelung der Sozialhilfe für diese Personengruppe entsprechen sollte. Lediglich die Fallgestaltungen des § 49 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB XII (jetzt: § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB XII) sollten ausgenommen werden. Hierzu heißt es in der Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung (BT-Drucks 15, 1516 S. 57), dass sich aus der Regelung des § 7 Abs. 4 (jetzt: § 7 Abs. 5 SGB II) ergibt, dass nur diejenigen Hilfebedürftigen Förderleistungen und damit auch Leistungen des Arbeitslosengeldes II erhalten, die sich nicht in schulischer Ausbildung oder in Ausbildung an einer Hochschule befinden. Für nicht erwerbsfähige behinderte Angehörige sollten nach § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 SGB II die Mehrbedarfe auch dann gezahlt werden, wenn Eingliederungshilfe nach § 49 Abs. 1 Nr. 1 und 2 des Zwölften Buches gewährt wird, weil (so die Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks 15, 1516 S 59) diejenigen Hilfebedürftigen, die sich in schulischer Ausbildung befinden, kein Arbeitslosengeld II erhalten, aber Anspruch auf Sozialgeld haben können.
Die ursprüngliche Fassung des § 7 Abs. 4 SGB II ist im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens jedoch dahingehend geändert worden, dass nunmehr Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes oder der §§ 60 bis 62 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts haben. Diese Änderung, die insbesondere Schülern, jedoch auch Auszubildenden und Studenten unter bestimmten Voraussetzungen den Zugang zu Leistungen nach dem SGB II ermöglicht, hat nicht zu einer Anpassung des § 21 Abs. 4 Satz 1 SGB II geführt; diese Vorschrift ist vielmehr unverändert in Kraft getreten.
Die Intention des Gesetzgebers kann deshalb nur dahin zu verstehen sein, dass alle Personen, die einen Leistungsanspruch nach dem SGB II haben und vorher Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 40 BSHG bezogen haben, bei ansonsten unverändert gebliebenen Verhältnissen einen Anspruch auf Mehrbedarf gemäß § 21 Abs. 4 Satz 1 SGB II haben sollen. § 40 Abs. 1 Nr. 4 BSHG in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung normierte als Leistungen der Eingliederungshilfe Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, vor allem im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu. Diese Formulierung ist wortidentisch mit der Fassung in § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII. Für die hier vertretene Auffassung spricht weiter, dass die Eingliederungshilfe-VO, die in § 12 weitere Erläuterungen für die Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung liefert, bei In-Kraft-Treten des SGB II und des SGB XII inhaltlich unverändert geblieben ist (BGBl I 2003 S 3022, 3059).
Wenn es sich bei der jetzigen Fassung des § 21 Abs. 4 Satz 1 SGB II demzufolge um ein redaktionelles Versehen handelt, weil die Auswirkungen der im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens erfolgten Änderungen anderer Vorschriften nicht beachtet wurden, ist der Senat an einer entsprechenden verfassungskonformen Auslegung der Vorschrift nicht gehindert. Der Kläger erhält demzufolge einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 4 Satz 1 SGB II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG beimisst.