Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 07.03.2006, Az.: L 7 AS 423/05 ER

Voraussetzungen des Anspruchs eines Untersuchungshäftlings auf Taschengeld aus Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II); Anforderungen an das Vorliegen von Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB II; Rechtliche Ausgestaltung sozialrechtlicher Leistungsansprüche eines Untersuchungshäftlings; Vorliegen des Ausschlusstatbestands des § 7 Abs. 4 SGB II durch die Unterbringung in Untersuchungshaft; Rechtliche Qualifizierung der Unterbringung in der Untersuchungshaft als längeren Aufenthalt in einer stationären Einrichtung; Merkmale einer stationären Einrichtung

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
07.03.2006
Aktenzeichen
L 7 AS 423/05 ER
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2006, 11993
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2006:0307.L7AS423.05ER.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Braunschweig - 20.10.2005 - AZ: S 19 AS 566/05 ER

Fundstellen

  • ZfSH/SGB 2006, 346-349
  • info also 2006, 232

Redaktioneller Leitsatz

Ein hilfebedürftiger Untersuchungshäftling hat während der Zeit seiner Untersuchungshaft einen Anspruch auf Taschengeld aus Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Braunschweig vom 20. Oktober 2005 wird zurückgewiesen.

Die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers im Beschwerdeverfahren sind zu erstatten.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1

I.

Die Beteiligten streiten darum, ob dem Antragsteller als Untersuchungshäftling ein Anspruch auf Taschengeld aus Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zusteht.

2

Der im Januar 1982 geborene, ledige Antragsteller erhielt bis zum Ende des Jahres 2004 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt nach den Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) von der Stadt C ... Ihm ist seit dem 1. März 2004 ein Betreuer durch Beschluss des Amtsgerichts C. für Rechts- und Vermögensangelegenheiten beigeordnet. Auf seinen Antrag hin erhielt der Antragsteller von der Antragsgegnerin zunächst für den Bewilligungszeitraum Januar bis Juni 2005 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. In der Folgezeit wurden ihm mit Bescheiden vom 18. Juni 2005 und Änderungsbescheid vom 21. Juni 2005 Leistungen für den Bewilligungszeitraum Juli bis Dezember 2005 gewährt. Allerdings wurde hinsichtlich des Umfangs der Leistungen eine Beschränkung auf die Kosten der Unterkunft vorgenommen.

3

Am 16. Juni 2005 wurde der Antragsteller in Untersuchungshaft genommen. Diese wurde für die Zeit vom 20. Juli bis zum 5. Oktober 2005 zur Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe unterbrochen. Seit dem 6. Oktober 2005 befindet er sich wieder in Untersuchungshaft. Ein Urteil hinsichtlich der ihm zur Last gelegten Straftaten ist bislang noch nicht gefällt worden.

4

Gegen den Änderungsbescheid vom 21. Juni 2005 legte der Antragsteller mit Schreiben vom 29. Juni 2005 Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, dass die Beschränkung der laufenden Leistungen auf die Kosten der Unterkunft ohne Berücksichtigung eines Taschengeldanspruchs während seiner Untersuchungshaft nicht richtig sei. Die Antragsgegnerin wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juli 2005 als unbegründet zurück und führte aus, abgesehen von den Kosten der Unterkunft bestehe für den Antragsteller während der Zeit seines Aufenthalts in der Justizvollzugsanstalt (JVA) keine Hilfebedürftigkeit im Sinne von § 9 Abs. 1 SGB II. Dagegen hat der Antragsteller Klage zum Sozialgericht (SG) Braunschweig erhoben, über die - soweit ersichtlich - bislang noch nicht entschieden worden ist (Az: S 19 AS 526/05).

5

Am 5. September 2005 hat sich der Antragsteller an das SG Braunschweig mit der Bitte um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gewandt. Er hat geltend gemacht, dass er in der Haftanstalt zwar beherbergt und verköstigt werde, jedoch nicht - wie andere Untersuchungshäftlinge - über ausreichende Barmittel verfüge, um sich Dinge zu kaufen, die nicht zu den Leistungen der JVA gehörten wie z.B. zusätzliche Hygieneartikel, Süßigkeiten, Zeitschriften, Tabakwaren oder Telefonkarten und Briefmarken. Ihm stünde daher als Taschengeld ein Betrag in Höhe von 26 v.H. des Regelsatzes zu.

6

Mit Beschluss vom 20. Oktober 2005 hat das SG Braunschweig die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller einen monatlichen Betrag in Höhe von 10 v.H. des Regelsatzes ab dem 6. Oktober 2005 bis zur Beendigung der Untersuchungshaft, längstens jedoch bis zum 15. Dezember 2005 zu gewähren. Im Übrigen hat es den Antrag abgelehnt. Es hat im Wesentlichen dazu ausgeführt, der Antragsteller gehöre nicht zum Kreise derjenigen, die von den Leistungen nach dem SGB II deswegen ausgeschlossen seien, weil sie für einen Zeitraum von länger als sechs Monaten in einer stationären Einrichtung untergebracht seien. Dies sei nämlich wegen der regelmäßigen Begrenzung der Untersuchungshaft auf sechs Monate nach § 121 Strafprozessordnung (StPO) und der für Untersuchungshäftlinge geltenden Unschuldsvermutung im Wege einer Prognoseentscheidung nicht anzunehmen. Auch sei der Antragsteller im Sinne von § 9 Abs. 1 SGB II hilfebedürftig, weil in der Untersuchungshaft sein soziokulturelles Existenzminimum nicht ausreichend gesichert sei. Zwar werde er beherbergt und verköstigt, jedoch verfüge er nicht über Barmittel, um sich etwa Tabakwaren und Genussmittel oder Zeitungen oder Telefonkarten anzuschaffen. In der früheren Rechtsprechung zum BSHG sei aber ein Taschengeldanspruch für den Untersuchungshäftling anerkannt gewesen, sodass im Hinblick auf die Zusammensetzung der Regelsätze ein Betrag in Höhe von 10 v.H. des Regelsatzes angemessen, aber auch ausreichend sei. Während der Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe, die die Untersuchungshaft unterbrochen habe, sei im Hinblick auf § 46 Strafvollzugsgesetz (StVollzG) ein Anspruch nicht gegeben.

7

Gegen den ihr am 25. Oktober 2005 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin am 17. November 2005 Beschwerde erhoben, der das SG nicht abgeholfen hat. Die Antragsgegnerin macht geltend: Während der Untersuchungshaft würden durch die JVA für den Antragsteller die notwendigen Bedürfnisse für ein menschenwürdiges Dasein erfüllt. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit habe in einem Schreiben an die Zentrale der Bundesagentur für Arbeit vom 28. Juni 2005 zutreffend die Auffassung vertreten, dass es allein Sache der Träger der Vollzugseinrichtungen - und somit der Länder - sei, während der Untersuchungshaft alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um den Untersuchungshäftlingen ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen. Soweit das bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen in einer Stellungnahme vom 15. Juni 2005 eine andere Auffassung vertreten habe, sei dem nicht zu folgen.

8

Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,

den Beschluss des Sozialgerichts Braunschweig vom 20. Oktober 2005 abzuändern und insgesamt den Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

9

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

die Beschwerde zurückzuweisen.

10

Er bezieht sich auf seinen bisherigen Vortrag und verweist auf die zutreffenden Ausführungen im angegriffenen Beschluss.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren, ergänzend Bezug genommen.

12

II.

Die nach §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller während der Zeit seiner Untersuchungshaft ein Taschengeld in Höhe von 10 v.H. des Regelsatzes der Grundsicherung für Arbeitsuchende zu gewähren. Dazu im Einzelnen:

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Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer Regelungsanordnung ist stets, dass sowohl ein Anordnungsgrund (das heißt die Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile) als auch ein Anordnungsanspruch (das heißt die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines in der Sache gegebenen materiellen Leistungsanspruchs) glaubhaft gemacht werden (vgl. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -). Grundsätzlich soll wegen des vorläufigen Charakters der einstweiligen Anordnung die endgültige Entscheidung der Hauptsache nicht vorweggenommen werden. Wegen des Gebots, effektiven Rechtsschutz zu gewähren (vgl. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz - GG -), ist von diesem Grundsatz aber eine Abweichung dann geboten, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht wieder gutzumachende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerfGE 79, 69, 74 [BVerfG 25.10.1988 - 2 BvR 745/88] m.w.N.).

14

Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Antragsteller zum gegenwärtigen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts sowohl einen Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft dargelegt. Zutreffend hat das SG Braunschweig die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ein Taschengeld zu gewähren, sodass die Beschwerde der Antragsgegnerin als unbegründet zurückzuweisen ist. Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin scheitert das Begehren des Antragstellers nicht daran, dass die Zeit seiner Unterbringung in der Untersuchungshaft als ein längerer Aufenthalt in einer stationären Einrichtung anzusehen sei und damit dem Ausschlusstatbestand gemäß § 7 Abs. 4 SGB II unterfallen würde. Zwar wird in der Literatur die Auffassung vertreten, bei einer Untersuchungshaft - oder Justizvollzugsanstalt handele es sich um eine stationäre Einrichtung im Sinne von § 7 Abs. 4 SGB II (vgl. Spellbrink in: Eicher/Spellbrink, SGB II München 2005, § 7 Rdn. 34; Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB II Loseblattsammlung, § 9 Rdn. 69; wohl auch Brühl in: LPK-SGB II , Baden Baden 2005, § 7 Rdn. 58). Auch wird in einem Teil der sozialgerichtlichen Rechtsprechung die zuvor genannte Ansicht mit dem Argument unterstützt, der Begriff der stationären Einrichtung im Sinne des § 7 Abs. 4 SGB II müsse nach seinem gesamten Sinn und Zweck einem erweiternden Verständnis unterliegen, weil der betreffende Hilfesuchende (gegen seinen Willen) von einer Teilnahme am allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen sei (vgl. SG Würzburg, Beschluss vom 29.März 2005 - S 10 AS 27/05 ER -; Bayerisches LSG, Beschluss vom 27.Okt. 2005 - L 11 B 596/05 AS ER -; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 31.Aug. 2005 - L 19 B 48/05 AS ER -). Dieser Ansicht vermag der Senat - jedenfalls im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens - nicht zufolgen. Denn eine Straf- oder Untersuchungshaft einerseits und eine medizinische oder soziale Rehabilitationsmaßnahme in einer stationären Einrichtung andererseits dienen gänzlich unterschiedlichen Zwecken. In der früheren Rechtsprechung zum BSHG war es nicht bestritten, dass Strafvollzugsanstalten nicht zu den Einrichtungen im Sinne von § 103 Abs. 4 BSHG gehörten (vgl. Schellhorn, Kommentar zum BSHG, 15. Auflage, § 103 Rdn. 109 m.w.N.). Der Begriff der stationären Einrichtung ist im SGB II nicht näher definiert. Von daher erscheint es angebracht, auf das Verständnis der stationären Einrichtung nach § 13 Abs. 1 Satz 2 SGB XII zurückzugreifen, wonach die Justizvollzugsanstalten eben nicht als Einrichtungen verstanden werden können, die der Pflege, Behandlung oder Erziehung im Sinne des SGB XII dienen ( vgl. Wahrendorf in: Grube / Wahrendorf, SGB XII, München 2005 , § 13 Rdn. 7 ). Die bereits nach dem BSHG ausdrücklich vorgenommene Gleichstellung von Einrichtungen zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehungen mit den stationären Einrichtungen ( vgl. § 97 Abs. 5 BSHG ), wie sie in den Regelungen über die örtliche Zuständigkeit in § 98 Abs. 4 SGB XII übernommen wurde, wurde von Gesetzgeber gerade deswegen für erforderlich gehalten, weil Erstere zwar keine vollstationären Einrichtungen sind, zum Schutz der örtlichen Sozialhilfeträger vor unverhältnismäßigen Kostenbelastungen mit diesen aber gleichbehandelt werden sollten (vgl. Schlette in: Hauck/Noftz, SGB XII, § 98 Rdn. 89). Einer derartigen Vorschrift hätte es nicht bedurft, wenn von vornherein die Justizvollzugsanstalten als vollstationäre Einrichtungen anzusehen wären. Es besteht auch kein Anlass, den Einrichtungsbegriff des SGB II weiter und anders als den des SGB XII zu verstehen. Denn beide Gesetze wurden in einem parallelen Gesetzgebungsverfahren geschaffen und die frühere Rechtsprechung zum BSHG kannte ebenfalls einen Anspruch des Untersuchungshäftlings auf Taschengeld (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 13. Mai 1992- 4 L 149/90 - FEVS 43,241 = info also 1992, 192). Der Aufenthalt des Antragstellers als Untersuchungshäftling in einer JVA kann daher nicht als eine Unterbringung in einer stationären Einrichtung im Sinne von § 7 Abs. 4 SGB II angesehen werden (so auch: Schumacher in: Oesterreicher, Kommentar zum SGB XII/SGB II, Stand: Juni 2005, § 7 Rdn. 27; Peters in: Estelmann, SGB II, Stand: Februar 2005, § 7 Rdn. 38; Beschlüsse des 8. Senats des LSG Niedersachsen-Bremen vom 22.Sept.2005 - L 8 AS 196/05 ER und L 8 AS 297/05 ER -).

15

Auch kann nicht davon ausgegangen werden, der Antragsteller sei länger als sechs Monate im Sinne des § 7 Abs. 4 SGB II untergebracht und damit an einer Arbeitsmarktteilnahme gehindert. Denn insoweit schließt die Vorschrift Leistungen nach dem SGB II nur dann aus, wenn nach einer Prognose zu Beginn des Aufenthalts bzw. der Unterbringung erwartet werden kann, sie dauere aller Voraussicht nach länger als sechs Monate. Demgegenüber kommt es nicht darauf an, wie lange sich tatsächlich schließlich der Aufenthalt ausgestaltet. Allerdings ist während des Unterbringungszeitraums bei einer neuen Sach- bzw. Erkenntnislage gegebenenfalls erneut eine Prognose zu stellen hinsichtlich der Dauer der Unterbringung (vgl. Brühl in: LPK-SGB II, § 7 Rdn. 60; Spellbrink in: Eicher/Spellbrink, SGB II, § 7 Rdn. 35; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschlüsse vom 22.Sept 2005 - L 8 AS 196/05 ER und L 8 AS 297/05 ER -). Gemäß § 121 StPO ist die Untersuchungshaft grundsätzlich auf sechs Monate begrenzt und für den Antragsteller als Untersuchungsgefangenen gilt die Unschuldsvermutung, sodass bei Beginn der Inhaftierung des Antragstellers das SG zutreffend davon ausgegangen ist, der Antragsteller werde nicht länger als sechs Monate als Untersuchungshäftling in der JVA verbleiben. Dass sich der Antragsteller während der vergangenen Monate auch deswegen in der JVA befunden hat, weil er eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßte, ändert daran nichts. Denn insoweit ist für diese Zeit auf ihn § 46 Strafvollzugsgesetz anwendbar, wonach er im Falle der Verbüßung einer Strafhaft ein angemessenes Taschengeld erhält. Diese Norm gilt aber für Untersuchungsgefangene nicht (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 1. Dez. 1993 - 4 VAs 20/93 - zit. nach juris). Auch hier zeigt sich wiederum die mangelnde Vergleichbarkeit von Untersuchungshaft und Unterbringung in einer stationären Einrichtung in dem vorbeschriebenen Sinne: Während ein Träger von Leistungen nach dem SGB II aufgrund seiner Sachnähe Prognoseentscheidungen zur voraussichtlichen Dauer einer stationären Unterbringung aus medizinischen und/oder sozialen Gründen treffen kann, ist eine derartige Kompetenz hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer einer Untersuchungshaft nicht gegeben. Es kann nicht Aufgabe der Träger der Leistungen nach dem SGB II oder gar der Sozialgerichte sein, Prognosen über die voraussichtliche Dauer einer Untersuchungshaft anzustellen. Vielmehr ist diese entsprechend ihrer gesetzlichen Natur als ein vorübergehender Zustand, der regelmäßig unter sechs Monate dauern soll, anzusehen.

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Der Senat folgt dem SG auch darin, dass der Antragsteller als erwerbsfähig im Sinne von § 7 Abs. 1 Ziff. 2 SGB II anzusehen ist. Denn nach der Definition der Erwerbsfähigkeit in § 8 Abs. 1 SGB II kommt es lediglich darauf an, ob der Hilfesuchende aus gesundheitlichen Gründen auf absehbare Zeit außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Zwar steht der Antragsteller dem allgemeinen Arbeitsmarkt während der Zeit seiner Untersuchungshaft nicht zur Verfügung. Darauf stellt die Vorschrift jedoch nicht ab. Sie schließt lediglich Personen aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes aus, die aus gesundheitlichen Gründen am Arbeitsmarkt nicht teilnehmen können.

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Auch begegnet es keinen Bedenken, wenn das SG den Antragsteller als hilfebedürftig im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB II angesehen hat. Der Antragsteller verfügt über kein Einkommen oder Vermögen, wie es sich aus seinem früheren Bezug von Leistungen nach dem SGB II ergibt, und er kann aufgrund seines Aufenthalts in der Untersuchungshaft seinen Lebensunterhalt nicht durch eigene Anstrengungen - insbesondere Arbeit - sichern. Daher war es bereits nach der früheren Rechtsprechung zum BSHG anerkannt, dass bei Unterbringung in einer JVA während der Untersuchungshaft ein sozialhilferechtlich anzuerkennender ergänzender Bedarf bestand (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.Okt.1993 - 5 C 38/92 - FEVS 44, 225). Dass sich an dieser Rechtslage und dieser Behandlung der Bedürftigkeit von Untersuchungshäftlingen etwas durch die neu geschaffenen SGB II und SGB XIIändern sollte, ist nicht ersichtlich. Soweit die Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang auf das Schreiben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit an die Bundesagentur für Arbeit vom 28. Juni 2005 hinweist, führt dies nicht zu einer anderen Einschätzung. Es mag zwar sein, dass es nach den Gesetzgebungskompetenzen des GG Aufgabe der Justizvollzugseinrichtungen - und damit der einzelnen Bundesländer - ist, dafür Sorge zu tragen, dass Untersuchungshäftlinge mit den Leistungen und Gegenständen ausgestattet werden, die für ein menschenwürdiges Dasein auch in der Haft notwendig sind. Indessen besteht für den Antragsteller kein Anspruch darauf, dass diese eventuell im Strafvollzugsrecht gegenwärtig bestehende Lücke durch ein Tätigwerden des ( Landes-) Gesetzgebers geschlossen wird. Eine konkrete Möglichkeit zur Selbsthilfe steht dem Antragsteller nicht zur Verfügung. Vielmehr ist im gegenwärtig bestehenden System der Sozialleistungen an den Bedürftigkeitsvoraussetzungen des SGB II anzuknüpfen, da ein weiteres gesetzliches System - so zu sagen als letztes Netz der sozialen Sicherung - daneben nicht mehr besteht. Der Senat schließt sich daher der bereits in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung an, für erwerbsfähige Untersuchungshäftlinge könne - bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen - ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Form eines Taschengeldes bestehen (so auch: SG Schleswig, Beschluss vom 25.Mai 2005 - S 3 AS 173/05 ER -; Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 14.Nov. 2005 - L 9 B 260/05 SO ER -).

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Hinsichtlich der Höhe des vom Antragsteller geltend gemachten Anspruchs kann zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG auf die Ausführungen des SG verwiesen werden. Dabei muss im Rahmen des Eilverfahrens nicht entschieden werden, ob eine Reduzierung auf Teilleistungen der Regelleistungen nach § 20 SGB II oder eine abweichende Erbringung von Leistung im Sinne des § 23 Abs. 1 SGB II zu erfolgen hat. Denn mit Erwägungen, denen der Senat beitritt, hat das SG nachvollziehbar ausgeführt, warum eine Geldleistung in Höhe von 10 v.H. des Regelsatzes angemessen, aber auch erforderlich ist.

19

Schließlich hat der Antragsteller auch einen Anordnungsgrund glaubhaft dargetan. Zwar trifft es zu, dass der Antragsteller durch seinen Aufenthalt der JVA verköstigt und beherbergt wird. Gleichwohl bestehen bei ihm anzuerkennende Bedürfnisse, die ohne die streitige Leistung nicht befriedigt werden können. Dazu zählen insbesondere Briefpapier und Briefmarken, Telefonkarten und in geringerem Umfang Genussmittel wie Tabak. Insbesondere im Hinblick darauf, dass bei einem Untersuchungshäftling ein erhöhtes Bedürfnis an Kommunikation mit der Außenwelt besteht - soweit es ihm nach den strafrechtlichen Vorschriften erlaubt ist - erscheint es dem Senat nicht angebracht, die von der Beschwerdeführerin vorgesehenen Einschränkungen während der Dauer einer Untersuchung als zumutbar für den Betreffenden anzusehen. Auch wenn der Aufenthalt als Untersuchungshäftling nur von einem vorübergehenden Zeitraum geprägt ist, so hat gleichwohl der "arme" Untersuchungshäftling Anspruch darauf, dass ihm durch ein Taschengeld in geringem Umfang eine Kommunikation mit der Außenwelt und die Befriedigung kleiner persönlicher Bedürfnisse im Rahmen seines Lebens unter menschenwürdigen Umständen erhalten bleibt. Wirksamer Rechtsschutz wäre durch ein späteres Hauptsacheverfahren nicht mehr zu erreichen.

20

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog; die Kostenfreiheit für den Antragsteller auf § 183 Satz 1 SGG analog.

21

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht anfechtbar.