Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 09.03.1992, Az.: 9 L 4703/91
Abfallbeseitigungsgebühr; Wirklichkeitsmaßstab; Kommunalabgaben; Gebühr; Wahrscheinlichkeitsmaßstab
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 09.03.1992
- Aktenzeichen
- 9 L 4703/91
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1992, 13317
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1992:0309.9L4703.91.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Stade - 13.06.1991 - AZ: 5 A 33/90
- nachfolgend
- BVerwG - 30.07.1992 - AZ: BVerwG 8 B 92.92
- BVerwG - 21.10.1994 - AZ: BVerwG 8 C 21.92
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stade - 5. Kammer Stade - vom 13. Juni 1991 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Insoweit ist der Beschluß vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 630,-- DM (i.W.: sechshundertunddreißig Deutsche Mark) festgesetzt.
Gründe
Die Kläger, die Eigentümer des Grundstücks ... in Cuxhaven sind, wenden sich gegen die Abfallbeseitigungsgebühr, die die Beklagte auf der Grundlage ihrer Abfallgebührensatzung vom 17. Dezember 1987 nach einem undifferenzierten Haushaltsmaßstab erhebt.
Das Verwaltungsgericht hat mit dem angefochtenen Urteil der Klage unter Bezugnahme auf das Urteil des 3. Senats des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 4. Oktober 1984 (- 3 A 84/84 - NVwZ 1985, 441) stattgegeben.
Die Berufung gegen dieses Urteil wird gemäß § 130 a VwGO i.d.F. vom 19. März 1991 (BGBl I S. 687) nach Anhörung der Parteien als unbegründet zurückgewiesen.
Eine mündliche Verhandlung war nicht erforderlich, weil die angefochtene Entscheidung die Sach- und Rechtslage zutreffend würdigt.
Das Berufungsvorbringen der Beklagten gibt keinen Anlaß, von der Rechtsprechung des 3. Senats abzuweichen. Nach § 5 Abs. 3 NKAG ist die Gebühr nach Art und Umfang der Inanspruchnahme zu bemessen (Wirklichkeitsmaßstab). Wenn das schwierig oder wirtschaftlich nicht vertretbar ist, kann ein Wahrscheinlichkeitsmaßstab gewählt werden, der nicht in einem offensichtlichen Mißverhältnis zu der Inanspruchnahme stehen darf. Der Vorrang des Wirklichkeitsmaßstabes vor Wahrscheinlichkeitsmaßstäben beeinflußt auch die Geeignetheit von mehreren unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstäben: Unter mehreren Wahrscheinlichkeitsmaßstäben dürfen die Gemeinden nicht beliebig auswählen, sondern müssen auch die Wirklichkeitsnähe der Maßstäbe berücksichtigen (Urteil des Senats vom 16. 2. 1990 - 9 L 61/89 - NVwZ-RR 1990, 646 = KStZ 1990, 236 = dng 1990, 231). Die Beklagte geht selbst davon aus, daß pro Person in einem 3-Personen-Haushalt wöchentlich 40 bis 50 1 Hausmüll anfallen und daher die Inanspruchnahme der Benutzer nach der Menge des anfallenden Mülls je Haushalt unterschiedlich ist. Diese deutlichen Unterschiede der Inanspruchnahme können nicht unter Hinweis darauf vernachlässigt werden, daß die Entsorgungsleistung der Beklagten nicht so sehr durch die Menge des abgefahrenen Abfalls bestimmt werde, sondern durch die regelmäßige Entsorgung ohne Rücksicht auf die Menge. Zwar darf die Gemeinde bei der Gestaltung des Gebührenmaßstabs und der Kalkulation der Gebührensätze der Tatsache Rechnung tragen, daß die regelmäßige Entsorgung verbrauchsunabhängige. Betriebskosten verursacht. Eine derart kostenorientierte Bemessung der Gebühren kann sich etwa in Grundgebühren niederschlagen (die aber wohl auch für jeden Haushaltsangehörigen in gleicher Höhe anzusetzen wären, weil die öffentliche Abfallbeseitigung für alle zu entsorgenden Personen vorgehalten wird, vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 6. 3. 1986 - 2 S 376/85 - VBlBW 1987, 146). Eine unterschiedslose Bemessung der Abfallbeseitigungsgebühren je Haushalt unabhängig von der Zahl der Haushaltsangehörigen widerspricht aber dem Gleichheitssatz, weil die Unterschiede der Entsorgungsleistung (nach Menge oder Gewicht) auch durch die Regelmäßigkeit der Entsorgungsleistung nicht eingeebnet werden können. Der Gleichheitssatz gebietet bei gleichartigen, in Leistungseinheiten erfaßbaren Leistungen in den Grenzen der Praktikabilität und Wirtschaftlichkeit eine Gebührenbemessung, die dem unterschiedlichen Ausmaß der erbrachten Leistung Rechnung trägt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 6. 2. 1979 - 2 BvL 5/76 - BVerfGE 50, 217/227).
Der Verwaltungsaufwand bei einer Gebührenbemessung nach der Zahl der Haushaltsangehörigen ist nicht so hoch, daß sich eine Differenzierung aus diesem Grund verbieten würde. Zwar mag die Umstellung einen beträchtlichen Aufwand erfordern, aber die Erfassung laufender Veränderungen erfordert bei 22.000 Haushalten wohl keinen zusätzlichen Sachbearbeiter. Vor allem ist der Verwaltungsaufwand in Relation zu dem gesamten Gebührenhaushalt zu sehen und kann nicht auf die Haushalte "umgelegt" werden. Inwiefern eine Änderung der Gebührenbemessung die Anschaffung neuer Abfallbehälter erfordern soll, ist nicht dargetan. Nach den Erfahrungen des Senats verwenden zahlreiche Abfallbeseitigungspflichtige, die ihre Gebühren nach dem Personenmaßstab berechnen, Einheitsbehälter oder allenfalls zwei Behälter-Typen.
Auf die Unzulässigkeit der Gebührenfestsetzung auf unbestimmte Zeit nach dem bis 31. Dezember 1991 geltenden NKAG ist ergänzend hinzuweisen (vgl. Urteil des Senats vom 13. 2. 1990 - 9 L 113/89 - NStN 1990, 182 = dng 1990, 159).
Diese Entscheidung ist einstimmig ergangen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 13 Abs. 2 GKG. Der Senat geht in Anlehnung an den Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (DVBl. 1991, 1239) von dem 5-fachen Jahresbetrag aus.
Schmaltz
Berthold
Dr. Claaßen