Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 31.07.2015, Az.: 2 LA 226/15

Belegpflicht; Entfernungspauschale; Kostenerstattung; Musterprozess; Pendlerpauschale; Schülerbeförderung; Aufwendungen

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
31.07.2015
Aktenzeichen
2 LA 226/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 45031
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 11.09.2014 - AZ: 6 A 2498/14

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Zum Erstattungsanspruch für Aufwendungen zur Schülerbeförderung nach § 114 Abs. 2 NSchG (Anhörungsrügeverfahren zum vorausgegangenen Verfahren 2 LA 452/14).

Tenor:

Die Anhörungsrüge der Kläger gegen die Entscheidung des Eufach0000000003s - 2. Senat - vom 30. Juni 2015 (- 2 LA 452/14 -) wird zurückgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Anhörungsrügeverfahrens.

Gründe

Voraussetzung für den Erfolg der Anhörungsrüge ist nach § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO, dass das Gericht den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat. Ein solcher Mangel haftet der Entscheidung des Senats vom 30. Juni 2015 nicht an.

Im Zentrum des Rügevorbringens steht die These der Kläger, der Senat habe ihren Vortrag dazu unberücksichtigt gelassen, dass das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Dezember 2008 zur „Pendlerpauschale“ (- 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08 -, BVerfGE 122, 210 = NJW 2009, 48 [BVerfG 09.12.2008 - 2 BvL 1/07]) einen neuen allgemeinen Rechtsgrundsatz dahin geschaffen habe, dass Kostenerstattungen für Wege zwischen Wohnort einerseits und Arbeitsstätte oder Schule andererseits stets pauschalierend zu erfolgen hätten und Belege nicht mehr vorzulegen seien.

Damit wird das Urteil des Bundesverfassungsgerichts unzutreffend wiedergegeben. Tatsächlich findet sich die von den Klägern zitierte Textstelle unter der Gliederungsnummer II. 2. dieses Urteils, in welcher das Bundesverfassungsgericht eine eigene Übergangsregelung für die als nichtig erklärte Norm vorgegeben hat. Dieser Absatz lautet:

„Für den Zeitraum bis zu einer gesetzlichen Neuregelung bedarf es für die kontinuierliche Bewältigung des steuerlichen Massenverfahrens zur Wahrung der Funktionsfähigkeit der Finanzverwaltung einer vorläufigen, klaren und einheitlichen Übergangsregelung (vgl. BVerfGE 73, 40 <101 f.> m. w. N.) für Entscheidungen über die Berücksichtigung der Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und für Familienheimfahrten. Das Gebot, die für unvereinbar erklärten Vorschriften des § 9 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 EStG ab dem Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht anzuwenden und laufende Verfahren auszusetzen, würde anderenfalls zu unvertretbaren, die Steuerpflichtigen unzumutbar belastenden Verzögerungen insbesondere auch der Durchführung des Lohnsteuerverfahrens führen. Mit Blick auf die Anforderungen an einen praktikablen und zumutbaren Verwaltungsvollzug scheidet eine Anwendung der Generalnorm des § 9 Abs. 1 EStG, die individualisierende Nachweise und Feststellungen tatsächlicher Wegeaufwendungen erfordern würde, von vornherein aus. Vielmehr kommt auch für eine vorläufige Übergangsregelung nur eine pauschalierende Lösung in Betracht, wie sie als Modell in verschiedenen Varianten seit Jahrzehnten Bestandteil des Einkommensteuerrechts war. Die den bisherigen gesetzgeberischen Wertungen nächstliegende Pauschalierung des Wegeaufwands beträgt 0,30 Euro je Entfernungskilometer. Deshalb ist bis zum Erlass einer endgültigen - rückwirkenden - gesetzlichen Übergangs- und Neuregelung § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG im Wege vorläufiger Steuerfestsetzung (§ 165 AO) sowie entsprechend im Lohnsteuerverfahren, hinsichtlich der Einkommensteuervorauszahlungen und in sonstigen Verfahren, in denen das zu versteuernde Einkommen zu bestimmen ist, mit der Maßgabe anzuwenden, dass die tatbestandliche Beschränkung auf "erhöhte" Aufwendungen "ab dem 21. Entfernungskilometer" entfällt.“

Die Kläger zitieren hieraus nur die hier fettgedruckten Passagen und blenden - offenbar mit Bedacht - damit aus, dass es nur um eine vorläufige Übergangsregelung des Bundesverfassungsgerichts selbst bis zum erneuten Tätigwerden des Gesetzgebers ging. Das Bundesverfassungsgericht hat damit keineswegs ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber bei seiner Neuregelung wieder Belege voraussetzen würde.

Das des Weiteren angeführte Urteil des Bundesfinanzhofs vom 18. April 2013 (- VI R 29/12 -, BFHE 240, 570 = NJW 2013, 2783) übernimmt infolgedessen auch keinen „allgemeinen Rechtsgrundsatz“ aus dem genannten Urteil des Bundesverfassungsgerichts, sondern wendet nur die - Familienheimfahrten betreffende - aktuelle Vorschrift des § 9 Abs. 1 Nr. 5 EStG an, die ebenso wie § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG (Wege zwischen Wohnung und erster Arbeitsstätte) nunmehr eine „Entfernungspauschale“ vorsieht, durch die nach § 9 Abs. 2 EStG sämtliche Aufwendungen abgegolten werden, die durch die Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte und durch die Familienheimfahrten veranlasst sind. Die Formulierung „zur Abgeltung der Aufwendungen“ versteht der Bundesfinanzhof dahin, dass damit das Entstehen der Aufwendungen aus Vereinfachungsgründen gesetzlich unterstellt werde. Diese Formulierung findet in der Erstattungsvorschrift des § 114 Abs. 2 NSchG indes keine Parallele.

Der Senat hat den dahingehenden Vortrag der Kläger nicht übersehen, sondern am Ende des ersten Absatzes auf Seite 4 des Beschlusses vom 30. Juni 2015 kurz gewürdigt. Ein näheres Eingehen darauf war nicht geboten, weil es ersichtlich nicht zielführend war. Ist die für die Schülerbeförderung gewährte Leistung nach Maßgabe des Landesrechts freiwillig, wie der genannte Beschluss noch einmal hervorhebt, haben der Landesgesetzgeber und der jeweilige Satzungsgeber in dem ihm jeweils vorgegebenen Rahmen auch die Möglichkeit, die Anspruchsvoraussetzungen ohne Bindung an Regelungen ähnlicher Rechtsmaterien festzulegen.

Die weiteren Ausführungen der Anhörungsrüge legen ebenfalls ein unzutreffendes Verständnis des oben angegebenen Urteils des Bundesverfassungsgerichts zugrunde. Mit ihren Ausführungen zur grundsätzlichen Bedeutung verkennen die Kläger zusätzlich, dass die Schulbeförderungssatzungen anderer Bundesländer unterschiedliche Regelungen aufweisen dürfen und unterschiedlich ausgelegt werden können; ein bundesrechtlicher Zwang zu einem gleichsinnigen Verständnis besteht nicht.

Auch die weiteren Rügen sind nicht nachvollziehbar. Der Hinweis der Kläger auf § 249 Abs. 1 BGB zeigt, dass sie nicht hinreichend zwischen Erstattungs- und Schadensersatzrecht unterscheiden. Auf welcher Grundlage sie hier Schadensersatzansprüche als gegeben ansehen, legen sie nicht dar; sie äußern sich auch nicht dazu, dass bei der Annahme eines Amtshaftungsanspruchs die Gerichtszuständigkeit nicht gegeben wäre.

Die Rüge unzureichender Würdigung vorprozessualen Verhaltens im Zusammenhang mit § 155 Abs. 4 VwGO geht zu Unrecht davon aus, dass der Beklagten Versäumnisse in Bezug auf das Unterlassen vorprozessualer Informationen über einen „Musterprozess“ (bilingualer Unterricht als eigenständiger Bildungsgang) vorzuhalten seien. Zunächst hätten die damaligen Prozessbevollmächtigten der Kläger auch selbst unschwer in Erfahrung bringen können, ob in dem Parallelverfahren ein Rechtsmittel eingelegt war. Darüber hinaus ging es hier nicht um ein Musterfahren im Sinne des § 93 a VwGO, sondern allenfalls um einen „unechten“ Musterprozess, also einen solchen, in dem - mit oder wie hier ohne Kenntnis des Rechtsmittelgerichts vom Vorliegen eines Parallelverfahrens - zumindest teilweise über die gleichen Fragen zu entscheiden war. Von einem Musterprozess in diesem Sinne kann - wenn überhaupt - frühestens nach Zulassung der Berufung ausgegangen werden, weil das das Berufungsgericht im Zulassungsverfahren die Sach- und Rechtslage nicht in vollem Umfang überprüft, sondern gemäß § 124 a Abs. 5 Satz 2 VwGO nur nach Maßgabe der geltend gemachten Zulassungsgründe (§ 124 Abs. 2 VwGO) und deren Darlegung (§ 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO), sodass das „Prüfprogramm“ im Zulassungsverfahren stark vom Ausmaß der tatsächlichen und rechtlichen Durchdringung der Materie im individuellen Zulassungsantrag abhängig ist. Das Stadium der Zulassung hatte der andere Prozess jedoch noch nicht erreicht. Auch die auf übereinstimmenden Antrag der Beteiligten erfolgte Anordnung des Ruhens des Verfahrens durch das Verwaltungsgericht war deshalb zwar zulässig, aber nicht zwingend geboten.

Daneben ist nicht ersichtlich, dass das Unterlassen des vermissten Hinweises ursächlich für das Entstehen von Kosten sein konnte. Die Kläger machen selbst nicht geltend, dass sie aufgrund eines solchen Hinweises weitere Belege für ihre Aufwendungen hätten beibringen können. Die Frage einer „Belegpflicht“ ist durch den „Musterprozess“ nicht entschieden worden und musste dies auch nicht; der Senat unterlag keinerlei Verpflichtung, im Hinblick auf ihm unbekannte Parallelverfahren jede Randfrage dieses Verfahrens streitig zu entscheiden. Die Kläger hätten also auch nach zwischenzeitlicher Zurruhebringung des Verwaltungsverfahrens ohnehin Klage erheben müssen, um ihre Rechtsauffassung zur „Belegpflicht“ gerichtlich zur Geltung zu bringen.

Anlass, auf den Antrag vom 28. Juli 2015 das Anhörungsrügeverfahren bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ruhen zu lassen, sieht der Senat nicht; prozessökonomische Vorteile sind nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO.