Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 07.08.2000, Az.: 6 B 374/00
Anlieger; Entwidmung; Rechtsbetroffenheit; Rechtsverletzung; Streitwert; Verlagerungsverkehr; Wegeeinziehung
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 07.08.2000
- Aktenzeichen
- 6 B 374/00
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2000, 41251
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Art 14 GG
- § 20 Abs 3 GKG
- § 13 Abs 1 GKG
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,-- DM festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Einziehung eines Wegeteils, das im Jahre 1995 als Geh- und Radweg dem öffentlichen Verkehr gewidmet wurde und für diesen Benutzerkreis eine Verbindung zwischen dem Stadtteil und dem Innenstadtbereich der Antragsgegnerin darstellt. Dieses Wegestück beginnt am Ende der ausgebauten Stichstraße An der und verläuft mit einer Steigung in nordöstlicher Richtung durch bewaldetes Gelände bis zur Einmündung in einen unausgebauten Anliegerweg, der schließlich auf den im Ortsteil führt.
Am 16. Dezember 1999 beschloss der Rat der Antragsgegnerin, die Grundstücke im Bereich der Straße An der neu zu ordnen mit dem Ziel, die Geh- und Radwegverbindung zwischen dem und der Straße An der aufzuheben. Hierdurch sollte der Firma , die zu beiden Seiten dieses Wegeteils Betriebsgrundstücke unterhält, eine Zusammenführung und Erweiterung ihres Betriebs ermöglicht und außerdem eine Gefahrenstelle für den Radverkehr beseitigt werden. Der Fußgänger- und Radverkehr soll künftig über die parallel zur Straße An der verlaufende Stichstraße Am Ostbahnhof geführt werden. Der sich daran anschließende unbefestigte Wegeteil soll für den Geh- und Radverkehr bis zum ausgebaut und mit einer Beleuchtung versehen werden. Hierdurch verlängert sich die Wegeverbindung zwischen dem Stadtzentrum und der um ca. 250 bis 300 m.
Die Stichstraßen An der und Am Ostbahnhof zweigen in einem Abstand von ca. 100 m von der Straße (Bundesstraße 241) in nordöstlicher Richtung ab. Gegenüber der Straße Am Ostbahnhof mündet die Straße Am in die Straße. Die Wegefläche der Straße Am steht im Eigentum der Antragsgegnerin und ist nicht dem öffentlichen Straßenverkehr gewidmet. Sie dient vornehmlich der Erschließung des ehemaligen Schachtgeländes, von dem die Antragstellerin Grundflächen erworben hat, um dort einen Technologiepark zu errichten.
Nachdem die beabsichtigte Wegeeinziehung am 31. Dezember 1999 in der Goslarschen Zeitung bekannt gegeben worden war, beschloss der Rat der Antragsgegnerin am 06. April 2000 mit Wirkung vom Tag nach der Bekanntgabe (22. April 2000) die Einziehung des Wegeteils. Hiergegen erhob die Antragstellerin am 16. Mai 2000 Widerspruch mit der Begründung, dass die Wegeeinziehung zu einem Mehrverkehr der Straße Am führe. Außerdem werde hierdurch der freie Wettbewerb verzerrt, indem zum Nachteil anderer Gewerbetreibender der Zugang zu der neuen Marktansiedlung außerhalb des Stadtzentrums begünstigt werde. Aus Gründen des Gleichheitssatzes müssten deshalb auch auf dem Gelände des ehemaligen neue Verbrauchermärkte zugelassen werden.
Mit Beschluss vom 06. Juli 2000 wies der Rat der Antragsgegnerin den Widerspruch zurück und ordnete die sofortige Vollziehung der Wegeeinziehung an. Hierüber erhielt die Antragstellerin einen Widerspruchsbescheid vom 17. Juli 2000, der ihr am 24. Juli 2000 zugestellt wurde.
Am 24. Juli 2000 hat die Antragstellerin beim Verwaltungsgericht Braunschweig um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor:
Sie sei Eigentümerin mehrerer Grundstücke an der Straße Am Diese Erschließungsanlage sei seinerzeit ausschließlich zur Benutzung für die anliegenden Grundstückseigentümer und ihre Mieter geschaffen worden. Mit der angefochtenen Maßnahme wolle die Antragsgegnerin einen öffentlichen Verkehr über das Betriebsgelände des führen, wie einem Zeitungsbericht zu entnehmen sei. Die Wegeeinziehung, die der Betriebserweiterung der Firma diene, stelle sich damit zugleich als Benachteiligung des Technologieparks dar. Eine weitere Benachteiligung sehe sie darin, dass ihr die Ansiedlung eines Verbrauchermarkts auf dem ehemaligen Schachtgelände versagt worden sei, während man auf dem Betriebsgelände einer am Ostbahnhof gelegenen Firma einen solchen Markt genehmigt habe. Mit der Einziehung des Wegeteils An der werde der Verkehr aus den Hochschulinstituten des Bereichs an dem Verbrauchermarkt an der Straße Am Ostbahnhof vorbeigeführt; hierdurch werde der freie Wettbewerb verzerrt. Schon die Sperrung der im Stadtzentrum habe zur Kundenlenkung in Richtung auf den Verbrauchermarkt am Ostbahnhof geführt. Es sei absehbar, dass der Verkehr nach der Umlenkung über die Straße Am Ostbahnhof weiter über die ehemalige Schachtanlage geführt werden müsse, anstatt entlang der belebten Straße. Hierdurch werde in ihr Recht auf alleinige uneingeschränkte Nutzung der Straße Am eingegriffen. Außerdem bestehe für sie als Grundstückseigentümerin des ehemaligen Schachtgeländes aufgrund eines Gewohnheitsrechts ein Anspruch auf eine weitere Nutzungsmöglichkeit des eingezogenen Wegeteils. Ein nachvollziehbarer Grund für die Wegeeinziehung stelle weder die Betriebserweiterung der Firma noch die angebliche Gefährlichkeit des Weges dar.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen die vom Rat der Antragsgegnerin am 06. April 2000 beschlossene und am 06. Juli 2000 für sofort vollziehbar erklärte Einziehung eines Wegeteils zwischen der Straße An der und dem wiederherzustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie entgegnet:
Die Antragstellerin sei nicht Anliegerin des eingezogenen Wegeteils und deshalb nicht in ihren Rechten betroffen. Die Maßnahme stehe zudem in keinem direkten Zusammenhang mit der Straße Am , an der die Grundstücke der Antragstellerin lägen. Die Wegeeinziehung sei beschlossen worden, um dem dort ansässigen Produktionsbetrieb eine Betriebserweiterung zu ermöglichen. Dies liege nicht nur im Interesse der Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur in dem extrem strukturschwachen Oberharz; es würden außerdem 45 neue Arbeitsplätze geschaffen und mit dem abschüssigen Weg, der mitten durch das Betriebsgelände der Firma führe, Gefahrenstellen beseitigt. Im Interesse der Firma sei eine sofortige Vollziehung der Wegeeinziehung angeordnet worden, um eine zeitgerechte Umstellung der Produktionsabläufe zu ermöglichen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin (2 Bände) verwiesen.
II.
Der nach § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat keinen Erfolg.
Es ist bereits zweifelhaft, ob die Antragstellerin antragsbefugt und infolgedessen das Rechtsschutzbegehren unzulässig ist. Denn die Antragstellerin, die nicht Anliegerin des eingezogenen Weges ist, ist allenfalls mittelbar betroffen, wenn es durch die Verkehrsumlenkung in der Straße Am zu einer Zunahme des Fußgänger- und Radverkehrs kommen sollte, der die kürzeste Verbindung zum Stadtzentrum sucht. Dies kann jedoch letztlich dahingestellt bleiben, weil die Antragstellerin durch die Einziehung des Wegeteils nicht in ihren Rechten verletzt wird (§ 42 Abs. 2 VwGO).
Die im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotene summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage ergibt, dass eine gegen die Wegeeinziehung gerichtete Anfechtungsklage voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat.
Der Anliegergebrauch, aus dem die Antragstellerin ihren Anspruch auf Aufhebung der Wegeeinziehungsverfügung herleitet, erstreckt sich in der Regel nur auf den notwendigen Zugang des Grundstücks zu einer Straße. Dieser gegenüber dem schlichten Gemeingebrauch gesteigerte Anliegergebrauch reicht außerdem nur so weit, wie eine angemessene Nutzung des Grundeigentums die Benutzung der Straße erfordert. Hieraus folgt, dass eine Verletzung eigener Rechte eines Straßenanliegers in aller Regel nur dann in Betracht zu ziehen ist, wenn durch die straßenrechtliche Einziehungsmaßnahme die Zugänglichkeit der Straße, an die das Grundstück angrenzt und durch die es erschlossen wird, berührt wird. Lediglich im Ausnahmefall kann ein Grundeigentümer von einer straßenrechtlichen Maßnahme, die eine andere Straße des örtlichen Verkehrsnetzes betrifft, in seinen Anliegerrechten tangiert sein, wenn diese Verkehrsfläche eine Verbindung seiner Straße mit dem übrigen Straßennetz vermittelt, auf die er angewiesen ist (vgl. hierzu: BVerwG, Urt. vom 21.10.1970, DVBl. 1971, 180; Urt. vom 25.06.1969, BVerwGE 32, 222; VGH Mannheim, Beschl. vom 22.02.1999, VBlBW 1999, 313; OVG Lüneburg, Urt. vom 24.11.1994, Nds. VBl. 1995, 75 m.w.N.). Ändert sich dagegen - wie hier - lediglich die Nutzbarkeit einer anderen Straße im Verkehrsnetz, nicht jedoch die Straße, an der das Grundstück der Antragstellerin angrenzt, und ist die Antragstellerin auf die Erschließungsfunktion der anderen Straße nicht notwendiger Weise für ihr Grundstück angewiesen, so wird sie nicht in dem von der Verfassung (Art. 14 Abs. 1 GG) besonders geschützten Bereich als Anliegerin einer bestimmten Straße, sondern nur wie jeder andere Straßenbenutzer, der am Gemeingebrauch der eingezogenen Wegefläche bisher teilgenommen hat, betroffen.
Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist eine Rechtsverletzung der Antragstellerin durch die von ihr angefochtene Einziehungsmaßnahme eines Weges, an den ihre Grundstücke nicht angrenzen, nicht ersichtlich. Diese gilt auch, soweit es durch die Einziehung der Wegefläche zu einer Verlagerung des Fußgänger- und Radverkehrs und damit zu einer teilweisen Abdrängung des bisher durch den teileingezogenen Weg geführten Verkehrs in die Straße Am kommen sollte. Denn die Zugänglichkeit der Grundstücke der Antragstellerin wird hierdurch nicht unerträglich beeinflusst. Im Hinblick darauf, dass der Anlieger einer Straße der verkehrsrechtlichen Bedeutung dieser Erschließungsanlage unterworfen ist, hat er Änderungen des Verkehrskonzeptes innerhalb einer Gemeinde hinzunehmen, die notwendigerweise zu einer Abdrängung des Verkehrs in andere Straßen führen können.
Ob der Antragstellerin gegen die Verkehrsverdrängung auf anderer rechtlicher Grundlage (z.B. nach Straßenverkehrsrecht) ein Abwehrrecht zusteht, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Dies erscheint allerdings im Hinblick darauf als fraglich, dass eine Zunahme des Verkehrs auf der Straße Am nur den Rad- und Fußgängerverkehr betreffen kann, weil für die übrigen Verkehrsnutzer - insbesondere für den Kraftfahrzeugverkehr - keine Durchfahrmöglichkeit zur Innenstadt besteht. Hierbei handelt es sich außerdem um einen zahlenmäßig nur begrenzten Kreis von Verkehrsteilnehmern, weil ein erheblicher Teil der Radfahrer und Fußgänger, die die Verkehrsumlenkung über die Straße Am Ostbahnhof nutzen werden, schon vorher in Richtung Hochschulbereich abbiegen wird.
Die von der Antragstellerin außerdem geltend gemachten Gesichtspunkte einer Ungleichbehandlung bei der bau- und planungsrechtlichen Konzeption von Marktansiedlungen stehen in keinem rechtlichen Zusammenhang mit der hier von der Antragsgegnerin verfügten Einziehung eines Wegeteils zwischen der Straße An der und dem . Es bedarf deshalb keiner Auseinandersetzung mit dem insoweit rechtlich unerheblichen Vorbringen der Antragstellerin.
Nach alledem begegnet die von der Antragsgegnerin angeordnete sofortige Vollziehung der straßenrechtlichen Einziehungsmaßnahme weder unter formellen Gesichtspunkten (§ 80 Abs. 3 VwGO) noch in materiell-rechtlicher Hinsicht rechtlichen Bedenken. Der Antrag der Antragstellerin ist deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf den §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG und beläuft sich auf die Hälfte des Wertes, der in einem Hauptsacheverfahren anzunehmen wäre (vgl. hierzu: Nr. 42.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, Kopp/Schenke, VwGO, 11. Aufl., § 189).