Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 09.08.2000, Az.: 6 A 51/00

Abschiebungsschutz; Amtswalterexzesse; armenisch-orthodoxe Christen; Christen; politische Verfolgung; Syrien

Bibliographie

Gericht
VG Braunschweig
Datum
09.08.2000
Aktenzeichen
6 A 51/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 41206
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Kein Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG bei einem Amtswalterexzess, der dem Staat nicht zurechenbar ist. Zur politischen Verfolgung von Christen in Syrien.

Gründe

1

Die zulässige Klage ist begründet. Der Beigeladene hat keinen Anspruch auf die Feststellung, dass in seiner Person die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich Syriens vorliegen. Infolgedessen ist der Bescheid des Bundesamtes vom 29. Juni 1998 insoweit aufzuheben.

2

Nach dieser Vorschrift dürfen Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit wegen ihrer Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer sozialen Überzeugung bedroht ist. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift entsprechen denen des Art. 16a Abs. 1 GG, soweit es die Verfolgungshandlung, das geschützte Rechtsgut und den Charakter der Verfolgung trifft. Auch hinsichtlich der Frage, ob die Gefahr politischer Verfolgung droht, führen sie zu keinen unterschiedlichen Ergebnissen (BVerwG, Urt. vom 18.01.1994, DVBl 1994, 531 [BVerwG 18.01.1994 - BVerwG 9 C 48/92]).

3

Das Tatbestandsmerkmal der Verfolgung bestimmt sich nach der Art und Intensität des Eingriffs, dem der Ausländer ausgesetzt ist. Eingriffe in Leib, Leben und physische Freiheit haben generell die von § 51 Abs. 1 GG erfasste Intensität; Eingriffe in andere Freiheitsgüter und Schutzrechte stellen dagegen nur dann eine Verfolgung dar, wenn sie nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was Bewohner des Heimatstaates aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben (BVerfG, Beschl. vom 01.07.1989, BVerfGE 76, 143, BVerwG, Urt. vom 25.10.1988, DVBl 1989, 265 [BVerwG 25.10.1988 - BVerwG 9 C 37.88] m.w.N.). Wesentliches Kriterium zur Abgrenzung einer politischen Verfolgung in diesem Sinne von sonstigen Nachteilen ist somit das Prinzip der Menschenwürde; der politische Charakter der Maßnahme leitet sich aus den diesen Eingriffen zugrunde liegenden Motiven her. Die Verfolgung kriminellen Unrechts ist grundsätzlich keine politische Verfolgung. Das Gleiche gilt für die Verfolgung von politisch motivierten kriminellen Handlungen, wenn sich aus objektiven Umständen ergibt, dass die Verfolgung nicht der betätigten politischen Überzeugung, sondern der kriminellen Komponente gilt.

4

Ob eine Verfolgung wegen eines Asylmerkmals anzunehmen ist, ist anhand ihres inhaltlichen Charakters nach der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst zu beurteilen, nicht aber nach den subjektiven Gründen und Motiven, die den Verfolgenden dabei leiten. Politische Verfolgung ist grundsätzlich staatliche Verfolgung. Verfolgungen Dritter sind dem Staat zuzurechnen, wenn er nicht mit den ihm an sich zur Verfügung stehenden Kräften Schutz gewährt; allerdings ist zu bedenken, dass es keiner staatlichen Ordnungsmacht möglich ist, einen lückenlosen Schutz vor Unrecht und Gewalt zu garantierten. Exzesstaten von Amtswaltern sind dem Staat zuzurechnen, wenn sie nicht lediglich vereinzelt geblieben sind und der Staat die Verfolgungsmaßnahmen anregt oder derartige Verhaltungsweisen unterstützt, billigt oder tatenlos hinnimmt. Eine tatenlose Hinnahme der Verfolgungshandlung liegt dabei nicht schon vor, wenn die Bemühungen eines grundsätzlich schutzwilligen Staates zur Unterbindung solcher Übergriffe mit nur unterschiedlicher Intensität und Effizienz angestellt werden; maßgeblich ist vielmehr, ob der Staat mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln im Großen und Ganzen Schutz gewährt.

5

Das Asylrecht des Art. 16a Abs. 1 GG sowie ein Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG setzten zudem einen kausalen Zusammenhang zwischen Verfolgung und Flucht voraus. Der für die Annahme einer Vorverfolgung erforderliche kausale Zusammenhang der Flucht mit der erlittenen Verfolgung ist jedoch unterbrochen, wenn die Verfolgung ihr Ende oder ihren Abschluss gefunden hat, bevor der Asylsuchende seinen Heimatstaat verlässt (BVerwG, Beschl. vom 08.02.2000, 9 B 4/00; Urt. vom 30.10.1990, BVerwGE 87, 52).

6

Soweit der Beigeladene geltend macht, während seiner vorübergehenden Gewahrsamnahmen, die aus Anlass einer Befragung zu den Gründen der Ausreise seiner Schwester erfolgt sein sollen, vergewaltigt worden zu sein, sieht das Gericht darin einen Amtswalterexzess. Erkenntnisse darüber, dass diese Vorfälle in Anknüpfung an ein asylerhebliches Merkmal, wie etwa die christliche Religionszugehörigkeit des Beigeladenen erfolgten, liegen nicht vor. Dies wird darin deutlich, dass die sexuellen Übergriffe, die nach den Schilderungen des Beigeladenen offenbar in Unkenntnis des Vorgesetzten vorgenommen wurden, auch noch fortgesetzt wurden, nachdem der Beigeladene die ihm abverlangten Antworten zu den Befragungen gegeben hatte, und der oder die Täter - wohl aus Furcht vor einer Ahndung ihres Verhaltens - den Beigeladenen unter massiver Drohung veranlassten, niemanden etwas von diesen Vorkommnissen zu erzählen.

7

Die Annahme, dass es sich bei den sexuellen Übergriffen auf den Beigeladenen um vereinzelt gebliebene Exzesstaten von Amtswaltern gehandelt hat, die dem syrischen Staat nicht als politische Verfolgung zuzurechnen sind, ist nicht deshalb zweifelhaft, weil der Kläger nach seinen eigenen Angaben der armenisch-orthodoxen (christlichen) Kirche angehört. Nach der Auskunftslage unterliegen Christen in Syrien unabhängig davon, welcher christlichen Kirche sie angehören, keiner Verfolgung (AA, Lagebericht vom 24.01.2000; Deutsches Orient-Institut, Auskunft vom 30.03.1999 an das VG Sigmaringen). Danach wird die christliche Bevölkerungsminderheit, die etwa 10 v.H. der Bevölkerung ausmacht, von der Verfassung und der Ideologie des syrischen Systems respektiert. Teilweise verfügen die christlichen Kirchen in Syrien über ein eigenes Bildungssystem und Grundbesitz. Anzeichen einer Diskriminierung von Christen gibt es weder in Polizei noch Justiz. Insbesondere bei der Verfolgung von an Christen begangenen Straftaten versucht das syrische Regime jeden Eindruck von Benachteiligung zu vermeiden (AA, Lagebericht vom 24.01.2000). Hierauf mag es letztlich zurückzuführen sein, dass der Beigeladene von seinem Vergewaltiger massiv davor gewarnt worden ist, diese Vorkommnisse weiter zu erzählen. Obwohl es sich bei den sexuellen Übergriffen durch einen oder mehrere Polizisten nach der Art und der Intensität der Eingriffe um eine die Menschenwürde verletzende Behandlung gehandelt hat, liegen jedoch im Hinblick auf die diesen Vorkommnissen fehlende politische Gerichtetheit die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG in Bezug auf den Beigeladenen nicht vor. Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob die Schilderungen des Beigeladenen hinsichtlich der sexuellen Übergriffe insgesamt oder nur teilweise glaubhaft sind und welche Bedeutung seinem gesteigerten Vorbringen hinsichtlich der Zahl der Übergriffe (bei der Anhörung vor dem Bundesamt: bis Winter 1995 fünf Mal; in seinem Statement: Innerhalb desselben Zeitraumes einmal wöchentlich) zukommt. Daran, dass der Beigeladene in der von ihm geschilderten Weise misshandelt worden ist, hat das Gericht - ungeachtet der Anzahl dieser Vorfälle - keinen Zweifel. Ebenfalls keiner abschließenden Klärung bedarf schließlich auch die Frage, ob in Anbetracht des Umstandes, dass die sexuellen Übergriffe nach dem Vorbringen des Beigeladenen im "Winter 1995" ein Ende gefunden hatten, noch ein zeitlicher Zusammenhang zwischen diesen Übergriffen auf den Beigeladenen und der erst Ende März 1995 erfolgten Ausreise aus dem Heimatstaat angenommen werden kann.

8

Soweit der Beigeladene schließlich die psychischen Folgen der erlittenen sexuellen Übergriffe auf ihn im Hinblick auf ein deswegen möglicherweise bestehendes Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG für klärungsbedürftig hält, ist dies nicht Gegenstand des Klageverfahrens, das ausschließlich die in dem angefochtenen Bescheid des Bundesamts getroffene Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 51 Abs. 1 AuslG betrifft. Als vornehmlich inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis müsste der Beigeladene überdies ein krankheitsbedingtes Abschiebungshindernis gegenüber der zuständigen Ausländerbehörde geltend machen.

9

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO, 83b AsylVfG. Im Hinblick darauf, dass der Beigeladene sich mit seinem Klageabweisungsantrag den gleichgerichteten Interessen der Beklagten am Verfahrensausgang angeschlossen hat, teilt er dessen prozessuales Schicksal des Unterliegens und ist zur Hälfte an den Verfahrenskosten zu beteiligen. Die Kammer sieht deshalb auch keinen Anlass, seine außergerichtlichen Kosten für erstattungsfähig zu erklären. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §3 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.