Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.03.2001, Az.: 14 K 452/99
Darstellung der Wiedereinsetzungsgründe bei angeblich rechtzeitiger Aufgabe des Einspruchs zur Post
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 29.03.2001
- Aktenzeichen
- 14 K 452/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 24232
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2001:0329.14K452.99.0A
Rechtsgrundlage
- § 110 Abs. 2 S. 1 AO
Tatbestand
Die Klägerin betrieb bis 1995 eine Modeboutique für Damenoberbekleidung. Eine für 1991 bis 1995 durchgeführte Außenprüfung stellte daneben einen gewerblichen Grundstückshandel fest. Für diesen gewerblichen Grundstückshandel nahm die Betriebsprüfung einen gesonderten Betrieb für die Jahre 1992 bis 1995 an. Mit Bescheiden vom 12. Januar 1998 wurden entsprechende Gewerbesteuermessbeträge festgesetzt. Am 05. März 1998 ging beim Beklagten eine Einspruchsbegründung ein, die die Gewerbesteuermessbescheide 1991 bis 1995 betraf. Außerdem beantragte die Klägerin mit dem gleichen Schreiben die Aussetzung der Vollziehung der Gewerbesteuermessbescheide für 1991 bis 1995. Mit Schreiben vom 06. Mai 1998 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass entsprechende Einsprüche gegen die Gewerbesteuermessbescheide nicht vorliegen würden. Mit Schreiben vom 15. Mai 1998 beantragte die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten für den Fall, dass das Einspruchsschreiben nicht gefunden werde, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur weiteren Begründung wurde in diesem Schreiben folgendes mitgeteilt:
"Anliegend übersende ich Ihnen Kopie meines Einspruchsschreibens vom 21. Januar 1998, das nach den Aufzeichnungen in meinem Postausgangsbuch auch am 21. Januar 1998 an Sie abgegangen ist.
In meinem Posteingangsbuch ist eine Rückgabe der Bundespost nicht verzeichnet.
Dementsprechend muss ich davon ausgehen, dass das Einspruchsschreiben Ihnen zugegangen ist.
Posteingang und Postausgang werden von verschiedenen Mitarbeiterinnen bearbeitet."
Am 16. Juni 1998 teilte der Prozessbevollmächtigte dem Beklagten mit, wer das Postausgangsbuch geführt hat und legte eine Kopie eines per Computer geführten Postausgangsbuches vor. Mit Bescheid vom 21. Januar 1999 lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab. Der dagegen eingelegte Einspruch wurde mit Einspruchsbescheid vom 09. Juni 1999 zurückgewiesen. Am gleichen Tag erging ein Einspruchsbescheid, der die Einsprüche gegen die Gewerbesteuermessbescheide 1991 bis 1995 betraf. Darin wies der Beklagte die Einsprüche als unzulässig zurück. Dagegen erhob die Klägerin Klage. Mit gleichem Schreiben beantragte sie die Aussetzung der Vollziehung der Gewerbesteuermessbescheide (s. Az. 14 V 453/99).
Der Prozessbevollmächtigte trägt vor, das Einspruchsschreiben sei laut Festplattenauszug am 21. Januar 1998 um 12 Uhr erstellt worden. Das Schreiben habe einen Dateinamen mit Inhaltsangabe, Mandantennummer, Datum der Aufnahme und PC-Kennung erhalten. Die damals für den Postausgang zuständige Mitarbeiterin X, habe üblicherweise die ausgehende Post mit Inhaltsangabe in das per PC geführte Postausgangsbuch eingetragen. Sie habe dann die jeweilige Tagespost vollständig frankiert spätestens bis 16 Uhr zur Post gebracht. Dieses sei auch am 21. Januar 1998 so geschehen. Dies belege auch die geführte Zeitaufstellung für Frau X für den Zeitraum 19. Dezember bis 23. Januar. Der Prozessbevollmächtigte trägt weiterhin vor, er kontrolliere auch täglich nachmittags nach 15 Uhr das Postausgangsbuch, sodass das Finanzamt die Feststellungslast trage. Der vorgetragene Ablauf der Büroorganisation lasse hinsichtlich der Frage, welcher mit dem Einspruchsschreiben befasste Mitarbeiter wann, was und wo getan habe, keine Zweifel entstehen. Es fehle ausschließlich die Aufgabezeit und das Aufgabepostamt. Das Einspruchsschreiben sei am 21. Januar 1998 um ca. 15.15 Uhr beim Postamt Y in B. am Schalter abgegeben worden. Dies belege auch ein Zeitnachweis der Frau X für die Zeit vom 19. Dezember 1997 bis zum 23. Januar 1998. Eine Differenz der postalischen Summenprüfung zum Frankiergerät sei ebenfalls nicht feststellbar. Der Beklagte habe nicht, wie erforderlich gewesen sei, auf die einzuhaltenden Formvorschriften bei der Antragstellung hingewiesen.
Hinsichtlich des weiteren Vortrages wird auf das Schreiben des Prozessbevollmächtigten vom 02. Juli 1999, vom 15. Dezember 1999 und vom 20. Februar 2001 verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
die angefochtenen Gewerbesteuermessbescheide 1992 bis 1995 nach Maßgabe der im Schriftsatz vom 15. Dezember 1999 bezifferten Gewerbesteuermessbeträge herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte trägt vor, der Postausgang könne nicht in hinreichender Weise nachgewiesen werden. Das vom Prozessbevollmächtigten computergeführte Postausgangsbuch sei wegen der Möglichkeit, jederzeit Änderungen vornehmen zu können, nicht geeignet, den von der Rechtsprechung geforderten konkreten Nachweis zur Absendung eines bestimmten Schreibens zu führen. Das übrige Vorbringen der Klägerin betreffe nur die üblichen Vorgänge innerhalb der Praxisorganisation, die allenfalls Rückschlüsse auf den typischen Geschehensablauf zuließen. Dieses reiche wiederum nicht als Nachweis für die Wiedereinsetzung aus. Der Festplattenauszug könne auch nicht die Absendung nachweisen, da beim PC unbegrenzte Bearbeitungsmöglichkeiten bestünden. Auch sei nicht nachvollziehbar, dass der Prozessbevollmächtigte nach vollständiger Mandatsübernahme zwar die zur Einkommensteuer von der Klägerin selbst und zur Umsatzsteuer vom vorher mit der Sache befassten Steuerberater erhobenen Einsprüche konkret und ausführlich begründe, die Begründung der angeblich von ihm selbst erhobenen Einsprüche aber übersehe, obwohl er sich offensichtlich doch mit der Gewerbesteuer befasst habe.
Gründe
I.
Die Klage ist unbegründet. Die Gewerbesteuermessbescheide 1992 bis 1995 sind bestandskräftig geworden, weil sie nicht rechtzeitig mit dem Einspruch angefochten worden sind und dieser Mangel nicht durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand geheilt werden kann.
1.
Der Einspruch gegen Verwaltungsakte in Abgabenangelegenheiten ist gem. § 355 Abs. 1 Abgabenordnung AO - innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes einzulegen. Für die Einhaltung der Einspruchsfrist gem. § 355 Abs. 1 AO trägt der Steuerpflichtige die Feststellungslast (BFH-Urt. v. 26. Mai 1987 IV S 17/86, BFH/NV 1988, 115; Urt. v. 28. Oktober 1987 I R 12/84, BStBl. II 1988, 111). Die Glaubhaftmachung der rechtzeitigen Absendung beweist nicht den rechtzeitigen Zugang, wenn er vom Finanzamt bestritten wird (BFH-Urt. v. 26. Mai 1987 IV S 17/86, BFH/NV 1988, 115). Der Beklagte bestreitet den Zugang des Einspruchs vom 21. Januar 1998. Die Klägerin trägt keine Tatsachen vor, die auf einen Zugang am 21. Januar 1998 schließen lassen; es werden nur Ausführungen zur Aufgabe des Einspruchsschreibens zur Post gemacht. Aus der Akte ist nicht ersichtlich, dass ein Zugang des Einspruchsschreibens am 21. Januar 1998 erfolgt ist.
2.
Auch kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 110 AO nicht in Betracht. Der Wiedereinsetzungsantrag ist gem. § 110 Abs. 2 Satz 1 AO innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind nach ständiger Rechtsprechung innerhalb der Monatsfrist substantiiert vorzutragen (vgl. z.B. BFH-Urt. v. 25. April 1988 X R 90/87, BFH/NV 1989, 110 m.w.N.; Beschl. v. 09. Juli 1992 IV R 102/91, BFH/NV 1993, 37, 38); nur die Glaubhaftmachung der substantiiert vorgetragenen Tatsachen kann im weiteren Verlauf des Verfahrens nachgeholt werden (BFH-Urt. v. 21. Juli 1988 V R 97/83, BStBl. II 1989, 60, 64; Beschl. v. 09. Juli 1992 a.a.O. 38). Nach Ablauf der Monatsfrist können allenfalls unvollständige Angaben, soweit sie einen vorgetragenen Wiedereinsetzungsgrund betreffen, ergänzt werden (BFH-Urt. v. 27. März 1985 II R 118/83, BFHE 144, 1, BStBl II 1985, 586).
a)
Geht man zugunsten der Klägerin davon aus, dass der Lauf der Monatsfrist des § 110 Abs. 2 Satz 1 AO am Tage nach der Mitteilung des Beklagten, Einsprüche seien nicht eingegangen, also am 07. Mai 1998 begonnen hat, so hätten die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen spätestens bis zum Dienstag, 09. Juni 1998 substantiiert vorgetragen werden müssen. Dazu hätte es einer in sich geschlossenen und aus sich heraus verständlichen Darstellung der Umstände bedurft, aus denen sich bei entsprechender Glaubhaftmachung ergeben würde, dass der Einspruch rechtzeitig an den Beklagten abgesendet worden war. Hierfür wären außer Angaben über die Führung eines Postausgangsbuchs und über die Erstellung des Einspruchsschreibens auch genaue Angaben darüber erforderlich gewesen, wann, zu welcher Uhrzeit und von wem das Einspruchsschreiben zur Post gegeben wurde (BFH-Beschl. v. 28. Februar 1985 VIII R 261/84, BFH/NV 1986, 30, Urt. v. 25. April 1988 a.a.O.; Urt. v. 24. September 1991 XI R 38/88, BFH/NV 1992, 258; Urt. v. 23. Juni 1992 IV R 125/91, BFH/NV 1994, 553; Beschl. v. 09. Juli 1992 a.a.O. 38; Urt. v. 09. März 1993 VI R 60/90, BFH/NV 1993, 616; Beschl. v. 03. Januar 1995 VII B 134/94, BFH/NV 1995, 704; Urt. v. 26. November 1998 XI R 19/98, BFH/NV 1999, 658; BGH-Beschl. v. 25. Oktober 1990 VII ZB 9/90, HFR 1991, 619). Der Prozessbevollmächtigte hat stattdessen lediglich auf die Führung eines Postausgangsbuches in seiner Kanzlei hingewiesen. Die gebotene schlüssige und aus sich heraus verständliche Darstellung des tatsächlichen Geschehensablaufs ergibt sich hieraus nicht; sie konnte auch nicht durch die nach Ablauf der Monatsfrist nachgereichten Schriftsätze vom 16. Juni 1998 und vom 10. Dezember 1998 und den im Klageverfahren erfolgten Darstellungen nachgeholt werden. Denn diese Schriftsätze dienten nicht der Vervollständigung einzelner bisher unterlassener Angaben, sondern enthielten erstmals eine in sich geschlossene Darstellung der nach Auffassung des Prozessbevollmächtigten die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen.
b)
Der Einwand des Prozessbevollmächtigten, man hätte ihn auf die Mängel des Wiedereinsetzungsantrages hinweisen müssen, ist nicht berechtigt. Es besteht keine Pflicht des Beklagten, einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe über den notwendigen Inhalt eines Wiedereinsetzungsantrages zu belehren. Von Angehörigen der steuerberatenden Berufe muss erwartet werden, dass sie das Verfahrensrecht kennen (BFH-Beschl. v. 11. Oktober 1996 VIII B 56/95, BFH/NV 1997, 457).
c)
Da es somit schon an einer in sich geschlossenen Darstellung der Wiedereinsetzungsgründe innerhalb der Monatsfrist des § 110 Abs. 2 Satz 1 AO fehlt, kann es auf die Glaubhaftmachung der Wiedereinsetzungsgründe nicht mehr ankommen.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung FGO -.
III.
Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen, da die Entscheidung, die der neueren Rechtsprechung des BFH folgt, von dem Urteil des BFH vom 27. März 1985 (Az. II R 118/83, BStBl. II 1985, 586) abweicht. Anders als in der Entscheidung des BFH vom 09. Juli 1992 (a.a.O.) trägt im vorliegenden Rechtsstreit der Prozessbevollmächtigte innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist vor, das Einspruchsschreiben zur Post gegeben zu haben. Dies ergibt eine Auslegung des Schreibens des Prozessbevollmächtigten vom 15. Mai 1998. Die Feststellung, eine Rückgabe der Bundespost sei nicht im Posteingangsbuch verzeichnet worden, kann nur in der Weise ausgelegt werden, dass vorher das Schreiben zur Post gegeben worden ist.