Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.03.2001, Az.: 9 K 437/97 Ki

Auwirkung eines Erlasses des Rückforderungsbetrags auf Rechtmäßigkeit eines Rückforderungsbescheids bezüglich Kindergeld

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
08.03.2001
Aktenzeichen
9 K 437/97 Ki
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2001, 14579
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2001:0308.9K437.97KI.0A

Fundstelle

  • EFG 2001, 829-831 (Volltext mit red. LS u. Anm.)

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Kindergeld-Rückforderungsbescheids.

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Der Kläger beantragte im April 1994 für seine drei Kinder Kindergeld. Seine Ehefrau erklärte sich in dem Antrag damit einverstanden, dass das Kindergeld an den Ehemann/Kläger gezahlt werde. Der Beklagte (Arbeitsamt - Familienkasse -) zahlte das Geld antragsgemäß auf das im Antrag bezeichnete Bankkonto. Bei dem Konto handelte es sich um ein solches der Ehefrau, über das sie auch nur allein verfügungsbefugt war. Dies war aus dem Antrag weder ersichtlich noch der Familienkasse bekannt.

3

Nachdem die Familienkasse erfahren hatte, dass sich die Kinder seit Februar 1996 im Haushalt der getrennt lebenden Ehefrau aufhielten, hob sie die Kindergeldfestsetzung mit einem als Rückforderungsbescheid bezeichneten Verwaltungsakt vom 29. Mai 1997 ab März 1996 bis April 1997 auf und forderte das Kindergeld für diese Monate (insgesamt 9.220 DM) vom Kläger zurück.

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Auf den Antrag der Kindesmutter hin zahlte die Familienkasse dieser nachträglich Kindergeld ab dem Monat Juli 1996. Bei der Zahlung war der Familienkasse (nunmehr) bekannt, dass die Gelder auch zuvor auf ein Konto der Ehefrau und nicht auf ein solches des Klägers geflossen waren.

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Der Einspruch des Klägers gegen den Rückforderungsbescheid blieb erfolglos.

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Der Kläger stützt seine Klage im Wesentlichen auf die Tatsache, dass tatsächlich nicht er, sondern von Anfang an seine Ehefrau das Kindergeld bekommen hat. Dies sei - wie die Ehefrau selbst bestätigt habe - der Familienkasse seit April 1997 auch bekannt gewesen. Der Rückforderungsbescheid sei unter diesen Umständen rechtswidrig.

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Der Kläger beantragt,

die Einspruchsentscheidung vom 3. Juli 1997 und den Rückforderungsbescheid vom 29. Mai 1997 aufzuheben.

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Die Familienkasse beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Mit der Trennung des Klägers von der Familie seit Februar 1996 sei die Ehefrau gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 Einkommensteuergesetz (EStG) vorrangig anspruchsberechtigt geworden. Nach Bekanntwerden dieser Umstände habe die Verpflichtung bestanden, die Kindergeldfestsetzung nach § 70 Abs. 2 EStG aufzuheben. Das überzahlte Kindergeld habe man zurückfordern müssen. Der Umstand, dass das Kindergeld stets auf das alleinige Konto der Ehefrau gezahlt worden sei, sei im Verhältnis zu ihr - der Familienkasse - rechtlich unerheblich und berühre die Rechtmäßigkeit des Rückforderungsbescheides nicht. Der Kläger könne aber für die Zeit vor Juli 1996 einen Antrag auf Erlass der Forderung stellen, da der Kindesmutter nach § 66 Abs. 3 EStG rückwirkend nur bis zu diesem Monat Kindergeld nachgezahlt worden sei. Es sei dann zu prüfen, ob der Rückforderungsbetrag zumindest für die Zeit bis Juni 1996 erlassen werden könne. Einen solchen Erlassantrag habe er aber bisher nicht gestellt.

Gründe

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Die Klage ist unbegründet.

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Die Familienkasse hat die Kindergeldfestsetzung ab März 1996 nach § 70 Abs. 2 EStG zu Recht aufgehoben und das zuviel gezahlte Kindergeld gemäß § 37 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) zurückgefordert, weil die Kinder sich in dem fraglichen Zeitraum in der alleinigen Obhut der Mutter befanden, so dass diese nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG vorrangig kindergeldberechtigt war.

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1.

Aufhebung der Kindergeldfestsetzung

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Nach § 64 Abs. 1 EStG wird für jedes Kind nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt. Bei mehreren Berechtigten wird das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat (§ 64 Abs. 2 Satz 1 EStG). Damit hat sich der Gesetzgeber zur Lösung der Anspruchskonkurrenz zwischen Vater und Mutter für das sogenannte Obhutsprinzip entschieden. Das Obhutsprinzip verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Artikels 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG - (Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. November 1998 VI B 125/98, BStBl. II 1999, 137).

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Im Streitfall hatte der Kläger damit nach seiner Trennung von der Familie keinen Anspruch mehr auf die Zahlung des Kindergeldes (an ihn), da sich die Kinder seit dieser Zeit in der alleinigen Obhut der Mutter befanden. Damit war die Kindesmutter zugleich die nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG ausschließlich Kindergeldberechtigte (geworden).

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Die Familienkasse durfte die Kindergeldfestsetzung dementsprechend gemäß § 70 Abs. 2 EStG, der nach § 78 Abs. 1 EStG für alle nach dem 1. Januar 1996 erbrachten Kindergeldzahlungen gilt, ab März 1996 aufheben. Treten nämlich in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich sind, Änderungen ein, so hat die Behörde die Festsetzung des Kindergeldes mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an aufzuheben. Die Verwaltung hat insoweit keinen Entscheidungsspielraum - es handelt sich um eine gebundene Entscheidung (Beschluss des BFH vom 18. Dezember 1998 VI B 215/98, BStBl II 1999, 231). Eine Änderung kann jedoch nur dann auf § 70 Abs. 2 EStG gestützt werden, wenn die Änderung in den Verhältnissen nach Ergehen des zu ändernden Kindergeldbescheides eingetreten sind (Beschluss des BFH vom 24. Mai 2000 VI B 251/99, BFH/NV 2000, 1204). Dabei kann die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung rückwirkend erfolgen, wenn die Behörde erst nachträglich Kenntnis von dem Eintritt der Änderung in den maßgeblichen Verhältnissen erlangt.

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Mit der Trennung von seiner Ehefrau und den Kindern im Februar 1996 haben sich die Verhältnisse, die für die Festsetzung des Kindergeldes entscheidend waren, geändert. Die Kinder befanden sich nicht mehr in der Obhut des Klägers, so dass nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG nur noch die Mutter kindergeldberechtigt war. Diese Änderung in den maßgeblichen Verhältnissen ist auch erst nach Erlass des aufgehobenen Kindergeldbescheides eingetreten, da der Kläger im Februar 1996 ausgezogen war und die letzte Bescheidung aufgrund der Festsetzungsfiktion des § 78 Abs. 1 Satz 1 EStG in der Fassung vom 11. Oktober 1995 zum 1. Januar 1996 erfolgte. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger noch kindergeldberechtigt, weil sich die Kinder noch in seiner Obhut befanden. Somit sind die Voraussetzungen der Änderungsvorschrift des § 70 Abs. 2 EStG erfüllt. Da der Kläger seiner Mitteilungspflicht gemäß § 68 EStG nicht nachgekommen ist, erfuhr die Familienkasse auch erst verspätet von der Änderung der Verhältnisse. Daher durfte die Festsetzung auch rückwirkend aufgehoben werden.

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2.

Rechtmäßigkeit des Rückforderungsbescheids

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Der Bescheid ist auch hinsichtlich des Rückforderungsteils/Rückforderungsbescheids rechtmäßig.

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Nach § 37 Abs. 2 AO hat derjenige, der eine Steuervergütung ohne rechtlichen Grund gezahlt hat, gegen den Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten Betrages. Dies gilt auch dann, wenn der rechtliche Grund später wegfällt (§ 37 Abs. 2 Satz 2 AO). Ob eine Zahlung ohne rechtlichen Grund erfolgt ist, richtet sich allein nach der formellen Bescheidlage (Klein/Brockmeyer, Abgabenordnung, § 37 Rz. 23). Leistungsempfänger ist grundsätzlich derjenige, dem die Zahlung materiell-rechtlich zusteht (Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, § 37 AO Rz. 70). Dies muss aber nicht so sein, da Leistungsempfänger im Sinne des § 37 Abs. 2 AO und tatsächlicher Zahlungsempfänger nicht identisch sein müssen (Urteil des BFH vom 6. Februar 1990 VII R 97/88, BStBl. II 1990, 671). Leistet die Behörde an einen Dritten, so bleibt der Berechtigte Leistungsempfänger, wenn der Dritte lediglich als Vertreter, Bote oder Zahlstelle aufgetreten ist (Beschluss des BFH vom 8. April 1986 VII B 128/85, BStBl. II 1986, 511, 513; Urteil des BFH vom 13. Februar 1996 VII R 89/95, BStBl. II 1996, 436, 438). Das ist dann der Fall, wenn der Berechtigte eine entsprechende Zahlungsanweisung erteilt hat. In diesem Fall hat die Zahlung der Behörde an den Dritten befreiende Wirkung gegenüber dem Berechtigten. Dieser nach § 362 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) im Zivilrecht bestehende Grundsatz gilt auch im Steuerrecht (Beschluss des BFH vom 8. April 1986, a.a.O.)

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Auch im Streitfall war der Kläger Leistungsempfänger des ohne Rechtsgrund ausgezahlten Kindergeldes, obwohl die Familienkasse das Kindergeld auf ein Konto der Kindesmutter überwiesen hatte. Denn der Kläger hatte dieser eine entsprechende Zahlungsanweisung erteilt, weil er das Konto der Kindesmutter in seinem Kindergeldantrag aus dem Jahre 1994 angegeben hatte. Somit konnte die Behörde auf dieses Konto mit befreiender Wirkung gegenüber dem Kläger zahlen. Damit diente das Konto der Kindesmutter lediglich als Zahlstelle für den Kläger. Die Kindesmutter ist dadurch nicht selbst als Kindergeldberechtigte gegenüber der Behörde aufgetreten. Dies gilt um so mehr, als der Familienkasse bei der Auszahlung des Kindergeldes nicht bekannt war, dass es sich bei dem im Kindergeldantrag angegebenen Konto nicht um ein Konto des Klägers sondern ausschließlich um ein solches der Kindesmutter handelte. Dies erfuhr die Familienkasse erst durch die Mitteilung der Kindesmutter im April 1997.

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Der Erstattungsanspruch richtet sich somit gegen den Kläger, da die Familienkasse das Kindergeld ohne rechtlichen Grund an ihn ausgezahlt hat, nachdem die Kinderfestsetzung rechtmäßigerweise aufgehoben worden war. Dabei steht die Geltendmachung des Rückforderungsanspruches nicht im Ermessen der Familienkasse. Die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung (§ 85 AO, Art. 2 Abs. 1, 3, 20 Abs. 3 und Art 14 Abs. 3 Satz 2 GG) verpflichten die Finanzbehörden nämlich, Rückforderungsansprüche wie die des § 37 Abs. 2 AO auch tatsächlich geltend zu machen.

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Dem Rückforderungsanspruch stehen auch nicht die Grundsätze von Treu und Glauben entgegen.

23

Zwar unterstehen auch Rückforderungsansprüche gemäß § 37 Abs. 2 AO den - die gesamte Rechtsordnung und damit auch das Steuerrecht als Teil des öffentlichen Rechts beherrschenden - Grundsätzen von Treu und Glauben (Urteil des BFH vom 9. August 1989 I R 181/85, BStBl. II 1989, 990, 991). Sie können die Geltendmachung von Ansprüchen, die der Behörde nach dem Gesetz zustehen, prinzipiell hindern (Urteil des BFH vom 22. August 1980 VI R 102/77, BStBl. II 1981, 44, 47). Es kommt insoweit immer auf die Umstände des Einzelfalls an. Dabei setzt die Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben immer ein konkretes Rechtsverhältnis zwischen dem Steuerpflichtigen und der Behörde voraus (Urteil des BFH vom 13. Mai 1987 VII R 37/84, BStBl. II 1987, 606). Die Grundsätze gebieten insbesondere, dass jeder auf die berechtigten Belange des anderen Teiles ausreichend Rücksicht nimmt (Urteil des BFH vom 9. August 1989 I R 181/85, a.a.O.).

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Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat zur Konkretisierung der Grundsätze von Treu und Glauben bestimmte Fallgruppen entwickelt. Vorliegend könnte der Rückforderung lediglich das Prinzip entgegenstehen, dass derjenige, der etwas verlangt, das er sofort anschließend wieder herausgeben muss treuhänderisch handelt ("dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est"; sog. dolo-agit-Einrede; Staudinger/Schmidt, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch (1995), § 242 Rz. 778 m.w.N.).

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Im Streitfall kann sich der Kläger aber nicht erfolgreich auf die dolo-agit-Einrede berufen.

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Zwar hat der Kläger das Kindergeld an die nach § 64 Abs. 2 EStG allein kindergeldberechtigten Kindesmutter weitergeleitet, weil die unmittelbare Auszahlung auf ihr Konto auf seiner Zahlungsanweisung beruhte. In einem sog. Weiterleitungsfall ist die Behörde in der Regel nach Maßgabe des vorstehend genannten Rechtssatzes bereit, den Rückforderungsbetrag nach § 227 AO zu erlassen, wenn der vorrangig Kindergeldberechtigte schriftlich erklärt, durch die Weiterleitung sehe er seinen Anspruch auf Kindergeld als erfüllt an, weil der zurückgeforderte Betrag dann wieder zu erstatten wäre.

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Eine solche Situation ist hier für den Zeitraum ab Juli 1996 aber nicht gegeben. Der Kläger konnte keine entsprechende Erklärung der Kindesmutter vorlegen. Vielmehr wurde dieser auf ihren Antrag hin ab Juli 1996 (nochmals) Kindergeld ausgezahlt. Für diesen Zeitraum liegt eine Erlasssituation also nicht vor, so dass die Behörde mit der Rückforderung insoweit nicht gegen Treu und Glauben verstößt.

28

Aber auch für die Zeit von März 1996 bis Juni 1996 lässt ein (möglicher) Erlass des Rückforderungsbetrages nach § 227 AO die Rechtmäßigkeit des Rückforderungsbescheides unberührt.

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Zunächst einmal hat die Familienkasse den verbleibenden Betrag für die Monate März 1996 bis Juni 1996 tatsächlich nicht erlassen. Denn konnte bisher noch nicht entschieden werden, weil der Kläger keinen Erlassantrag gestellt hat. Damit besteht insoweit keine Situation, die eine dolo-agit-Einrede rechtfertigen könnte.

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Auch vom Senat kann im vorliegenden Verfahren über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung der Kindergeldfestsetzung und des Rückforderungsbescheids nicht entschieden werden, ob der Rückforderungsbetrag (teilweise) zu erlassen ist. Der Senat ist der Auffassung, dass über einen Erlass allein in einem von der Festsetzung und Rückforderung getrennten Verfahren zu entscheiden ist (glA. Urteil des Hessisches Finanzgericht vom 7. September 1999 2 K 4245/96, EFG 2000, 2; bisher vom BFH offengelassen; Beschluss vom 12. April 2000 VI B 113/99, BFH/NV 2000, 1193). Die AO hat zwar mit § 227 AO ein gesondertes Billigkeitsverfahren geschaffen, das (auch) zum Erhebungsverfahren gehört, seine Eigenständigkeit aber bewahrt (v. Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 227 AO Rz. 376). Die Frage, ob ein Rückforderungsbetrag zu erlassen ist, berührt die Rechtmäßigkeit des Rückforderungsbescheides somit nicht.

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Für eine konsequente Trennung der Verfahren spricht auch, dass der Erlass gemäß § 227 AO eine der gerichtlichen Prüfung nur im eingeschränkten Maße zugängliche Ermessensentscheidung ist (§ 102 Finanzgerichtsordnung - FGO -). Dabei darf das Gericht sein Ermessen nicht an die Stelle des Verwaltungsermessens setzen. Die Familienkasse hat bisher eine solche Ermessensentscheidung noch gar nicht getroffen/treffen können. Dies kann das Gericht im vorliegenden Verfahren auch nicht nachholen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 FGO.