Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 29.03.2001, Az.: 5 K 216/00
Berücksichtigung für Kindergeld; Entlassungsgeld der Zivildienstleistenden als sonstige Bezüge
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 29.03.2001
- Aktenzeichen
- 5 K 216/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 14668
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2001:0329.5K216.00.0A
Fundstelle
- DStRE 2001, 1214-1215 (Volltext mit amtl. LS)
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Rückforderung des Kindergeldes, das die Klin von August bis Dezember 1999 für ihren Sohn T erhalten hat.
Der im Juli 1978 geborene Sohn besuchte bis Juli 1998 die Schule und leistete vom 1. Juli 1998 bis 31. Juli 1999 Zivildienst. Am 1. August 1999 begann er eine Berufsausbildung , die voraussichtlich bis zum 31. Januar 2003 dauert. Mit formlosen Antrag vom Juli 1999 hatte die Klin die Gewährung des Kindergeldes für ihren Sohn ab August 1999 beantragt. Ihrem Antrag war der Einberufungsbescheide des Bundesamtes für den Zivildienst für ihren Sohn vom beigefügt. Darin stand als Dienstende 31.7.99. Der Beklagte bat die Klägerin, das Kindergeld auf einem dafür vorgesehenen Vordruck der Kindergeldkasse zu beantragen und darin alle Tatsachen anzugeben, die für die Entscheidung über den Antrag erforderlich sind und die entsprechenden Nachweise vorzulegen. Daraufhin stellte sie einen formgerechten Antrag und fügte eine Ausbildungsbescheinigung für den Sohn bei, wonach dieser ab 1. August 1999 eine monatliche Bruttovergütung in Höhe von 1.113 DM sowie im November 1999 Weihnachtsgeld in Höhe von 1.035 DM erhalten sollte. Der Beklagte ermittelte anhand dieser Angaben für den Antragszeitraum Einkünfte und Bezüge des Kindes in Höhe von 4.600 DM. Damit lag er unter dem kindergeldschädlichen Grenzbetrag von 5.425 DM. Der Beklagte gewährte das beantragte Kindergeld.
Am 20. Januar 2000 legte die Klägerin eine neue Bescheinigung der Ausbildungsstätte über die Ausbildungsvergütung des Sohnes vor, in der für 1999 eine monatliche Bruttoausbildungsvergütung in Höhe von 1.035 DM, ein Weihnachtsgeld in gleicher Höhe und vermögenswirksame Leistungen in Höhe von 390 DM angegeben waren. Die Zahlen für dieübrigen Ausbildungszeiten wichen von der ersten Bescheinigung ab. Daraufhin überprüfte der Beklagte die Kindergeldfestsetzung für die Monate August bis Dezember 1999 und berücksichtigte neben den erwähnten Zahlungen 1.500 DM Entlassungsgeld (abzüglich 360 DM Kostenpauschale), das T nach Beendigung des Zivildienstes erhalten hatte. Dadurch kam der Sohn auf Einkünfte und Bezüge in Höhe von 5.740 DM, womit er den Grenzbetrag in Höhe von 5.425 DM überschritt. Mit Bescheid vom ... hob der Beklagte ohne nähere Begründung gemäß § 175 Absatz 1 Nr. 2 AO die Festsetzung des Kindergeldes ab August 1999 auf und forderte die bis Dezember 1999 gezahlten Beträge zurück.
Dagegen erhob die Klägerin Einspruch, den sie wie folgt begründete: Der Beklagte habe bei der Ermittlung des Grenzbetrages das Entlassungsgeld zu Unrecht angerechnet. Dieses Geld, das der Sohn noch während des Zivildienstes im Juli 1999 erhalten habe, falle in eine Zeit, für die kein Kindergeldanspruch bestanden habe. Da die Einkünfte und Bezüge im Sinne von § 32 Absatz 4 EStG nach dem Zuflussprinzip zu bewerten seien, dürfe das Entlassungsgeld nicht in die Zeit verlegt werden, in der der Klin Kindergeld zustehe.
Der Rechtsbehelf war erfolglos. Der Beklagte führte im Einspruchsbescheid aus: Der Sohn der Klin erfülle ab August 1999 dem Grunde nach die Voraussetzung für die Bewilligung von Kindergeld, weil er sich in Berufsausbildung befinde. Tatsächlich bestehe der Anspruch jedoch nicht, weil der Sohn unter Berücksichtigung seiner Einkünfte und Bezüge einschließlich des Entlassungsgeldes den kindergeldschädlichen Grenzbetrag überschreite. Das Entlassungsgeld sei dazu bestimmt, eventuell nach Beendigung des Zivildienstes entstehende Zeiträume ohne Verdienstmöglichkeit zu überbrücken und sei deshalb der Zeit nach dem Ende des Zivildienstes zuzurechnen. Die Kindergeldfestsetzung sei rückwirkend gemäß § 175 AO aufzuheben.
Dagegen wendet sich die Klin mit der Klage. Sie wiederholt das Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren und meint, das Entlassungsgeld müsse nach dem Zuflussprinzip beurteilt werden. Es sei keine Anerkennung für die Zeit nach dem Ende des Zivildienstes. Auch derÜberbrückungsgedanke greife nicht, zumal eine Überbrückung im Streitfall nicht erforderlich gewesen sei. Es sei willkürlich, das Entlassungsgeld auf die an den Zivildienst anschließenden Monate zu verteilen.
Gründe
Die Klage ist unbegründet.
Der Beklagte durfte die Gewährung des Kindergeldes aufheben. Zwar ist § 175 Absatz 1 Nr. 2 AO die falsche Rechtsgrundlage und der angefochtene Bescheid gibt darüber hinaus keine Begründung für die Aufhebung. Die Entscheidung war jedoch gemäß § 173 Absatz 1 Nr. 1 AO möglich, denn die Zahlung des Entlassungsgeldes ist eine neue Tatsache, die zu einer höheren Steuer - hier: geringerem Kindergeld - führt und erst nachträglich, nämlich im Einspruchsverfahren, bekanntgeworden ist. Die Zahlung des Entlassungsgeldes im Juli 1999 hat die Klägerin in ihren Anträgen nicht erwähnt. Auch der zuvor eingereichte Einberufungsbefehl vom 28. April 1998 enthält dazu nichts. Dass die nachträglich bekanntgewordene Zahlung des Entlassungsgeldes der Grund für die Aufhebung der Kindergeldgewährung war, hat der Beklagte in der Einspruchsentscheidung nachgeschoben. Das genügt als ausreichende Begründung, vgl. § 126 Absatz 1 Nummer 2 und Absatz 2 AO. Unerheblich ist auch die Angabe der falschen Rechtsnorm (§ 175 AO), wenn die Voraussetzungen der richtigen (§ 173 Absatz 1 Nummer 1 AO) vorliegen.
In der Sache selbst hat der Beklagte das Entlassungsgeld zu Recht zu den sonstigen Bezügen des Kindes in der Zeit der Kindergeldberechtigung gerechnet. Damit liegt der Sohn, wie der Beklagte richtig festgestellt hat, über dem Grenzbetrag gemäß § 32 Absatz 4 Satz 2 EStG. Danach wird ein Kind nur berücksichtigt, wenn es Einkünfte oder Bezüge von nicht mehr als 13.020 DM hat. Für jeden Kalendermonat, für den die Kindergeldberechtigung dem Grunde nach nicht vorliegt, ermäßigt sich dieser Betrag um ein Zwölftel. Einkünfte und Bezüge des Kindes, die auf diese Monateentfallen, bleiben außer Ansatz,§ 32 Absatz 4 Satz 7 EStG. Das Entlassungsgeld erhält ein Zivildienstleistender bei der Entlassung nach dem Zivildienst (§§ 35 Absatz 1 ZivildienstG, 9 WehrsoldG). Es hat den "Charakter als notwendige Überbrückungshilfe für die Zeit nach der Beendigung der Dienstzeit" (vgl. Deutscher Bundestag, 6. Wahlperiode, Drucksache 1432 Seite 3) und ist somit wirtschaftlich dieser Zeit zuzurechnen. Der Bundesfinanzhof (vgl. das Urteil vom 26. April 1991 III R 48/89, BStBl II 1991, 716) hat in dieser Weise bereits zu § 33 a Absatz 4 Satz 2 EStG entschieden. Diese Vorschrift regelt ähnlich wie§ 32 Absatz 4 Satz 7 EStG die Anrechnung eigener Einkünfte und Bezüge einer unterhaltenen Person, die auf bestimmte Monate entfallen, auf den Unterstützungsfreibetrag. In Folge dieser Rechtsprechung hat der Bundesfinanzhof (vgl. das Urteil vom 1. März 2000 VI R 162/98, BStBl II 2000, 458 mit Amn. Hollatz in HFR 2000, 581) zum Kindergeldrecht entschieden: Auf welchen Monat Einkünfte und Bezüge entfallen, ist innerhalb des Kalenderjahres nicht nach dem Zuflusszeitpunkt, sondern nach der wirtschaftlichen Zurechnung zu bestimmen. In der Urteilsbegründung verweist er ausdrücklich auf § 33a Absatz 4 Satz 2 EStG.
Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat an (gegen FG Brandenburg, EFG 200, 706). Nach dem Gesetzeszweck wird das Entlassungsgeld eindeutig für die Zeit nach dem Pflichtdienst gezahlt. Dass es in der letzten Soldabrechnung erscheint, mag technische Gründe haben, z.B. weil der Soldat oder Zivildienstleistende danach in der Buchhaltung nicht mehr geführt wird. Auf die wirtschaftliche Zurechnung hat dieses Verfahren jedoch keinen Einfluss.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.