Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.03.2001, Az.: 4 K 438/95
Zulässigkeit einer Sachentscheidung trotz Verlegungsantrag; Zulässigkeit einer Untätigkeitsklage
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 14.03.2001
- Aktenzeichen
- 4 K 438/95
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 24226
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2001:0314.4K438.95.0A
Rechtsgrundlagen
- § 227 ZPO
- § 44 Abs. 1 FGO
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Die Verhinderung eines vom Kläger noch nicht bestellten Prozessbevollmächtigten, also eines am Verfahren unbeteiligten Dritten, kann eine Terminsaufhebung nicht rechtfertigen.
- 2.
Eine Untätigkeitsklage ist nur zulässig, wenn ein außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren anhängig, d.h. ein Rechtsbehelf eingelegt worden ist.
Tatbestand
Der Gewinn des Klägers aus dem von ihm betriebenen Gewerbebetrieb für das Jahr 1993 wurde vom Beklagten wegen Nichtabgabe der Steuererklärung auf DM 6.000,-- geschätzt. Der Gewinnfeststellungsbescheid wurde ihm zusammen mit dem Umsatzsteuerschätzungsbescheid mit Postzustellungsurkunde am 23.06.1994 zugestellt. Am 09.08.1994 reichte der Kläger eine Steuererklärung ein, die einen Verlust für das Streitjahr von DM 56.391,-- ausweist. Nach Hinweis des Beklagten auf den Ablauf der Einspruchsfrist machte der Kläger geltend, er habe am 30.06.1994 gegen beide Schätzungsbescheide Einspruch erhoben und diese dem Beklagten per Einschreiben übersandt. Der Beklagte bestreitet, einen Einspruch des Klägers gegen den Gewinnfeststellungsbescheid erhalten zu haben. In der Umsatzsteuerakte des Beklagten befinden sich zwei Einsprüche des Klägers gegen den Umsatzsteuerschätzungsbescheid 1993 vom 30.06.1994, die sich im Text unterscheiden. Die vom Kläger im Klageverfahren vorgelegte Empfangsbestätigung des am 01.07.1994 eingelieferten Einschreibens des Klägers an den Beklagten enthält keine Angabenüber den Inhalt der Einschreibsendung.
In der Umsatzsteuerakte des Beklagten befindet sich ferner ein Schreiben des Klägers vom 19.07.1994 mit der Betreffzeile: Steuererklärung 1993. Darin bittet der Kläger um Übersendung der"für die Steuererklärung 1993 notwendigen Formulare ..., damit die Erklärung fristgerecht zum 30.09.1994 erfolgen kann."
Mit Schreiben vom 06.03.1995 forderte der Kläger den Beklagten auf, über seinen Einspruch gegen den Feststellungsbescheid zu entscheiden. Der Beklagte verweigerte dies unter Hinweis auf den fehlenden fristgerechten Einspruch.
Dagegen richtet sich die als Untätigkeitsklage bezeichnete Klage des Klägers.
Die vom Senat anberaumten Termine zur mündlichen Verhandlung der Sache am 30.08. und 27.09.2000 mussten wegen Verhinderung des Klägers wegen einer beruflichen Fortbildungsveranstaltung und wegen einer bereits gebuchten Reise aufgehoben werden. Der Antrag des Klägers, den zum 27.10.2000 angesetzten Termin zur mündlichen Verhandlung aufzuheben, wurde zunächst vom Berichterstatter als Vertreter des Vorsitzenden abgelehnt. Nachdem der Kläger den Berichterstatter wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hatte, wurde auch der Verhandlungstermin am 27.10.2000 aufgehoben. Das Ablehnungsgesuch des Klägers wurde durch Beschluss des Senats vom 06. 11. 2000 - ohne Mitwirkung des abgelehnten Berichterstatters - zurückgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf diesen Beschluss Bezug genommen.
Die mündliche Verhandlung der Sache wurde dann auf den 14.03.2001 anberaumt. Die Ladung zu diesem Verhandlungstermin wurde ausweislich der bei den Gerichtsakten befindlichen Postzustellungsurkunde (Bl. 89 GA) dem Hausgenossen des Klägers, W., am 23.02.2001 vom Zusteller M. in der Wohnung des Klägers übergeben. Mit einem beim Gericht am 12.03.2001 eingegangenen Schreiben beantragte der Kläger wiederum Aufhebung des Verhandlungstermins. Zur Begründung trug er vor, die Ladung sei nicht ordnungsgemäß erfolgt. Aus dem Zustellvermerk auf dem Briefumschlag der Sendung ergäbe sich als Zustelldatum der Sendung der 23.01.2001. Dies sei, da das Schreiben das Datum vom 22.02.2001 trage, nicht nachvollziehbar. Außerdem habe ihm der zur Vertretung vorgesehene Rechtsanwalt Dr. X mitgeteilt, dass es ihm aus zeitlichen Gründen nicht möglich sei, den Verhandlungstermin wahrzunehmen. Der Vorsitzende des Senats hat den Aufhebungsantrag mit Beschluss vom 13.03.2001 abgelehnt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 08.03.2001 (Bl. 93 GA) und den Beschluss vom 13.03.2001 (Bl. 94 GA) Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, den Gewinnfeststellungsbescheid 1993 aufzuheben und den Verlust in Höhe von DM 56.391 anzuerkennen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Gründe
1.
Der Senat kann in dieser Sache in seiner geschäftsplanmäßigen Besetzung entscheiden, weil das Ablehnungsgesuch gegen den Richter am Finanzgericht Habscheidt durch Beschluss des Senats vom 06.11.2000 als unbegründet zurückgewiesen worden ist.
2.
Das Gericht kann auch ohne das rechtliche Gehör des Klägers zu verletzen, in der Sache entscheiden, weil der Vorsitzende des Senats den Antrag des Klägers auf Aufhebung des Termins zur mündlichen Verhandlung zu Recht abgelehnt hat. Der Kläger hat in seinem Antrag keine für die Aufhebung des Termins erheblichen Gründe im Sinne des § 155 FGO in Verbindung mit § 227 Zivilprozessordnung glaubhaft gemacht.
Die bei den Gerichtsakten befindliche Zustellungsurkunde erbringt Beweis für die Tatsache, dass dem Kläger die Ladung zum Termin am 14.03.2001 am 23.02.2001 zugestellt worden ist. Der Senat unterstellt außerdem die vom Kläger nicht glaubhaft gemachte Behauptung, dass der Postbedienstete auf dem zugestellten Schriftstück ein falsches Datum der Übergabe angebracht habe, als zutreffend. Dies führt zwar zu einem Zustellungsmangel, der jedoch die Wirksamkeit der Zustellung nicht berührt (vgl. etwa BFH, Urteil vom 13.01.1987 - VII R 147, 148, 150/84 - BStBl II 1987, 272). Dieser Zustellungsmangel hat lediglich zur Folge, dass die in § 9 Abs. 2 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) bezeichneten Fristen nicht zu laufen beginnen (vgl. BFH, a.a.O.). § 9 Abs. 2 VwZG bezieht sich aber nur auf Rechtsmittelfristen in gerichtlichen Verfahren (vgl. dazu Gräber/Koch, FGO, 4. Aufl. 1997,§ 53 Tz. 75), nicht aber auf die 2wöchige Ladungsfrist des § 91 Abs. 1 Satz 1 FGO.
Die Behauptung des Klägers, der von ihm zur Vertretung seiner Sache vorgesehene Rechtsanwalt Dr. M. könne den Verhandlungstermin aus zeitlichen Gründen nicht wahrnehmen, rechtfertigt aus verschiedenen Gründen eine Terminsaufhebung nicht.
Die Verhinderung des vom Kläger noch nicht bestellten Prozessbevollmächtigten, also eines am Verfahren unbeteiligten Dritten, kann eine Terminsaufhebung nicht rechtfertigen.
Abgesehen davon hat der Kläger seine Behauptung nicht glaubhaft gemacht, obwohl er aus der Verfügung des Gerichts vom 24.10.2000 wusste, dass Verlegungsgründe glaubhaft zu machen sind. Dazu wäre erforderlich gewesen, dass der Kläger in nachprüfbarer Weise die Verhinderung des Rechtsanwalts darlegt oder das Verfahren benennt, das zu der Terminüberschneidung führt.
3.
Die Klage ist unzulässig. Der Senat lässt - auch angesichts bestehender Umdeutungsmöglichkeiten - dahingestellt, ob der Kläger die richtige Klageart gewählt hat, weil die Klage schon aus anderen Gründen unzulässig ist.
a)
Als Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage ist die Klage nach § 44 Abs. 1 FGO unzulässig, weil das erforderliche Vorverfahren nicht stattgefunden hat.
b)
Als Untätigkeitsklage ist sie ebenfalls unzulässig. Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Untätigkeitsklage ist unter anderem, dass ein außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren anhängig ist, d.h. dass ein Rechtsbehelf eingelegt worden sein muss (vgl. Gräber/von Groll, FGO, 4. Aufl. 1997, § 46 Tz. 7 und 9). Daran fehlt es im Streitfall. Der Kläger hat nicht nachgewiesen, dass sich in der Einschreibsendung, die er am 01.07.1994 für den Beklagten bei der Post aufgegeben hat, auch der Einspruch gegen den Gewinnfeststellungsbescheid befunden hat. Der Umstand, dass sich in der beim Beklagten eingegangenen Sendung zwei fast gleichlautende Einsprüche gegen den Umsatzsteuerbescheid befanden, spricht dafür, dass der Kläger an Stelle des Einspruchs gegen den Feststellungsbescheid neben der endgültigen Fassung seines Einspruchs gegen den Umsatzsteuerbescheid versehentlich einen früheren Entwurf seines Einspruchs gegen den Umsatzsteuerbescheid an den Beklagten abgeschickt hat. Ob es sich so zugetragen hat, hat der Kläger nicht aufgeklärt. Jedenfalls ist der Kläger den Nachweis schuldig geblieben, einen Einspruch gegen den Feststellungsbescheid an den Beklagten übersandt zu haben.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist (§ 110 Abgabenordnung [AO]), weil der Kläger die abzusendenden Schriftstücke vertauscht haben könnte, kommt nicht in Betracht, weil ihm insoweit Verschulden vorzuwerfen wäre. Die etwaige Verwechslung fristwahrender Schriftstücke muss als zumindest leicht fahrlässig beurteilt werden (vgl. zur Verwechslung von Briefkästen, BFH, Urteil vom 17.10.1972 - VIII R 36 - 37/69, BStBl II 1973, 271).
Ausgehend von der Überlegung, dass § 357 AO eine möglichst formfreie Einleitung des Einspruchsverfahrens gewährleisten will und die Anfechtung von Verwaltungsakten auf dem Gebiete des Abgabenrechts möglichst nicht an Formalien scheitern soll (vgl. dazu Tipke/Kruse, Kommentar zur AO und FGO, § 357 AO Tz. 1) hat der Senat auch erwogen, ob die Anforderung der Steuererklärungsvordrucke für das Jahr 1993 durch den Kläger als Einspruch gegen den Gewinnfeststellungsbescheid umgedeutet werden kann. Dabei ist der wirkliche Wille des Erklärenden durch Auslegung zu ermitteln (BFH, Urteil vom 10.05.1989 - II R 196/85 - BStBl II 1989, 823). Dabei sind aber die Grenzen der Auslegung zu beachten. Außerhalb der Erklärung liegende Umstände dürfen berücksichtigt werden; die Auslegung darf aber nicht zur Annahme eines Erklärungsinhalts führen, für den sich in der Erklärung selbst keine Anhaltspunkte mehr finden lassen (BFH, Urteil vom 10.05.1989 - II R 196/85 - a.a.O.). Maßgebend ist, wie die Finanzbehörde als Empfänger den objektiven Inhalt der Erklärung verstehen musste (vgl. dazu BFH, Urteil vom 19.06.1997 - IV R 51/96 - BFH/NV 1998, 6). Ausgehend von diesen Grundsätzen kann in der Anforderung von Steuererklärungsvordrucken durch den Kläger kein Einspruch gegen den Gewinnfeststellungsbescheid erblickt werden. Weil ein Einspruch gegen den Gewinnfeststellungsbescheid zum damaligen Zeitpunkt beim Beklagten nicht vorlag, konnte die Anforderung von Vordrucken für die"Steuererklärung" vom Beklagten nur so verstanden werden, dass der Kläger Vordrucke für die Umsatzsteuererklärung im Hinblick auf die von ihm mit Einspruch angefochtene Umsatzsteuerfestsetzung übersandt haben wollte. Weil der Anforderung der Erklärungsvordrucke auch bei Berücksichtigung aller anderen bekannten Umstände keine Anhaltspunkte in Bezug auf eine beabsichtigte Anfechtung des Gewinnfeststellungsbescheides entnommen werden können, scheidet eine in diese Richtung zielende Umdeutung aus.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.