Landessozialgericht Niedersachsen
Beschl. v. 07.08.2001, Az.: L 2 RI 260/00

Rente wegen Berufsunfähigkeit; Myostatisches Cervicalsyndrom mit pseudoradikulärer Symptomatik, myostatisches Lumbalsyndrom, Halswirbelsäulensyndrom (HWS), Lendenwirbelsäulensyndrom (LWS), · Dupuytren'sche Kontraktur, Hörminderung mit Ohrgeräuschen und Schwindel; Rente wegen Erwerbsunfähigkeit; Angelernter Zimmermann mit 10-jähriger Berufserfahrung; Einordnung ist das Mehrstufenschema des Bundessozialgerichtes; Garagenwart

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen
Datum
07.08.2001
Aktenzeichen
L 2 RI 260/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 15865
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2001:0807.L2RI260.00.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 10.07.2000 - AZ: S 7 RI 788/97

Prozessführer

XXX

Prozessgegner

Landesversicherungsanstalt Hannover,

die Geschäftsführung, Lange Weihe 2/4, 30880 Laatzen,

Redaktioneller Leitsatz

Ein lediglich angelernter Zimmermann mit 10-jähriger Berufserfahrung ist der Gruppe der oberen Angelernten im Sinne des vom Bundessozialgericht zur qualitativen Einordnung der Arbeiterberufe entwickelten Mehrstufenschemas zuzuordnen. Um eine Einstufung in die Gruppe der Facharbeiter vorzunehmen, reicht die tarifliche Einstufung durch einen Arbeitgeber in die Spezialbaufacharbeitern vorbehaltene Lohngruppe III des Bautarifvertrages nicht aus, da der Zimmermann dort nicht ausdrücklich aufgeführt wird und nur eine Anlernung erfolgt ist. Als Angelernter im oberen Bereich muss sich der angelernte Zimmermann auf sämtliche, im angelernten Bereich seinem Restleistungsvermögen entsprechende Tätigkeiten und auf solche im ungelernten Bereich verweisen lassen, wobei ihm eine entsprechende Tätigkeit konkret zu benennen ist. Das kann die Tätigkeit als Garagenwart sein.

hat der 2. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle

am 7. August 2001

durch

die Richter am Landessozialgericht C. und D. und

den Richter am Sozialgericht E.

beschlossen:

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1

I.

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

2

Der im Juni 1947 geborene Kläger absolvierte von 1961 bis März 1963 eine Lehre zum Formengießer ohne Abschluss. Danach war er unter anderem Kraftfahrer, Kassierer bei den F. und von 1972 bis 1976 selbständig als Autoverkäufer tätig. Danach arbeitete er in der Tankstelle seiner Ehefrau und wurde bis 1986 bei einer Firma G. als Zimmermann angelernt. Vom 6. Oktober 1986 an war er als Zimmerer bei der Firma H. beschäftigt und wurde zunächst nach Lohngruppe V und zuletzt vor seinem Ausscheiden nach Lohngruppe III des einschlägigen Bautarifvertrages entlohnt. Nachdem der Kläger ab 4. September 1995 arbeitsunfähig erkrankt war, endete das Arbeitsverhältnis am 3. März 1997. Danach erhielt der Kläger Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit, zuletzt Arbeitslosenhilfe.

3

Die Beklagte gewährte dem Kläger vom 6. August bis 3. September 1996 ein stationäres Heilverfahren in der Rheumaklinik I., aus dem er mit den Entlassungsdiagnosen

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myostatisches Cervicalsyndrom mit pseudoradikulärer Symptomatik

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und myostatisches Lumbalsyndrom

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arbeitsunfähig mit einem vollschichtigen Restleistungsvermögen für leichte und mittelschwere körperliche Tätigkeiten ohne häufiges Heben von schweren Gegenständen oder überwiegend einseitige Körperhaltungen entlassen wurde (ärztlicher Entlassungsbericht vom 20. September 1996).

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Am 31. Januar 1997 beantragte er Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Beklagte wertete den Befundbericht des Arztes für Orthopädie Dr. J. vom 6. Februar 1997 nebst beigefügten ärztlichen Unterlagen sowie den Entlassungsbericht aus und holte das Gutachten des Arztes für Neurologie Dr. K. vom 29. April 1997 ein. Der Gutachter fand als Diagnose ein chronisches Wirbelsäulensyndrom mit Verdacht auf cervikalen Bandscheibenvorfall und hielt den Kläger noch für fähig, vollschichtig sämtliche Tätigkeiten ohne weitere Einschränkungen zu verrichten. Die Beklagte zog ferner die Arbeitgeberauskunft der Fa. L. vom 12. Juni 1997 bei und lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 23. Juni 1997 ab. Es bestehe noch ein Restleistungsvermögen für mittelschwere Tätigkeiten ohne häufige Überkopfarbeit, ohne häufiges Heben und Tragen von Lasten über 25 kg und ohne überwiegend einseitige Körperhaltung. Damit könne der Kläger zwar seine bisherige Tätigkeit als Zimmerer nicht mehr ausüben. Er müsse sich jedoch auf Tätigkeiten als Hausmeister, Maschinenbediener an Holzbearbeitungsmaschinen, Gabelstaplerfahrer und Betonwarenarbeiter bei der Herstellung von Fertigbetonteilen verweisen lassen.

8

Im Widerspruchsverfahren wertete die Beklagte einen Befundbericht des Dr. Krüger vom 21. August 1997 aus und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 1. Oktober 1997 zurück. Bei dem Kläger lägen folgende Gesundheitsstörungen vor:

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  • Halswirbelsäulen(HWS)syndrom mit Ausstrahlung in den Nacken und den Schulter-Arm-Bereich links mit endgradiger Bewegungseinschränkung der HWS ohne neurologische Ausfallserscheinungen,
  • Lendenwirbelsäulen(LWS)syndrom bei Fehlstellung des dorsolumbalen Übergangs mit knöchern konsolidierter Kompressionsfraktur L1 ohne sensomotorische Ausfallserscheinungen,
  • Dupuytren'sche Kontraktur des 3. und 4. Strahles rechts bei beidseits gut möglichem Faustschluss und problemlosem Fingerspiel.

10

Der Kläger könne noch vollschichtig leichte bis mittelschwere Tätigkeiten ohne überwiegend einseitige Körperhaltung verrichten. Als Facharbeiter müsse der Kläger sich auf Tätigkeiten als Sägenschärfer, Verwalter eines Holzlagers, Hausmeister, Arbeiter in der industriellen Fertigung - z.B. von Holzfenstern -, Maschinenführer von Verleihmaschinen und Befestiger von Fensterbeschlägen verweisen lassen.

11

Im Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) Hannover Befundberichte des Dr. J. vom 13. Januar 1999, des Dr. K. aus Januar 1999 und des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. M. vom 18. Februar 1999 beigezogen und das Gutachten des Arztes für Orthopädie Dr. N. vom 18. Juli 1999 eingeholt. Der Sachverständige hat folgende Gesundheitsstörungen benannt:

  1. 1.

    chronifizierte beidseitige Lumbago/Lumboischialgiesymptomatik ohne motorische Defizite bei leichter uneinheitlicher Sensibilitätsminderung im Dermatom L5/S1 beidseits ohne muskuläres Defizit bei Bewegungsschwäche der Lendenwirbelsäule (LWS) auch im Rahmen einer statisch ungünstigen Flachrückenbildung,

  2. 2.

    linksbetontes Cervicalsyndrom ohne eindeutige neurologische Defizite bei endgradiger Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule (HWS).

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Neurologische Defizite seien nicht nachzuweisen. Das Restleistungsvermögen beurteilte der Sachverständige dahin, dass der Kläger noch körperlich leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung, ohne Zwangshaltungen, ohne Heben und Tragen von Lasten über 20 kg, unter Vermeidung vermehrten schweren Hebens und Tragens, nicht unter Zeitdruck oder Stress, vollschichtig verrichten könne. Eine Einschränkung hinsichtlich der Arbeitswege zu Fuß bzw. mit öffentlichen Verkehrsmitteln bestehe nicht. Das SG hat ferner den Entlassungsbericht des Reha-Zentrums O. vom 25. Januar 2000 nach einer vom 2. November bis 7. Dezember 1999 durchgeführten stationären Heilmaßnahme beigezogen. Die Klinikärzte waren der Ansicht, dass der Kläger noch leichte körperliche Tätigkeiten ohne häufiges Bücken, ohne häufiges Heben und Tragen, ohne häufige Überkopfarbeiten, ohne einseitige Belastung und Wirbelsäulenzwangshaltungen und ohne einseitige Belastung der rechten Hand bezüglich Muskelkraft, vollschichtig verrichten könne. Sodann hat das SG das berufskundliche Gutachten des Abschnittsleiters in der Arbeitsvermittlung P. vom 25. Mai 2000 eingeholt und die Klage durch Urteil vom gleichen Tage abgewiesen. Als Angelernter des oberen Bereiches müsse sich der Kläger auf die Tätigkeiten eines Maschinenbedieners in der Holz verarbeitenden Industrie und eines Garagenwartes zumutbar verweisen lassen.

13

Zur Begründung seiner hiergegen eingelegten Berufung verweist der Kläger auf eine nach der Reha-Behandlung eingetretene Verschlimmerung seiner orthopädischen Erkrankung und das Auftreten von Ohrgeräuschen.

14

Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

  1. 1.

    das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 10. Juli 2000 und den Bescheid der Beklagten vom 23. Juni 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Oktober 1997 aufzuheben,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, ihm vom 1. Februar 1997 bis 7. Dezember 1999 Übergangsgeld und

    ab 8. Dezember 1999 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit,

    hilfsweise,

    Rente wegen Berufsunfähigkeit, zu gewähren.

15

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

16

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

17

Der Senat hat im vorbereitenden Verfahren den Befundbericht des Arztes für Rheumatologie Dr. Q. vom 28. Oktober 2000 und des Facharztes für HNO-Heilkunde R. vom 21. November 2000 beigezogen.

18

Sodann hat der Senat die Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angehört.

19

Außer der Gerichtsakte hat die Verwaltungsakte der Beklagten vorgelegen und ist Gegenstand der Beratung gewesen.

20

II.

Die nach § 143 ff SGG statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden und somit zulässig.

21

Das Rechtsmittel ist nicht begründet.

22

Der Senat hat hierüber durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 SGG entscheiden können, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

23

Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, steht dem Kläger weder eine Rente wegen BU noch eine solche wegen EU nach den gemäß § 300 Abs. 2 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI) noch anwendbaren Vorschriften der §§ 43 bzw. 44 SGB VI, die bis zum 31. Dezember 2000 gegolten haben, zu, denn der Kläger ist weder berufs- noch erwerbsunfähig im Sinne der Absätze 2 dieser Vorschriften.

24

Hinsichtlich der Beurteilung der bei dem Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen und seines Restleistungsvermögens nimmt der Senat nach § 153 Abs. 2 auf die im Wesentlichen zutreffenden Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils (Seite 4 unten, Seite 5 oben) Bezug. Soweit in dem Befundbericht des Dr. Q. zusätzlich eine Fingerpolyarthrose und beginnende chronische Polyarthritis genannt sind, sind keine Befunde beschrieben, die eine Einschränkung über das in dem ärztlichen Entlassungsbericht vom 25. Januar 2000 angenommene Maß nahe legen. Dr. Q. gibt an, dass unter der Therapie mit Prednisolon eine Verschlechterung seit 1999 nicht eingetreten ist. Die entsprechende Gesundheitsstörung ist in ihrer Auswirkung auf das Erwerbsleben bereits in dem genannten Entlassungsbericht mit Beschränkung auf leichte körperliche Tätigkeit und der Einschränkung "Vermeidung von überwiegend einseitigen Belastungen der rechten Hand bezüglich der Muskelkraft" hinreichend berücksichtigt worden. Auch der berufskundige Sachverständige hat diese Einschränkung berücksichtigt. Die von dem Kläger bei der einmaligen Konsultation vom 22. September 2000 gegenüber dem HNO-Arzt R. geäußerte Hörminderung mit Ohrgeräuschen und Schwindel hat ebenfalls nicht zu einer weitergehenden Einschränkung des Restleistungsvermögens geführt. Der Facharzt hat die Innenohrhörstörung beidseits als geringgradig bezeichnet. Das lediglich subjektiv wahrnehmbare Ohrgeräusch hat nicht zu psychischen Auffälligkeiten mit Auswirkungen auf die Erwerbsfähigkeit geführt, und die Schwindelsymptomatik ist nicht durch entsprechende Befunderhebung abgeklärt worden. Ein Dauerleiden rentenberechtigenden Ausmaßes lässt sich daraus nicht ableiten.

25

Mit dem noch vorhandenen Restleistungsvermögen für leichte Tätigkeiten für körperliche leichte Arbeiten ohne häufiges Bücken, ohne einseitige Belastung und Wirbelsäulenzwangshaltungen, ohne häufige Überkopfarbeiten, ohne häufiges Heben und Tragen von Lasten über 20 kg, wie Dr. N. nachvollziehbar angenommen hat, ohne einseitige Belastung der rechten Hand bezüglich Muskelkraft und ohne besonderen Zeitdruck kann der Kläger seine zuletzt versicherungspflichtig ausgeübte Tätigkeit als Zimmermann nicht mehr ausüben. Er ist deswegen jedoch noch nicht berufsunfähig im Sinne von § 43 Abs. 2 SGB VI. Mit dem SG geht der Senat davon aus, dass der Kläger aufgrund seiner knapp zehnjährigen Tätigkeit im Zimmermannsberuf ohne die entsprechende Vollausbildung lediglich der Gruppe der oberen Angelernten im Sinne des vom Bundessozialgericht zur qualitativen Einordnung der Arbeiterberufe entwickelten Mehrstufenschemas zuzuordnen ist. Dafür, dass der Kläger nicht die volle Breite der aufgrund einer solchen Ausbildung auszuführenden Zimmermannsarbeiten verrichtet hat, spricht, dass er selbst sowohl gegenüber der Beklagten als auch gegenüber dem SG nur von einer Anlernung als Zimmermann gesprochen hat. Um eine Einstufung in die Gruppe der Facharbeiter vorzunehmen, reicht die tarifliche Einstufung durch den Arbeitgeber in die Spezialbaufacharbeitern vorbehaltene Lohngruppe III des Bautarifvertrages nicht aus, da der Zimmermann dort nicht ausdrücklich aufgeführt ist und die Angaben des Klägers lediglich für eine Anlernung sprechen. Die höhere tarifliche Einstufung durch den Arbeitgeber beruht somit auf anderen als den für die qualitative Wertigkeit maßgeblichen Kriterien. Als Angelernter im oberen Bereich muss sich der Kläger auf sämtliche, im angelernten Bereich seinem Restleistungsvermögen entsprechende Tätigkeiten und auf solche im ungelernten Bereich verweisen lassen, wobei ihm eine entsprechende Tätigkeit konkret zu benennen ist. Das ist hier, insoweit folgt der Senat den Angaben des berufskundigen Sachverständigen P., die Tätigkeit als Garagenwart. Der Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dass es sich dabei um eine Mischtätigkeit zwischen dem Kassierer und dem Parkhauswärter handelt, dessen Aufgabe das Kassieren in der Parkgarage, Kontrollen im Hause, der Ansprechpartner für die Parkkunden, die Fehlererkennung, ggf. Fehlerbeseitigung und die Fehlermeldung an Fachfirmen ist. Diese Tätigkeit ist körperlich leicht. Die vom Sachverständigen Dr. N. genannte Hebe- und Tragegrenze von 20 kg wird auch bei der Mithilfe bei der Reparatur von Schrankenanlagen nach den Bekundungen des berufskundigen Sachverständigen nicht überschritten. Die Tätigkeit wird nach dessen Angaben unterhalb der Facharbeiterebene im angelernten Bereich entlohnt.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.