Landessozialgericht Niedersachsen
Beschl. v. 22.08.2001, Az.: L 5 B 18/01 SB
Zum Anspruch auf Feststellungen nach dem Schwerbehindertengesetz (Anerkennung) eines vorübergehend geduldeten libanesischen Flüchtlings dessen Abschiebung lediglich vorübergehend ausgesetzt ist; Wohnsitz, Ort des gewöhnlichen Aufenthalts oder Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz in Deutschland als Voraussetzung für die Anerkennung als Schwerbehinderter
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen
- Datum
- 22.08.2001
- Aktenzeichen
- L 5 B 18/01 SB
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 15920
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2001:0822.L5B18.01SB.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - AZ: S 17 SB 586/99
Rechtsgrundlagen
- § 55 Abs.2 AuslG
- § 1 SchwbG
Prozessführer
XXX
Prozessgegner
Land Niedersachsen,
das Niedersächsische Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben - Landesversorgungsamt -, Domhof 1, 31134 Hildesheim,
hat der 5. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle
am 22. August 2001
durch
die Richterin C. - Vorsitzende -, den Richter D. und
die Richterin E.
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I .
Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Erstattung seiner außergerichtlichen Kosten.
Der am F. geborene Kläger ist libanesischer Staatsangehöriger. Er reiste am 1. Dezember 1991 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Mit Bescheid vom 23. Juni 1994 - bestandskräftig seit dem 5. April 1996 - verpflichtete das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Kläger zur Ausreise aus dem Bundesgebiet. Eine Abschiebung ist derzeit wegen fehlender Identitätsnachweise/Passpapiere nicht möglich. Der Kläger ist aufgrund dessen im Besitz einer Duldung gemäß § 55 Abs 2 Ausländergesetz (AuslG).
Am 9. April 1999 stellte der Kläger einen Erstantrag nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG). Diesen lehnte das Versorgungsamt (VA) Hannover ab. Eine Feststellung gemäß § 1 SchwbG erfolge für Personen, die ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 7 Abs 1 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzes hätten. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Ein rechtmäßiger Aufenthalt liege bei einer Duldung im Sinne des § 55 AuslG nicht vor, da sie die Abschiebung nur zeitweise aussetze, der Aufenthalt aber rechtswidrig bleibe (Bescheid vom 16. April 1999). Mit seinem Widerspruch vertrat der Kläger die Auffassung, die Duldung legalisiere oder legitimiere zumindest seinen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 1999 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Hiergegen erhob der Kläger am 15. November 1999 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Hannover, mit der er seinen Rechtsstandpunkt weiter vertrat und die Aufhebung der Bescheide vom 16. April und 13. Oktober 1999 begehrte.
Mit Schreiben vom 3. Februar 2000 wies das SG Hannover die Beteiligten auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 1. September 1999 - B 9 SB 1/99 R - hin. In diesem ist ausgeführt, dass das SchwbG behinderte Ausländer auch dann schütze, wenn sie sich nur geduldet seit Jahren in Deutschland aufhielten, ein Ende des Aufenthalts unabsehbar sei und die Ausländerbehörde gleichwohl keine Aufenthaltsbefugnis erteile. Im Hinblick auf dieses Urteil regte das SG Hannover an, den vorliegenden Rechtsstreit für erledigt zu erklären und den Kläger im Anschluss an medizinische Ermittlungen sachlich zu bescheiden. Außerdem wies das SG darauf hin, dass der Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen habe.
Mit Schriftsatz vom 14. März 2000 erklärte sich der Beklagte bereit, das Feststellungsverfahren nach dem SchwbG durchzuführen. Eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Klägers lehnte er ab. Aufgrund der neuen Rechtsprechung des BSG sei eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse eingetreten, die erst nach Erteilung der angefochtenen Bescheide bekannt geworden sei. Mit Schriftsatz vom 19. April 2000 nahm der Kläger das Anerkenntnis des Beklagten sinngemäß an und beantragte, diesem die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.
Mit Beschluss vom 21. Dezember 2000 entschied das SG Hannover, dass der Beklagte dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten habe. Die angefochtenen Bescheide seien von Anfang an rechtswidrig gewesen. Der Beklagte habe sich in diesen zu Unrecht darauf berufen, dass ein rechtmäßiger Aufenthalt des Klägers im Geltungsbereich des Schwerbehindertengesetzes nicht vorliege. Rechtmäßig halte sich auch derjenige Ausländer auf, der jahrelang geduldet sei und dessen Abschiebung nicht absehbar sei.
Gegen den ihm am 17. Januar 2001 zugestellten Beschluss hat der Beklagte am 26. Januar 2001 Beschwerde eingelegt, der das SG nicht abgeholfen hat. Zur Begründung des Rechtsmittels macht er Folgendes geltend: Die angefochtene Entscheidung der Verwaltung vom 16. April 1999 habe im Zeitpunkt ihres Erlasses der Sach- und Rechtslage entsprochen. Das Urteil des BSG, aufgrund dessen der Beklagte seine Rechtsposition aufgegeben und ein entsprechendes Anerkenntnis unterbreitet habe, sei erst am 1. September 1999 verkündet worden. Auch habe erst im Klageverfahren ermittelt werden können, ob der Kläger die entsprechenden Voraussetzungen erfülle.
Demgegenüber hält dieser die angefochtene Entscheidung für rechtmäßig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakte und der den Kläger betreffenden Schwerbehindertenakten des VA Hannover ergänzend Bezug genommen.
II.
Die gemäß § 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Beschwerde ist form- sowie fristgerecht eingereicht worden und auch im Übrigen zulässig.
Sie ist jedoch nicht begründet.
Der Beschluss des SG Hannover ist zutreffend.
Hat sich ein Verfahren - wie hier - durch angenommenes Anerkenntnis erledigt, entscheidet das Gericht gemäß § 193 Abs 1 SGG auf Antrag durch Beschluss, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Die Entscheidung ergeht nach sachgerechtem Ermessen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles. Dabei ist es in der Regel billig, dass derjenige die Kosten trägt, der unterliegt. Unter Berücksichtigung des Veranlassungsprinzips kann es aber auch sachgerecht sein, dass der obsiegende Beteiligte mit den Kosten belastet wird. Wird ein rechtmäßiger Verwaltungsakt angefochten und tritt während des Verfahrens eine Änderung der Sach- oder Rechtslage zu Gunsten des Klägers ein, der der Verwaltungsträger unverzüglich nach Kenntnis Rechnung trägt, wäre es unbillig, ihm die Kosten aufzuerlegen, die dem Kläger durch die Führung des Rechtsstreits entstanden sind (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 6. Auflage 1998, § 193 Rdnr. 12a ff).
Entgegen der Ansicht des Beklagten liegt ein derartiger Fall hier nicht vor. Vielmehr hat das SG zutreffend erkannt, dass die Bescheide des Beklagten von Anfang an rechtswidrig waren.
Der Beklagte hat eine sachliche Bescheidung des Antrags des Klägers auf Feststellungen nach dem SchwbG abgelehnt. Hierzu hat er die Rechtsauffassung vertreten, der Kläger erfülle nicht die Voraussetzungen des § 1 SchwbG, da er nur im Bundesgebiet geduldet sei und sich daher hier nicht rechtmäßig aufhalte. Unter bestimmten Voraussetzungen hält sich jedoch auch der geduldete Ausländer im hier maßgeblichen Zusammenhang rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland auf. Dies hat das BSG mit Urteil vom 1. September 1999 - B 9 SB 1/99 R - klargestellt. Eine Änderung der Rechtslage ist insoweit nicht eingetreten. Das BSG hat in der genannten Entscheidung festgestellt, wie der Begriff Rechtmäßigkeit im Sinne des § 1 SchwbG auszulegen ist. Dass diese Feststellung erst am 1. September 1999 getroffen worden ist, bedeutet nicht, dass der Begriff vorher in anderer Weise zu verstehen war. Für den Beklagten hat sich das allgemeine Prozessrisiko verwirklicht, dass die von ihm vertretene Rechtsauffassung nicht zutreffend gewesen ist und der Kläger die rechtlich erforderlichen Voraussetzungen erfüllt. Dass der Beklagte diese mangels vorheriger Kenntnis der Bedeutung des Begriffs Rechtmäßigkeit im Sinne des § 1 SchwbG erst im Klageverfahren ermitteln konnte, ist Ausfluss seines Prozessrisikos.