Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 07.06.2006, Az.: 6 A 1384/02
Auswirkung des Irak-Kriegs auf die Anerkennung eines irakischen Staatsangehörigen kurdischer Volkszugehörigkeit als Asylberechtigter; Rechtfertigung des Widerrufs einer Anerkennung als Asylberechtigter und der Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 73 Abs. 1 S. 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG); Abschiebungsverbot aus politischen Gründen; Wegfall einer drohenden Verfolgung durch Organe des zentralirakischen Regimes unter Saddam Hussein; Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sachlage und Rechtslage; Anwendbarkeit von § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG auf von Anfang an rechtswidrige Anerkennungsbescheide; Herleitung einer Fürsorgepflicht des Aufnahmestaates aus der Genfer Flüchtlingskonvention
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 07.06.2006
- Aktenzeichen
- 6 A 1384/02
- Entscheidungsform
- Endurteil
- Referenz
- WKRS 2006, 22498
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2006:0607.6A1384.02.0A
Rechtsgrundlagen
- § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG
- § 51 Abs. 1 AuslG
- § 53 AuslG
- § 60 Abs. 1 AufenthG
Amtlicher Leitsatz
Die Sachlage für die Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG hat sich nach dem Irak-Krieg entscheidungserheblich und damit in einer den Widerruf nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG rechtfertigenden Weise geändert.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid der Beklagten, mit dem seine Anerkennung als Asylberechtigter und die Gewährung von Abschiebungsschutz widerrufen worden ist.
Der am x.x.1964 in Sulaymania geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Er reiste im September 1995 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 26.09.1995 beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) seine Anerkennung als Asylberechtigter. Dazu erklärte er am 28.09.1995 im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt, dass er 1980 in Sulaymania die Mittelschule abgeschlossen habe. Von 1980 -1982 sei er als Schweißer in Sulaymania berufstätig gewesen. Im Jahre 1982 sei er Mitglied der KDP (Kurdisch-Demokratische Partei) geworden. Er habe zusammen mit vier anderen Personen die Aufgabe gehabt, Informationen über Stützpunkte der irakischen Armee im Gebiet Sulaymania zu sammeln und weiter zu geben, Propaganda für die KDP zu machen sowie Flugblätter zu verteilen.1983 sei er zur Ableistung des Wehrdienstes einberufen worden. Der Einberufung habe er nicht Folge geleistet, sondern sich in Sulaymania versteckt. Er habe dort von 1983 bis 1991 auch weiter als Schweißer gearbeitet. Während des Aufstandes im März 1991 sei er der Truppe 4 der KDP zugeteilt worden. Bis Dezember 1993 sei er bei dieser Truppe als Buchhalter in der Abteilung Rechnungswesen tätig gewesen. 1994 habe er sich bei der Polizei in Arbil um eine Einstellung als Offizier beworben. Er sei eingestellt worden und ab März 1994 für die Sicherheit und Bewachung der Häuser der Dozenten der Universität Arbil zuständig gewesen. Diese Tätigkeit habe er bis Mai 1995 ausgeübt. Im März 1994 (vermutlich: März 1995) habe ihn ein Mitglied der Baath - Partei aus Kirkuk angesprochen und ihm 5.000 US -Dollar geboten, wenn er einen bestimmten Dozenten töte. Er sei zum Schein auf dieses Angebot eingegangen. Da er unverzüglich den Leiter des Polizeiamtes in Arbil von diesem Angebot informiert habe, habe die kurdische Polizei das Mitglied der Baath - Partei in der Nacht vom 20.04./21.04.1995 festnehmen können. Der Festgenommene habe im Verhör alles gestanden. Über seine Festnahme sei im kurdischen Fernsehen berichtet worden, derzeit werde vor Gericht gegen ihn verhandelt. Im Juni 1995 sei ein Dozent der Universität Arbil aus dem fahrenden Auto erschossen worden. Er habe in dieser Zeit auch das Auto des Festgenommenen, das ihm der Leiter des Polizeiamtes geschenkt habe, an einen Offizierskollegen verliehen. Dieser sei bei einer Fahrt mit diesem Fahrzeug zusammen mit einem mitfahrenden Polizisten getötet worden, ein weiterer Polizist sei schwer verletzt worden. Er habe daraufhin beschlossen, Arbil zu verlassen und sich wieder nach Sulaymania zu begeben. Auch dort sei er seines Lebens nicht sicher gewesen, weil die irakische Regierung überall im Nordirak Anschläge ausführen könne. So sei auf die Frau des französischen Präsidenten Mitterand während ihres Besuchs im Nordirak 1993 auf der Fahrt von Sulaymania nach Halabja ein Sprengstoffanschlag verübt worden. Er habe den Schmuck seiner Ehefrau verkauft, um seine Ausreise zu finanzieren. Am 16.09.1995 habe er über Zakho illegal den Irak verlassen. Er sei dann nach Istanbul weitergefahren und habe sich dort bis zum 23.09.1995 in einem Hotel aufgehalten. Am 23.09.1995 sei er mit drei anderen, ihm unbekannten Personen von Istanbul nach Hannover geflogen. Am nächsten Tag habe er sich in Langenhagen als asylsuchend gemeldet. Seine Ehefrau und sein Kind habe er in Sulaymania gelassen.
Das Bundesamt erkannte ihn mit Bescheid vom 18.10.1995 als Asylberechtigten an und gewährte ihm zugleich Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG. Dazu wird ohne nähere Ausführungen auf den vom Kläger geschilderten Sachverhalt und die vorliegenden Erkenntnisse verwiesen. Ein Rechtsmittel wurde gegen diesen Bescheid nicht eingelegt.
Das Bundesamt leitete mit Verfügung vom 29.01.2002 ein Widerrufsverfahren ein, weil die Lage der Kurden im Nordirak nunmehr anders als zum Zeitpunkt des Erlasses des Anerkennungsbescheides einzuschätzen sei. Kurden seien jetzt im Nordirak vor Verfolgung sicher. Das Bundesamt hörte den Kläger mit Schreiben vom 01.02.2002 zu dem beabsichtigten Widerruf an. Der Kläger, dessen Prozessbevollmächtigten Akteneinsicht gewährt worden war, gab dazu keine Stellungnahme ab. Das Bundesamt widerrief mit Bescheid vom 26.03.2002 die mit Bescheid vom 18.10.1995 ausgesprochene Asylanerkennung und die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG. Zugleich lehnte es die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG ab. Dazu heißt es im Wesentlichen, die Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung eines Abschiebungsverbotes aus politischen Gründen seien zu widerrufen, weil dem Kläger im Nordirak und damit auch im Herkunftsort Sulaymania keine Verfolgung durch Organe des zentralirakischen Regimes unter Saddam Hussein mehr drohe. Im Nordirak übten die kurdischen Parteien KDP (Kurdisch-Demokratische Partei) und PUK (Patriotische Union Kurdistans) staatsähnliche Gewalt aus. Es bestünden keine Anzeichen dafür, dass die zentralirakische Regierung in absehbarer Zeit wieder die Gebietshoheit über die unter kurdischer Verwaltung stehenden Provinzen des Nordirak erlange. Der Kläger sei keine exponierte Person, die auch im Nordirak durch Aktivitäten irakischer Geheimdienste gefährdet sei. Dass ihm im Nordirak aus anderen, nicht politischen Gründen Verfolgungsmaßnahmen drohten, sei weder vorgetragen worden noch ersichtlich.
Der Kläger hat am 03.04.2002 Klage erhoben. Er hat zunächst (Schriftsatz vom 27.01. 2005) vorgetragen, der Widerrufsbescheid sei rechtswidrig, weil die politische Entwicklung des Irak auch nach den Wahlen im Januar 2005 unklar sei. Die Menschenrechtssituation im Irak habe sich bislang nicht verbessert, die irakischen Sicherheitskräfte würden insbesondere weiterhin Häftlinge foltern.
Dies belege der vorgelegte Artikel aus der Süddeutschen Zeitung vom 26.01.2005.
Mit Schriftsatz vom 22.05.2006 hat er dann vorgetragen, dass er 1997 für seine der KDP angehörenden Parteifreunde H. I. und J. etwa 20 kg Haschisch in seiner Wohnung versteckt habe. Er habe den Besitz des Haschisch der Polizei bei einer Hausdurchsuchung Ende September 1997 verheimlicht. Danach habe er das Haschisch durch die Toilette gespült. Am 02.10.1997 habe er bei der Polizei ein Geständnis abgelegt und dabei auch seinen Parteifreund H. I. belastet. Durch Urteil des AG Hannover - Schöffengericht - vom 07.01.1998 (Az.: K.) sei er wegen unerlaubten Besitzes von Haschisch in nicht geringer Menge zu 9 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Im Juli 1998 habe er dann vor der 3. großen Strafkammer des LG Hannover gegen Herrn H. I. (Anklagevorwurf: unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln) ausgesagt. Herr H. I. habe eine längere Freiheitsstrafe erhalten und sei nach der Verbüßung in den Nordirak zurückgekehrt. Herr J. habe sich der Strafverfolgung entzogen und lebe derzeit ebenfalls im Nordirak. Herr I. und Herr J. seien Angehörige eines einflussreichen Stammes im Nordirak und hätten innerhalb der kurdischen Regierung eine hohe Funktion inne. Beide hätten ihm Verrat vorgeworfen und ihn für den finanziellen Schaden verantwortlich gemacht. Insbesondere Herr H. I. habe ihn massiv bedroht. Polizeibeamte könnten im Rahmen einer Zeugenaussage die Gefährlichkeit von Herrn I. und von Herrn J. bestätigen. Er befürchte, dass er im Nordirak von dem Umfeld der Herrn I. und J., die großen politischen Einfluss hätten, verfolgt werde.
Dazu hat er in der mündlichen Verhandlung am 07.06.2006 ergänzend vorgetragen: Er habe Schwierigkeiten gehabt, den Vorfall mit dem Haschisch und die damit zusammenhängenden Bedrohungen dem Gericht zu offenbaren, weil er seine eigenen Parteifreunde nicht habe beschuldigen wollen. Deshalb habe er den Vorfall erst so spät offenbart. In Hannover habe es im Zusammenhang mit dem von ihm vernichteten Haschisch und der Aussage gegen Herrn H. I. keine weiteren konkreten Schwierigkeiten gegeben. Die von ihm im Strafverfahren belasteten Herrn I. und J. lebten auch seit längerer Zeit wieder im Irak. Sein Verhalten sei im Irak nicht vergessen worden und werde dort nicht vergessen. Er müsse auch davon ausgehen, dass seine Einreise in den Irak bekannt werde. Es bestehe deshalb die Gefahr, dass Angehörige von Herrn I. und Herrn J. persönlich Rache nehmen werden. Er habe außerdem Angst um seine Angehörigen - mittlerweile habe er auch 4 Kinder -, die er vor Nachstellungen durch KDP - Angehörige nicht schützen könne.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 26. März 2002 aufzuheben,
hilfsweise,
festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 26.03.2002. Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat sich nicht geäußert.
Wegen des weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (3 Bände) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der angefochtene Widerrufsbescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 26.03.2002 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten. Dem Kläger steht auch nicht der hilfsweise begehrte Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG zu.
Der Bescheid vom 26.03.2002 ist durch § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gedeckt. Diese im Bescheid ausdrücklich herangezogene Vorschrift bietet auch in der ab dem 01.01.2005 geltenden Fassung (Art. 3 Nr. 46 a des Zuwanderungsgesetzes vom 30.07. 2004 - BGBl. S. 1950 -) eine Rechtsgrundlage für den Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter und der Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG. Nach dieser Vorschrift sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG bzw. des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Davon ist im vorliegenden Fall auszugehen.
Die Asyl- und Flüchtlingsanerkennung ist nach dieser Vorschrift dann zu widerrufen, wenn sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in seinen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht (BVerwG, Urt. v. 01.11.2005 -1 C 21.04 - DVBl. 2006, 511; Urt. v. 25.08.2004, NVwZ 2005, 89; Urt. v. 19.09. 2000, BVerwGE 112, 80).
Die Sachlage hat sich nach Erlass des Bescheides des Bundesamtes vom 18.10.1995, mit welchem dem Kläger Asyl und Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG gewährt worden ist, entscheidungserheblich und damit in einer den Widerruf nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG rechtfertigenden Weise geändert. Dabei ist nicht auf den Zeitpunkt des Erlasses des Widerrufsbescheides vom 26.03.2002, sondern gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (07.06.2006) abzustellen. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob sich bereits im März 2002 die politische Situation im Irak gegenüber der zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 18.10.1995 bestehenden Situation entscheidungserheblich geändert hatte oder ob lediglich die Verfolgungssituation im Nordirak anders beurteilt worden ist. Letzteres hätte keinen Widerruf des Anerkennungsbescheides nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, sondern allenfalls dessen Rücknahme nach § 48 VwVfG gerechtfertigt (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.09.2000, BVerwGE 112, 80). Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung liegt jedenfalls eine entscheidungserhebliche Änderung der politischen Verhältnisse im Irak vor.
Dem Kläger ist mit Bescheid vom 18.10.1995 vermutlich - eine einzelfallbezogene Begründung enthält der Bescheid nicht - Asyl und Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG gewährt worden, weil ihm im Hinblick auf die von ihm geschilderte Tätigkeit für die KDP und die von ihm nach seinen Angaben verursachte Festnahme eines Mitgliedes der Baath - Partei asylrelevante Verfolgungsmaßnahmen durch Agenten der damaligen irakischen Zentralregierung gedroht haben.
Für derartige Verfolgungsmaßnahmen ist mit dem Sturz des Regimes unter Saddam Hussein im Jahr 2003 jegliche Grundlage entfallen. Auch im Zusammenhang mit der illegalen Ausreise aus dem Irak und dem in der Bundesrepublik Deutschland gestellten Asylantrag droht dem Kläger keine Verfolgung mehr. Davon kann bereits jetzt trotz der ansonsten unklaren und sich auch ändernden politischen Verhältnisse im Irak mit Sicherheit ausgegangen werden (vgl. dazu auch Nds. OVG, Beschl. v. 14.02.2006, 9 LB 264/03; Beschl. v. 30.03. 2004, NVwZ-RR 2004, 614; OVG Koblenz, Beschl. v. 26.02.2004, AuAS 2004, 119). In Folge des Irak-Krieges vom 20. März bis 01. Mai 2003 ist das bis zum Kriegsausbruch herrschende, maßgeblich von der irakischen Baath-Partei und dem persönlichen Einflussbereich der Familie des früheren Herrschers Saddam Hussein geprägte Herrschaftssystem im Irak zusammengebrochen. Die Militäraktionen führten zur Auflösung der staatstragenden Organisationen des Regimes wie beispielsweise der Baath - Partei, der Republikanischen Garde, der Armee und der Geheimdienste. Der größte Teil der früheren Regierungsmitglieder und der maßgebenden Träger der staatlichen Gewalt ist getötet, verhaftet, untergetaucht oder geflohen. Saddam Hussein selbst wurde am 13.12.2003 festgenommen (siehe Lagebericht Irak des Auswärtigen Amtes vom 07.05.2004, Stand: April 2004 S. 2/3). Derzeit wird gegen ihn und weitere Repräsentanten seines Regimes vor einem irakischen Sondergericht verhandelt (vgl. Lagebericht Irak des Auswärtigen Amtes vom 24.11.2005 - Stand: November 2005 - S. 6).
Die Kammer kann offen lassen, ob der Anerkennungsbescheid des Bundesamtes vom 18.10.1995 von Anfang an rechtswidrig gewesen ist, weil der Kläger bereits zu diesem Zeitpunkt im Nordirak und damit auch in Sulaymania vor Verfolgungsmaßnahmen der irakischen Zentralregierung unter Saddam Hussein sicher gewesen ist. Der 9. Senat des Nds. OVG ist abweichend von der Rechtsprechung des zuvor zuständigen 2. Senates des Nds. OVG (Beschl. v. 12.03.1997, 2 L 6436/97; Urt. v. 24.08.1993, 2 L 659/91) seit dem Urteil vom 08.09.1998 (9 L 2142/98) in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, dass irakische Staatsangehörige bereits seit 1991 in den unter kurdischer Verwaltung stehenden Gebieten des Nordirak und damit auch in Sulaymania, dem Herkunftsort des Klägers, vor einer Verfolgung durch Organe der irakischen Zentralregierung grundsätzlich sicher gewesen sind. Der Kläger hat allerdings bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt am 28.09.1995 nachdrücklich geltend gemacht, ihm hätten wegen seiner Tätigkeit für die KDP und der von ihm verursachten Festnahme eines Mitgliedes der Baath - Partei ganz erhebliche Verfolgungsmaßnahmen durch Agenten der damaligen irakischen Zentralregierung gedroht. Der 9. Senat des Nds. OVG hat dazu in ebenfalls gefestigter Rechtsprechung angenommen, dass auch nach 1991 und damit auch im Jahr 1995 in den unter kurdischer Verwaltung stehenden Gebieten des Nordirak Agenten des irakischen Geheimdienstes tätig gewesen sind und Maßnahmen gegen Personen ergriffen haben, die sich in besonderer Weise als Oppositionelle exponiert haben bzw. dafür gehalten worden und die deswegen in das Blickfeld des zentralirakischen Regimes unter Saddam Hussein geraten sind (Urt. v. 05.06.2001, 9 L 2561/00, Urt. v. 25.04.2001, 9 L 1613/99). Danach kann unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers bei seiner Anhörung am 28.09. 1995 durchaus angenommen werden, er sei im Oktober 1995 im Nordirak nicht vor Verfolgungsmaßnahmen des zentralirakischen Staates sicher gewesen. Ob dies der Fall und der Anerkennungsbescheid des Bundesamtes vom 18.10.1995 deshalb rechtmäßig gewesen ist, bedarf keiner abschließenden Entscheidung des Gerichts.
In der Rechtsprechung des BVerwG (Urt. v. 25.08.2004, NVwZ 2005, 89 [BVerwG 25.08.2004 - BVerwG 1 C 22.03]) und des Nds.OVG (Beschl. v. 10.12.2004, 9 LA 313/04) ist geklärt, dass § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auch auf von Anfang an rechtswidrige Anerkennungsbescheide des Bundesamtes angewandt werden kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Bundesamt bei seiner Entscheidung einen verfolgungssicheren Teil des Herkunftslandes nicht berücksichtigt hat. Da § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG sowohl auf rechtmäßige als auch auf rechtswidrige Bescheide anzuwenden ist, kommt es lediglich darauf an, ob sich die Verfolgungssituation im Irak nach Erlass des Bescheides des Bundesamtes vom 18.10.1995 geändert hat. Davon ist - wie bereits dargelegt - bezogen auf den maßgebenden Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auszugehen.
Dem Kläger droht derzeit auch nicht aus anderen Gründen eine Verfolgung im Sinne des nunmehr geltenden § 60 Abs. 1 AufenthG. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer in Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S . 559) nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist.
Der Kläger, der sich im Verwaltungsverfahren zu dem beabsichtigten Widerruf nicht geäußert hat, hat im gerichtlichen Verfahren zunächst (Schriftsatz vom 27.01.2005) nur geltend gemacht, der Widerrufsbescheid sei rechtswidrig, weil die politische Entwicklung des Irak nach den Wahlen im Januar 2005 weiterhin unklar sei und sich insbesondere die Menschenrechtssituation nicht verbessert habe. Insbesondere würden irakische Sicherheitskräfte weiterhin Häftlinge foltern. Mit diesem, durch einen Zeitungsartikel (Süddeutsche Zeitung vom 26.01.2005, GA Bl. 30) belegten Hinweis hat der Kläger nicht dargetan, dass ihm im Falle der Rückkehr in den Irak in Anknüpfung an ein in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bezeichnetes asylrelevantes Merkmal die konkrete Gefahr droht, der Folter unterworfen zu werden.
Die vom Kläger angesprochene ungeklärte und unsichere politische Situation im Irak steht dem Widerruf der Flüchtlingsanerkennung ebenfalls nicht entgegen. Das BVerwG hat dazu im Urteil vom 01.11.2005(1 C 21.04, DVBI. 2006, 511) ausgeführt:
"Dagegen werden allgemeine Gefahren (z.B. auf Grund von Kriegen, Naturkatastrophen oder einer schlechten Wirtschaftslage) von dem Schutz des Art. 1 A Nr. 2 GFK nach Wortlaut und Zweck dieser Bestimmung ebenso wenig umfasst wie von Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK (anders offenbar die UNHCR-Richtlinien zum internationalen Schutz: Beendigung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Art. 1 C (5) und (6) des Abk. von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 10. Februar 2003, NVwZ Beilage Nr. I 8/2003, S. 57 <59>, wo u.a. eine "angemessene Infrastruktur" verlangt wird, "innerhalb derer die Einwohner ihre Rechte ausüben können, einschließlich ihres Rechtes auf eine Existenzgrundlage"). Ob dem Ausländer wegen allgemeiner Gefahren im Herkunftsstaat eine Rückkehr unzumutbar ist, ist beim Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung mithin nach § 73 Abs. 1 AsylVfG nicht zu prüfen. Schutz kann insoweit nach den allgemeinen Bestimmungen des deutschen Ausländerrechts gewährt werden (vgl. namentlich § 60 Abs. 7 Satz 2 und § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG )."
Das BVerwG hat damit auch entschieden, dass aus der Genfer Flüchtlingskonvention keine Fürsorgepflicht des Aufnahmestaates abzuleiten ist, die es - wie vom Kläger in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht worden ist - verbietet, eine Asyl- oder Flüchtlingsanerkennung bei politisch unsicheren Verhältnissen, einer schlechten Wirtschaftslage und/oder einer schlechten Sicherheitslage zu widerrufen. Auch das Nds.OVG hat bereits entschieden, dass ein Widerruf nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG keine umfassende Klärung der politischen Situation im Herkunftsstaat voraussetzt (Beschl. v. 01.03.2005, Nds.Rpfl. 2005, 257).
Die vom Kläger erstmals im Schriftsatz vom 22.05.2006 angesprochene mögliche Bedrohung durch Angehörige des Stammes I. rechtfertigt nicht die Annahme drohender Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG und steht deshalb dem Widerruf von Asyl und Abschiebungsschutz ebenfalls nicht entgegen. Es kann ohne Einholung der vom Kläger schriftsätzlich beantragten Stellungnahme des Auswärtigen Amtes zwar davon ausgegangen werden, dass der Stamm I. insbesondere in den Provinzen Arbil und Dohuk sehr einflussreich ist. So heißt es in der Auskunft des Deutschen Orient Instituts vom 24.07.2000 an das VG Trier:
"Die I. s sind die "Leitfamilie" der KDP, ihr Oberhaupt, der gegenwärtige KDP-Führer M. I., ist die politische Schlüsselfigur in den von der KDP beherrschten Gebieten. Diese Sippe ist ziemlich groß und bedeutsam, sie hat aber zahlreiche Unterstämme und Untersippen und sie hat auch verbündete Sippen...."
Ausweislich des Lageberichts Irak des Auswärtigen Amtes vom 24.11.2005 (Stand: November 2005) ist M. I. weiterhin Parteiführer der KDP, welche die Kontrolle über die Provinzen Arbil und Dohuk ausübt.
Das Vorbringen des Klägers lässt aber bereits nicht erkennen, dass eine mögliche Verfolgung durch Mitglieder des Stammes I. an ein in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bezeichnetes asylrelevantes Merkmal (Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, politische Überzeugung) anknüpfen würde. Der Kläger macht geltend, er sei von Herrn H. I. massiv bedroht worden, weil er gegen ihn in einem Strafverfahren ausgesagt habe. Außerdem habe er 20 kg Haschisch, das ausweislich der Gründe des Urteils des Amtsgerichts Hannover vom 07.01.1998 wohl Herrn I. gehört hat, durch die Toilette gespült und damit vernichtet. Daraus resultierende Verfolgungsgefahren haben keinen Bezug zu den in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG angeführten asylrelevanten Merkmalen. Dies hat bislang auch der Kläger nicht geltend gemacht.
Dem Widerruf der Gewährung von Abschiebungsschutz steht auch § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG nicht entgegen. Danach ist von einem Widerruf abzusehen, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Das BVerwG hat bereits entschieden, dass § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG nur eingreift, wenn es dem Flüchtling im Hinblick auf die ursprünglichen Verfolgungsgründe und -umstände nicht zuzumuten ist, in seinen Heimatstaat zurückzukehren (BVerwG, Urt. v.01.11.2005 -1 C 21.04 - DVBl. 2006, 511; ebenso OVG Saarlouis, Beschl. v. 30.03. 2005, Asylmagazin 2005, 38; Urteil der Kammer vom 10.02. 2005, 6 A 4438/04). Diese Vorschrift soll der Sondersituation solcher Personen Rechnung tragen, die ein besonders schweres, nachhaltig wirkendes Verfolgungsschicksal erlitten haben und denen es deshalb selbst lange Zeit danach - auch ungeachtet veränderter Verhältnisse - nicht zumutbar ist, in den früheren Verfolgerstaat zurückzukehren (BVerwG, Urt. v. 01.11.2005, a.a.O.). Das Vorliegen derartiger Umstände ist weder von dem Kläger einzelfallbezogen geltend gemacht worden noch ansonsten ersichtlich.
Die in der mündlichen Verhandlung erörterte Vorschrift des Art. 11 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 - sog. Qualifikationsrichtlinie - gewährt dem Kläger keinen über § 73 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 AsylVfG hinausgehenden Schutz vor einem Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung. Nach Art. 11 Abs. 1 e der Richtlinie ist ein Drittstaatsangehöriger nicht mehr Flüchtling, wenn er nach Wegfall der Umstände, aufgrund deren er als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Art. 11 Abs. 2 dieser Richtlinie bestimmt dazu, dass die Mitgliedsstaaten bei der Prüfung von Abs. 1 Buchstabe e) zu untersuchen haben, ob die Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend ist, so dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann.
Diese Richtlinie entfaltet noch keine unmittelbare Wirkung, weil die Umsetzungsfrist nach Art. 38 Abs. 1 erst am 10.10.2006 endet und damit noch nicht abgelaufen ist. Sie schränkt deshalb derzeit das Widerrufsrecht nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht ein (vgl. dazu Nds. OVG, Urt. v. 16.06.2006, 9 LB 194/06; OVG Koblenz, Urt. v. 19.05.2006, 10 A 10795/05; Bay.VGH, Beschl. v. 14.03.2006, 13 a B 05.30773). Im Übrigen entspricht Art. 11 Abs. 1 e der Richtlinie wörtlich dem Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 der Genfer Flüchtlingskonvention. Für diese Vorschrift hat das BVerwG (Urt. v. 01.11.2005, DVBl. 2006, 511) bereits entschieden, dass der Gesetzgeber mit § 73 Abs. 1 AsylVfG erkennbar die Beendigungsgründe nach Art. 1 C Nr. 5 und 6 der Genfer Flüchtlingskonvention hat übernehmen und als Widerrufstatbestand hat ausgestalten wollen. Die Vorschrift des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ist deshalb so auszulegen, dass sie ihrem Inhalt nach Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 der Genfer Flüchtlingskonvention entspricht. Dies lässt den Schluss zu, dass § 73 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 AsylVfG bereits jetzt im Einklang mit Art. 11 Abs. 1 e der Richtlinie stehen. Dass nur eine nachträgliche erhebliche und nicht nur vorübergehende Änderung der für die Anerkennung maßgebenden Umstände den Verlust der Flüchtlingseigenschaft rechtfertigt, ist nicht nur in Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie ausgesprochen, sondern für § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG vom BVerwG mit Urteil vom 01.11.2005 (DVBl. 2006, 511) ausdrücklich entschieden worden.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf den hilfsweise begehrten Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG (früher § 53 AuslG). Die insoweit ablehnende, noch zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG ergangene Entscheidung des Bundesamtes im Bescheid vom 26.03.2002 ist nicht zu beanstanden.
Das Bundesamt ist berechtigt gewesen, mit dem durch Bescheid vom 26.03.2002 ausgesprochenen Widerruf der Flüchtlingsanerkennung auch erstmals eine Entscheidung über das Bestehen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG) zu treffen (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.04.1999 - 9 C 29/98 - InfAuslR 1999, 373).
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG. Sein Vorbringen bietet keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass ihm seitens staatlicher irakischer Stellen Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 2, 3 und 5 AufenthG drohen könnten. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich einer konkreten Gefahr, im Irak gefoltert zu werden (§ 60 Abs. 2 AufenthG). Der Kläger hat dazu ohne einzelfallbezogene Ausführungen nur einen Zeitungsartikel (Süddeutsche Zeitung vom 26.01.2005) vorgelegt, der nicht die Annahme zulässt, dass jedem aus dem Ausland zurückkehrendem irakischen Staatsangehörigen die konkrete Gefahr der Folter droht.
Die Kammer hat auch nicht hinreichend sicher feststellen können, dass der Kläger bei einer Abschiebung in den Irak einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausgesetzt ist. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese Vorschrift setzt zwar ebenso wie die wortgleiche Vorgängervorschrift des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG nicht voraus, dass die konkrete Gefahr von einem der in § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG genannten Organe und Akteure ausgeht (vgl.VGH Mannheim, Urt. v. 04.05. 2006 - A 2 S 1046/05 -; sowie BVerwG, Urt. v. 12.07.2001, BVerwGE 115, 1[BVerwG 12.07.2001 - 1 C 5/01]; Urt. v. 17. 10.1995, BVerwGE 99, 324[BVerwG 17.10.1995 - 9 C 9/95] zu § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG). Auch ist nicht erforderlich, dass die Gefahr in Anknüpfung an ein in § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bezeichnetes asylrelevantes Merkmal droht.
Es ist aber nicht glaubhaft, dass dem Kläger - wie von ihm geltend gemacht - derzeit eine konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit durch Angehörige des Stammes I. droht. Der Kläger hat im Schriftsatz vom 22.05.2006 ohne zeitliche Angaben pauschal behauptet, Herr H. I. habe ihn massiv bedroht. Die den behaupteten Bedrohungen zugrunde liegenden Vorfälle haben sich nach den Angaben des Klägers und den dazu vorgelegten Unterlagen (Urteil des AG - Schöffengericht -Hannover vom 07.01.1998, Ladung als Zeuge zum Termin am 20.07.1998 vor der 3. Großen Strafkammer des LG Hannover) im September 1997 (Vernichtung von 20 kg Haschisch) und im Juli 1998 (Zeugenaussage gegen Herrn H. I.) ereignet. Der Kläger hat erstmals im Schriftsatz vom 22.05.2006 und damit etwa 2 Wochen vor der mündlichen Verhandlung am 07.06. 2006 geltend gemacht, er sei wegen dieser 8 - 9 Jahre zurückliegenden Vorfälle massiv von Herrn H. I. bedroht worden. Er hat eine derartige Bedrohung weder im Rahmen des Widerrufsverfahrens vor dem Bundesamt im Jahre 2002 noch im Schriftsatz vom 27.01.2005, mit dem er die Klage ergänzend begründet hat, angesprochen. In der Klageschrift vom 03.04.2002 hat er nur auf die Entscheidung des BVerwG vom 19.09.2000 (BVerwGE 112, 80) verwiesen. Das gesamte Vorbringen des Klägers bis zum Schriftsatz vom 22.05.2006 hat noch nicht einmal andeutungsweise erkennen lassen, er sei von Angehörigen des Stammes I. bedroht worden. Eine plausible Erklärung, weshalb er erstmals zwei Wochen vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung auf eine Gefährdung durch Mitglieder des Stammes I. hinweist, hat er auch in der mündlichen Verhandlung nicht abgegeben. Er hat dazu lediglich erklärt, er habe sich nicht früher offenbart, weil er seine Parteifreunde nicht habe beschuldigen wollen. Dies ist nicht nachvollziehbar. Der Kläger hat nach seinen eigenen Angaben in den Jahren 1997/1998 seine Parteifreunde erheblich belastet. Er hat sie nach seinem eigenen Vortrag mit seinen Angaben der Gefahr einer Strafverfolgung ausgesetzt, die im Falle des Herrn H. I. nach seinem Vortrag auch zur Verhängung einer längeren Freiheitsstrafe geführt hat. Weshalb es dem Kläger trotz dieses, auch im Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 07. 01.1998 gewürdigten Verhaltens nicht möglich gewesen ist, die behaupteten Bedrohungen zeitnah, spätestens bei der Anhörung vor dem Bundesamt im Februar 2002 zu offenbaren, ist nicht erkennbar geworden. Dies lässt den Schluss zu, dass es derartige Bedrohungen überhaupt nicht gegeben hat oder dass sie seit mehreren Jahren, zumindest seit 2002, nicht mehr aktuell sind.
Der Kläger hat im Übrigen sein diesbezügliches Vorbringen auch in der mündlichen Verhandlung nicht näher konkretisiert. Er hat weder angegeben, wann er von Herrn H. I. bedroht worden ist noch in welcher Form dies geschehen ist. Er hat vielmehr in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass es in Hannover keine weiteren konkreten Vorfälle gegeben habe. Herr J. und Herr I. hielten sich jetzt auch im Irak auf.
Der Kläger ist außerdem nicht gehalten, in den Einflussbereich der KDP, deren Mitglieder nach seinen Angaben Herr J. und Herr I. sind, zurückzukehren. Er ist in Sulaymania geboren, hat dort die Schule besucht und lange Zeit dort auch als Schweißer gearbeitet. Nach seinen eigenen Angaben ist er nur von März 1994 bis Mai 1995 in Arbil und damit im Einflussbereich der KDP tätig gewesen. Er ist nach Aufgabe dieser Tätigkeit wieder nach Sulaymania zurückgekehrt. Dort haben auch seine Ehefrau - die Klägerin zu 1) im Verfahren 6 A 1385/02 - und sein am 25.02.1994 geborenes Kind P. gelebt. Sulaymania liegt ebenso wie die gleichnamige Provinz im Einflussbereich der PUK, deren Parteiführer Tschalal Talabani derzeit Staatspräsident des Irak ist.
Nur ergänzend und nicht entscheidungstragend weist die Kammer darauf hin, dass ihr nach der mündlichen Verhandlung am 07.06.2006 bekannt geworden ist, dass sich ein Herr H. I. seit dem 22.03.2004 in stationärer Behandlung im Landeskrankenhaus L. befindet. Er ist mit Bescheid der Landeshauptstadt M. vom 31.01.2002 aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden, weil er durch Urteil des Landgerichts M. vom N..1998 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Haschisch in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 9 Monaten verurteilt worden ist. Gegen den Ausweisungsbescheid hat Herr H. I., vertreten durch seinen Betreuer, am 14.06.2006 Untätigkeitsklage (6 A 3694/06) erhoben.
Dem Kläger steht auch nicht wegen der allgemein schwierigen Lebensverhältnisse im Irak Abschiebungsschutz zu. Die allgemein schwierigen Lebensverhältnisse und eine schlechte Versorgungslage im Herkunftsland rechtfertigen nach der Rechtsprechung des BVerwG (Urt. v. 12.07.2001, BVerwGE 115, 1[BVerwG 12.07.2001 - 1 C 5/01]; Urt. v. 08.12.1998, NVwZ 1999, 666) und des Niedersächsischen OVG (Beschl. v. 30.06.2004, 9 LB 53/04; Beschl. v. 30.03.2004, NVwZ-RR 2004,614 [BVerfG 27.04.2004 - 2 BvR 1318/03]) zu der wortgleichen Vorgängervorschrift des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG, der sich die Kammer bereits angeschlossen hat (Urt. der Kammer vom 03.08.2005, 6 A 5711/02 und 6 A 7158/03), auch dann keinen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wenn sie zu einer individuellen Gefährdung des betroffenen Ausländers führen. Eine extreme allgemeine Gefahrenlage, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigt, besteht derzeit im Irak nicht. Davon wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung - soweit ersichtlich - noch einhellig ausgegangen(vgl. Nds.OVG, Beschl. v. 30.06. 2004, 9 LB 53/04; Beschl. v. 30.03. 2004, NVwZ-RR 2004,614; VGH Mannheim, Urt. v. 16.09. 2004, A 2 S 471/02; OVG Münster, Beschl. v. 06.07.2004, 9 A 1406/02.A; OVG Koblenz, Beschl. v. 26.02.2004, AuAS 2004, 119; Bay. VGH, Urt. v. 03.03.2005, 23 B 04.30631; Urt. v. 13.11.2003, AuAS 2004, 43; OVG Schleswig, Beschl. v. 28.10.2003, 1 LB 41/03; a.A. VG Lüneburg, Urt. v. 25.11.2005, 6 A 260/05; VG Köln, Urt. v. 17.06. 2005, 18 K 5407/01 .A).
Im Übrigen ist nach der Rechtsprechung des BVerwG (Beschl. v. 17.09.2005, 1 B 13/05; Urt. v. 12.07.2001 -1 C 2/01 - BVerwGE 114, 379, 385[BVerwG 12.07.2001 - 1 C 2/01]; ebenso Sächsisches OVG, Beschl. v. 30.03.2005, AuAS 2005,149) ein Durchbrechen der Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG (jetzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG) dann nicht geboten, wenn zwar kein Abschiebestopp nach § 54 AuslG (jetzt § 60 a Abs. 1 AufenthG) erlassen worden ist, die sonstige ausländerrechtliche Erlasslage dem Ausländer aber einen vergleichbar wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittelt. Davon ist im Falle irakischer Staatsangehöriger und damit auch im Falle des Klägers noch immer auszugehen (vgl. auch Nds. OVG, Beschl. v. 14.02.2006, 9 LB 264/03).