Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 07.06.2006, Az.: 6 A 1680/04
Auswirkung des Irak-Kriegs auf die Anerkennung eines irakischen Staatsangehörigen arabischer Volkszugehörigkeit aus dem Zentralirak als Asylberechtigter; Rechtfertigung des Widerrufs einer Anerkennung als Asylberechtigter und der Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 73 Abs. 1 S. 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG); Veränderung der politischen Situation im Irak durch die begonnene Militäraktion einer Koalition unter Führung der USA; Wegfall einer drohenden Verfolgung durch Organe des zentralirakischen Regimes unter Saddam Hussein; Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sachlage und Rechtslage; Nachträgliche erhebliche Änderung der zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 07.06.2006
- Aktenzeichen
- 6 A 1680/04
- Entscheidungsform
- Endurteil
- Referenz
- WKRS 2006, 22503
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2006:0607.6A1680.04.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- NULL
Rechtsgrundlagen
- § 73 Abs. 1 S. 1 AsylVfG
- § 51 Abs. 1 AuslG
- § 53 AuslG
- § 60 Abs. 1 AufenthG
- § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG
Verfahrensgegenstand
Widerruf der Asylanerkennung (Zentralirak - Kirkuk)
Amtlicher Leitsatz
Die Sachlage für die Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG hat sich nach dem Irak-Krieg entscheidungserheblich und damit in einer den Widerruf nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG rechtfertigenden Weise geändert. Das gilt auch für Asylberechtigte aus dem Zentralirak (hier: Kirkuk).
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Anerkennung als politischer Flüchtling.
Der am G..1975 in Kirkuk geborene Kläger ist irakischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit. Er reiste im Mai 1999 in die Bundesrepublik Deutschland ein und wurde am 26.05.1999 von einer Zollstreife in Süderlügum (Kreis Nordfriesland) angehalten. Im Rahmen seiner Vernehmung gab er an, dass er H. I. J. heiße und am x.x.1972 in Kirkuk geboren sei. Er sei mit einem LKw von der Türkei nach Deutschland gefahren und halte sich hier seit dem 20.05.1999 auf. Nachdem er um Asyl nachgesucht und 2400 DM als Sicherheitsleistung für die Abschiebekosten gezahlt hatte, wurde er mit der Aufforderung freigelassen, sich bis zum 27.05.1999 in der Aufnahmeeinrichtung Lübeck zu melden. Dort meldete er sich nicht.
Am 03.06.1999 beantragte er unter dem Namen B. bei der Außenstelle Braunschweig des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) seine Anerkennung als Asylberechtigter. Dazu erklärte er am 08.06.1999 im Rahmen seiner Anhörung vor dem Bundesamt, dass er B. heiße und auch nur diesen Namen habe. Personalpapiere könne er allerdings nicht vorlegen, weil er diese in Kirkuk gelassen habe. Er sei am 01.06.1999 mit einem Flugzeug von Istanbul nach Hannover in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Der Schleuser habe ihm die Bordkarte und das Ticket in Hannover abgenommen. Er habe in Kirkuk seine schulischen Ausbildung mit dem Abitur abgeschlossen und dann zwei Jahre lang an der Medizinischen Fachhochschule studiert. Dieses Studium zum Medizinisch Technischen Assistenten habe er am 15.10.1995 beendet. Danach habe er bis zum 29.07.1997 Wehrdienst geleistet. Vom 12.12.1997 bis 16.01.1999 habe er als Medizinisch Technischer Assistent in der Notaufnahme der Poliklinik in Kirkuk gearbeitet. Am 10.01.1999 habe ihn ein Freund gebeten, einen Freund dieses Freundes, der eine Schussverletzung erlitten hatte, zu behandeln. Dies habe er trotz seiner Bedenken getan. 3 Tage später sei die von ihm behandelte Person auf dem Weg von Kirkuk nach Sulaymania verhaftet worden. Sie habe bei der Vernehmung durch den irakischen Geheimdienst seinen Namen verraten. Kurz danach sei sein Freund verhaftet worden. Dies habe ihm dessen Familie erzählt. Am 16.01.1999 habe ihm der Pförtner der Poliklinik gesagt, dass 4 Mitarbeiter des Geheimdienstes in der Klinik anwesend seien und nach ihm gefragt hätten. Er habe daraufhin seinen Arbeitsbereich in der Notaufnahme verlassen und sich bei einem Freund in Kirkuk versteckt. Am 05.02.1999 habe er von der Mutter seines Freundes erfahren, dass sein Vater verhaftet worden sei. Am 18.02.1999 habe er Kirkuk mit einem PKw in Richtung Mosul verlassen. Dort habe ersieh bis zum 11.03.1999 aufgehalten. Dann habe er mit einem Lkw den Irak verlassen und sei noch am gleichen Tage, dem 11.03.1999, in Adana/Türkei angekommen. Dort habe er einen Bus nach Istanbul genommen. Er sei am 12.03.1999 in Istanbul angekommen und habe sich dort bis zum 01.06.1999 aufgehalten. An diesem Tage sei er mit einem Flugzeug der Turkish Airlines von Istanbul nach Hannover geflogen.
Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte zwar mit Bescheid vom 10.08.2000 eine Anerkennung des Klägers als Asylberechtigten ab, gewährte ihm aber zugleich Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG. Dazu heißt es im Wesentlichen, die für den 01.06.1999 behauptete Einreise auf dem Luftweg sei nicht glaubhaft, weil der Kläger bereits am 26.05.1999 von einer Zollstreife in Süderlügum angehalten worden sei. Ihm sei jedoch Abschiebungsschutz zu gewähren, weil auf Grund des von ihm bei der Anhörung geschilderten Sachverhalts und der vorliegenden Erkenntnisse davon auszugehen sei, dass ihm bei einer Rückkehr in den Irak politische Verfolgung drohe. Rechtsmittel wurden gegen diesen Bescheid nicht eingelegt.
Das Bundesamt leitete mit Verfügung vom 19.02.2004 ein Widerrufsverfahren ein und hörte den Kläger mit Schreiben vom 04.03.2004 zu einem beabsichtigten Widerruf der Flüchtlingsanerkennung an. Der Kläger erklärte dazu mit Schreiben vom 21.03.2004, dass sich die politische und wirtschaftliche Situation im Irak verschlechtert habe. Gerade in seiner Heimatstadt Kirkuk herrschten starke Konflikte zwischen Kurden und Arabern. Kirkuk solle auch die Hauptstadt von Kurdistan werden. Er habe gehört, dass Kurden im Dezember 2003 das Haus der Familie in Besitz genommen hätten. Seitdem habe er keinen Kontakt mehr zur Familie. Sein Vater sei Offizier in der irakischen Armee gewesen. Er sei im Juli 2003 festgenommen worden. Auch von ihm habe er seitdem nichts mehr gehört. Außerdem müsse berücksichtigt werden, dass er schon seit 4 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland lebe.
Das Bundesamt widerrief mit Bescheid vom 25.03.2004 die mit Bescheid vom 10.08.2000 ausgesprochene Flüchtlingsanerkennung und lehnte zugleich die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 53 AuslG ab. Dazu heißt es im Wesentlichen, die politische Situation im Irak habe sich durch die am 20.03.2003 begonnene Militäraktion einer Koalition unter Führung der USA grundsätzlich verändert. Von dem ehemaligen Regime unter Saddam Hussein könne keine politische Verfolgung mehr ausgehen. Der Kläger habe auch nicht aufgezeigt, dass ihm derzeit aus anderen Gründen Verfolgungsmaßnahmen im Falle der Rückkehr in den Irak drohten. Die Kurden versuchten zwar, in Kirkuk an Einfluss zu gewinnen. Der kurdische Gouverneur der Provinz sei aber um einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen bemüht. Die schlechte Sicherheits- und Versorgungslage im Irak begründe grundsätzlich keinen individuellen Abschiebungsschutz. Eine extreme Gefahrenlage, die ausnahmsweise eine andere Beurteilung rechtfertige, bestehe im Irak nicht. Außerdem hätten irakische Staatsangehörige auf Grund der derzeitigen Beschlusslage der Innenministerkonferenz keine Abschiebung in den Irak zu befürchten.
Der Kläger hat am 01.04.2004 Klage erhoben. Er trägt vor: Der Widerrufsbescheid sei rechtswidrig, weil die zukünftige Entwicklung des Irak noch immer unklar sei und ein Widerruf der Flüchtlingsanerkennung erst nach einer sorgfältigen Beobachtung der politischen Situation im Herkunftsstaat erfolgen dürfe. Dies gebiete die aus der Genfer Flüchtlingskonvention abzuleitende Fürsorgepflicht des Aufnahmestaates. Als arabischer Volkszugehöriger gehöre er in Kirkuk auch einer Minderheit an und sei durch die dort herrschenden Spannungen zwischen Kurden und Arabern gefährdet. Da er außerhalb von Kirkuk über keine Sozialbindungen verfüge, könne er an keinem anderen Ort im Irak seinen Lebensunterhalt sicherstellen. Er befinde sich außerdem derzeit wegen psychischer Probleme in ärztlicher Behandlung. Er stehe unter Medikation und nehme Beruhigungsmittel ein. Aussagekräftige Belege über diese Behandlung könne er derzeit allerdings nicht vorlegen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 25. März 2004 aufzuheben,
hilfsweise
die Beklagte zu der Feststellung zu verpflichten, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 25.03.2004. Der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten hat sich nicht geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (2 Bände) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der angefochtene Widerrufsbescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 25.03.2004 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger deshalb nicht in seinen Rechten. Dem Kläger steht auch nicht der hilfsweise begehrte Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG zu.
Der Bescheid vom 25.03.2004 ist durch § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gedeckt, der auch in der ab dem 01.01.2005 geltenden Fassung (Art. 3 Nr. 46 a des Zuwanderungsgesetzes vom 30.07. 2004 -BGBl. S. 1950 -) eine Rechtsgrundlage für den Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter und der Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG bietet. Nach dieser Vorschrift sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG bzw. des § 60 Abs. 1 AufenthG vorliegen, unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Davon ist im vorliegenden Fall auszugehen.
Die Asyl- und Flüchtlingsanerkennung ist nach dieser Vorschrift zu widerrufen, wenn sich die zum Zeitpunkt der Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse nachträglich erheblich und nicht nur vorübergehend so verändert haben, dass bei einer Rückkehr des Ausländers in seinen Herkunftsstaat eine Wiederholung der für die Flucht maßgeblichen Verfolgungsmaßnahmen auf absehbare Zeit mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen ist und nicht aus anderen Gründen erneut Verfolgung droht (BVerwG, Urt. v. 01.11.2005 -1 C 21.04 - DVBl. 2006, 511; Urt. v. 25.08.2004, NVwZ 2005, 89; Urt. v. 19.09. 2000, BVerwGE 112, 80).
Die Sachlage hat sich nach Erlass des Bescheides des Bundesamtes vom 10.08.2000, mit welchem dem Kläger Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG gewährt worden ist, entscheidungserheblich und damit in einer den Widerruf nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG rechtfertigenden Weise geändert. Der Bescheid vom 10.08.2000 enthält zwar keine einzelfallbezogene Begründung für den nach § 51 Abs. 1 AuslG gewährten Abschiebungsschutz. Der im Bescheid enthaltene Hinweis auf das Urteil des Niedersächsischen OVG vom 08.09.1998 (9 L 2142/98) lässt aber erkennen, dass Abschiebungsschutz gewährt worden ist, weil der aus Kirkuk und damit aus dem Zentralirak stammende Kläger illegal aus dem Irak ausgereist ist und in der Bundesrepublik Deutschland einen Asylantrag gestellt hat. Möglicherweise - die Begründung des Bescheides vom 10.08. 2000 lässt dies allerdings nicht deutlich erkennen - ist ihm auch deshalb Abschiebungsschutz gewährt worden, weil ihm nach seinem Vorbringen wegen der Behandlung des durch eine Schusswunde verletzten Freundes eines Freundes die Verhaftung durch den damaligen irakischen Geheimdienst gedroht hat.
Für derartige Verfolgungsmaßnahmen ist mit dem Sturz des Regimes unter Saddam Hussein im Jahr 2003 jegliche Grundlage entfallen. Auch im Zusammenhang mit der illegalen Ausreise aus dem Irak und dem in der Bundesrepublik Deutschland gestellten Asylantrag droht dem Kläger keine Verfolgung mehr. Davon kann bereits jetzt trotz der ansonsten unklaren und sich auch ändernden politischen Verhältnisse im Irak mit Sicherheit ausgegangen werden (vgl. dazu auch Nds. OVG, Beschl. v. 14.02.2006, 9 LB 264/03; Beschl. v. 30.03. 2004, NVwZ-RR 2004, 614; OVG Koblenz, Beschl. v. 26.02.2004, AuAS 2004, 119). In Folge des Irak-Krieges vom 20. März bis 01. Mai 2003 ist das bis zum Kriegsausbruch herrschende, maßgeblich von der irakischen Baath-Partei und dem persönlichen Einflussbereich der Familie des früheren Herrschers Saddam Hussein geprägte Herrschaftssystem im Irak zusammengebrochen. Die Militäraktionen führten zur Auflösung der staatstragenden Organisationen des Regimes wie beispielsweise der Baath - Partei, der Republikanischen Garde, der Armee und der Geheimdienste. Der größte Teil der früheren Regierungsmitglieder und der maßgebenden Träger der staatlichen Gewalt ist getötet, verhaftet, untergetaucht oder geflohen. Saddam Hussein selbst wurde am 13.12.2003 festgenommen (siehe Lagebericht Irak des Auswärtigen Amtes vom 07.05.2004, Stand: April 2004 S. 2/3). Derzeit wird gegen ihn und weitere Repräsentanten seines Regimes vor einem irakischen Sondergericht verhandelt (vgl. Lagebericht Irak des Auswärtigen Amtes vom 24.11.2005 - Stand: November 2005 - S. 6).
Dem Kläger droht derzeit auch nicht aus anderen Gründen eine Verfolgung im Sinne des nunmehr geltenden § 60 Abs. 1 AufenthG. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer in Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S . 559) nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist.
Der Kläger hat dazu in seinem Schreiben vom 21.03.2004 an das Bundesamt und auch in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht, dass es in seiner Heimatstadt Kirkuk zu Konflikten zwischen Kurden und Arabern gekommen sei. Er habe gehört, dass Kurden im Dezember 2003 das der Familie gehörende, in Kirkuk gelegene Haus in Besitz genommen hätten. Dieses Vorbringen hat zwar durchaus einen realen Hintergrund. So heißt es im Lagebericht Irak des Auswärtigen Amtes vom 24.11.2005 (Stand: November 2005, S. 12):
"Der für humanitäre Angelegenheiten zuständige Sondergesandte der Vereinten Nationen, Ross Mountain, erklärte Mitte September 2004, Kirkuk stehe vor dem Ausbruch eines ethnischen Konflikts zwischen Arabern und Kurden. Dieser ist zwar bis heute nicht offen ausgebrochen, doch kommt es immer wieder zu Anschlägen in der Stadt, zuletzt am 11.05.2005. Die ehemalige Regierung unter Saddam Hussein führte in den 1990er Jahren eine aggressive Arabisierungspolitik in Kirkuk durch. Berichten zufolge versuchen vor allem kurdische Gruppen seit dem Sturz des Regimes, diese Politik rückgängig zu machen, indem die arabische Bevölkerung zur Rückkehr in ihre ehemaligen Siedlungsgebiete aufgefordert wird und gezielt Kurden in Kirkuk angesiedelt werden. Diese Siedlungspolitik führt zu Spannungen in der Bevölkerung."
Dieser Lagebericht und auch die sonstigen der Kammer vorliegenden Erkenntnismittel belegen aber nicht, dass arabische Volkszugehörige allein wegen ihrer Volkszugehörigkeit in Kirkuk oder gar landesweit im Irak verfolgt werden. Im Übrigen hat die Familie des Klägers zumindest seit 1975 in Kirkuk gewohnt und ist deshalb nicht im Rahmen der Arabisierungspolitik in den 90er Jahren nach Kirkuk umgezogen. Die Erklärung des Klägers im Schreiben vom 21.03.2004 an das Bundesamt, er habe im Dezember 2003 erfahren, Kurden hätten das in Kirkuk gelegene Haus der Familie in Besitz genommen, lässt mangels einzelfallbezogener Angaben keinen hinreichenden Rückschluss auf eine drohende Verfolgung in Anknüpfung an ein asylrelevantes Merkmal (Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe, politische Überzeugung) zu. Das Vorbringen des Klägers lässt auch ansonsten nicht hinreichend erkennen, dass ihm im Falle der Rückkehr nach Kirkuk in Anknüpfung an ein asylrelevantes Merkmal Verfolgung droht.
Das Vorbringen des Klägers bietet auch keinen hinreichenden Anlass zur Annahme, ihm drohe bei einer Rückkehr in den Irak Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG, weil - so der Kläger in seinem Schreiben vom 21.03.2004 an das Bundesamt - sein Vater Offizier in der irakischen Armee gewesen ist. Der Kläger selbst hat seinen Wehrdienst im Juli 1997 beendet und ist bis zu seiner Ausreise aus dem Irak im Februar 1999 als Medizinisch Technischer Assistent tätig gewesen. Dass Familienangehörige von ehemaligen Armeeoffizieren grundsätzlich einer besonderen Verfolgungsgefahr ausgesetzt sind, belegen die der Kammer vorliegenden Erkenntnismittel nicht und wird im Übrigen auch nicht vom Kläger geltend gemacht. In der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 09.02.2005, Nds. Rpfl. 2005, 258; OVG Koblenz, Beschl. v. 21.10.2004 - 8 A 11245/04 -) ist auch bereits wiederholt ausgesprochen worden, dass zumindest einfachen Mitgliedern der Baath - Partei im Falle ihrer Rückkehr in den Irak keine politische Verfolgung droht.
Die vom Kläger angesprochene ungeklärte und unsichere politische Situation im Irak steht dem Widerruf der Flüchtlingsanerkennung ebenfalls nicht entgegen. Das BVerwG hat dazu im Urteil vom 01.11.2005(1 C 21.04, DVBI. 2006, 511) ausgeführt:
"Dagegen werden allgemeine Gefahren (z.B. auf Grund von Kriegen, Naturkatastrophen oder einer schlechten Wirtschaftslage) von dem Schutz des Art. 1 A Nr. 2 GFK nach Wortlaut und Zweck dieser Bestimmung ebenso wenig umfasst wie von Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK (anders offenbar die UNHCR-Richtlinien zum internationalen Schutz: Beendigung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des Art. 1 C (5) und (6) des Abk. von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 10. Februar 2003, NVwZ Beilage Nr. I 8/2003, S. 57 <59>, wo u.a. eine "angemessene Infrastruktur" verlangt wird, "innerhalb derer die Einwohner ihre Rechte ausüben können, einschließlich ihres Rechtes auf eine Existenzgrundlage") . Ob dem Ausländer wegen allgemeiner Gefahren im Herkunftsstaat eine Rückkehr unzumutbar ist, ist beim Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung mithin nach § 73 Abs. 1 AsylVfG nicht zu prüfen. Schutz kann insoweit nach den allgemeinen Bestimmungen des deutschen Ausländerrechts gewährt werden (vgl. namentlich § 60 Abs. 7 Satz 2 und § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG )."
Dem Widerruf der Gewährung von Abschiebungsschutz steht auch § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG nicht entgegen. Danach ist von einem Widerruf abzusehen, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in den Staat abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, oder in dem er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Das BVerwG hat bereits entschieden, dass § 73 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG nur eingreift, wenn es dem Flüchtling im Hinblick auf die ursprünglichen Verfolgungsgründe und -umstände nicht zuzumuten ist, in seinen Heimatstaat zurückzukehren (BVerwG, Urt. v.01.11.2005 -1 C 21.04 - DVBl. 2006, 511; ebenso OVG Saarlouis, Beschl. v. 30.03. 2005, Asylmagazin 2005, 38; Urteil der Kammer vom 10.02. 2005, 6 A 4438/04). Diese Vorschrift soll der Sondersituation solcher Personen Rechnung tragen, die ein besonders schweres, nachhaltig wirkendes Verfolgungsschicksal erlitten haben und denen es deshalb selbst lange Zeit danach -auch ungeachtet veränderter Verhältnisse - nicht zumutbar ist, in den früheren Verfolgerstaat zurückzukehren (BVerwG, Urt. v. 01.11.2005, a.a.O.). Das Vorliegen derartiger Umstände ist weder von dem Kläger einzelfallbezogen geltend gemacht worden noch ansonsten ersichtlich.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf den hilfsweise begehrten Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG (früher § 53 AuslG). Die insoweit ablehnende Entscheidung des Bundesamtes im Bescheid vom 25.03.2004 ist nicht zu beanstanden.
Das Bundesamt ist berechtigt gewesen, mit dem durch Bescheid vom 25.03.2004 ausgesprochenen Widerruf der Flüchtlingsanerkennung auch erstmals eine Entscheidung über das Bestehen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG) zu treffen (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.04.1999 - 9 C 29/98 - InfAuslR 1999, 373).
Das Vorbringen des Klägers bietet auch keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG. Anhaltspunkte für die Annahme, dass ihm seitens staatlicher irakischer Stellen Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 2, 3 und 5 AufenthG drohen könnten, liegen nicht vor und sind auch nicht geltend gemacht worden.
Der Kläger ist bei einer Abschiebung in den Irak auch nicht einer konkreten Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausgesetzt. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Eine konkrete zielstaatsbezogene und damit Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG rechtfertigende Gefahr für Leib und/oder Leben des Ausländers liegt nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung insbesondere dann vor, wenn er an einer erheblichen Krankheit leidet und einzelfallbezogen zu erwarten ist, dass sich sein Zustand wegen unzureichender Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat - hier: Irak - verschlimmert (vgl. BVerwG, Urt. v. 29.10.2002, DVBl. 2003, 463; Urt. v. 21.09.1999, NVwZ 2000, 206; Urt. v. 25.11.1997, BVerwGE 105, 383[BVerwG 25.11.1997 - 9 C 58/96]). Dies gilt auch dann, wenn die notwendige Behandlung im Zielstaat zwar allgemein zur Verfügung steht, sie dem Ausländer aber aus finanziellen oder sonstigen Gründen nicht zugänglich ist (BVerwG, Urt. v. 29.10.2002, a.a.O.., Hess.VGH, Urt. v. 24.06.2003, AuAS 2004, 20). Die Kammer hat nicht feststellen können, dass diese Voraussetzungen zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, der für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebend ist (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG), in der Person des Klägers vorgelegen haben.
Der Kläger hat zwar in der mündlichen Verhandlung am 07.06.2006 erstmals geltend gemacht, dass er sich derzeit wegen psychischer Probleme in ärztlicher Behandlung befindet. Er hat dies aber weder im Verwaltungsverfahren noch schriftsätzlich im gerichtlichen Verfahren geltend gemacht, obwohl er in der Ladungsverfügung vom 06.04.2006 unter Fristsetzung bis zum 20.05.2006 und Belehrung nach § 87 b Abs. 3 VwGO aufgefordert worden ist, die noch nicht vorgetragenen Tatsachen anzugeben, durch deren Berücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert fühlt und die entsprechenden Beweismittel zu bezeichnen. Der Kläger hat auch in der mündlichen Verhandlung keine aussagekräftigen ärztlichen Unterlagen vorgelegt, die Aufschluss über seinen derzeitigen Gesundheitszustand geben. Der Kammer ist aus den vorgelegten Verwaltungsvorgängen der Beklagten (BA A, Bl. 54) lediglich bekannt, dass der Kläger vom x.x.2000 - x.x.2000 in der Privat - Nerven - Klinik Dr. P. in V. stationär behandelt und nach Abschluss der Behandlung regulär entlassen worden ist. Weitere ärztliche Unterlagen sind der Kammer - wie bereits erwähnt - nicht vorgelegt worden. Die Kammer kann deshalb nicht davon ausgehen, der Kläger leide derzeit an einer schwerwiegenden Krankheit, die im Herkunftsland Irak nicht angemessen behandelt werden kann.
Dem Kläger steht auch nicht wegen der allgemein schwierigen Lebensverhältnisse im Irak Abschiebungsschutz zu. Die allgemein schwierigen Lebensverhältnisse und eine schlechte Versorgungslage im Herkunftsland rechtfertigen nach der Rechtsprechung des BVerwG (Urt. v. 12.07.2001, BVerwGE 115, 1[BVerwG 12.07.2001 - 1 C 5/01]; Urt. v. 08.12.1998, NVwZ 1999, 666) und des Niedersächsischen OVG (Beschl. v. 30.06.2004, 9 LB 53/04; Beschl. v. 30.03.2004, NVwZ-RR 2004,614 [BVerfG 27.04.2004 - 2 BvR 1318/03]) zu der wortgleichen Vorgängervorschrift des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG, der sich die Kammer bereits angeschlossen hat (Urt. der Kammer vom 03.08.2005, 6 A 5711/02 und 6 A 7158/03), auch dann keinen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, wenn sie zu einer individuellen Gefährdung des betroffenen Ausländers führen. Die wegen der ungünstigen wirtschaftlichen Verhältnisse und aufgrund des bisher ungelösten Kriminalitäts- und Terrorismusproblems allgemein schlechten Lebens- und Sicherheitsverhältnisse im Irak, auf die der Kläger ausdrücklich hingewiesen hat, treffen alle Bevölkerungsteile. Derartige Gefahren, denen die Bevölkerung wegen der im Irak anzutreffenden Verhältnisse allgemein ausgesetzt ist, werden gemäß § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nur bei Entscheidungen nach § 60 a Abs. 1 Satz 1 AufenthG (sog. Abschiebungsstopp) berücksichtigt. Dies gilt nach der gefestigten Rechtsprechung des BVerwG (Urt. v. 12.07.2001, BVerwGE 115, 1, 7[BVerwG 12.07.2001 - 1 C 5/01]; Urt. v. 17.10.1995, BVerwGE 99, 324, 328) [BVerwG 17.10.1995 - 9 C 9/95] ausnahmsweise dann nicht, wenn der Ausländer bei seiner Rückkehr in sein Herkunftsland einer extremen Gefahrenlage dergestalt ausgesetzt wäre, dass er im Falle seiner Abschiebung dorthin gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert sein würde. Nur in einem solchen Falle gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG bei einer allgemeinen Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG individuellen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren. Eine derart extreme allgemeine Gefahrenlage besteht derzeit im Irak nicht. Davon wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung - soweit ersichtlich - noch einhellig ausgegangen(vgl. Nds.OVG, Beschl. v. 30.06. 2004, 9 LB 53/04; Beschl. v. 30.03. 2004, NVwZ-RR 2004,614; OVG Münster, Beschl. v. 06.07.2004, 9 A 1406/02.A; OVG Koblenz, Beschl. v. 26.02.2004, AuAS 2004, 119; Bay. VGH, Urt. v. 03.03.2005, 23 B 04.30631; Urt. v. 13.11.2003, AuAS 2004, 43; OVG Schleswig, Beschl. v. 28.10.2003, 1 LB 41/03; a.A. VG Lüneburg, Urt. v. 25.11.2005, 6 A 260/05; VG Köln, Urt. v. 17.06. 2005, 18 K 5407/01.A).
Im Übrigen ist nach der Rechtsprechung des BVerwG (Urt. v. 12.07.2001 -1 C 2/01 - BVerwGE 114, 379, 385[BVerwG 12.07.2001 - 1 C 2/01]; ebenso Sächsisches OVG, Beschl. v. 30.03.2005, AuAS 2005,149) ein Durchbrechen der Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG (jetzt § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG) dann nicht geboten, wenn zwar kein Abschiebestopp nach § 54 AuslG (jetzt § 60 a Abs. 1 AufenthG) erlassen worden ist, die sonstige ausländerrechtliche Erlasslage dem Ausländer aber einen vergleichbar wirksamen Schutz vor Abschiebung vermittelt. Davon ist im Falle irakischer Staatsangehöriger und damit auch im Falle des Klägers noch immer auszugehen (vgl. auch Nds. OVG, Beschl. v. 14.02.2006, 9 LB 264/03).